Rechtschreibung - mal empirisch

  • Ihr Lieben,


    ich würd gern mal wieder eine allgemeine Diskussion vom Zaun brechen, weil mir der große Rechtschreibungskrieg doch keine Ruhe lässt. Leider hab ich selbst nur anekdotische Erfahrungen ("Wir konnten früher besser rechtschreiben!") und sitze im Moment noch an einer anderen Recherchebaustelle (nicht wahr, Philo?), aber ich würde gern mal mit dem Sammeln anfangen. Meine Ausgangsfragen:


    - Gibt es Studien zur "Rechtschreibbiographie" von Schülern? Will sagen, hat jemand schon mal versucht, bei Ausschaltung anderer Faktoren die Effektivität verschiedener Rechtschreiblernmethoden nachzuweisen? An den Gymnasien hat sich die Meinung verfestigt, dass "Lesen durch Schreiben" zu katastrophaler Rechtschreibung führt und in der Unter- und Mittelstufe nie mehr richtig nachgeholt werden kann, was in der Grundschule versäumt wurde. Die Schüler schreiben nicht williger, sondern eher unwilliger bzw. empfinden die Forderung nach "richtiger" Schreibung als aufgesetzt. Gibt es zum Erfolg/ Misserfolg verschiedener Lernmethoden "harte" Nachweise (ich mein jetzt nicht das übliche schwammige "Ich denk mir, dass die Kinder damit viel glücklicher sind und im Fall von Lukas B. stimmt das so"-Pädagogikgeschwafel)?


    - Ebenso bin ich auf der Suche nach empirischen Studien zum Zusammenhang zwischen Lese- und Schreibkompetenz, aber anders herum. Meine Laientheorie ist, dass Lesen - sprich, häufige Konfrontation mit der richtigen Version von Wörtern - zur besseren Schreibkompetenz führt. Gibt's dazu Nachweise bzw. Widerlegungen?


    - Stichwort Legasthenie: Ich hab zwar eine grobe Vorstellung davon, was bei Legasthenikern schief läuft und dass es mit "Der kann schlecht rechtschreiben" nicht getan ist, trotzdem wüsste ich gern mehr insbesondere über die Entwicklungsmöglichkeiten von Legasthenikern und über den Zusammenhang zwischen Lese- und Schreibkompetenz bei ihnen. Wenn ich einen Legastheniker in der Klasse hab, nehm ich dann eben hin, dass er's nicht kann und nie können wird, oder gibt's auch hier Entwicklungsmöglichkeiten? Hat jemand Buchtipps?


    Zur "Positionierung": Ich komme aus der Ecke, die eine sinnvoll entwickelte Rechtschreibkompetenz für unbedingt notwendig hält - hat was damit zu tun, dass Schriftsprache in sich schon schwierig zu verstehen ist. Wenn ich einen Teil meiner Konzentration zur Dechiffrierung der einzelnen Wörter aufwenden muss, weil sie eben nicht einem auf einen Blick identifizierbaren "Wortbild" entsprechen, kann ich mich nicht mehr auf das mit dem Satz Gemeinte konzentrieren. Schriftsprache ist ein gesellschaftliches Produkt mit gesellschaftlicher Funktion; wird das zugunsten der Präferenzen des Einzelnen zu sehr aufgeweicht, funktioniert die Kommunikation nicht mehr (wer's nicht glaubt, mag sich mit meiner Signatur auseinander setzen - Ergebnis einer nicht oder kaum reglementierten Rechtschreibung). Damit meine ich weder, dass einzelne Rechtschreibfehler drakonisch geahndet werden müssen (dazu mach ich selbst zu viele), noch, dass für Leute mit LRS keine Ausnahmen gemacht werden sollen - wenn wir aber den Grundkonsens verlieren, dass richtige Schreibung wichtig ist, haben wir ein Problem (Nebenher - beim Erlernen von Programmiersprachen, was mittlerweile zur Grundausstattung gehört, fällt diese Debatte eh flach - wenn ein einziges Zeichen nicht stimmt, funktioniert das Programm eben nicht, Punkt). Ich lass mich zwar gern auf eine Diskussion des Ob oder Ob nicht ein, aber im Moment interessiert mich mehr das Wie. Wie lernen Kinder - auf Dauer - am besten rechtschreiben? Warum funktioniert das bei mir größtenteils intuitiv, bei meinen Schülern nicht? Was müsste eigentlich in der Grundschule laufen? Was später? Wo hakt's heute - falsche Methode, nicht genug Übungszeit, nicht genug Input? Warum können Kinder alle Rechtschreibregeln und alle geschlossenen Übungen, machen es in freien Texten aber immer wieder falsch? All das hätt ich gern im Ref gelernt, kam aber nicht vor, deshalb frag ich jetzt hier und mach mich auch selbst auf die Suche. Tipps?


    w.

