Konstruktivismus und Fremdsprachenunterricht

  • Ich exerpiere gerade als Vorbereitung für das Kolloqium. Ein Thema ist auch Konstruktivismus. Im Seminar ist mal die Frage angeklungen, inwieweit sich Konstruktivismus und Fremdsprachenunterricht vereinen lassen, da die Schüler sich die Regeln ja nicht selber konstruieren können. Nun kriege ich das für mich aber nicht so richtig "auf die Reihe" ... wie seht ihr das, inwieweit lässt sich der Konstruktivismus mit dem FU vereinbaren?

  • Zitat

    Aktenklammer schrieb am 23.07.2005 12:47:
    Im Seminar ist mal die Frage angeklungen, inwieweit sich Konstruktivismus und Fremdsprachenunterricht vereinen lassen, da die Schüler sich die Regeln ja nicht selber konstruieren können.


    Moderne Fremdsprachen-Schulbücher - ich kenne mich da aber nur im Französisch-Bereich besser aus - haben eine konstruktivistische Sichtweise inkorporiert; die SuS sollen Grammatikregeln induktiv erschließen (das ist ja auch eine Form der Konstruktion); natürlich wird die Konstruktion der Schüler später mit der Schulgrammatik kurzgeschlossen, aber der Akt des Selbererschließens steht im Vordergrund.


    Literaturtipp (einige Beiträgen sind vielleicht für das Kolloquium interessant):


    Hans-Ludwig Krechel u. a. (Hrsg.): Kognition und neue Praxis im Französischunterricht, Tübingen: Narr 1999.


    UB Bonn ;) : 99/10258

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Aktenklammer schrieb am 23.07.2005 12:47:
    Ich exerpiere gerade als Vorbereitung für das Kolloqium. Ein Thema ist auch Konstruktivismus. Im Seminar ist mal die Frage angeklungen, inwieweit sich Konstruktivismus und Fremdsprachenunterricht vereinen lassen, da die Schüler sich die Regeln ja nicht selber konstruieren können. Nun kriege ich das für mich aber nicht so richtig "auf die Reihe" ... wie seht ihr das, inwieweit lässt sich der Konstruktivismus mit dem FU vereinbaren?


    Gehst Du hier nicht von einem falschen Verständnis von Konstruktivismus aus bzw. legst es zu eng aus?


    Konstruktivismus meint doch, dass Wissen konstruiert wird - und der Grammatikunterricht im FU läuft mitunter ja auch so, dass die Schüler eine neue grammatische Struktur kennenlernen, deren Regel sie im Verlauf der Stunde konstruieren müssen. Natürlich können die Schüler das - vor allem auf der beschreibenden Ebene.
    Viele Englischlehrwerke (English G 2000 z.B.) bauen darauf, dass die Schüler eine neue Struktur aus einem Text heraussuchen sollen und dann deren Funktion bzw. deren Regel (re)-konstruieren sollen.
    Dadurch reflektieren die Schüler die Sprache selbständig und konstruieren mit den von ihnen selbst formulierten Regeln ihr Wissen über die entsprechende grammatische Struktur.


    Zur weiteren Lektüre empfehle ich Timm "Englisch lernen und lehren" sowie beispielsweise W. Peterßen "Lehrbuch Allgemeine Didaktik", aber auch Rüschoff/Wolff "Fremdsprachenlernen in der Wissensgesellschaft".


    Gruß
    Bolzbold

  • Natürlich können Grammatikregeln konstruiert werden. Wie sollten Kinder sonst ihre Sprache lernen? Oder siehst du viele 2-3 jährige Kinder mit einem Grammatikhandbuch rumlaufen?


    ;)


    Gruß,
    Remus

    Die Wälder wären sehr still, wenn nur die begabtesten Vögel sängen - HEnRy vAn dyKe

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  • Meine Formulierung bzgl. der Konstruierung von Grammatikregeln war mehr oder weniger die nicht als solche markierte Wiederholung der Frage aus der Kolloquiumssimulation.


    Kinder konstruieren sich ihre Grammatikregeln auch, aber z.T. haben sie ja eine Zeit lang manchmal eigene Regeln, die man akzeptiert, weil sie noch Kinder sind. Bei einem Kind kann man für eine gewisse Zeit damit leben, wenn es sagt "xx Haus baut", aber im FU haben wir es spätestens in Klassenarbeiten auch mit Normen zu tun, anhand derer ich die Konstrukte bewerten muss.


