was bringt Disziplin wirklich?

  • Bei traditionellem Unterricht wird ein Kind oder Jugendlicher durch "rausschicken" aus dem Unterricht entfernt und soll damit bestraft werden oder die anderen sollen von der Störung entlastet werden . Bei Pater Wuzzi mussten rausgeschickte Kinder die Türklinke von außen runterdrücken, zur Überwachung.
    Bei meinem Konzept stand in der Regel die Zimmertür offen und Kinder konnten sich auch draußen bewegen, auf dem Flur, im Kabeuschen am Ende des Flurs, im Treppenhaus, unter Umständen auch auf der Schulwiese mit den vielen Bäumen. Kindern konnte vorgeschlagen werden, draußen zu arbeiten oder zu reden, um mehr Raum zu schaffen.
    Das war dann ein Vorschlag. Ich hab keine Sitzordnung vorgeschrieben. Kindern suchten sich aus, wo und mit wem sie arbeiten wollten.
    An die Mitteilung an Eltern als Drohung erinnere ich mich absolut nicht. Allerdings hatte ich oft Gespräche mit Eltern. Morgens waren auch oft Eltern für den Schulanfang oder Tagesanfang mit im Zimmer.
    Wie hätte es nach meinem Weggang so weitergehen können. Meine Arbeitsweise war von den Schulbehörden sorgfältig abgeschottet worden. Vorträge oder Fortbildungen dazu durfte ich nicht in Baden-Württemberg haben. In anderen Bundesländern durchaus und z.B. für freie Schulen. Nur musste man dafür beurlaubt werden.
    An die Uni Bremen wurde ich vom Oberschulamt beurlaubt "unter Zurückstellung von Bedenken". So ähnlich zum Kongress innovativer Schulen in Münster, wo ich gebeten war einen Workshop zu leiten.
    In der Schule für die ich zuständig war und in der Umgebung war ich ziemlich eingekreist von Elternschrecks und Siciliumen.
    Beim ersten Kongress "Die Schule neu erfinden" sagte mir ein belgischer Schulleiter, es werde wohl noch 50 Jahre dauern bis sich ein Konzept wie meins durchsetzen könne. Er war auch für einen Vormittag zu Besuch.
    Ich hatte allerhand Besucher auch aus größeren Entfernungen. Meine Kolleginnen und Kollegen an der gleichen Schule oder aus den Nachbarschulen waren nie da.
    Ich glaube aber, sie haben Kinder fast überhaupt nicht mehr bestraft.

  • Hmmm...ich persönlich habe selten Schüler rausgeschickt. Wenn, dann auch eher mit dem Gefühl, dass sich der Schüler mal 'entlasten' muss, raus aus dem Stress, unter dem er gerade steht. Hat aber nicht immer geklappt. War noch zu sehr mit Bestrafung verknüpft.


    Das mit der offenen Tür ist natürlich je nach Lautstärkepegel schwierig, wenn sich die Kollegen beschweren.
    (Hatte letztes Jahr das Pech, dass meine 6. Klasse auf einem Flur untergebracht war, auf dem sonst nur Oberstufe unterrichtet wurde, die ja mitunter auch mehrstündige Klausuren schrieben...schon blöd, wenn die 6er dann im Flur toben...blöd für die 6er, die das dann nicht durften, und für die Oberstufe, die sich nicht konzentrieren konnten... Aber das nur mal am Rande).


    Ich glaube, wie gesagt, dass sehr viele Elemente dieses selbständigen Lernens in vielen Schulen bereits Einzug gefunden haben.
    Ob es in dieser 'Radikalität' auch irgendwann stattfinden wird, weiß ich nicht. Irgendwie kann ich mir das in der Grundschule einfach besser vorstellen, da, soweit ich weiß, die Inhalte noch nicht so spezialisiert sind in verschiedene Fächer, genau so (wie es in einem Bericht statt) wie das, was man in der Grundschule lernt, im Prinzip bekannt ist - auch den Kindern. Die meisten freuen sich ja sehr darauf, endlich lesen und schreiben zu lernen (das da auch inhaltlich natürlich viel mehr passiert, ist mir auch klar).


