Houellebecqs "Plattform" im Unterricht?

  • Bin gerade im letzten Drittel von Houellebecqs "Plattform". Bin selbst sehr fasziniert, von der Vielzahl von Themen, die er anreißt und den oft prägnanten bis schockierenden Betrachtungen.
    Mich würde nun interessieren:


    1. Was haltet ihr von dem Buch?


    2. Glaubt ihr, man kann ein solches Buch mit teils "pornografischen Szenen" (GALA) mit volljährigen Schülern lesen (natürlich nur nach geeigneten Hinweisen und auf gemeinsamen Wunsch)?

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

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  • Zitat

    Timm schrieb am 24.01.2006 21:28:
    1. Was haltet ihr von dem Buch?


    Von den drei Romanen, die ich von ihm gelesen habe, ist Plateforme m. E. der wohl schwächste. Les éléments particulaires gibt m.E. mehr her.


    Zitat

    2. Glaubt ihr, man kann ein solches Buch mit teils "pornografischen Szenen" (GALA) mit volljährigen Schülern lesen (natürlich nur nach geeigneten Hinweisen und auf gemeinsamen Wunsch)?


    Kommt wahrscheinlich auf die Lerngruppe an - und auf das Schulumfeld.

    Einmal editiert, zuletzt von philosophus ()

  • Ich finde "Plattform" im Vergleich zu den anderen Büchern auch eher schwach (da saß ihm wohl der Verlag im Nacken).


    Da Houllebecq zu gesellschaftskritischen und jahrezehnteübergreifenden Rundumschlägen neigt, sind seine Werke nach meiner Meinung nicht für den Unterricht geeignet.


    Aber ich mag sie...


    Gruß
    Jana

  • ich würde es nicht lesen. mir persönlcih hat es gut gefallen (wenn ich die elementarteilchen oder die ausweitung der kampfzone auch besser fand), aber ich kenne auch viele, die es eher abstoßend fanden. zudem bin ich mir nicht sicher, ob die schüler mit dem französisch zurechtkommen. es ist zwar nicht superschwer, aber da ist schon einiges an eher umgangssprachlichem vokabular, das sie ja so vermutlich nicht gelernt haben.

  • Sorry, habe ich nicht ausdrücklich geschrieben, aber ich lese es - wenn - natürlich (siehe mein Profil) im Deutschunterricht.


    Das Ganze steht eh erst für nach die Pfingstferien an, insofern werde ich schon aus eigenem Interesse die anderen Houellebecqs lesen. Mich würde aber schon als kleiner Vorgeschmack interessieren, was die anderen Bücher Plattform voraushaben und wo sie sich gleichen.


    Zitat


    Da Houllebecq zu gesellschaftskritischen und jahrezehnteübergreifenden Rundumschlägen neigt, sind seine Werke nach meiner Meinung nicht für den Unterricht geeignet.


    Eben das finde ich interessant. Literatur, die wir heute in unserem Bildungskanon haben, hat zu ihrer Zeit sehr oft über die Maßen provoziert, man denke nur an den Nathan oder die Literatur des Strum und Drang. Warum sollen junge Menschen immer umständlich erklärt bekommen, warum Literatur damals so neu und provozierend war, wo man es doch an zeitgenössischer viel besser darstellen könnte...


    Außerdem würde mich noch interessieren, ob ihr prinzipiell meint, dass man Literatur mit Stellen am Rande der Pornografie im Unterricht behandeln darf oder gar soll?!

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

  • Zitat

    Timm schrieb am 25.01.2006 08:15:
    Außerdem würde mich noch interessieren, ob ihr prinzipiell meint, dass man Literatur mit Stellen am Rande der Pornografie im Unterricht behandeln darf oder gar soll?!


    ich finde das kann man schon.


    aber ich finde man sollte keine übersetzungen im unterricht behandeln und diese als werk des autors ausgeben. ich hab houllebecq in beiden sprachen gelesen und mich mal wieder in meinen vorurteilen gegenüber übersetzern bestätigt gefühlt. die deutsche version ist nicht houllebecq sondern die interpretation eines anderen menschen. wenn dich dieser punkt nicht stört, ok, ich persönlich würd es nicht machen.

  • Ich habe nur die deutsche Version gelesen und auch nur diese eine Buch von ihm.
    Aber ich fand es gut, denn die Themen, die er anreißt, sind zeitgenössisch und dennoch schon so alt die Menschheit selbst (entschuldigt meinen Pathos ;) ).


    Ich überlege, ob man nichts Adäquates aus Dtl. her kennt? Elfriede Jelinek? Nö, oder? Ich forsche mal weiter nach, ok?


    Ansonsten sind die pornografischen Szenen eher nicht als Pornografie zu sehen, sondern als müder Ausdruck eines Mensche, der der Sexualität überdrüssig geworden ist, bis er der Liebe seines Lebens begegnet (ist das wirklich so profan?).
    Die Sexszenen bestechen durch ihre Leidenschaftlosigkeit und zum Teil auch Kälte, ich fand es weder an- noch erregend...aber wie das Schüler sehen, weiß ich nicht.
    Meine damalige FL meinte, dass man schon sehr vorsichtig bei solchen Themen sein solle und darauf achten müsse, dass die Schüler alle volljährig seien, da ansonsten die Eltern auf der Matte stehen könnten.


