Es ist eine belegbare Tatsache, dass sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz der Bildungserfolg junger Menschen extrem vom Elternhaus abhängt. Das ist falsch.
Ja, finde ich auch.
bei dem was Du schreibst gehe ich davon aus, dass Du das bestehende System mitträgst
Das ist eine Unterstellung, finde ich, in Unkenntnis der tatsächlichen Möglichkeiten der Schule, der Lerninhalte, der Voraussetzungen etc.
Mir ist die Abhängigkeit von der Unterstützung des Elternhauses durchaus bewusst.
In Teilen kann ich steuern, dass die Kinder selbst ihre Kenntnisse und Fähigkeiten im Unterricht einsetzen, um Lerninhalte zu erschließen und eigenständig Leistungen zu erbringen. Deshalb weiche ICH von klassischen Sachen ab, etwa bei der Bewertung von Mappen, die zu Hause gepflegt werden, davon, dass Referate zu Hause vorbereitet werden - das können GrundschülerInnen ohnehin nur mit sehr viel Unterstützung und Hilfe, es frisst sehr viel Zeit, wenn es etwas werden soll, davon, dass immer alles in der Mappe ist und nur in der Arbeit drankommt, was man da nachlesen kann. Tatsächlich fällt es SchülerInnen, die die Schule wechseln, manchmal schwer - Eltern auch - wenn dann anderes in Klassenarbeiten verlangt wird und Eltern wundern sich, warum man für die anstehende Arbeit nicht die Mappe auswendiglernen (lassen) kann.
Ich erwarte in meinen Fächern gar nichts, ich gehe grundsätzlich davon aus, dass ich bei Null anfange und den Jugendlichen alles so erkläre, dass sie die Möglichkeit haben ohne fremde Hilfe zu lernen.
Das ist deine Sicht der Dinge. Ob es die SchülerInnen ebenso wahrnehmen, ist fraglich.
Tatsächlich setze ich manches voraus, was auch so gedacht ist. Spätestens in der Überprüfung der Lernausgangslage innerhalb der ersten 6 Wochen der Schulzeit finde ich heraus, ob das, was ich erwarte, vorhanden ist.
- Dazu gehört, dass Kinder bis 6 oder 10 zählen können. Das können sie nicht alle. Deshalb muss man es mit einzelnen üben, während andere das nicht mehr müssen.
- Ich erwarte, dass sie einen Stift festhalten und ihn einigermaßen koordiniert über das Papier führen können. Können sie nicht alle. Deshalb muss man die Motorik schulen und die Stifthaltung noch und noch üben. Aber wenn von 25 Kinder es nur 3 oder 4 beherrschen, kannst du nicht überall zeitgleich sein und hast ein Problem.
- Ich erwarte, dass sie sehen und hören können, im Heft und an der Tafel. Können sie nicht. Aber ich kann nur die Eltern schicken und hoffen, dass sie sich um eine Sehhilfe (Hörhilfe etc.) kümmern. Da ist eine Grenze, über die ich nicht hinweg komme, die aber wesentlich den Lernerfolg der Kinder beeinflusst.
- Ich erwarte, dass sie nach Anleitung ein Blatt lochen und einheften können. Können sie nicht, aber das üben wir gleich am 1. oder 2. Tag. Es dauert 15 min, aber wenn wir es oft machen, wird es besser.
Du meinst, du erwartest "nichts", aber du erwartest eine ganze Menge Grundlegendes, Lesen, Schreiben, grundlegende Rechenarten, Zahlenverständnis.
Die SchülerInnen, die deine Schulform besuchen, haben ihr Können längst unter Beweis gestellt, ansonsten würde ihnen der notwendige Schulabschluss fehlen. Du kannst also erwarten, dass die SchülerInnen genug Vorbildung mitbringen, um sich selbst Lerninhalte zu erschließen. Sie haben auch eine Ahnung vom System Schule und den Spielregeln. Selbst wenn du die Regeln in Teilen änderst, können sie damit umgehen.
Das alles kann man in der Grundschule nicht erwarten und muss zudem auffangen, wenn die Lernvoraussetzungen nicht gegeben sind, wenn das Kind bis zum Schuleintritt zu wenig Anreize hatte, wenn grundlegende Fähigkeiten (noch) nicht ausgebildet sind. Manches kann man kurzfristig auffangen, anderes dauert Jahre, weil es nicht ausreicht, etwas zu hören und zu merken, sondern weil es um Entwicklungsschritte geht, die Zeit benötigen und nicht einfach herbeigeführt werden können. Wieder anderes kann durch eine Beeinträchtigung bedingt sein, die dann kompensiert werden muss. Auch das dauert länger.