    Aber ich glaube, diese ganze Diskussion hat gerade eine neue Idee in mir entfacht (während ich so drüber nachdenke, wie viele meiner Schüler sich z.B. auf neue Fächer wie Geschichte oder Physik gefreut haben - und leider teilweise bitter enttäuscht wurden, weil sie an einen Lehrer geraten sind, der nur seinen Stiefel abgespult hat..zumindest der in Geschichte...):
    Neben den weiteren Versuchen in Wochenplänen und anderer Möglichkeit der Öffnung, wird es eine Fragenbox geben und ich werde versuchen, den Kindern passendes Material zu geben, damit sie sich das selber beantworten können (und es eben nicht einfach beantworten).
    Mal schauen, ob/wie das klappt...

    "Et steht übrijens alles im Buch, wat ich saje. ... Nur nit so schön." - Feuerzangenbowle

  • So hab ich mir das vorgestellt.
    Schließlich bin ich seit mindestens 1988 am umkrempeln und hatte in den 80er und 90er jahren unendlich viele Veröffentlchungen, kurze texte in verschiedenen Lehrerzeitungen und Schulzeitschriften.
    Von den 50 Jahren sind ein paar wohl schon vorbei.

  • Ich kenne Berichte von Frau Zehnpfennig. Sehr interessant. Interessant aber auch das behauptet wird, dass sie den offenen Unterricht "erfunden" hätte. Da möchte ich auf Falko Peschel verweisen. Gibt es auch haufenweise auf youtube. Also Berichte über seine Arbeitsweise. Das ist eigentlich echt super. Nur irgendwie kann ich mir das zb. bei uns an der Schule nicht vorstellen......

    "Du musst nur die Laufrichtung ändern..." sagte die Katze zur Maus, und fraß sie.

  • Offenen Unterricht gibt es nicht.
    Das ist ein Widerspruch.
    Selbstständiges Lernen muss man nicht erfinden. Das tun Kinder von selber wenn man sie lässt.

  • "Unterricht im allgemeinen Sinn ist ein Vorgang zur Aneignung von Fertigkeiten und Wissen. Dazu gehört auch der Selbstunterricht...."
    Unterricht kann auch selbstorganisiert sein. Der Pädagoge dabei der Begleiter. Es bleibt für mich jedoch Unterricht. Ob offen oder lehrerzentriert oder auf nem Baum oder was weiß ich wie und wo.
    Man kann natürlich auch das Rad neu erfinden..... "Rundes sich drehendes zur Fortbewegung dienendes Gerät". Bleibt halt en Rad....

    "Du musst nur die Laufrichtung ändern..." sagte die Katze zur Maus, und fraß sie.

  • Selbstunterricht hört sich für mich an wie Selbstvortrag oder Selbstbelehrung.
    In meinem Sprachgebrauch ist Unterricht etwas, das Lehrende für zu Belehrende veranstalten. Im Gegensatz zum selbstständigen Lernen.

  • Naja. Auf jeden Fall ist Disziplin nicht jedem angeboren. Ich denke da gerade ganz spontan an mein eigenes Kind..... Irgendwer muss es einem zumindest vorleben, zeigen. Und zur Not auch mal einfordern.

    "Du musst nur die Laufrichtung ändern..." sagte die Katze zur Maus, und fraß sie.

  • vorleben, zeigen, echt sein, respektieren, das kann gehen.
    Einfordern geht wahrscheinlich daneben.

  • Hallo,


    an vielen Stellen in diesem Forum fallen mir zwei Gruppen auf:


    Auf der einen Seite die Primarstufler. Sie übernehmen die Kinder aus dem Kindergarten und geben ihnen wärend der ein- bis dreijährigen Schuleingangsphase das Rüstzeug mit, die Kompetenzen der folgenden Jahre erwerben zu können. Dabei unterstützen sie konstruktivistisch, flexibel, binnendifferenziert, unter Nutzung unterschiedlichster Methoden die Entwicklung der jungen Gehirne und leisten Erstaunliches, indem sie das spielerisch-entdeckende Lernvermögen behutsam ergänzen und strukturieren. Die restlichen Jahre der Grundschule erledigen sich fast wie von selbst.