    Prinzipiell habe ich den Konstruktivismus denke ich schon verstanden, ich frage mich nur, was ich auf eine solche Frage konkret anworte.

  • Zitat

    Aktenklammer schrieb am 23.07.2005 16:32:
    Bei einem Kind kann man für eine gewisse Zeit damit leben, wenn es sagt "xx Haus baut", aber im FU haben wir es spätestens in Klassenarbeiten auch mit Normen zu tun, anhand derer ich die Konstrukte bewerten muss.


    Konstruktivismus heisst ja, zumindest im unterrichtlichen Lernprozess, nicht: 'Jeder baut sich irgendwas zusammen.'
    Sondern: Man beobachtet Phänomene, erkennt Regelmäßigkeiten (Akkumulation [von Wissen]) und verbindet sie mit dem, was man schon vorher weiß (Assimilation). Dabei wird das zuvor Bekannte häufig modifiziert, weil man etwas Neues lernt (Äquilibrationsprozess).


    Das Kind merkt dann nämlich z. B., dass Papa nicht "xx Haus baut" sagt sondern "xx baut das Haus." und passt sich dran an. Und ähnlich laufen auch Prozesse im FU ab.

  • Stelle ich mich jetzt doof an, wenn ich sage, dass aber trotzdem ein Unterschied zwischen der Bedeutung des K. z.B. im Deutsch- und im Fremdsprachenunterricht ist. Im Deutschunterricht kann ich eine Geschichte lesen und dann kann sich jeder Leser aufgrund seiner individuellen Erfahrungen, seines persönlichen Zugangs und eben seiner Konstruktion dieser Geschichte annähern und sich den Zugang konstruieren. Im FU gibt es feste Regeln, sodass der Konstruktionsweg zur Erlangung der Regeln individuell gestaltet werden kann (und muss), aber der Endpunkt, die Beherrschung von z.T. strikten Regeln ist vorgegeben, am Ende ist das Konstruktionsergebnis - die Regel - am besten bei allen gleich?

  • Wichtig ist ja der individuelle Weg der Konstruktion, das Ergebnis (Beherrschung von Regeln) ist dann, wie du richtig sagst, idealerweise bei allen ähnlich. (Aber auch beim Deutschunterricht geht's ja nicht darum, dass irgendetwas Individuelles konstruiert wird, auch das steht ja letztlich im Dienste des Verständnisses.)


    In der Schule geht's ja v.a. darum: dass verschiedenste Personen auf verschiedenen Wegen zu ähnlichen Ergebnissen gelangen.

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Aktenklammer schrieb am 23.07.2005 17:08:
    Stelle ich mich jetzt doof an, wenn ich sage, dass aber trotzdem ein Unterschied zwischen der Bedeutung des K. z.B. im Deutsch- und im Fremdsprachenunterricht ist. Im Deutschunterricht kann ich eine Geschichte lesen und dann kann sich jeder Leser aufgrund seiner individuellen Erfahrungen, seines persönlichen Zugangs und eben seiner Konstruktion dieser Geschichte annähern und sich den Zugang konstruieren. Im FU gibt es feste Regeln, sodass der Konstruktionsweg zur Erlangung der Regeln individuell gestaltet werden kann (und muss), aber der Endpunkt, die Beherrschung von z.T. strikten Regeln ist vorgegeben, am Ende ist das Konstruktionsergebnis - die Regel - am besten bei allen gleich?


    Der FU dient aber nicht ausschießlich dem Erlernen von Regeln. Genausowenig macht sich das Maß der fremdsprachlichen Kompetenz an dem Wissen und Anwenden von bloßen Regeln fest. Das Konstruktionsergebis kann einerseits das Beherrschen der Regel sein, muss es aber nicht. Wenn Du beispielsweise Wortschatzarbeit machst, dann geht es um Wortgruppen, Semantik etc. Das entzieht sich zum Teil einer Regelbildung.
    Lassen wir mal die Grammatik weg und kehren zum Kern des Konstruktivismus zurück.


    Jedes Individuum konstruiert sich sein Wissen selber. In der Schule also jeder Schüler für sich. Diese Wissenskonstrukte werden beständig mit denen des jeweiligen Gegenübers abgeglichen und gegebenenfalls vernetzt (Gruppenarbeit wäre eine Situation, in der das stattfindet).

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