Ich finde es bringt sehr viel erstmal in schwächere und stärkere Schüler zu sortieren. Halte übrigens gar nicht viel davon erst die Schwächeren zu korrigieren aus folgenden Gründen, denn das hatte ich auch mal eine Zeit probiert.
Liest man erstmal die Schwachen, dann neigt man leicht dazu zu sagen "Ach ja, naja, eigentlich hat er es ja grob richtig beschrieben. Im Unterricht habe ich es zwar viel genauer gemacht, man versteht ja aber was er meint, auch, wenn es sehr rudimentär dargestellt ist." Ihm fehlen aber die Fachworte und eine exakte Beschreibung und er bekommt aber aufgrund der von mir beschriebenen Denkweise unverhältnismäßig viele Punkte, weil man einen ein paar Klausuren las, die alle so schwach sind. Kurzum: Man schraubt seine Ansprüche herunter und legt seinen Bewertungshorizont sehr lasch aus. Ich zweifelte dann immer, ob ich im Unterricht vielleicht nicht ausführlich auf die Phänomene eingegangen bin, Fachsprache eingefordert habe oder penibel genug bei der Anwendung chemischer Symbolik war.
Auch denkt man bei manchen Aufgabenbereich III Aufgaben "Okay, also die exakt richtige Lösung zu bringen ist anscheinend sehr schwer gewesen, die Aufgabe scheint etwas überzogen gewesen zu sein" und bewertet Ansätze zur Lösung überproportional gut.
Habe ich aber erstmal die guten SuS gelesen, dann weiß ich, was der Standard ist. Wenn ich dann lese, dass diese SuS die von mir vermittelte Fachsprache und Exaktheit mustergültig an den Tag legen, dann fällt es mir viel leichter dies auch in der Korrektur einzufordern. Ich weiß dann:"Ja, in meinem Unterricht habe ich das so vermittelt, diese Fachwörter verwendet (und im Heft ja auch sichern lassen), auf ausführliche Erklärungen wert gelegt usw.".
Daraufhin ziehe ich dann bei schwachen oder mittleren Klausuren doch deutlich mehr ab für fehlende Fachsprache, Ungenauigkeiten usw., als würde ich erstmal einen Berg von nur schwachen Arbeiten beackern.
Und der hohe Anspruch ist auch eigentlich das, was ich möchte: Die Fachsprache sollte eingehalten werden und SuS sollen lernen exakt zu arbeiten und zu formulieren.
Selten hatte ich es, dass auch die sonst wirklich guten SuS bei einer Aufgabe oder gar mehreren Aufgaben (und zwar alle guten SuS) enorme Schwierigkeiten hatten. Das nehme ich dann auf meine Kappe und senke die dort erwarteten Punkte ab und wenn das doch jemand bringt (z.B. auch von schwachen), kriegen die Bonuspunkte. Auch bin ich dann gerne bereit die Erwartungen herunterzuschrauben und Ansätze zu Lösung besser zu bewerten, als wenn viele die Aufgabe gut lösen konnten.
Aber solang die guten SuS das alles so bringen wie ich das gern hätte, setze ich das auch als erreichbaren Standard und fordere dann diesen auch bei der Bewertung ein und stufe von dieser Leistung aus ab nach unten.
Dadurch stehen die schwächeren vermutlich schwächer da, als bei der Bolzbold Methode. Allerdings, so behaupte ich, liegt das Niveau dann auch etwas höher, weil man weniger durchgehen lässt.
Schüler neigen leicht dazu zu sagen:"Ach, ich hab doch (fast) volle Punkte, passt doch!" Und dann sind sie zufrieden und selbstgefällig mit ihrer Leistung! Da ist mir lieber sie kommen an und fragen:"Was, wieso fehlen mir denn so viele Punkte?" Und dann kann ich erklären, welche Fachausdrücke fehlen, was mir zu ungenau ist und so weiter. Gerade sehr ehrgeizige Schüler möchten wissen, wie sie noch besser sein können. Die kann man dadurch auf ein erstaunliches Niveau bringen, ich habe einen Kurs mit echt ein paar Granaten, die sind mittlerweile so gut geworden. Dann bin ich auch gerne bereit vielen Noten im 1er Bereich zu geben, ich ziehe dann das Niveau nicht nachträglich noch mal an.
Ich stellte bei dem Schema "Schwache zuerst" übrigens auch fest, dass meine Punktevergabe weniger differenziert wurde. Denn wenn die Schwachen für mäßige Ansätze schon überproportional großzügig Punkte bekamen, dann haben an sich richtige Lösungen, die aber fachsprachlich nicht wirklich gut waren oder hier und da kleine Makel enthalten, volle oder fast volle Punkte.
Kommt man dann zu den richtig guten Klausuren, dann gab es nur noch den Einheitsbrei von guten Punkten, weil deren Lösungen alle deutlich besser sind als bei den Schwachen, die ja nun irgendwie der betrachtete Standarad sind, und selbst mittelgute Lösungen schon (fast) volle Punkte brachten. Korrigiere ich zuerst die Starken und beginne dort bereits kritischer zu werten, dann habe bilde ich das Spektrum von mustergültiger, fachsprachlich exakter und ausführlicher Lösung bis zu bullshit auch auf der Punkteskala der Aufgabe realistischer ab.