Hast du es denn schon mal ausprobiert mit Lesezeiten? Ich mache das auch und es funktioniert gut.
Habe ich.
Früher reichten Lesepässe für zu Hause, im Anschluss gab es eine winzige Belohnung dafür. Damit konnte ich vor 20 Jahren alle erreichen, die Klassen waren aber auch anders zusammengesetzt.
Wir hatten Lese-Paten, das ist über Corona eingeschlafen und es wird auch schwieriger, dafür jemanden zu finden, weil inzwischen fast alle Eltern am Vormittag arbeiten oder kleine Geschwister zu Hause sind - auch Mangels KiGa-Plätzen (ab 3 Jahren).
Ich habe es mit Tandem-Lesen versucht, das ging recht gut, aber die Schwachen vermeiden dann auch … und wenn die Vertretungssituation in der Schule so schlecht ist, dass man nicht konsequent dabei bleiben kann, wird es nicht besser. Um zu Hause lesen zu lassen, gab es den neuen Text als HA und die Kinder sollten 3 Fragen zum Text notieren, die sie am Tag danach ihrem Partner oder einer anderen Gruppe stellen konnten. Gut ist auch, dass man den Tandems leicht unterschiedliche Texte geben kann und so eine breite Differenzierung möglich ist.
Ich habe Lesetagebücher versucht, unterschiedliche, selbst eine Lektüre wählen und nach dem Lesen etwas notieren, buchübergreifende Lesetagebücher, auf Bücher abgestimmte Lesetagebücher, gemeinsame Lektüre … aber man kann sich dennoch immer wieder herausziehen und es reicht nicht.
Dass man daneben für bestimmte Kinder quer durch alle Klassen einfach mehr Hilfe bräuchte, damit es in den ersten 4 Jahren mit dem Lesen klappen kann, ist dann noch eine weitere Sache.
Aber zu meinen „die Eltern müssten doch“ klappt genau nicht bei den Analphabeten, bei Eltern aus anderen Ländern, die selbst kaum in der Schule waren, bei Eltern, die nie erfahren haben, dass Schulisches auch zu Hause eine Rolle spielen sollte, bei Eltern, die ihr Familienleben samt Arbeit kaum organisiert bekommen … und das sind eine Menge Eltern und Kinder, die wir schon in der Generation davor nicht ausreichend gefördert haben und mit dem Lehrkräftemangel noch weniger Möglichkeiten haben, da selbst die DaZ-Stunden gestrichen werden für die Vertretung (zum ersten Mal seit bestimmt 10 Jahren habe ich in diesem Schuljahr meine DaZ-Stunden weitestgehend behalten und musste nicht irgendwo Unterricht auffangen - mit der nächsten schwangeren Kollegin wird es wieder anders sein).
Was mich wirklich nervt:
Die Kultusminister:innen krümmen keinen Finger für irgendwas, sie setzen jetzt landesweit alle an die Biss-Sachen (ja, ok), aber den Rest sollen die Schulen selbst bewerkstelligen, aus eigenen Mitteln, mit eigenen Kräften.
Niemand lehnt sich aus dem Fenster und sagt, was wegfallen darf.
Streiche ich in Deutsch, jammern noch mehr, dass die Schrift und Rechtschreibung so schlecht seien, längere Texte nicht geschrieben werden können,
Streiche ich in anderen Fächern, fehlen andere Inhalte. Wo denn bitte?
In Mathe von 5 Std in der Woche 2x 20 min zu lesen, fehlt 1 Stunde Mathe und es wird schwierig, Sachen einzuführen, in 20 min geht das nicht. So ist das in anderen Fächern auch. Übrigens bräuchte ich die gleiche Übungszeit auch für das Training des 1+1 und 1x1, das genauso trainiert werden muss und zu Hause nicht übernommen wird.
Man hat doch ohnehin schon immer das Gefühl, dass die Lehrpläne überfrachten sind und die Zeit nicht ausreicht, Ich frage mich immer, wer von denen, die sie schreiben, eine realistische Einschätzung zu Inhalten und notwendiger Zeit vornimmt und dabei unterschiedliches Klientel im Blick hat.
Auch ist G8 wieder zu G9 geworden, die Inhalte, die in die GS-Pläne gestopft wurden, sind aber geblieben.
Der sinnvolle fächerübergreifende Unterricht ist in NDS immer schwieriger, weil die Vorgaben dagegen arbeiten (Lehrerwechsel, Fachvorgaben), nimmt damit unbemerkt Chancen oder Synergien. Man hat die Lernweise älterer Schüler auf jüngere übertragen und lehrt, dass Fragestellung und Stundenziel wichtig sind. Ja, sind sie manchmal, aber lernen in der GS kann auch ganz anders ablaufen. Inhaltlich hat man in vielen Fächern inzwischen einen viel höheren Anspruch als vor 20 Jahren, weil man weit mehr verknüpft, begründet, argumentiert, präsentiert … und auch das gemeinsam erarbeiten und üben muss.
Wenn man dann noch weiß, dass die Bundesländer unterschiedliche Stundentafeln haben, die über 4 Jahre zum Teil mehr als 10 Stunden voneinander abweichen, dann ist es doch erstaunlich, dass man gleiche Inhalte in weniger Zeit vermitteln muss.
Aber das alles kommt gar nicht zur Sprache.
Die Schulen bekommen die Aufgaben zugeschoben, werden zu FoBi verpflichtet und sollen die Lesezeit zusätzlich zu allem anderen umsetzen.