Zentralabitur in NRW ab 2007

  • In NRW werden erstmals im Abitur 2007 für die schriftlichen Prüfungen die Aufgaben zentral und landeseinheitlich für das jeweilige Abiturfach gestellt, d. h. die jetzige Jahrgangsstufe 11 ist der erste betroffene Jahrgang. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass genau festgelegte Inhalte während der Sek. II bearbeitet werden müssen. Entwürfe entsprechender fachspezifischer Vorgaben liegen auf dem learn-line-Server vor http://www.learn-line.nrw.de/angebote/abitur/
    Was haltet ihr davon? Ich befürchte, dass sich die Arbeit in der Oberstufe stark ändern wird und das Stoff-durchziehen-müssen-um-jeden-Preis stark im Vordergrund stehen wird. Interessant wären auch Beiträge und Erfahrungswerte aus Bundesländern, die bereits ähnlich verfahren.
    Persönliche Nebenbemerkung: Geradezu grotesk finde ich im Fall NRW den Zeitablauf. Die entsprechenden fachspezifischen Vorgaben stehen seit dem 6.1. im Netz, bis zum 24.1. haben die Schulen Zeit, Rückmeldungen an das Ministerium zu richten, damit dieses "nach ggf. auf dem Hintergrund der Rückmeldungen erforderlichen Überarbeitungen die Vorgaben für das Abitur 2007 mit Wirkung vom 01.02. (!) 2005 endgültig in Kraft" setzen kann.


    Über eine kontroverse Diskussion würde ich mich sehr freuen.



    Catull

  • Ich finds gut. Die Schüler sind deutlich stärker motiviert und haben überhaupt kein Interesse mehr, dich auszubremsen. Im Gegenteil, sie nehmen jedes zusätzliche Angebot gerne an.


    Du musst den Stoff nicht "durchziehen". Er läuft schneller!

    Die Wälder wären sehr still, wenn nur die begabtesten Vögel sängen - HEnRy vAn dyKe

  • Auch ich finde das Zentralabitur gut. Als Schülerin habe ich selbst Zentralabitur (BY) gemacht und kann nur Positives berichten. Auch wenn wir viel Stoff durchnehmen mussten, so habe ich es immer als gerecht empfunden, da gewährleistet ist, dass alle Schüler eines Jahrgangs die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben.
    Was die Lernmotivation angeht, kann ich mich nur Remus Lupin anschließen, denn die wird mit Sicherheit steigen, wenn alle Schüler die gleichen Kenntnisse haben müssen.

    Eine Lösung kommt fast immer aus der Richtung, aus der man sie am wenigsten erwartet, was bedeutet, dass es keinen Sinn hat, in diese Richtung zu gucken, weil sie nicht von dort kommen wird.


    (Douglas Adams)

  • Ich finds eher weniger gut.


    Die Möglichkeit zur individuellen Schwerpunktsetzung innerhalb der Kurse wird im Hinblick auf die Frage der Relevanz fürs Abitur deutlich eingeschränkt werden. Das Endergebnis: Die Schüler sind nur noch an dem interessiert, was für sie unmittelbar abiturrelevant ist. Ultimativ heißt das für mich: Schmalspurbildung.


    Analoge Effekte einer solchen Stratifikation beobachte ich jetzt schon bei Bachelor-Studenten, die so auf Scheinerfordernisse fixiert sind, daß sie nur den notwendigsten Kanon zur Kenntnis nehmen - und das auch nur oberflächlich. Universitas - Fehlanzeige...


    Zitat

    volare schrieb am 12.01.2005 17:58Auch wenn wir viel Stoff durchnehmen mussten, so habe ich es immer als gerecht empfunden, da gewährleistet ist, dass alle Schüler eines Jahrgangs die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben.


    Die hinter dieser Hoffnung nach Gerechtigkeit stehende Vermutung, bei einem dezentralen Abitur gebe es 'Gummi-Abiturthemen' von Kollegen, die es sich und den Schülern besonders leicht machen wollen, halte ich weitgehend für eine Fiktion. Zum einen mußten Abiturthemen bislang immer vorgelegt werden, so daß es durchaus eine externe Kontrolle/Evaluation gab, zum andern gibt es z. B. statistische Untersuchungen, die die Abiturthemen im Fach Französisch in verschiedenen Bundesländern (zentral vs. dezentral) verglichen haben - mit dem Ergebnis, daß die Themen weitgehend übereinstimmten. (In der Fachdidaktik spricht man vom so genannten "Krypto-Kanon".)