    Wichtig ist auch, wie Du die Schwerpunkte im Unterricht setzen willst. Das Buch reißt viele Gebiete an, sodass Du bestimmt nur wenige intensiv behandlen kannst.


    Ich glaube, dass ich mich trauen würde, wenn ich genügend vorbereitet wäre (ich werde das Buch nie im Unterricht behandeln können)..


    Viel Erfolg

    Ich denke schneller als ich schreibe...

  • Zitat

    namenlose schrieb am 25.01.2006 09:03:


    aber ich finde man sollte keine übersetzungen im unterricht behandeln und diese als werk des autors ausgeben. ich hab houllebecq in beiden sprachen gelesen und mich mal wieder in meinen vorurteilen gegenüber übersetzern bestätigt gefühlt. die deutsche version ist nicht houllebecq sondern die interpretation eines anderen menschen. wenn dich dieser punkt nicht stört, ok, ich persönlich würd es nicht machen.


    Tut mir leid, das sehe ich anders. Meine Schüler können zum großen Teil keine 2. Fremdsprache, da dies zum Erwerb der Fachhochschulreife nicht notwendig ist. Ihnen deswegen im Deutschunterricht nur litararischen "Provinzialismus" zu bieten, finde ich falsch.
    Ich denke, als Deutschlehrer kann ich die literarische Qualität eines Textes beurteilen. Wenn sich durch die Übersetzung Verschiebungen ergeben haben, mag dies für den Romanisten interessant und/oder ärgerlich sein. Ich behandle das Werk einfach ignorant als "Primärliteratur". Ich habe auch nicht den Impetus Houellebecqs sprachliche Brillianz zum Thema zu machen, sondern seine Themen und Einstellungen.
    Nicht umsonst gilt der Autor auch unter deutschen Feuilletonisten als (umstrittener) Höhepunkt der zeitgenössischen Literaturproduktion.


    NerD:
    Danke für die klaren Worte.
    Forsche gerne weiter, bin interessiert, ob du etwas findest.. Jelinek ist nicht so mein Fall und zu fakultativer Literatur möchte ich schon stehen.

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

    Einmal editiert, zuletzt von Timm ()

  • Ich glaube auch, dass man fremdsprachige Autoren im Deutschunterricht behandeln sollte. Warum auch nicht?
    Ich sehe ja auch japanische Filme und bin froh, dass es eine deutsche Synchronisation gibt ;)
    Des Weiteren zählt im Deutschunterricht auch Hemmingway zu den Klassikern, den ich jedenfalls auch auf deutsch lesen würde.
    Wenn man es so sehen möchte, dass man den Schülern nur die Originale vorlegt, dann würde man ganz schön ins Schwitzen kommen...gerade im Deutschunterricht (manches Mal auch im Geschi-U.).


    Du hast recht, Jelinek ist auch nicht mein Fall, von daher würde ich sie auch nicht behandel wollen. Alexa Henning von Lange schreibt auch eher Pubertätsbücher, oder? Ansonsten vielleicht etwas von Juli Zeh (ich glaub, die schreibt sich so)?


    Trau Dich, wenn Du davon überzeugt bist!

    Ich denke schneller als ich schreibe...

  • Zitat

    Timm schrieb am 25.01.2006 11:50:
    Ich denke, als Deutschlehrer kann ich die literarische Qualität eines Textes beurteilen. Wenn sich durch die Übersetzung Verschiebungen ergeben haben, mag dies für den Romanisten interessant und/oder ärgerlich sein. Ich behandle das Werk einfach ignorant als "Primärliteratur". Ich habe auch nicht den Impetus Houellebecqs sprachliche Brillianz zum Thema zu machen, sondern seine Themen und Einstellungen.


    das tut mir als literaturwissenschafter zwar ganz böse weh, das werk eines übersetzers als original auszugeben, noch dazu in diesem fall, aber ok. besser die schüler lesen ne schlechte übersetzung als gar nichts.
    ansonsten fand ich eigentlich gerade die deutsche literatur der letzen 20 jahre enorm vielfältig und spannend. neben den inzwischen wohl schon als klassiker zu sehenden parfüm und vorleser ist imho auch das, was im weitesten sinne unter popliteratur fällt durchaus spannend für die schüler und vermutlich deutlich näher an ihrer lebenswirklichkeit als die lebenskrisen des houllebecq (ich glaube meine schüler würden ihn als widerlichen alten mann wahrnehmen und gar keinen bezug zu ihrem leben sehen).

  • Zitat

    namenlose schrieb am 25.01.2006 18:39:


    das tut mir als literaturwissenschafter zwar ganz böse weh, das werk eines übersetzers als original auszugeben, noch dazu in diesem fall, aber ok. besser die schüler lesen ne schlechte übersetzung als gar nichts.


