Verfolgungswahn - oder geht's euch auch so?

  • Leute, ich bin total verzweifelt. Ich frage mich langsam, ob ich unter Verfolgungswahn leide oder ob das normale Referendariatserscheinungen sind.
    Ich habe den Fehler gemacht, in die Nähe der Schule zu ziehen (würde ich nie mehr machen und auch niemandem raten), das heißt, ich treffe überall Schüler und Eltern, sobald ich aus dem Haus gehe. Ich fühle mich langsam ständig beobachtet.
    Ich kann damit leben, aber für meinen Freund ist das total schwer, wenn ich ihn bitte, am Wochenende bitte nicht die ältesten Klamotten oder eine häßliche Mütze anzuziehen. Neulich sind wir auch in unserem Wohnviertel spazieren gegangen (wir kennen uns nicht so gut hier aus, weil wir erst vor kurzem neu in dieses Viertel gezogen sind) und haben vor riesigen Häuserblöcken gestanden, die einfach grausig aussahen. Mein Freund sich erstmal hingestellt und ein Foto gemacht, weil er gerne fotographiert und sowas noch nie gesehen hatte und sich die Klingelschilder angeschaut. Und mir war das so peinlich (weil überall Leute da rumstanden und ich mir ziemlich sicher bin, dass da auch irgendwo Schüler meiner Schule wohnen) und wir haben uns total gestritten. Mir ist es auch sehr unangenehm, wenn wir uns mal auf der Straße streiten. Es gibt noch tausend andere Beispiele, bei denen mich sein Verhalten auf der Straße stört. Zum Beispiel, wenn er Kinder ausschimpft, die vor unserem Haus Unordnung machen - es sind aber Schüler von mir und ich finde das, was sie da machen, nicht schlimm. Er kommt sich nun eingeschränkt vor und ich habe immer Angst, mich zu blamieren.
    Leide ich unter Verfolgungswahn? Geht es euch ähnlich? Ich finde es so schwer, von der Freiheit der Uni nun in einem Beruf zu sein, wo man irgendwie ständig unter Beobachtung steht. Mich sprechen auch ständig Schüler an und fragen mich, ob ich in der K...-Strasse wohne, weil irgendwelche ihrer Freunde in meiner Nähe wohnen. Wenn ich im Supermarkt bin, rufen Kinder bzw. Jugendliche, die ich noch nie gesehen habe, meinen Namen - das ist schon komisch.
    Ich muß auch zugeben, dass ich vor lauter Arbeit gerade total gestreßt bin und generell sehr sensibel reagiere.
    Wegziehen ist leider auch keine Lösung, da wir grade erst hergezogen sind und Unmengen an Arbeit und Geld in die Wohnung gesteckt haben und ich im Referendariat auch nicht noch einen Umzug ertragen kann.
    Ich habe auch inzwischen ein Problem damit, hier in die Disco zu gehen (ich gehe normalerweise nicht in Jeans und T-shirt in die Disco, sondern schon recht flippig und auffällig (wie ich zu Unizeiten oft rumgelaufen bin) und ich fände es nicht so toll, Schülern so über den Weg zu laufen.
    Kennt ihr das Problem?
    Mich (und vor allem unsere Beziehung) belastet das total.
    Es ist für meinen Freund auch sehr schwer, eine Freundin zu haben, die oft nicht ansprechbar ist und nur sehr wenig Zeit hat. Wie, bitte schön, lösen andere Referendare dieses Problem?
    Auch meine anderen Freunde haben ein Problem damit, dass ich momentan nur noch samstags Zeit habe. Ich glaube, ein paar Leute sind deshalb etwas sauer. Sie melden sich nicht mehr und sagen aber, alles sei in Ordnung, sie hätten nur gerade keine Zeit.
    Ich kenne mich gar nicht so. Ich hatte immer viele Freunde, war ein ziemlich ausgeglichener Mensch und nicht sooo sensibel wie jetzt!
    :(<br>

