selektiver Mutismus ?

  • liebe kollegen!
    ich brauche euer wissen und eure erfahrung und gute literaturhinweise.
    ich habe in meiner ersten klasse ein mädchen, das anscheinend (diagnostiziert wurde nichts) unter einer form selektiven mutismus' leidet. sie ist intelligent, hat aber artikulationsprobleme und schweigt. manchmal redet sie allein mit mir, dann aber nur möglichst einfache sätze. in der klasse schafft sie es noch nicht einmal, den namen eines anderen kinds zu nennen, ganz selten mal gibt sie ein-wort-antworten in mathe (das zahlwort, wenn ein ergebnis gefragt ist).
    sie war schon zu einer sprachkur und hat frühförderung bekommen, aber frontale phasen in der schule scheinen der reine stress zu sein für sie. mit zwei kindern spricht sie, aber nur, wenn die anderen das überhaupt nicht mitbekommen, hinter vorgehaltener hand sozusagen.
    ich habe die mutter gebeten, psychologische hilfe zu suchen, damit auch ich hilfe bekomme, wie ich mit dem kind umgehe, aber das wurde erst einmal voll verweigert.


    hat jemand von euch einen literaturtipp, der mir hilft, mich erst einmal ein wenig in das thema und das kind einzudenken - einen überblick über die problematik zu bekommen?

  • Kann dir leider keinen direkten Tipp geben, weil nix offiziell gelernt, kenne aber jemanden, der es hat (kann sich wunderbar schriftlich ausdrücken).
    Dafür bin ich damals über diese Seiten gestolpert, vielleicht helfen die dir weiter? Ach ja, das Problem mit Mutismus war im privaten Bereich (wie selektiv ja schon sagt), dass die Eltern es teilweise gar nicht realisieren, weil das Kind mit ihnen normal spricht.


    http://www.selektiver-mutismus…ufsgruppen:Lehrer%2Finnen
    http://www.mutismus-selbsthilf…eitlinien-fuer-paedagogen

    Quiet brain, or I'll stab you with a Q-Tip!

  • wende dich doch an den Beratungslehrer oder die schulpsychologische Beratungsstelle, falls es so etwas bei euch gibt..
    Die sind kompetent in solchen Dingen und beraten auch DICH, wenn die Eltern sich verweigern...

  • Ich habe ein Kind in meiner Klasse, mittlerweile 13 Jahre alt und schon recht lange selektiv mutistisch. Sie macht gaaaaanz langsam kleine Fortschritte und Geduld ist sicher eines der Zauberworte hier...


    Neulich hat mir eine Freundin folgendes Buch in die Hand gedrückt und ich war beim Lesen echt erstaunt, wie gut all das auf meine Schülerin passte.
    http://www.amazon.de/gp/product/3824805065/ref=pd_lpo_sbs_dp_ss_1/275-9760801-7081011?pf_rd_m=A3JWKAKR8XB7XF&pf_rd_s=lpo-top-stripe&pf_rd_r=0M68ZVWT3Q1376ZTTVD9&pf_rd_t=201&pf_rd_p=330045107&pf_rd_i=3656993440&tag=lf-21 [Anzeige]


    (falls Link nicht erlaubt, bitte entfernen)


