Ich finde deinen Enthusiasmus für Inklusion großartig, aber du musst dir bewusst machen, dass du im Vergleich zu den meisten anderen Schulen durchaus Traumbedingungen für Inklusion hast deiner Schilderung nach. Das verfälscht den eigenen Blick ganz enorm
Hmm, also ich habe ja mit Praxisphase und Referendariat und meiner jetzigen Schule auch schon intensive Einblicke in drei Grundschulen und durch meine Arbeit als Medienbeauftragter gewisse Einblicke in die Grundschulen unserer Kommune - da sind die Bedingungen durchaus ähnlich bei sehr viel besserem Sozialindex. Und alleine die zwei Standorte sind eine unglaubliche Mehrbelastung, welche die wenigsten Grundschulen haben. Es gibt also sicher (Grund-)Schulen mit schlechteren Bedingungen, aber ich kenne viele Grundschulen mit besseren Bedingungen und der Sozialindex 7 zeigt ja deutlich, dass die Voraussetzungen der Kinder an den meisten Schulen besser ist.
Du setzt Inklusion in dem Rahmen um, wie du es kannst. Hast du das Gefühl, die inklusiv beschulten Kinder lernen bei dir abweichend von den Ergebnissen der Studien zu dem Thema weniger als an Förderschulen?
Denn diese Haltung, dass man erstmal davon ausgeht, dass inklusiv beschulte Kinder mindestens so gut wie an Förderschulen lernen, ist ja schon von den Studienergebnissen abzuleiten.
Dann haben wir hier im Thread doch schon mindestens die Posts von z.B.
@NRW-Lehrerin lesen dürfen, die zeigen, dass Inklusion an Schulen umgesetzt wird, einige GL-Kinder erfolgreich und mit wenigen Problemen inkludiert werden, aber die Kinder, bei denen das nicht erreicht wurde, den Eindruck dahingehend verfälschen, dass Inklusion gar nicht funktionieren würde.
Bekommst du da nicht das Gefühl, das auch der Bildungsforscher Rolf Werning hat, dass wir als Lehrkräfte - auch wegen eines ja lobenswerten hohen Anspruchs - manchmal nur 'das halbleere Glas sehen'?
Sicherlich gibt es also Schulen, an denen die Bedingungen noch schlechter sind als bei mir und an denen man vielleicht wirklich gar keine Erfolge bei der Inklusion hat, aber die Haltung, auch die Erfolge der Inklusion zu sehen, ist doch an den meisten Schulen möglich, weil die meisten Schulen eben doch gute Arbeit leisten und Erfolge haben. Ich plädiere hier eben dazu, diese Erfolge im Sinne der eigenen Selbstwirksamkeit und damit auch mehr Resilienz wahrzunehmen. Das ist die Reflexion, die ich u.a. meine und weshalb ich ja auch dein tolles Zitat aus dem anderen Thread hierher gebracht habe.
tibo: Wie haben sie bei den Studien sichergestellt, dass die Vergleichsgruppen an der Förderschule und an den Regelschulen in der Inklusion gleiche Voraussetzungen hatten? Denn damit es vergleichbar wird, dürfen in der Gruppe der Inklusionskinder an den Regelschulen ja nicht im Schnitt leistungsstärkere Kinder sein als an der Förderschule. Oder umgekehrt.
Denn die Elternentscheidung für Förderschule oder inklusive Beschulung in einer Regelklasse hängt ja auch von der Leistungsfähigkeit ihrer Kinder ab. Das sind ja keine unabhängige Größen.
Das ist ein wichtiger Hinweis. Es gab im Fall der Studie zum Lesen in Klasse 3 / 4 drei Messzeitpunkte. Dadurch konnte man auch den relativen Lernzuwachs messen. Du hast schon Recht mit der Annahme, das wird in der Studie benannt und berücksichtigt, dass die Bedingungen wie IQ unterschiedlich und in der Breite zu Gunsten der Kinder an Regelschulen waren.
@NRW-Lehrerin
Ja, den Artikel finde ich auch gut. Er zeigt neben den mangelhaften Rahmenbedingungen und der berechtigen Förderung an die Politik, mehr Ressourcen zu schaffen, aber auch, wo wir jeweils an unserer Schule Inklusion als Ausgangspunkt der Schulentwicklung nehmen können.
Zitat
Experten warnen: Um Kinder wie Lalon zu „inkludieren“, müsste ein enormer Betreuungsaufwand mit einem Schulsystem zusammengebracht werden, das bislang vor allem auf Leistung ausgerichtet ist. Verbindliche, unbedingt einzuhaltende Lehrplaninhalte, Prüfungen und Klausuren können bei inklusiver Beschulung nicht mehr im Mittelpunkt stehen.
Stattdessen müssten die Inhalte flexibler gestaltet werden, müssten Rücksichtnahme und individuelle Förderung statt benotete Leistung das übergeordnete Ziel sein. Schulen müssten viel mehr als Lebensort begriffen werden, an denen es auch Räume für Pflege und Entspannung gibt und an denen Schüler auch mal Auszeiten nehmen können. Solche Auszeiten könnten den Raum dafür schaffen, sich den Mitschülern mit Handicap zu widmen – ohne Zeitdruck, ohne das Gefühl, dass die Beeinträchtigungen mancher Kinder den Unterricht ausbremsen.
Mit der Haltung, Inklusion als Weg und nicht als Endzustand zu sehen, können wir uns schon in unserem Rahmen und unter den gegebenen Bedingungen der Schulentwicklung um angepasste Leistungskonzepte oder eine stärkere Bedürfnisorientierung zum Beispiel kümmern.
Und ganz abseits der Inklusion finde ich eben auch die Erkenntnis und Haltung wichtig, dass es aktuell und in unserer Lage mit den Ergebnissen aktueller Lernstandserhebungen wichtig ist, die schwächsten und benachteiligsten Kinder mehr und gezielter zu unterstützen. Diese Haltung vermisse ich auch an mancher Stelle. Und auch den Schuh mögen sich jetzt bitte auch nur jene anziehen, denen er passt. Aber der Widerspruch gegen meine Beiträge zur Inklusion waren dann doch sehr hoch im Vergleich zu den Reaktionen auf die Beiträge, in denen eigentlich auch sehr offen gefordert wird, prinzipiell lieber die stärkeren und privilegierten Kinder zu fördern und andere Kinder zu separieren. Da passt auch die Debatte zum dreigliedrigen Schulsystem und der mangelnden Einbindung des Gymnasiums im Vergleich zu anderen Schulformen bei der Inklusion zu.