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  • Zitat

    Die Schüler sind nur noch an dem interessiert, was für sie unmittelbar abiturrelevant ist.


    Das kann ich so nicht bestätigen. Sie sind an dem interessiert, was sie interessant finden, egal ob abi oder nicht. Aber wenn sie etwas nicht interessant finden und es nicht abiturrelevant ist...bye bye.


    Du hast nicht für alle interessanten Themen Zeit. Hattest du aber vorher auch nicht...


    Anders als deine BA Scheine gibts derzeit aber nur drei Prüfungsfächer. Das ist m.E. so nicht vergleichbar.

    Die Wälder wären sehr still, wenn nur die begabtesten Vögel sängen - HEnRy vAn dyKe

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  • Zitat

    Remus Lupin schrieb am 12.01.2005 18:08:


    Das kann ich so nicht bestätigen. Sie sind an dem interessiert, was sie interessant finden, egal ob abi oder nicht. Aber wenn sie etwas nicht interessant finden und es nicht abiturrelevant ist...bye bye.


    Die Erfahrungen, die ich im französischen Schulsystem (auch Zentralabitur und Gerechtigkeitsprämisse) gemacht habe, bestätigen diesen Eindruck leider schon (vielleicht haben sie ihn auch geformt ;) ).


    BTW. Wenn es eine unverrückbare Stoffmenge gibt, die irgendwie durchzupeitschen ist, dann heißt das notwendigerweise, daß der Frontalunterricht im Hinblick auf seine unüberbietbare Effizienz im Hinblick auf den Stoff andere Formen wieder verdrängen wird.

  • Zitat

    philosophus schrieb am 12.01.2005 17:59:



    Die hinter dieser Hoffnung nach Gerechtigkeit stehende Vermutung, bei einem dezentralen Abitur gebe es 'Gummi-Abiturthemen' von Kollegen, die es sich und den Schülern besonders leicht machen wollen, halte ich weitgehend für eine Fiktion. Zum einen mußten Abiturthemen bislang immer vorgelegt werden, so daß es durchaus eine externe Kontrolle/Evaluation gab, zum andern gibt es z. B. statistische Untersuchungen, die die Abiturthemen im Fach Französisch in verschiedenen Bundesländern (zentral vs. dezentral) verglichen haben - mit dem Ergebnis, daß die Themen weitgehend übereinstimmten. (In der Fachdidaktik spricht man vom so genannten "Krypto-Kanon".)


    Sorry, wenn das falsch rübergekommen ist: Ich wollte mit meinem Posting auf keinen Fall sämtliche dezentralen Abiturbundesländer abqualifizieren, sondern lediglich meine damalige Schülersicht kundtun. Natürlich sehe ich auch die Grenzen dieser Vorgehensweise, dennoch überwiegt für mich das Positive.

    Eine Lösung kommt fast immer aus der Richtung, aus der man sie am wenigsten erwartet, was bedeutet, dass es keinen Sinn hat, in diese Richtung zu gucken, weil sie nicht von dort kommen wird.


    (Douglas Adams)

  • @ volare: nee nee, ich hab das nicht als Beleidigung aufgefasst. Du hast ja auch ein klassisches Argument für das Zentralabitur gebracht, das ja im Prinzip auch etwas für sich hat. ;)


    Ich habe nur versucht, dieses Argument zu entkräften. Ich denke nämlich, dass die Qualität einer Abiturfragestellung nicht daran hängt, ob die zentral oder dezentral gestellt wird. In der Regel haben nämlich die Themensteller jeweils die gleiche Ausbildung und kommen daher zu ähnlichen Themen.


    Und da sehe ich eben einen leichten Vorteil bei der dezentralen Variante, weil da noch Spielraum für 'Passung' ist. Meines Erachtens wird die Rede vom individualisierten Lernen, die man uns eintrichtert, vor diesem Hintergrund zu bloßem Sonntagsreden-Blabla...

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  • Zitat

    Die hinter dieser Hoffnung nach Gerechtigkeit stehende Vermutung, bei einem dezentralen Abitur gebe es 'Gummi-Abiturthemen' von Kollegen, die es sich und den Schülern besonders leicht machen wollen, halte ich weitgehend für eine Fiktion.


