Etwas ungeordnet zu später Stunde: Ich würde mir an deiner Stelle Gedanken machen, wie ich den Kindern weiterhelfen kann - aber bitte keine Vorwürfe. Die Kinder haben 2 Jahre Zeit für den Lese- und Schreiblehrgang.
Das, was du schreibst, hört sich etwa so an wie mein Einzugsgebiet. Mit ähnlichen Leistungen, wobei ich die Flüchtlingswelle in der 1/2 nicht mehr mitbekommen habe.
In meinem Einzugsgebiet hat der Spracherfahrungsansatz (bei uns mit Tinto) nicht funktioniert, weil nicht genug Spracherfahrung da war. Mal salopp gesagt. Freies Schreiben war quasi unmöglich, da von 27 Kinder 20 ständige Unterstützung benötigten.
Freies Schreiben dauert unendlich lange, wenn man Sorgen hat, man gar nicht weiß, was man machen soll, sich nicht gut konzentrieren kann, auditive Wahrnehmungsschwächen hat (Laut-Buchstabe-Zuordnung), man die einzelnen Buchstaben in den Tiefen des Gehirns sucht oder wenn man sich jedes Mal neu auf der Anlauttabelle orientieren muss (schwaches Gedächtnis, visuelle Wahrnehmungsschwächen). Ebenso wird es sehr schwer, wenn das Arbeitsgedächtnis sehr klein ist. Dann besteht das Aufschreiben eines Wortes oder sogar eines Lautes aus zu vielen Teilschritten, die Kinder verlieren "den Faden". Auch wenn man Probleme hat, Sätze mündlich zu formulieren, weil man vielleicht zu Hause wenig oder eine andere Sprache spricht, ist das freie Schreiben extrem schwierig.
Ich habe es in meinem eher schwachen Einzugsgebiet immer als "einigermaßen ok" angesehen, wenn sie am Ende des 1. Schuljahres leichte Sätze lesen konnten, vielleicht noch stockend und langsam, aber eben sinnverstehend. Alles darunter war "unter Beobachtung" und wurde in den Förderunterricht eingeladen.
Ich habe gezielte Übungen zum Zusammenschleifen gemacht, immer wieder, eine Zeit lang täglich mit allen im Chor. Mag altmodisch sein, half aber mehr, als wenn jeder alleine rumwurstelte. Nach einem Erklären konnten das nur ganz wenige Schüler, die meisten brauchten viele Wiederholungen.
Silben markieren vor dem Lesen kann helfen, wenn sie Silben lesen können.
Nachdem ich mir über die Sprachvorbilder, die einige Kinder haben, klar geworden bin, habe ich angefangen, Sätze und später Texte gemeinsam zu erarbeiten, Wort für Wort an der Tafel, dann haben die Kinder abgeschrieben. (Satz formulieren, eventuell treffendere Wörter finden. Wie soll ich den Satzanfang schreiben? Wie soll ich das erste Wort schreiben? Da ist noch ein Laut versteckt, wer hört ihn? Der nächste Laut klingt beim Sprechen anders als beim Schreiben, den verrate ich euch. Nach dem ersten Wort lasse ich eine Lücke. etc.)
Gerade beim freien Schreiben werden schon erarbeitete Rechtschreibstrategien aber erst einmal nicht angewendet, weil das Bilden von Sätzen und das Aufschreiben von Wörtern die Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Es ist am Ende der 1. Klasse normal, wenn man das teilweise schlecht lesen kann. Ein Teil der Kinder konnte auch noch keine Wortgrenzen ziehen. Mit den Punkten haben in meiner 4. noch einige Probleme.
Wie Krabappel schrieb: Der Lese- und Schreiblehrgang darf 2 Jahre dauern, die Kinder haben noch Zeit. Ich würde dir - ähnlich wie Krabapple gezielte Übungen vorschlagen, Übungeswörtertraining, Grundwortschatz erarbeiten (z.B. Kartei). Wörter, die man kann und nicht mehr konstruieren muss, erleichtern das freie Schreiben.
Falls möglich: Leseübungen für zu Hause. Das hilft, wenn sinnvoll und regelmäßig umgesetzt und fehlt leider oft als Unterstützungmöglichkeit in Brennpunktgebieten. Eventuell gibt es jemanden (Oma, Mutter etc.), der einmal wöchentlich zum Lesenüben in die Schule kommen und mit einzelnen lesen könnte?
Flüchtlinge: Hier musst du dir darüber im Klaren sein, dass die Bedingungen und Vorerfahrungen sehr unterschiedlich sind:
- eventuell Bildung geringer angesehen als bei uns,
- eventuell keine KiTa,
- alles neu im neuen Land (neue Sitten, anderes Wetter, Heim, Umzug, anderes Essen, die Menschen sind so anders...),
- eventuell Wechsel von arabischen Schriftzeichen auf lateinische (wer in D aufgewachsen ist, hat die Schrift bereits oft genug gesehen),
- ggf. Traumatisierung (u.U. gravierende Einflüsse auf Konzentration, Fokussierungsleistung und Gedächtnis, mit einer Traumafolgestörung kann man i.d.R. schlechter lernen als ohne).
Sprechen können sie übrigens als letztes. Kinder, die eher schüchtern sind oder alles richtig machen wollen, sprechen lieber gar nicht als etwas falsch zu machen. Meine "Nullsprachler" fingen nach 6 bis 12 Monaten an, von sich aus zu sprechen. Wenn sie aber nicht sprechen können, funktioniert auch das freie Schreiben nicht.
Ich weiß nicht, wie eng das bei euch ist mit "Lesen durch Schreiben" und ob ein Ergänzen möglich wäre. Vielleicht hast du ja auch Kolleginnen und die erleben ähnliches, aber bis Ende der 2. "flutscht" das Schreiben und Lesen dann???