Hermeneutik

  • HILFE!!!


    Ich habe am Mittwoch meine letzte Examensprüfung in Pädagogik, als Thema habe ich Bildhermeneutik... aber irgendwie will mir das ganze nicht einleuchten. Ich meine es gibt ja noch nicht mal festgelegte Regeln für die Hermeneutik, geschweige denn, dass eine klare Abgrenzung zu anderen Methoden möglich wäre... was ist denn dann Hermeneutik??? bzw. woran erkenne ich eine hermeneutische Interpretation??? Daran, dass sie versucht zu verstehen? Aber das tun sicher auch andere Methoden...


    Ich hoffe ihr erkennt mein Dilemma und könnt mir helfen!


    Die Hoffnung nicht aufgebend,
    Steffi

  • Hui. "Hermeneutik" ist aber auch ein ziemlich großkalibriger Begriff! ;)


    Die Hermeneutik heißt in der wörtlichen Übersetzung aus dem Griechischen "Auslegekunst" und ist wahrscheinlich das zentrale Konzept geisteswissenschaftlichen Verstehens. Die Hermeneutik ist keine Methode im engeren Sinne eines Arbeitsrezeptes, wie z.B. die Kugellagermethode im Unterricht oder das "close reading" zur Textanalyse. Deswegen gibt es auch nicht die "hermeneutische Bildinterpretation" im Vergleich zu anderen Methoden der Bildinterpretation.


    Was die Hermeneutik ist, möchte ich hier nur ultraknapp anreißen - sie wurde durch die Notwendigkeit der Bibelexegese mit dem Ende der Literatizitätsvorstellung im Mittelalter begründet und im Kontext des Humanismus erweitert und entwickelte sich vom 18. bis zum 20. Jh. zu einem philosophischen Konzept, das das Verständnis des Menschen seiner selbst beschreibt. Insofern gibt es schon eine klare Abgrenzung zu anderen Methoden: die Hermeneutik ist mit dem Verständnis menschlichen Seins und menschlichen Ausdrucks beschafft, während z.B. die naturwissenschaftliche Methode darauf zielt die Regelhaftigkeit der Natur zu durchdringen.


    Ganz wichtig bei der Hermeneutik ist, dass sie von einer prinzipiellen Dualität ausgeht: der Betrachtungsgegenstand steht dem Betrachter mit seinem individuellen Vorwissen und seiner Welthaltung gegenüber. Der Akt der Verstehens ist ein dynamischer Prozess - das Verstehen des Betrachtungsgegenstandes wird durch das Vorwissen bedingt aber verändert Wissen und Haltung seinerseits. Das Verstehen des Betrachters kann dadurch auf eine höhere Stufe gehoben werden und das Spiel geht von vorne los - das hat Gadamer in Anlehnung an Heidegger den "hermeneutischen Zirkel" genannt. Eine hermeneutische Herangehensweise bedeutet auch, dass der Betrachter diese Dualität erkennt und als Methode in die Herangehensweise an den Gegenstein einbaut: er beschreibt ihn neutral, verzichtet zunächst auf persönliche Wertungen etc.


    Die Hermeneutik als Erkenntnisprozess liegt den schulischen Analysemethoden, wie wir sie unterrichten, zugrunde. Schüler haben große Probleme mit der Konzept der Inhaltsangabe, weil sie nicht verstehen, wieso man noch nicht werten darf. Oder wieso das subjektive Urteil in der Analyse nichts zu suchen hat - der Grund dafür liegt in der Hermeneutik; das alles sind Methoden, mit denen Vorwissen und Weltsicht des Betrachters in der ersten Schritten aus der Betrachtung des Gegenstandes herausgehalten werden sollen. Erst wenn der Gegenstand systematisch durchdrungen ist, kann eine Wertung erfolgen. Eine hermeneutische Bildinterpretation ist nach meinem Verständnis eine Interpretation, die dieser Regelhaftigkeit folgt: 1. Beschreibung, 2. Analyse des Aufbaus, Lichts, etc. pp., 3. Wertende Diskussion.