    Es ist recht knapp gehalten und behandelt wirklich nur überblicksartig die Thematik, aber für den Anfang ist es ganz gut.
    Für später ist eine indviduelle Notenregelung zu überlegen und im Kollegenkreis zu diskutieren.
    und natürlich logopädische Betreuung, kontinuierlich unter einer erfahrenen Therapeutin sowie enge Absprachen aller kollegen inkl. Therapeutin. Kein Druck, spielerische Anreize, wenns denn geht. Vermitteln, dass man sie trotzdem gern hat, egal was ist. Kommunizieren über Signale/ Handzeichen lernen, falls Sprache gerade nicht geht... später ja/nein, bei mir funktionieren auch Matheergebnisse gut (Einzahlwörter) und stures Vorlesen (halt an den Stärken orientieren)... Auf frontales Sprechen vorbereiten lassen, z.B. ankündigen "ich frage erst Tim, dann Toni und dann dich, xy". Oder als Mini-HA und dann die 2 Sätze ablesen lassen, gerne auch vom Platz aus, ohne die anderen sehen zu müssen. Vorträge zunächst auch in der geschützten Atmosphäre nur mit dem Lehrer. Das soziale Klima in der Klasse und unter den Kollegen muss unbedingt wertschätzend sein!
    Eltern sehen die Problematik oft nicht so, weil die Kinder zu Hause wasserfallartig losreden, um zu kompensieren. Zu Hause sind sie oft auch "Könige" und herrschen über ihre Mitmenschen... da lohnt ein differenzierter Blick, vlt auch mal die Hospitation einer neutralen Person (Logopädin?). Und auch auf die Schriftsprache hat das Ganze Einfluss, auch wenn man das zunächst nicht glaubt... Es ist, ganz furchtbar vereinfacht, die Angst, sich selbst zu offenbaren und Dinge von sich preiszugeben - und im Schriftlichen kann man bei sowas länger drüber nachdenken als beim Mündlichen. Mal beobachten: Schriftstücke von "meiner" Mutistin sind oft relativ belanglos und eher blabla, als dass sie persönliche Meinungen und Gefühle verraten.
    Alles Gute!


    So weit die Kurzfassung...

  • vielen dank euch!
    an die selbsthilfe-seiten werde ich mich mal heranwagen, das buch evtl. bestellen.


    ellah, die idee, das kind darauf vorzubereiten, dass es eine antwort gibt oder einen kurzen satz vorliest, finde ich gut. sie hat eine gute beziehung zu mir und die klasse ist da auch sehr unterstützend und wird sicher nicht lachen und sie eher ermuntern und loben. wenn man daraus eine wochenaufgabe macht, dass sie vorerst zumindest einmal pro woche etwas in der klasse sagt, wäre ja schon ein fortschritt.

  • wende dich doch an den Beratungslehrer oder die schulpsychologische Beratungsstelle, falls es so etwas bei euch gibt..
    Die sind kompetent in solchen Dingen und beraten auch DICH, wenn die Eltern sich verweigern...

    Die Hoffnung würde ich mir nicht machen.


    Du könntest versuchen, mit Verstärkerplänen zu arbeiten. Also die Ideen von Ellah aufgreifen und vorher mit dem Kind absprechen, welche Ziele es sich setzen will- einmal vorlesen gibt einen Stempel, 5 Stempel ein Gummibärchen (also du weißt, was ich meine ;) ).


    Ich würde mir auch nochmal die Mutter einladen und in Ruhe reden. Benenne die Stärken, die das Kind hat, frage die Mutter, wie sie das Kind erlebt, beschreibe die Sorgen, die du dir machst, in welchem Punkt das Verhalten des Mädchens deutlich von dem der anderen abweicht und welche Nachteile daraus für es folgen, frage die Mutter, was sie zu tun gedenkt und schlage erst dann einen Psychologen vor. Vielleicht findest du einen in der Gegend, der dir aus irgendeinem Grund geeignet erscheint (Empfehlung, Forschungsgebiet, Systemischer Ansatz...). Manchmal ist der Schritt zu einer (Familien-) Beratungsstelle auch eher machbar für Eltern, als der Psychologe. Ich würde ihr immer wieder signalisieren, dass du das Kind magst und welche Erfolge es hat und gleichzeitig klar bleiben, dass die Familie ein massives Problem hat und nicht drumrumkommen wird, sich Unterstützung zu suchen.

  • ja, pausenbrot, nachdem ich mich auch in einem mutismus-selbsthilfe-forum umgetan habe: ich werde es so machen, wie du es zusammengefasst hast.
    in ganz kleinen schritten über erfolgserlebnisse (die müssen momentan gar nicth verstärkt werden für das kind, es strahlt über das ganze gesicht, wenn es gesprochen hat) versuche ich, das kind ans sprechen zu bringen.
    in dem anderen forum bekam ich den tipp, mir speziell ausgebildete therapeuten zu suchen. auf http://www.mutismus.de gibt es einen therapeutenfinder. ich werde da erst mal über die logopäden-schiene gehen, das fällt den eltern vielleicht zunächst leichter.


    vielen dank für eure antworten, ihr helft mir damit weiter!

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