    Ich leider nicht. Ich kann dir aus dem Alltag gnadenlos bestätigen, dass die Geheimhaltung der Themen, Inhalte, spezielle Vorbereitung etc. sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Das kann man z.T. als Koreferent direkt aus den Arbeiten herauslesen.

    Die Wälder wären sehr still, wenn nur die begabtesten Vögel sängen - HEnRy vAn dyKe

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  • Zitat

    Heike schrieb am 12.01.2005 18:21:
    Wenn das Zentralabi kommt, werden außerdem die selben Inhalte bei verschiedenen Lehrern verglichen. Und ich brauch euch ja nicht zu erklären, dass nicht alle Lehrer dieselben Inhalte gleich gut und gründlich vermitteln. Mit Gerechtigkeit hat das jedenfalls nix zu tun. Die Schüler, die z.B. bei unserem Herrn "Lest mal das Buch und sagt mir was drinstand" Unterricht haben, müssen sich dann das Thema halt selbst draufschaffen.... Vergleichbarkeit? Weia!


    [...]


    Und außerdem wird der Unterricht natürlich auch insofern leiden, als man die möglichen Abiaufgaben zu einem Schwerpunktthema des Rahmenplans antizipieren muss und damit ich ja alle möglichen Felder abgedeckt habe, werde ich eher in die Breite als in die Tiefe gehen. Etwas, was den Schülern eh schon schwer genug fällt: einmal einen Gedanken bis ganz zuende denken, sich mal auf philosophische Fragen einlassen, mal weg vom ausgetretenen Pfad denken, mal kreativ und persönlich schreiben, mal stundenlang debattieren ohne dabei ein fixes Lernziel (außer dem des Selberdenkens) zu haben, mal kritisch zu sein und wenn's noch so lange dauert ...all die wichtigen Dinge, die die humanistische Bildungsidee so vorgesehen hatte...


    Ne, Heike, da hast du dich nicht besonders gut informiert. Ich weiß nicht, wie es in Bayern ist, aber ein Blick nach BW hätte dir gezeigt, dass dein letzter Teil der Argumentation nicht sehr stimmig ist.
    Schau mal bitte hier nach, was die Sternchenthemen z.B. zum Fach Deutsch betrifft:
    http://www.oberschulamt-tuebin…nchen/schwerpunkt2006.pdf
    In BW haben wir Deutsch in 12/13 4-stündig; wenn also mit der Abhandlung der Sternchenthemen keine Zeit mehr sein sollte, anderes zu tun, muss der Lehrer wohl echt etwas falsch machen.
    Auch haben Schüler wirklich eine gute Auswahl, was sie im Abi selbst in Angriff nehmen und was sie schwerpunktmäßig vorbereiten wollen.


    Dann das Gerechtigkeitsargument:
    Das ist doch ein Scheinargument. Der eine Lehrer lässt die Abithemen die Schüler wissen, macht sie leichter als der andere,... Das ist doch noch viel ungerechter.
    Und: Warum soll man Lehrer nicht vergleichen dürfen? Niemand sagt beim Zentralabitur etwas, wenn ab und an Klassen schlechter abschneiden, weil es an der Lerngruppensituation liegt.
    Aber: Der Kollege, der immer wieder miese Ergebnisse einfährt, kann wohl kaum eine Mitschuld verleugnen. Da durch das Zentralabi diese Defizite aufgedeckt werden, entsteht ein Druck, der in seinen Auswirkungen positiv für die Schüler ist.
    Ich erspare mir vorerst aufzuzeigen, welche Mängel bei Kollegen durch zentrale Prüfungen ans Licht gekommen sind und durch Druck der Kollegen und Vorgesetzten wenigstens gemildert werden konnten!

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

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  • Heike, du brauchst die Aufgaben nicht zu verraten, es reicht, wenn du ganz ähnliche Aufgaben zig-mal übst.

    Die Wälder wären sehr still, wenn nur die begabtesten Vögel sängen - HEnRy vAn dyKe

  • Hm... hab zum Zentralabi an sich keine besonders entschiedene Meinung, find'S aber auch eher positiv, wenn, ja, wenn, die Texte NICHT ALLESAMT AUS DEM LETZTEN JAHRHUNDERT UND WEIT; WEIT VORHER WÄREN!!!


