Die Arbeiter- und Soldatenräte hatten den Anspruch, entsprechend der marxistisch-leninistischen Dialektik, die Diktatur des Proletariats als notwendigen Schritt hin zu Sozialismus und Kommunismus herbeizuführen. Eine Diktatur ist nicht demokratisch.
[...]
Das Bürgertum, die "Bourgeoisie" wurde explizit aus ideologischen Gründen ausgegrenzt. Substanzielle Bevölkerungsanteile zu diskriminieren und aus dem politischen Entscheidungsprozess herauszuhalten, ist nicht demokratisch.
Einverstanden - mit einer gewissen Einschränkung (siehe ganz unten).
Der fehlende demokratische Anspruch der Räte sieht man auch daran, dass sie nicht repräsentativ waren:
Ich denke mal, dass sich das "repräsentativ" nicht auf den Unterschied zwischen einer direkten und repräsentativen Demokratie bezieht, sondern darauf, dass die Bourgeoisie ausgeschlossen ist. Da stimme ich zu.
Meine Frage hast Du aber gar nicht beantwortet!
"Wenn die Arbeiter- und Soldatenräte der damaligen Zeit keine "neuen demokratischen Kräfte" gewesen sein sollen, wer dann?"
Eine Novemberrevolution ohne die Räte ist nicht denkbar bzw. die Räte waren die Novemberrevolution. Die Oktoberreformen beurteile ich im Kontext nicht als Schwanengesang, sondern als Festhalten durch und an der Monarchie, bis die Niederlage im Krieg überwunden ist. Wie stark diese Eliten waren, hat sich ja gezeigt trotz der Weimarer Verfassung.
Zur "Diktatur des Proletariats":
Die Sichtweise, wonach es damals nur zwei Möglichkeiten gegeben hätte - parlamentarische Demokratie zusammen mit den alten monarchistischen Eliten einerseits, Rätesystem mit Ausgrenzung der Reichen andererseits - ist doch mittlerweile überholt und eine Verzerrung aus der Rückschau des Kalten Krieges. In den Räten gab es unterschiedliche Haltungen zur Gewalt. (Rosa Luxemburg war z.B. auch niemand, der jegliche Art von Gewalt kategorisch ausschließt, aber ja heftige Kritierin Lenins und hat schon früh vorrausgesehen bzw. gewarnt, was in Rußland passieren würde.)
Die negative Beurteilung der Gewalt der deutschen Revolutionäre - ob man sie jetzt demokratisch nennen will oder nicht - scheint mir einerseits schon schlüssig, da als Versuch faktisch vorhanden, als latentes Potential nicht wegzudiskutieren; andererseits fällt diese negative Beurteilung der Gewalt bei anderen Revolutionen aus. Das macht mich stutzig. In manchen Ländern wird dieser Aspekt der Revolutionen gar nicht kritisch gesehen, sondern gehört sozusagen zur Folklore. Das öffentliche Teeren und Federn durch die Sons of Liberty wird von niemand als "Terror" bezeichnet. Auf diese bezieht sich ja auch noch der heutige Staat - Stichwort "Geschichte ist immer die Geschichte der Sieger". Robespierres Terror wird als solcher benannt und (aber) im Geschichtsunterricht kontrovers diskutiert - auf die Idee, den (angeblichen) "Sturm auf die Bastille" wg. der Anwendung von Gewalt zu kritisieren und zu sagen "Weg mit dem Absolutismus, schön und gut, aber doch bitte nur Gewaltfrei!" kommt garantiert niemand. Auch hier bezieht sich der Staat der Gegenwart auf dieses Ereignis, hier sogar als richtiger Gründungsmythos.
Die Gewalt per se der dt. Revolutionäre von 1948 wird überhaupt kein bisschen kritisch gesehen, ganz im Gegenteil, die von 1918/19 schon. Deshalb glaube ich, die Kritik an der Gewalt (!) der Räte nur ein Vorwand ist.