Wie kann ich meine Schülerin unterstützen?

  • So, ich hoffe, ich bin jetzt hier im richtigen Forum gelandet und ihr könnt mir ein paar Ratschläge geben.
    Ich bin seit diesem Jahr Referendarin an einem Gymnasium und habe daher noch nicht viel Erfahrung im Umgang mit Schülern.
    Heute hat mich allerdings eine 10. Klässlerin um ein Gespräch unter vier Augen gebeten. Ich habe dem zugestimmt
    und mich in der Mittagspause mit ihr unterhalten. Ich hatte bisher den Eindruck, dass sie ein sehr selbstbewusstes und beliebtes Mädchen ist.
    Allerdings hat sie mir nun offenbart, dass es ihr in der Vergangenheit lange Zeit sehr schlecht ging, sie unter Bulimie litt und sich auch selbst verletzt hat.
    Sie hat mir die Narben an ihrem Arm gezeigt und meinte, dass sie wohl gerne dazu stehen würde, weil sie sich nicht mehr verstecken will
    und hat mich um Rat gefragt. Ich weiß nun nicht wirklich, wie ich ihr helfen kann. Wäre ihr selbstverletzendes Verhalten nun akut,
    würde ich ihr natürlich helfen, professionelle Hilfe zu suchen und die Eltern informieren.
    Das ist in dem Fall jedoch gar nicht nötig, weil es in der Vergangenheit bereits dazu kam. Ich würde sie gern mehr unterstützen,
    aber mehr als ihr zu raten, zu ihren "Fehlern" zu stehen, ihr Mut zu machen und zu versichern, dass sie sich jederzeit an mich wenden kann,
    fiel mir in dem Moment auch nicht ein. Ich habe das Gefühl, dass sie hinter der Fassade sehr unsicher ist und sie große Angst vor den Reaktionen
    ihrer Mitschüler auf die Narben hat, was ich gut verstehen kann, da ich in meiner Jugend mal in einer ähnlichen Situation war.
    Fällt euch etwas ein, wie ich sie unterstützen könnte oder was ich tun könnte, um ihr den Schritt, zu ihrer Vergangenheit zu stehen, ein wenig zu erleichtern?
    Erst habe ich überlegt, ihr von mir zu erzählen, um zu zeigen, dass sie nicht allein ist und es Menschen gibt, die ähnliches erlebt haben,
    aber ich dachte mir, dass das dann doch ein wenig zu privat wäre... Was mein ihr dazu?

    • Offizieller Beitrag

    Erzählungen aus dem Privatleben nutzen eigentlich nur, wenn darin anwendbare LÖsungsmuster vorkommen. Ansonsten kann das leicht etwas übergriffig werden. Wenn die Schülerin schon in Therapie ist (was ich ansonsten dringend empfelhlen würde, wobei die Narben und das Geritze echt nicht das Problem sind, sondern die Bulimie, die schnell lebens/organgefährdende Zustände hervorrufen kann!), dann tust du doch schon das Richtige: du hörst zu und nimmst ernst.
    Frag sie mal, wozu sie denkt, dass es ihr dient, wenn sie "zu ihren Narben steht". Und wovor genau sie Angst hat. Was will sie erreichen? Aufmerksamkeit? Dann muss sie in Kauf nehmen, dass das auch negative Aufmerksamkeit sein kann. Wie will sie darauf reagieren? Kann sie das ab? Gibt es Alternativen? Usw.
    Durch gut gestellte Fragen kommen die Schüler oft ihren eigenen Problemen und Lösungen dazu näher, als wenn man ihnen Vorträge hält. Sich hinterfragen ist in dem Alter eh die schwerste Übung.


    Achso; PS: selber Ahnung von der Sache haben, ist immer hilfreich .

