Deutsch-Abitur: Gestaltendes Erschließen

  • Hallo,


    in Brandenburg soll demnächst das "Gestaltende Erschließen" mit in die Abiturprüfungen aufgenommen werden. Ich weiß, dass es das seit geraumer Zeit schon in anderen Bundesländern gibt, habe aber bisher noch nicht viel über die Handhabbarkeit und die Ansichten von Lehrern darüber gehört.


    Ich habe zwar selbst noch nicht viele solcher Texte korrigieren müssen, doch fiel es mir ehrlich gesagt recht schwer, verhältnismäßig objektiv zu bewerten, was z.B. ein guter und ein weniger gelungener Tagebucheintrag o.ä. ist. Klar hat man da auch einige Kriterien, an die man sich halten kann, doch finde ich die Beurteilung doch etwas schwieriger als bei gängigen Analyse- und Interpretationsaufgaben. Ich wollt mal hören, wie sich das bei euch gestaltet, wie ihr damit umgeht und ob ihr euch dabei auch so schwer tut? Oder ist das nur ein Anfängerproblem, das sich mit der Zeit legt? Generell finde ich diese Art der Verständnisüberprüfung und Prüfung des Interpretationsvermögens echt super, doch stehe dem in einer Abiturprüfung, an der so viel hängt, doch eher kritisch gegenüber. Seh ich das zu eng?


    Ich würde mich sehr über ein paar Meinungen und Erfahrungen diesbezüglich freuen. Vielleicht könnt ihr mir da auch ein bisschen die Angst nehmen!? :)


    Liebe Grüße, Marry

  • Aufgrund der von dir angeführten Kritikpunkte und Schwierigkeiten bei der objektiven Beurteilung dieses Aufgabentyps wird er in Baden-Württemberg in einem der nächsten Abijahrgänge wieder abgeschafft und durch einen Essay ersetzt.


    Erfahrungsgemäß gestalten Schüler mehr als sie erschließen bzw. interpretieren - die Ergebnisse dieser Aufsätze sind im Vergleich zu den klassischen Interpretationsaufsätzen immer schlecher, vor allen Dingen im Abi. Noch dazu ist es schwierig, wirklich ergiebige Aufgabenstellungen zu finden, die Abiturniveau erreichen.


    Also ich werd den Aufgabentyp wohl nicht vermissen - meine Kollegen und ich haben jedes Jahr beim Deutschabi Bauchweh, wieviel unserer Schützlinge sich wieder von der gestaltenden Interpretation "verführen" lassen...

  • Zitat

    Generell finde ich diese Art der Verständnisüberprüfung und Prüfung des Interpretationsvermögens echt super

    Woher kommt dieses Urteil, wenn Du soviel Zweifel hast und Dir offenbar nicht zutraust, die Ergebnisse wirklich zu beurteilen?

    Zitat

    die Ergebnisse dieser Aufsätze sind im Vergleich zu den klassischen Int2erpretationsaufsätzen immer schlecher

    Ich glaube nicht, dass das stimmt. Es ist vielleicht für gute und sehr gute Schüler richtig, nicht aber für die schwachen Schüler, die sich hier zu "ausreichenden" Noten retten - und für die dieser Aufgabentyp ja eingeführt wurde. Letztlich dient das "Gestaltende Erschließen" dem Ziel, mehr Schüler über die Schwelle unzureichender Noten zu hieven. Das heißt nicht, dass ihre Leistungen besser werden, aber die Unsicherheiten der Lehrer in der Beurteilung werden gezielt instrumentalisiert, um grenzwertige Fälle zu "retten".


    Abgesehen von Fällen, in denen Schüler zeigen, dass sie einen Text nicht gelesen oder verstanden haben, ist es fast unmöglich, gestaltendes Erschließen treffend zu bewerten. Dies liegt besonders daran, dass man in sehr vielen Fällen nicht weiß, ob bestimmte Entscheidungen aus Unvermögen resultieren oder aus bewusstem Gestaltungswillen. Ist der sehr kurze Tagebucheintrag kurz, weil der Schüler dies dem schreibenden Charakter/der Situation gegenüber für angemessen hielt? Oder weil ihm nichts eingefallen ist?


    Viele Kollegen fliehen vor der eigenen Hilflosigkeit in eine "Re-Analytisierung" der GE. Sie verlangen einfach von den Schülern möglichst viele möglichst tief-philosophische Aspekte eines Textes anzusprechen, egal, ob es wirklich zur Aufgabe passt oder nicht. Das ist natürlich illegitim und im Grunde Betrug am Schüler, aber letztlich reiner Selbstschutz.


    Beispiel letztes Abitur BW: Ein Abschiedsbrief Alfred Ills aus Dürrenmatts "Besuch der alten Dame" soll geschrieben werden. Wer kann ernsthaft behaupten, zu wissen, was Alfred Ill in einer solchen Situation schreiben würde (bzw. was Dürrenmatt ihn schreiben lassen würde)? Also bewertet man letztlich, wieviele "anspruchsvolle" Aspekte des Stückes in den Briefen vorkamen. Das war aber nicht Teil der Aufgabe.

  • Danke für die Rückmeldungen!


    Lolle, das find ich wirklich sehr interessant. Ich kann mir vorstellen, dass das in Brandenburg nach kurzer Zeit auch wieder abgeschafft wird. Aber in Deutschland ändert man ja eh gern mal etwas viel zu schnell, ohne über die Konsequenzen nachzudenken... so zumindest mein Eindruck. Was soll das dann für ein Essay sein, das da eingeführt wird?


    @unteruns: Ich finde die Art gut, solange ich es nicht mit Noten bewerten muss. Ich denke schon, dass es einen guten Ansatz darstellt, damit die Schüler zu einem tieferen Verständnis eines Textes kommen können. Dennoch finde ich erstens, dass gezielt ausgewählt werden muss, was ich zu welchem Text mit welchem Ziel und welchem Anspruch schreiben lasse, und zweitens, dass so etwas einfach nicht benotet werden sollte, da mit wie gesagt die nötige Objektivität fehlt. Deswegen bin ich der Meinung, dass es eine schöne ergänzende Unterrichtsmethode darstellt, die den Deutschunterricht abwechslungsreich gestalten lässt, aber nicht als Prüfungsmethode verwendet werden sollte. Schließlich soll es ja auch nichts sein, wodurch sonst eher schwache Schüler ihre Leistungen etwas "aufpushen" können und sich dadurch durchs Abitur "schleichen", sondern eine gleichwertige, anspruchsvolle Aufgabe. Und genau an dem Punkt sehe ich persönlich Probleme. Wie gesagt, ich habe damit leider noch keinerlei Erfahrungen und kann das nur aus einer rein theoretischen Sicht beurteilen. Ich finde aber deinen Kommentar sehr interessant. Wenn man schon solche Aufgaben stellt, muss man den Schülern aber auch vorher ganz deutlich sagen, was mit der jeweiligen Aufgabenstellung von ihnen verlangt wird, damit sie "unseren Ansprüchen genügen" können. Aber das kann doch auch nicht der Sinn davon sein, oder?

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