  • Hallo du,
    ich kenne dein Problem: ich wohne auch am Schulort und würde das nie mehr machen. Allerdings steht das Ende meines Refs im Sommer an, so dass ich die drei Monate jetzt noch "aushalte". Mich kommen auch schon mal Schüler besuchen (die lieben Grundschüler, die ja sooooo neugierig sind). Am Anfang fand ich es auch nervig und unangenehm, ständig Leute zu treffen, die ich kenne bzw. die mich kannten ("Ach sie sind doch die Lehrerin meines Sohnes, meiner Enkelin etc."). Nicht zuletzt ist natürlich das Patenkind meiner Vermieter auch in einer meiner Klasse etc. Ich bin voll eingewebt ins Dorfleben. Inzwischen habe ich mich aber damit abgefunden und finde es auch nicht mehr so schlimm. Klar, du bist gestresst und supersensibel (das wird allerdings in den nächsten Monaten noch schlimmer werden). Ich war da meistens ehrlich und habe den Leuten auch gesagt, was los ist und die meisten verstehen es dann auch, wenn du nicht immer lustig durch den Laden hüpft, weil du eigentlich noch Seminar hast und gleichzeitig zwei Lernzirkel und ein Referat vorzubereiten hast. Vertrau einfach auf dich - außerdem legt sich diese Anfangsphase, in der du versucht, es allen recht zu machen und immer freundlich zu sein: du bist auch nur ein Mensch, wenn auch ein Referendar ;) .
    Zu deinem zweiten Problem bezüglich der Freundschaften. Tja, auch da kann ich dir leider nur sagen, dass die wenige Zeit in den nächsten Monaten dein ständiger Begleiter sein wird und deine Freunde sich damit abfinden werden müssen. Ich habe im Ref genau bemerkt, wer meine "wahren" Freunde sind und welche nur Lust haben sich mit einer lustigen und ausgeruhten Annette zu treffen und die mich gestresstes Nervenbündel nicht so gut leiden konnte. Zum Teil war es schmerzlich, zum Teil hat es mich aber auch weiter gebracht. Schau mal unter dem Thread "Habt ihr Kontakt zu Mitreferendaren?" nach, da diskutieren viele Besucher wild über das Problem der Referendarfreundschaften.
    Leider kann ich dir nichts Freundlicheres sagen, aber irgendwie geht alles rum und du kannst auch wieder mehr in die Disco gehen!<br>

  • Lieber Gast!


    Nicht übelnehmen, aber ich finde es eigentlich immer noch ganz gut, in der Welt meiner Schülerinnen zu leben. Aber vielleicht ist das auch von der Schulform abhängig. Jedenfalls ist es in meinen Augen nur gut, wenn ich auch sozusagen als Alltags-Mensch wahrgenommen werden kann. Wenn mir das wirklich mal zuviel wird, verlasse ich das "Ökosystem", freue mich aber auch jedesmal auf die Rückkehr!


    Und für mich an einem Gymnasium ist es auch gut, dass ältere Schülerinnen mal die Möglichkeit haben vorbeizuschauen. Das ist manchmal einfach ganz nett, manchmal aber auch brennend nötig. Kontrolliert fühle ich mich eigentlich wenig - ich habe auch nicht das Gefühl, mich stark einzuschränken.


    Lehrerinnen, die mal eben für ihren Unterricht einfliegen und dann wieder verschwinden, gibt es häufig - sie wissen dann eben auch wenig vom konkreten Leben ihrer Schülerinnen.


    **hoffend, nicht arrogant geklungen zu haben**


    Ciao,
    Kaspar<br>

  • Hallo Gast,


    so wie es sich anhört, hast Du zur Zeit ne Menge Probleme!


    Meiner Meinung nach, machst Du dir sehr viele Gedanken darüber, wie Du möglichst unauffällig durchs Leben kommst. Hast Du schon irgendwelche negativen Bemerkungen von deiner Schule (Schulleitung oder Ausbildungslehrer) über dein Verhalten oder Aussehen bekommen?? Wenn nicht, dann vertrödele deine Zeit nicht damit.


    Das größte Problem, das ich sehe, ich die Beziehung zu deinem Freund. Wenn Du ihn liebst und er Dich, werdet Ihr es schaffen. Wenn die Liebe nicht groß genug ist, ist es wahrscheinlich, dass Ihr das Refi nicht zusammen beendet werdet. Sprech mit deinem Freund über deine Befürchtungen/Probleme. Versucht gemeinsam Grenzen abzustecken. Macht euch einen Plan, wann dein Freund für Dich dasein muss, aber auch, wann er bei Dir die erste GEige spielt. Mit dem Eintritt in den Schuldienst muss man nicht seine bisherige Identität an den Nagel hängen. Obwohl ich gut verstehen kann, dass man nicht von seinen Schüler/innen in der Disko beobachtet werden möchte.


    Das Problem mit dem Verfolgungswahn ist Typenabhängig. Während des Refis war ich auch an einer Schule in dem Ort (Kleinstadt), in dem ich wohne. Anfangs habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht. Aber später habe ich festgestellt, dass einige Schüler/innen, die ich in der Stadt getroffen habe, damit nicht so gut zurechtkamen. Nach dem Refi habe ich mir bewusst eine Schule in einer anderen Stadt gesucht. Ich musste mir dann zwar ein Auto anschaffen, aber heute genieße ich die räumliche Distanz zur Schule und den Schülern.


    Lass den Kopf nicht so sehr hängen auch wenn es schwer fällt.