    Frölich zärtlich lieplich und klärlich lustlich stille leysejn senffter süsser keuscher sainer weysewach du minnikliches schönes weib

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  • Guten Morgen,


    lDu rennst mit Deinem Thread bei mir offene Türen ein, denn ich weiß leider auch nicht, wie ich mit Schülern umgehen soll, die zwar Regeln aus dem EffEff beherrschen, aber sie nach der Grammatikeinheit nicht mehr anwenden können.


    Vor kurzem habe ich die Hamburger REchtschreibprobe ausgwertet, dies war sehr komplex und auch schwierig. Auf der darauffolgenden Fortbildung habe ich mir so meine Gedanken gemacht, da Schüler unterschiedliche SChwierigkeiten bei der verschriftlichung des Gehörten/Gesehenen haben. Es ging dabei um verschiedene Ebenen, auf denen ein Kind etwas falsch schreiben kann. Und da setzt dann die HRP an, durch gezieltes Lernen (z.B. auf der morphologischen Ebene) kann das Kind seine Rechtschreibung verbessern. Tja, und nun kommt der Knackpunkt: wie das vonstatten gehen soll, ist bei mir vollends vorbei gegangen. Auch nach mehrmaligem Nachfragen meinerseits ist mir nicht klar geworden, wie das funktionieren soll.


    Anderer Ort, anderer Zeitpunkt: während meines Studiums habe ich zwei Mädchen (10/8 Jahre alt) in Deutsch nachgeholfen. Ihre Rechtschreibung war ein Desaster. Auch konnten sie beide nicht richtig lesen. Ich habe mit ihnen gelesen, sie haben mir vorgelesen und sie haben geschrieben, was sie gelesen haben. Das war für die beiden manchmal sehr anstrengend, denn was das richtige Lesen angeht, bin/war ich sehr streng. Dennoch haben sich die beiden Mädels von einer Deutsch-5 auf eine gute 3 hochgearbeitet.


    Aufgrunddessen bin ich eigentlich zu dem Schluss gelangt, dass man Kindern schrecklich viel vorlesen muss, sie selber lesen müssen und zwar unter Anleitung. Klar gibt es auch Kinder, die nicht gerne lesen, aber man kann auch solche Kinder abholen. Vielleicht ziehe ich nun den Ärger auf mich, aber ich denke, dass Eltern und Großeltern dabei helfen müssen. Als lesendes Beispiel voranzugehen, mag nicht ganz einfach sein, doch zahlt es sich aus. Bestimmt. Und gerade in Zeiten, wo der Trend zum Zweitbuch geht, müssen wir den Kindern zeigen, dass Bücher ein Schlüssel zu einer ganz neuen Welt sind. (Okay, ich gebs zu, das war sehr pathetisch). Das ganze schreckliche Ausmaß sehe ich meinem 8- Deutsch- Differenzierungskurs "Wie ein ganzes Buch über die Osterferien lesen? Ich habe aber gerade mal anderes zu tun!"
    Um den Bogen wieder zur Ausgangsfrage zu spannen: ICh denke, je mehr ein Kind schon im frühen Alter liest und auch vorgelesen bekommt, umso besser ist seine Rechtschreibung!
    Ich weiß aber nicht, ob das irgendjemand mal wissenschaftlich belegt hat.


    Liebe Grüße

    Ich denke schneller als ich schreibe...

    • Offizieller Beitrag

    Hallo!


    Ich hatte gerade den Genau-so-ist-es-Effekt. Es gibt tatsächlich Studien, daß Kinder aus lesenden Familien mehr und besser lesen und auch im Rechtschreiben besser sind. Die sind mir mal während des Germanistik-Studiums über den Weg gelaufen, aber ich weiß gerade nicht genau, wo ich die hab. Und daher bin ich auch fest davon überzeugt, daß meinen Nachhilfeschülern nur damit zu helfen ist, daß sie Texte unter Anleitung lesen, zu Hause lesen und aber auch solche Texte stückchenweise abschreiben.


