Aber m.E. nach ist das, was wir brauchen eine offene Debatte, in der man Kritik äußern darf. Dann kann ich auch erwarten, dass man nicht verallgemeinert und Pauschalurteile fällt, sondern eben genau hinsieht. Aber vielleciht dann, wenn man verbal seine Emotionen geäußert hat.
Ich verstehe immer nicht, wer hier irgendjemandem den Mund verbietet oder Kritik schwer macht. Ich erlebe das nicht so, eher erlebe ich, dass mittlerweile jeder alles äußern darf, auch die Dinge, die in den 90igern noch Tabu waren.
Die sozialen Medien sind voll von den härtesten Tönen, die ich jemals gelesen habe. Auf jeder Seite, aber vor allem auf der Seite der Radikalen, bis hin zu kollektiven Mordaufrufen. Es ist insgesamt eher ein allgemeines Sinken der Hemm- und Beißschwelle festzustellen, auch bei den Nichtradikalen wird sich mit Schlamm beworfen, dass es nur so kracht. Jeder lässt ununterbrochen seinen Senf weltweit lesbar ab, im Netz gibt es keine Meinung die nicht in aller Öffentlichkeit lautstark vertreten wird.
Die Medien zitieren diese oft und gern, in bekannten Talkshows ist es mittlweile üblich, Volkes Mund durch Originalzitate aus den sozialen Netzwerken einzubeziehen, was früher überhaupt nicht gang und gäbe war: da kamen nur die zu Wort, die eingeladen waren und das Sagen hatten. Mitterweile werden Hans und Franz von den Nachrichtensendungen, den Talkshows und der Presse zitiert, Meinungsumfragen haben Expertenmeinungen vedrängt oder werden mindestens gleichsesetzt in ihrer Wertigkeit...
Wo ist denn diese viel besungene heimliche Zensur überhaupt?
Es gibt bei den besonders Besorgten oder Wütenden diesen Eindruck, eine persönliche Empfindung, der gerne und häufig ein wenig selbstmitleidig postuliert wird. Das habe ich auch mitbekommen.
Vielleicht, weil es sie erbost, dass "die Medien" (wobei ja zwischen Junge Freiheit und TAZ auch ein erhebliches (!) Spektrum an möglichen Tendenzen herrscht) nicht schlichtweg nur IHRE Meinung abbildet. Vielleicht meinen diejenigen, die gerne "wir sind das Volk" rufen, dass auch nur noch ihre Volksmeinung gedruckt werden sollte. Stoßen dann aber auf erhebliche Meinungsvielfalt, auch oppositionell zu der ihren Meinung, und empfinden dies als Zensur.
Vielleicht wollen einige die ganzen Anteile verschwörungstheoretischer Ideologien, wie sie von pi-net und dem Kopp Verlag verbreitet werden, eins zu eins abgedruckt sehen und würden erst dann nicht mehr "Lügenpresse" schreien, wenn die Medien dieses krude Zeugs veröffentlichen würden.
Vielleicht liegt es auch daran, dass manche die eigenen Meinung selbst als problematisch empfinden und diese "Zensur" "Gesinnungsdiktatur"-Rufe eine vorauseilende Selbstrechtfertigung sind, eine Art psychologischer Reflex: "egal wie krude meine Meinung, ich habe ein RECHT auf sie und ich will mich nicht mit Gegenargumenten auseinandersetzen, denn das könnte das Gebäude zum Wackeln bringen, deshalb schreie ich bei jedem Gegenargument gleich "Gesinnungsterror!", dann muss man mir meine krude Meinung lassen!"
Nein, muss man nicht. Jeder darf seine Meinung haben, aber er muss, wenn er sie äußert, auch mit der Gegenmeinung rechnen. DAS ist die Konsequenz, die viele nicht ertragen.
Wir leben hier in einem der freiesten Länder der Erde. Jeder darf im Prinzip sagen, was er lustig ist. Man darf an Chemtrails glauben, Reichsbürger sein, Obama für einen Islamisten halten, hinter Nazis hermarschieren udn sich selbst für keinen Nazi halten, den Kopp Verlag abonniert haben und sich ausschließlich über pi-net und verwandte Seiten informieren. Und mancher tut es auch. Manchmal empfinde ich das innerlich als Belastung, aber im Prinzip stehe ich dahinter und würde die Rechte der Tröten, die das so tun, verteidigen. Man hat in Deutschland ein Recht, eine Tröte zu sein.
Bis man jemand hierzulande wegen Volksverhetzung verknacken kann, muss der die dünne Schicht seiner Ziviliationsmaske schon ziemlich weit dehnen.
Wer politische Thesen äußert, muss und kann allerdings mit Gegenrede rechnen. Auch das gehört dazu. Wenn jemand Nazi-Thesen äußert, zum Beispiel, und er das nicht abkann, dass man ihn dann einen solchen nennt, soll er das halt lassen, vor allem in der Öffentlichkeit des Netzes, aber nicht "nie darf ich was sagen, gleich heiß ich Nazi" jammern. Wenn er seine Position dann mit weiteren Argumenten/Fakten stützen kann, kann jeder seiner Meinung weiterhin sein und sie,w enn gut unterlegt, sicher auch rüberbringen. Wenn er keine Fakten oder Argumente hat, sondern nur Instinkte...dann ist der Vorwurf halt vielleicht auch mal zu Recht gemacht worden. Aber gejammert wird ja oft schon bevor man die Gegenrede überhaupt aushalten musste.
Ich beziehe mich hier übrigens nicht auf "stille Mitleserin", die ich ja anfangs zitiert habe: diese Einlassungen sind eine gesamtgesellschaftliche Bestandsaufnahme und das Zitat ein Anlass über diese Behauptung, man könne bestimmte Themen in Deutschland nicht diskutieren, zu reflektieren. Tatsächlich glaube ich, dass überwiegend diejenigen das sagen, die nicht diskutieren wollen, sondern einfach mal Dinge behaupten. Die sie dann nicht auseinander genommen haben wollen.
Ansonsten finde ich diesen Artikel hier ganz interessant, weil wirklich sehr umfassend und ausführlich (auf Englisch!): http://www.spiegel.de/international/…-a-1071175.html