    Grüße von der :)
    <br>

  • Liebe Gästin,


    zu dem "am Ort wohnen" Problem kann ich mich nur aus ehemaliger Schüler-Sicht äussern - ich hatte damals kein Problem damit, dass meine Biolehrerin bei uns im Dorf wohnte. Dann hab ich sie allerdings wohl einmal übersehen und beim Einkaufen nicht gegrüßt (sie ging mir schon damals nur bis zum Ellbogen, und so weit unten guck ich manchmal nicht...), was sie meiner Mutter auf dem Elternabend brühwarm erzählt hat und seitdem war ich bei ihr unten durch. Ganz ehrlich: Es war ihr Problem, nicht meins. Ich denke, Schüler müssen innerhalb und ausserhalb der Schule mit sehr vielen Merkwürdigkeiten ihrer Lehrer klar kommen, und tun es auch. Deshalb würde ich da nicht so in Panik verfallen. Wie Sonne sagte - erst aufregen, wenn die Beschwerden da sind, nicht vorher.


    Was den Ausstieg aus dem Studentenleben angeht - kann es sein, dass ein Großteil deiner Freunde noch studiert? Gib ihnen bis nach dem Examen, dann erledigt sich das von selbst - in dem Moment, in dem sie auch 10 Stunden am Tag arbeiten, fällt die Liebesentzug-Beschwerde nicht mehr ganz so leicht. Das hat nichts mit dem Ref zu tun - in meinem ersten Job nach der Uni war ich jeden Abend so tot, dass ich um 9 ins Bett gekippt bin und auch am Wochenende kaum zu irgendwas zu kriegen war. Das legt sich. Aber am Anfang geht es allen nach der Uni so, also nichts, was du dir auf die Fahnen schreiben musst.


    Deine Beziehung ist ein ganz anderes Thema, wobei ich mich frage, wie weit auch hier der grundlegende Übergang vom Studenten- zum Berufsleben eine Rolle spielt. Kann Sonne nur zustimmen - setz dich mit deinem Freund an den Verhandlungstisch. Mach ihm klar, in welchen Beziehungskreisen du jetzt stehst, und dann müsst ihr Lösungen aushandeln. Bei uns war zunächst das Problem, dass ich zumindest im Moment den Kopf so voll mit Unterrichten habe, dass mir anderes gar nicht mehr auffällt. Lösung: Während der Schulzeit übernimmt mein Liebster die meisten partnerschaftlichen Aufgaben und kocht auch die ganze Woche essen, wenn's sein muss, in den Ferien (immerhin 12 Wochen) darf er dann weitgehend den Pascha spielen. Läuft ganz gut.


    Däumchendrückend,
    wolkenstein<br>

    Frölich zärtlich lieplich und klärlich lustlich stille leysejn senffter süsser keuscher sainer weysewach du minnikliches schönes weib

  • Ich bin noch Schülerin (strebe aber Lehramt Gym in SH an :rolleyes: ) und wohne in einem 2000-Seelen-Dorf. Im Umkreis von 50 Metern wohnen 3 Lehrer meiner Schule, im Umkreis von ca. 200 m sind es schon 5 und weitet man das auf 1 km aus, umgeben mich 8 Lehrer..
    Es ist schon recht seltsam, wenn man selbige beim Joggen (in hautenger Hose) oder nur Spazieren gehen antrifft.. Man grüßt sich natürlich, aber ein "normales" freundlich-distanziertes Verhältnis wie zu anderen Nachbarn kommt dennoch nicht auf, da man sich der "Machtverhältnisse" ja doch bewusst ist...
    <br>

  • Hallo Gast,


    ich kann dir keine guten Ratschläge zu deiner Situation geben, da ich denke, dass das jeder für sich selbst entscheiden muss. Bei mir ist es so dass ich auch in der Nähe der Stadt, in der ich unterrichte, auch wohne. Ich habe keinen Verfolgungswahn, nur nachdem mich ein Schüler grinsend in der Unterwäschenabteilung grüsst, habe ich mir doch meine Gedanken gemacht...


    Zu dem Problem mit deinem Freund kann ich mich meinen Vorschreibern nur anschließen. Auch wir hatten Probleme, weil ich nur noch mich und mein Ref und den ganzen Stress gesehen hat- so was kann einen Partner erdrücken. Uns hat geholfen drüber zu reden. Außerdem teile ich ihm nicht mehr ALLES mit und lade meine Sorgen bei Mitrefis und wirklich guten Freunden ab, die das häppchenweise gut aushalten. In Zeiten wo ich Luft habe, verwöhne ich ihn auch, das tut ihm und der Beziehung gut. Was den Haushalt betrifft, haben wir auch klare Absprachen, so kocht er z.B. immer.
    Freunde, die nur dein Friede-Freude-Eierkuchen-Gesicht wollen und nicht verstehen, dass du wenig Zeit hast, sind keine Freunde.


    Halt die Ohren steif
    Gruß Cleo<br>

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