    Außerdem bin ich ein lebendes Beispiel. Am Anfang ist mir lesen unheimlich schwer gefallen, obwohl meine Eltern recht viel lesen und ich Bücher toll fand. Meine Mutter hat am Anfang mit mir geübt und ich fand es doof. Ales es dann einigermaßen ging, habe ich auch mehr Gefallen an Büchern gefunden, mit denen ich zu diversen Festen immer eingedeckt wurde. Letzten Ende hat das dazu geführt, daß ich schon im Alter von 10 Jahren auf dem Weg zum Klavierunterricht den Großteil meines Taschengeldes in diverse Kinder- und Jugendbücher investiert habe und heute noch leidenschaftlich Bücher kaufe und lese. Und jetzt? Jetzt bin ich auch noch Deutschlehrerin geworden :)


    Liebe Grüße,


    Dalyna

  • Als zentrale Literatur kann ich dir dazu den 1. Band des Handbuchs "Didaktik der deutschen Sprache" von Bredel, Günther und Klotz angeben. Da findest du einige empirische Untersuchungen. Federführend sind auf diesem Gebiet unter anderem Klicpera und Gasteiger-Klicpera; von denen findest du auch das Werk "Psychologie der Lese- und Schreibschwierigkeiten", das auch nochmal auf Legasthenie eingeht.


    Das nur kurz vorab, inhaltlich später mehr - jetzt ist erst mal wieder meine Examensarbeit dran.


    LG
    Britta

  • Zitat

    NerD schrieb am 22.03.2005 10:33:
    Vielleicht ziehe ich nun den Ärger auf mich, aber ich denke, dass Eltern und Großeltern dabei helfen müssen. Als lesendes Beispiel voranzugehen, mag nicht ganz einfach sein, doch zahlt es sich aus. Bestimmt. Und gerade in Zeiten, wo der Trend zum Zweitbuch geht, müssen wir den Kindern zeigen, dass Bücher ein Schlüssel zu einer ganz neuen Welt sind. (


    Guten Tag! Den Zorn zieht Du Dir wirklich gerade zu, den Zorn (nicht ganz Ernst gemeint) einer lesenden Mutter! Familienbeschreibung: Zwei Frauen, eine groß, eine klein, und beiden lesen Tag und Nacht. Bücherschatz er jungen Frau: rund 1000, der Mutter? Runde 10.000 Bände.
    Die Männer der Familie? Der kleine Mann liest... manchmal. Der große? Liest auch. Gerade liest er den Jahrmarkt der Eitelkeiten von Thackeray und dies wirklich schöne und interessante Stück englischer Literatur hat er nun schon 5 Monate vor der Nase...
    Vorgelesen wurde dem Mann in seiner Kindheit bis er 14 war. Dem Sohn wird auch immerzu vorgelesen.
    Beide sind Legastheniker.



    Schade, daß diese einfachen Schlussfolgerungen nicht immer zutreffen...



    Viele Grüße aus der Bücherwelt von der Musikatze

    Musik ist die Stenographie des Gefühls.
    Tolstoi

    Einmal editiert, zuletzt von musikatze ()

  • Hallo,


    schon Aristoteles weist darauf hin, dass eine gelungene sensomotorische Entwicklung, die ausgereifte Entwicklung der Wahrnehmung und der Motorik Voraussetzungen für die Bewältigung komplexer schulischer Anforderungen sind.

    Immer mehr Kindern fehlen diese Vorraussetzungen.


    Wie wäre es deshalb damit:


    http://www.inpp.de/dla1/e2/InterdiszipliSaererKongress.pdf


    oder


    http://www.guckloch.biz/sem_lsr.htm


    oder


    http://www.guckloch.biz/sem_dysk.htm


    Gruß Erika

    "Die Lehrer bezeichnen Lesen, Schreiben und Rechnen als Grundlagenfächer. In Wirklichkeit handelt es sich aber bei diesen Lehrstoffen bereits um sehr komplexe Prozesse, die sich nur bei einer einwandfreien geistigen Verarbeitung der durch die Sinnesorgane aufgenommenen Wahrnehmung erlernen lassen." A. Jean Ayres

  • Eine Studie von 1998 besagt, dass am Ende der Grundschulzeit etwa 85 - 87% aller Wörter richtig geschrieben werden. Nachzulesen bei Augst und Dehn: Rechtschreibung und Rechtschreibunterricht. Können - Lehrern - Lernen. Geht das konträr zu deinen Erfahrungen, wolkenstein?

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