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

  • Ich muss ehrlich sagen, dass mich das Verhalten der Schülerin etwas wundert. Einerseits finde ich es sehr schön, dass sie sich dir gegenüber öffnen kann und mit dir darüber redet, weil es sie ja scheinbar nachträglich noch sehr beschäftigt. Andererseits frag ich mich, was genau sie damit bezwecken will? Denn: ritzen kann man in der Schule eigentlich nicht verheimlichen. Stulpen muss man im Sportunterricht ablegen und selbst wenn man nur Langarmshirts trägt, spätestens in der Umkleide (und das gilt auch für andere Körperstellen, an denen man sich ritzen kann) bekommen es die anderen sowieso mit.Worauf ich hinaus will: mindestens die Mitschülerinnen wussten es also, und sowas spricht sich ja schon rum. Will sie nun nachträglich einen Diskurs darüber anzetteln, warum ihr niemand geholfen hat? Mir ist einfach die Intention nicht klar. Ich denke, das hättest du gleich im Gespräch erfragen sollen. Meint ihr, das gehört zur Therapie? Ich frage mich auch, ob es gut wäre, das so nachträglich in der Klasse auszutragen. Das könnte auch schnell darin ausarten, dass sich beide Parteien nur gegenseitig Vorwürfe machen und sich die Lage in der Klasse sehr anspannt.



    Ich würde ihr auf gar keinen Fall von mir selbst erzählen - inbesondere, wenn es bei dir nicht sichtbar ist? Wenn es jedoch sichtbar ist, dann hat sie dich vielleicht genau deshalb angesprochen. In dem Fall wäre alles andere wohl scheinheilig.

  • Vielen Dank für die Tipps!


    Da ich noch nicht lange an der Schule bin, weiß ich nicht, inwiefern ihre Narben bekannt sind.
    Bisher habe ich sie nur in Langarmshirts gesehen, was natürlich auch am Wetter liegen kann.
    Ihrer Angabe nach, weiß außer ihren engsten Freundinnen niemand davon und sie meinte,
    sie wolle auch vor anderen Mitschülern mehr dazu stehen können, vor allem im Sportunterricht jetzt,
    weil sie die Narben nicht mehr verstecken will. Ich denke nicht unbedingt, dass das durch den Sport schon bekannt sein muss.
    Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie auch beim Umziehen darauf geachtet hat, dass niemand etwas sieht und selbst wenn:
    In der Klasse herrscht (wie ich das sehe) ein sehr großer Zusammenhalt zwischen den Mädchen, daher bin ich mir nicht sicher,
    ob es gleich "nach außen" gedrungen wäre, wenn es eine Mitschülerin gesehen hätte.


    So wie ich das verstanden habe, war sie in Therapie, leidet also akut nicht mehr an Bulimie / selbstverletzendem Verhalten
    und in diesem Punkt hat sie auf mich auch einen stabilen Eindruck gemacht.
    Ich konnte ihre Intention nicht ganz deuten, habe aber das Gefühl, sie möchte lediglich eine Person im Hintergrund haben,
    die Bescheid weiß und für sie da ist, wenn sie mit negativen Reaktionen auf die Narben konfrontiert wird.


    Ihr habt Recht, von mir selbst werde ich besser nichts erzählen, da man nichts davon sieht und es vielleicht auch besser so ist.
    Ich denke, ich werde nochmal ein Gespräch mit ihr führen, um herauszufinden, was sie sich von mir erhofft und sie dann soweit es geht
    dabei unterstützen, zu ihren Narben zu stehen, denn meiner Meinung nach ist es schon wichtig, dass sie sich nciht mehr verstecken muss.

  • Zu deinem eigenen Schutz würde ich sehr vorsichtig vorgehen. Auf gar keinen Fall von dir selbst erzählen.Es ist auch durchaus möglich, dass die Schülerin "nur" Aufmerksamkeit will. Als Referendarin kenne ich das sehr gut, dass sich Schüler einem schnell anvertrauen und private Probleme erzählen. Dadurch dass man jünger (und auch unerfahrener ist) fühlen sich die S. einem schnell "näher", was oft schön ist, aber manchmal auch zu viel werden kann.
    Wenn du dir ernsthaft Sorgen machst um die Schülerin, würde ich mit dem/der KlassenlehrerIn sprechen oder evt. mit einem Schulpädagogen /-psychologen an eurer Schule.

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