„Ideologisch“ bin ich voll auf der Seite von WillG, Kieselsteinchen und Sissymaus: Ich versuche selbst, Jungs und Mädchen nicht gemäß irgendwelcher Rollenklischees zu behandeln, sondern gleich, also mit Blick auf die Situation und ihre Bedürfnisse etc., aber nicht mit Blick auf ihr Geschlecht.
Aber: Auch wer nicht Philosophie studiert hat, kennt vielleicht Kants Definition von Aufklärung als „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ Auf das „selbstverschuldet“ kommt es mir an. Mit Blick auf die Kinder einer armen Bauernfamilie im 18. Jahrhundert, die vielleicht keine schulische Bildung bekommen haben, finde ich die Definition reichlich zynisch. Nun besteht im Jahr 2023 aber schon lange eine Schulpflicht und seit 50, 60, 70 Jahren wird diese auch tatsächlich für alle durchgesetzt. Es gibt Bibliotheken. Es gibt das Internet.
Irgendwo in seiner Biographie hat heute jeder von uns Kontakt mit Gedanken, die wir - bei allen Meinungsunterschieden - evtl. als „fortschrittlich“, „aufgeklärt“ etc. bezeichnen würden. Irgendwo muss der Einzelne dann aber auch die Entscheidung treffen, diese für sich anzunehmen und umzusetzen - oder eben nicht.
Das Wort „selbstverschuldet“ würde ich selbst im übrigen auch heute noch nicht selbst wählen. Vielleicht gibt es Frauen, die ganz stark in Richtung traditioneller Rollenbilder gedrängt wurden und die erst sehr spät Kontakt zu anderen Ideen bekommen haben. Vielleicht ist es für sie tatsächlich nicht möglich, „den Schalter umzulegen“. Zugestanden. Aber bevor ich eine strukturelle, systematische Benachteiligung von Frauen im Schulsektor (!) annehme - es geht also um nach 1958/1959/1960 geborene Frauen mit Abitur und Universitätsstudium - bräuchte ich zuerst Belege dafür, dass die Entscheidung relativ vieler dieser Frauen für Teilzeit, Elternzeit etc. wirklich das Ergebnis einer solchen Benachteiligung ist und nicht das Ergebnis ihrer eigenen aufgeklärten, selbstgewählten Entscheidungen.