Respizienz

  • Die lückenlose Überwachung des Lehrpersonals als elementare Stütze bayerischen Schulerfolgs
    Die Respizienz gibt es so wohl nur in Bayern, und sie verdient einen Ehrenplatz im Kanon der Besonderheiten des gehobenen bayerischen Schulsystems. Es gibt sie nicht an Grund-, Haupt-/Mittel- und Förderschulen; sie ist den Realschulen und der Sekundarstufe II vorbehalten.

    Respizienz bedeutet, dass eine Lehrkraft an besagten Schulen nicht einfach eine Klausur, Schulaufgabe oder Stegreifaufgabe schreiben lässt, diese korrigiert und dann den Schülern zurückgibt - das wäre schlicht zu profan und der Würde, ja der Heiligkeit des Aktes nicht angemessen. Nein, das weitere Schicksal der Arbeiten ist in einem genauen Zeremoniell festgelegt, das einem genauen Ablauf folgt und - je nach Linientreue der Schulleitung - geradezu zur Weihehandlung sakralisiert wird.

    Zunächst wird die Lehrkraft penibel darauf achten, dass die Arbeiten von den Schülern zuverlässig zurückgegeben werden. Zuwiderhandler laufen Gefahr, die Arbeiten nicht mehr mit nach Hause zu bekommen, so dass die Eltern diese nur noch im Sekretariat unter Glas Aufsicht einsehen können. Alsdann werden die Arbeiten alphabetisch sortiert und in einem Mantelbogen gesammelt, der auf der Vorderseite umfangreiche Angaben zur jeweiligen Arbeit enthält; unter anderem sind dies Datum der Anfertigung und Datum der Rückgabe, Notenspiegel und -schnitt sowie der Anteil an nicht ausreichenden Zensuren. Ergänzt wird dies durch ein Exemplar der Aufgabenstellung, eine Klassenliste mit Noten, einen Erwartungshorizont und den Punkteschlüssel.

    Dieses Konvolut erhält dann der Fachbetreuer (in Bayern ein Amt mit Vorgesetztenfunktion), der die Angemessenheit der Aufgabenstellung, die Sorgfalt der Korrektur (anhand einer guten, einer mittleren und einer schlechten Arbeit) und die rechtzeitige Rückgabe an die Schüler überprüft.

    Im Anschluss landet der Papierstapel auf dem Schreibtisch des Schulleiters, der seinerseits die korrekte Arbeit des Fachbetreuers überprüft und die Arbeit dann ins Archiv verbringt. Letzteres besteht meist aus einem großen Schrank - wer jetzt unwillkürlich an den Priester denkt, der die Monstranz nach zelebrierter Messe wieder sorgfältig im Tabernakel verstaut, liegt nicht ganz falsch.

    Dort bleiben die Arbeiten dann für zwei Jahre, damit man sich in stillen Stunden noch einmal an der geleisteten Arbeit ergötzen kann.

    Böse Zungen behaupten, dass man in Bayern eine Karriere im Schuldienst auf der pünktlichen und sauberen Korrektur gut erstellter Arbeiten aufbauen könne. Das stimmt so natürlich nicht - umgekehrt wird aber doch fast ein Schuh draus.

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