    Andererseits gibt es die Sekundarkollegen. Sie haben den Abschluss vor Augen: das Abitur oder zumindest die mittlere Reife. Auf dem Weg zu diesen Abschlüssen müssen bestimmte Lehrpläne eingehalten werden, wobei die zeitlichen und räumlichen Möglichkeiten streng schematisiert sind. Eine große Anzahl an fachlichen Kompetenzen muss an bestimmten Inhalten erworben werden. Und wenn diese Vorgaben nicht erfüllt werden, ist der entsprechende Abschluss schlicht und einfach nicht möglich. Die Lehrkräfte können sich zwar auf wenige Fächer spezialisieren, haben dafür aber eine hohe Anzahl an großen Lerngruppen, die in teilweise notdürftig ausgestatteten Fachräumen lernen dürfen. Nicht selten findet der Fachunterricht in einer einzelnen Stunde pro Woche statt.


    Diese beiden Gruppen stoßen nun im Forum aufeinander und können sich nicht vorstellen, dass bei der jeweils anderen eine funktionierende Lernsituation stattfinden kann. Und dann wird aber auf keinen Fall der Versuch unternommen, dass beide Gruppen im Grunde das gleiche wollen, und so vielleicht in einer Annäherung eine sinnvolle Kombination beider Herangehensweisen geschaffen werden könnte. Nein, beide Gruppen wehren den Kontakt wehement ab und drängen sich sogar gegenseitig tiefer in ihre Ecken als sie vorher standen.


    Natürlich ist es nicht möglich, dass ein Schüler, der acht Jahre lang Unterricht nach Art der Feuerzangenbowle erleben durfte, innerhalb von 45 Minuten in einer selbstentdeckenden Lernsituation sein Verhalten umstellt und so zum begeisterten, eigenständigen Selbstlerner wird (ob mit oder ohne Disziplinierung, Sanktion, Strafe, ...).
    Und wahrscheinlich dürfte es auch nicht einfach sein, in einer achten Klasse, die nur spielerisch-entdeckend selbständig lernen durfte, jeden Schüler in drei Fächern innerhalb kurzer Zeit auf die zentralen Lernstandserhebungen vorzubereiten.


    Vielleicht besinnen sich beide Gruppen mal auf den Übergang zwischen dem offenen Eingangslernen hin zum vorgeschriebenen Abschlussschema, anstatt beides unvorbereitet zu kombinieren, dass die Kombination nur scheitern kann.


    Sommerliche Grüße


    Noch das Kleingedruckte: a) Der vorstehende Text basiert auf der Situation in Nordrhein-Westfalen. Lehrkräfte anderer Bundesländer mögen die betreffenden Passagen entsprechend anpassen. b) Die Bezeichnung Schüler schließt selbstverständlich das andere Geschlecht mit ein.

  • Auf der einen Seite die Primarstufler [...]

    Andererseits gibt es die Sekundarkollegen.

    Diese beiden Gruppen stoßen nun im Forum aufeinander und können sich nicht vorstellen, dass bei der jeweils anderen eine funktionierende Lernsituation stattfinden kann. Und dann wird aber auf keinen Fall der Versuch unternommen, dass beide Gruppen im Grunde das gleiche wollen, und so vielleicht in einer Annäherung eine sinnvolle Kombination beider Herangehensweisen geschaffen werden könnte. Nein, beide Gruppen wehren den Kontakt wehement ab und drängen sich sogar gegenseitig tiefer in ihre Ecken als sie vorher standen.

    ?(
    Also irgendwie hab ich eine andere Diskussion gelesen als du...
    Schon wieder so eine Schwarz-Weiß-Malerei...


    Gerade für den Austausch über Bundeslandgrenzen und Schulformen hinweg ist so ein Forum doch da, um voneinander zu lernen! Sonst müsste man sich hier auch nicht aufhalten, das ist, denke ich, jedem hier klar...

    "Et steht übrijens alles im Buch, wat ich saje. ... Nur nit so schön." - Feuerzangenbowle

  • Ich wusste nicht, ob ich den Beitrag hier oder unter "Inklusion - ich kann es nicht" veröffentlichen sollte. Oder gar als eigenständiges Thema...


    Natürlich ist das eine vergröberte Betrachtung. Ich dachte, diese Übertreibung wäre herauslesbar.
    Allerdings gibt es hier wirklich einige, die zumindest zeitweise in diesen extremen Positionen verharren.

  • Allerdings gibt es hier wirklich einige, die zumindest zeitweise in diesen extremen Positionen verharren.

    Das stimmt.
    Die erreichst du so aber nicht, da sie vermutlich andere Gründe als die von mir benannten für ihr Verbleiben im Forum haben. ;)

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