    Aber nein. Als ebenso-Literaturwissenschaftler meine ich, dass Literaturübersetzungen schon seit Jahrhunderten den Zugang zu fremdsprachlichen Texten eröffnen. Schon Livius Andronicus übersetzte die Ilias und den Homer ins Lateinische. Auf die Bibel braucht man wohl nicht extra hinzuweisen. Da kann man auch den Houellebecq lesen, ohne ihn "für das Original auszugeben".


    A propos "Literatur" und "Wissenschaft". Meinst du, du könntest zumindest versuchen, eine Sprache zu schreiben, die verständlichem Deutsch ähnelt? Danke schön!


    Zitat

    vermutlich deutlich näher an ihrer lebenswirklichkeit als die lebenskrisen des houllebecq (ich glaube meine schüler würden ihn als widerlichen alten mann wahrnehmen und gar keinen bezug zu ihrem leben sehen).


    Mhm. Meiner persönlichen Erfahrung nach ist die typische Reaktion auf "jugendlebensweltnahe" Literatur eher: "*Gähn* Nicht schon wieder ein Text über Pubertätsproblematik/Elternkonflikte/Drogenkonsum... Bitte nicht!" :)


    Nele

    Einmal editiert, zuletzt von neleabels ()

  • Zitat

    namenlose schrieb am 25.01.2006 18:39:


    das tut mir als literaturwissenschafter zwar ganz böse weh, das werk eines übersetzers als original auszugeben, noch dazu in diesem fall, aber ok. besser die schüler lesen ne schlechte übersetzung als gar nichts.


    Ich glaube, es muss keiner betonen, was er studiert hat. Ich unterrichte Deutsch schließlich nicht fachfremd.


    Zitat


    ansonsten fand ich eigentlich gerade die deutsche literatur der letzen 20 jahre enorm vielfältig und spannend. neben den inzwischen wohl schon als klassiker zu sehenden parfüm und vorleser ist imho auch das, was im weitesten sinne unter popliteratur fällt durchaus spannend für die schüler und vermutlich deutlich näher an ihrer lebenswirklichkeit als die lebenskrisen des houllebecq (ich glaube meine schüler würden ihn als widerlichen alten mann wahrnehmen und gar keinen bezug zu ihrem leben sehen).


    Ich bin mir nicht sicher, ob du evtl. deine Meinung in deine Schüler interpretierst. Funktioniert gar Houellebecqs Provokation? Michele ist meines Erachtens kaum widerlich, sondern eher bedauernswert, bevor er Valérie kennen lernt. Oder meinst du, dass Sexualität mit Ende 30 aufhören sollte? Sollen wir also Bücher wie "Homo Faber" auch nicht mehr lesen?


    Beachtenswert an Houellebecq finde ich, dass wir hier einen umstrittenen, viel diskutierten Autoren mitten am Beginn seiner Wirkungsgeschiche und literarischen Debatte beobachten können. Das kann man mit 20 Jahre alter Literatur, die kaum mehr jemand provoziert, eben nicht. Stell dir vor, du hättest kurz nach der Herausgabe des Werther - mitten in der damaligen breiten Dikussion - Unterricht machen können. Das ist ein Teil des Faszinosums.

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

  • Timm: Chapeau!
    Gut geschrieben! Warum Jugendlichen die kahle Tristesse der Erwachsenewelt vorenthalten und aufzeigen, dass es doch immer noch ein Gegenstück gibt (hachja, ich guck auch immer noch gern "Sissi"), das die Welt lebenswerter macht.


    Auch ist Sextourismus ein Thema, was auch heute noch aktuell ist, jedoch weitesgehend aus den Medien verschwunden, da schon genug darüber berichtet wurde.
    Aber, und hier kann man ansetzen: Ist es denn ethisch vertretbar ein Hotel mit Angestellten zu führen, die für ihre Sexdienste bezahlt werden? Die durch das Geld ihre Familien ernähren können und durch den westeuropäischen Schutz gewisse Privilegien erfahren (gute Ernährung, Unterkunft, ein Maß an Komfort)?
    Wieso reagieren die westeuropäischen Zeitungen erst nach dem Anschlag und verteufeln die Idee als "Sodom un Gomorrha"?


    Je mehr ich über diesen Buchvorschlag nachdenke, umso mehr reizt mich die Lektüre, man, wieso bin ich "nur" an einer IGS? Verdammt.
    Mensch Timm, wenn Du das machst, würdest Du regelmäßig "Bericht erstatten"? Das fände ich für mich sehr aufschlussreich.


    Vielen Dank
    Gruß N.

    Ich denke schneller als ich schreibe...

  • Zitat

    NerD schrieb am 26.01.2006 11:26:

    Mensch Timm, wenn Du das machst, würdest Du regelmäßig "Bericht erstatten"? Das fände ich für mich sehr aufschlussreich.


    Vielen Dank
    Gruß N.


    Wenn meine Schüler das lesen wollen, erstatte ich gerne Bericht. Wird aber Mai bis zum Lektürebeginn.

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

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