    Wenn du dich schon am Mittwoch prüfen lassen musst, würde ich dir raten, die Begriffe "Hermeneutik" und "hermeneutischer Zirkel" einfach mal in der Wikipedia nachzulassen, die Artikel da reichen schon, um dich fahrbar zu machen, wenn das nur ein Randgebiet ist. Je nachdem, wie "theoriefreudig" deine Prüfer sind, bzw. wo sie wissenschaftstheoretisch verortet sind, würde ich mir den einen oder anderen Gedanken zur Frage der Hermeneutik in poststrukturalistischen Kontexten machen. Es kann sicher nicht schaden, wenn du noch einmal ganz konkret didaktische Methoden der Bildinterpretation nachschlägst - das ist sowieso viel wichtiger als die wissenschaftstheoretischen Hintergründe.


    Hoffe, das hilft,


    Nele


    P.S. Du steckst nicht in einem Dilemma sondern nur in einer Schwierigkeit. SCNR ;)

    Einmal editiert, zuletzt von neleabels ()

  • Danke, danke, danke!


    Im Prinzip sind das zwar alles Informationen, die ich schon hatte aber aus irgendeinem Grund ist mir das jetzt schon viel klarer. Du hast mir anscheinend geholfen, das in meinem Kopf zu ordnen... das ist super für Mittwoch, da meine Dozentin folgendes geschrieben hat : "Es geht in der Prüfung nicht einfach um abfragbares Wissen, sondern um fundierte Argumentation, die zeigt, dass sie über pädagogische, bzw. erziehungswiss. Sachverhalte nachdenken können." Und dafür hast Du jetzt den Grundstein gelegt. Morgen gehe ich meine Texte noch einmal durch und ich bin mir sicher, dass mir einiges klarer sein ein bißchen wie beim hermeneutischen Zirkel.
    Ich hoffe Du denkst auf Grund meiner Frage nicht, dass ich mich bisher nicht vorbereitet hätte. Mir hat nur die ganze Zeit zu schaffen gemacht, dass es für die Hermeneutik keine Regeln gibt und ich von einer Interpretation nie genau sagen kann, ob es sich um eine hermeneutische Interpretation handelt.


    Ich kann einfach nur noch mal danke sagen. Danke, dass Du Dir die Zeit genommen hast diesen langen Eintrag zu verfassen.


    Steffi

  • Nix zu danken, dafür ist man doch Lehrer! :)


    Ne "und Wissenschaftstheorie ist ohnehin eins meiner Lieblingshobbys, wie leidgeprüfte Forumsbenutzer bestätigen können" lle

  • Eine hermeneutisch Bildbetrachtung ist dann aber auch die in der ich mich als Betrachter zumindest zuerst versucher herauszunehmen, da dies aber aufgrund von bestimmten Denkmustern die mich prägen (und weil die Welt ja schon durch Sprache gedeutet ist) nicht vollständig möglich ist, muss ich auch über meine Rolle als Betrachter und das Vokabular, welches ich benutze reflektieren.
    Habe ich das jetzt richtig verstanden???

  • Zitat

    Original von steffi710
    Eine hermeneutisch Bildbetrachtung ist dann aber auch die in der ich mich als Betrachter zumindest zuerst versucher herauszunehmen, da dies aber aufgrund von bestimmten Denkmustern die mich prägen (und weil die Welt ja schon durch Sprache gedeutet ist) nicht vollständig möglich ist, muss ich auch über meine Rolle als Betrachter und das Vokabular, welches ich benutze reflektieren.
    Habe ich das jetzt richtig verstanden???


    Ich finde die Sache eigentlich viel einfacher. Eine hermeneutische Bildbetrachtung ist im Grunde jede Bildbetrachtung, die versucht, den Betrachtungsgegenstand als Ausdruck "des Anderen" zu verstehen. Um ehrlich zu sein, weiß ich überhaupt nicht, wie im Kontext unseres Schulverständnisses eine Bildbetrachtung NICHT hermeneutisch sein könnte: hinter jeder didaktischen Methode, die wir als Lehrer anwenden, steckt ein Lernziel. Jedes Lernziel hat den Teilsaspekt, das Unbekannte zu verstehen und den Horizont zu erweitern. Das ist per definitionem eine hermeneutische Herangehenesweise an die Wirklichkeit.


    Jeder Lehrer ist durch eine wissenschaftliche Ausbildung gegangen, die die Hermeneutik zum Betrachtungsprinzip menschlichen Ausdrucks erhoben hat. Wie soll ein Lehrer anders als hermeneutisch denken und wie soll eine Unterrichtsmethode anders als hermeneutisch sein?


    Nele

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