    Mich deucht, all die schönen modernisierenden Sachen, die an der Uni als dringen schullektürefähig gepredigt werden, sind an den Auswählern zumindest diesmal vorbeigegangen. Ich greife Highlights heraus:


    Shakespeare: Macbeth (Nur LK, und ann eben "das kürzeste..." und am wenigsten für Schüler relevante)
    Pinter, The Caretaker (nur GK - PInter is nu abba auch schon wat her...)
    Snow falling on Cedars (kann ich noch nix zu sagen, aber wieso die lieben KLeinen sich ausgerechnet für japanisch-amerikanische Geschichte interessieren sollen... mal sehn).


    In Deutsch eigentlich noch schlimmer: Emilia Galotti und Irrungen und Wirrungen - alles ganz wahnsinnig gegenwarts- und zukunftsrelevant.


    Die Franzosen sind anscheinend noch schlechter weggekommen, hab einen Französischlehrer Gift und Galle spucken hören, zumal die französische Themenformulierung anscheinend voller SPrachfehler steckt.... SCHAFFT ENDLICH DIE ALTEN SÄCKE WEG VON DER ZENTRALEN PLANUNG.... X(


    Will sagen: Zentralabi ja, aber die Themen werden per Abstimmung bei Lehrerforen ausgesucht! Na?
    w.

    Frölich zärtlich lieplich und klärlich lustlich stille leysejn senffter süsser keuscher sainer weysewach du minnikliches schönes weib

  • Mit Texten aus diesem jahrhundert ists aber noch nicht so weit her... :D

    Die Wälder wären sehr still, wenn nur die begabtesten Vögel sängen - HEnRy vAn dyKe

  • Findich nich... wenn ich einen Zeitungstext zur Gendebatte mache, sollte darin Dolly nicht mehr vorkommen (jedenfalls nicht als lebendig), und es gibt sowohl in Englisch als auch in Deutsch sehr gute Texte aus den letzten fünf Jahren, die sich lohnen und den Schülern Spaß machen. Ich will ja nur einen pro Fach, um den ganzen Geschichtswust etwas auszugleichen. Übrigens: Film in Deutsch fällt aus wegen is nich, und in Englisch brandaktuell und wg. Kürze total schulgeeignet: Ghandi. Jetzt sag noch einer, die wollen die Uhr nicht hinter die neuen Medien (Film! Neues Medium! Ha!) zurückdrehen...


    Kopfschüttelnd,
    w.

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  • Zitat

    Heike schrieb am 13.01.2005 21:04:
    Das Mitteilen der Abiaufgaben vorher ist jedoch meiner Meinung nach höchst selten - soviel ich weiß, fliegt das jedesmal auf, weil die Schüler nicht dichthalten.


    Früher war es in BW trotz Zentralabitur so (eigentlich Etikettenschwindel; zentral ist nur der schriftliche Teil und die gesamte Einteilung der Prüfer), dass für das Mündliche mehrere Themenvorschläge vom Fachlehrer eingereicht wurden. Der exteren Prüfungsvorsitzende hat diese dann ausgewählt. Es gab einige Kollegen, die just diese Aufgaben zuvor geübt hatten und meines Wissens nie oder kaum Probleme bekamen.

    Zitat


    Auch die Vergleichbarkeit durch Ergebnisse halte ich für vage - es ist doch immer mauscheln möglich (zur Not erklärt man beim Zentralabi den Schüler während der Klausur, wie's gemeint ist) - nur: die einen werden mauscheln, die anderen nicht, das ist eine Frage der Disposition - ich denke, das Zentralabi macht's einfach nicht gerechter - nur weniger individuell.


    Ne, das ist kaum möglich. Je nach Saalgröße sind 2-4 Lehrer als Aufsicht da, die auch noch in gewissen Intervallen wechseln.
    Das Ganze ist so ein "heiliger" Akt, dass die Aufgaben vom Schulleiter im Besein von Zeugen zur vorgegebenen Uhrzeit morgens aus dem Safe geholt werden!


    Um sich über das bw Zentralabi kundig zu machen, empfehle ich folgende Startseite:
    http://www.gbg.wn.schule-bw.de/strubipla2004.htm

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

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  • Zitat

    wolkenstein schrieb am 13.01.2005 21:16:
    Die Franzosen sind anscheinend noch schlechter weggekommen, hab einen Französischlehrer Gift und Galle spucken hören, zumal die französische Themenformulierung anscheinend voller SPrachfehler steckt.... SCHAFFT ENDLICH DIE ALTEN SÄCKE WEG VON DER ZENTRALEN PLANUNG.... X(


    :rolleyes: Molière und Camus zum Abwinken...

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