Alle diese Bemühungen haben aber Grenzen. Lesen lernen ist so eine Grenze. Wenn das Kind keinerlei Unterstützung außerhalb der Schule hat, ist das Scheitern schon sehr nah. Mir fällt überhaupt gar keine Lösung ein, wie ein Kind selbstständig lesen üben kann, obwohl ich durchaus weiß, dass es Kinder gibt, die sich das Lesen selbst erschließen. Aber von diesen Kindern sprechen wir ja nicht. Auch bin ich durchaus in der Lage, Kinder zu Alphabetisieren, in der Erstsprache und in der Zweitsprache. Für letzteres gibt es kein Material auf dem Markt, das muss man selbst erstellen. Trotzdem braucht man auch da immer mal Zeit, das Lesen allein mit dem Kind zu trainieren.
Propagiert werden Lesetandems aus begabteren und weniger begabteren SchülerInnen. Das hilft, aber letztlich gibt es keine Ressourcen im System, sodass die Kinder sich gegenseitig beim Lesenlernen helfen sollen, weil Erwachsene es nicht machen können oder wollen.
Es bleibt dabei, dass die Kinder jemanden benötigen, der mit ihnen auf das Blatt guckt und ihnen zuhört, wenn sie den Buchstaben mit einem Laut bezeichnen, wenn sie Laute aneinandersetzen, wenn sie Wörter zu einem Satz zusammenfügen sollen. Eigenständiges Üben kann erst erfolgen, wenn das Erlesen von Silben gelernt ist.
Und Kinder in dem Alter benötigen jemanden, der ihnen gerade zu Beginn hilft. Auch da kann man die Unterschiede merken. Wärest du bereit, dem Kind ein Brot mitzubringen, den Ranzen aufzuräumen, Sportkleidung zu besorgen, die Mappen zu beschriften, Stifte hinzulegen? Weckst du deine Schülerinnen, damit sie rechtzeitig zum Unterricht erscheinen? Holst du sie von zu Hause ab, weil sie den Weg alleine nicht bewältigen können?
Den Luxus, zu meinen, man könne eben manche nicht auf der Schule behalten, habe ich nicht. Wir unterrichten so gut wie alle und es bleiben auch fast alle da.
Den Luxus zusätzlicher Stunden, in denen Förderung in kleinen Gruppen oder mit einzelnen Kindern erfolgen könnte, habe ich nur sehr selten, meist wenige Wochen bis eine Lehrkraft längerfristig ausfällt, oder gar nicht, weil die Schule gleich zu Beginn schlecht versorgt ist. Das war in den vergangenen 7 Jahren immer der Fall. Also wurden immer die wenigen FöS-Stunden und die DaZ-Stunden gestrichen, um die Pflichtstundentafel besetzen zu können. Das System hätte also laut Erlass Stunden, es streicht sie aber auch, entgegen der Regeln im Erlass.
Da stütze ich das System, das die Stunden streicht, indem ich auffange, was irgendwie möglich ist.
Auch die Kinder mit sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfen Lernen und Geistige Entwicklung, die zieldifferent unterrichtet werden, bleiben. Stunden dafür sind ebenso selten, eine Schulbegleitung ist ein immenser Aufwand und inzwischen ein Kampf mit den Ämtern. Die SuS mit FöS Lernen sollen in 4 Jahren die Inhalte der ersten 2 Jahre schaffen, per Differenzierung in der Klasse, die anderen haben noch mehr Zeit und man weiß nicht, ob sie überhaupt lesen lernen werden.
Da stütze ich das System, dessen winzige Bemessung der sonderpädagogischen Grundversorgung gar nicht ausreicht, weil die Kinder trotzdem integriert sein sollen und Lernerfolg haben sollen - im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten.
Tatsächlich lernen sie fast alle lesen. Das ist nicht immer mein Verdienst. Manche Kinder lernen nur lesen, weil die Eltern sehr viel Zeit investieren. Ansonsten hätten die Kinder schneller einen Unterstützungsbedarf. So schaffen sie einen zufriedenstellenden Abschluss in der Grundschule und hoffentlich dann auch einen guten Abschluss in der weiterführenden Schule.
Einige Kinder lernen lesen, weil sie eine Schulbegleitung haben, die über Jahre mit ihnen die immer gleichen Silben übt, bis es kleine Fortschritte gibt. Sie kommen voran, werden aber vermutlich FörderschülerInnen bleiben und später trotzdem einen für sie geeigneten Beruf finden.
Bei manchen Kindern geht es plötzlich voran und es gibt auf einmal Erfolge, an die vorab nicht zu denken war. Wenn Lesenlernen so gut erforscht wäre, dass man einfach ein paar tolle Materialien hinlegen könnte, wäre es sicher für viele Kinder sehr viel leichter.