Beiträge von Ratatouille

    Du kannst dir das offensichtlich nicht vorstellen, Gymshark, aber tatsächlich habe ich das in der Grundschulzeit meiner Kinder genau so erlebt, wie Palim es beschreibt. Meist wirklich liebevolle Eltern, die das Beste wollten. Hähnchenbein mit Mayo als Pausenbrot, damit das (bereits übergewichtige) Kind Kraft zum Lernen hat, Mütter, die viel Zeit mit dem Kind verbringen, halt beim Shoppen wie daheim in Italien, Schaukeln, Schwimmen oder Radfahren lernt man da eben nicht. Ein Vater ist jeden Tag gekommen, seinen Sohn abzuholen, nur war es manchmal halb elf, ein andres Mal halb zwei, nämlich wenn es bedeckt war. Da wusste er nicht, wie spät es ist, weil er den Sonnenstand nicht sehen konnte. Die Eltern waren auch nicht alle arm oder ungebildet. Wer aus Russland kommt, rechnet z.B. nicht damit, sich viel um die Schule kümmern zu müssen, weil man da als Eltern nichts mit zu tun hat. Eltern nehmen natürlich an, dass es so sein wird, wie sie es kennen. Dazu kommen Scham, Zurückweisungsgefühle, Kränkungen. Als deutsche Lehrkraft migrantischen Eltern etwas zu raten, ist ganz, ganz heikel, schon weil wir massiv die Kommunikationsregeln verletzen, die sie gelernt haben und für selbstverständlich halten. Es ist nicht so einfach und es geht nicht schnell. Erst muss Vertrauen aufgebaut werden, am besten durch Brückenbauer, die selbst auch andere Kulturen und die Probleme und Gefühle von Eingewanderten kennen. Wir brauchen viel mehr Hilfe in den Stadtvierteln, viel mehr Zeit, Räume, Strukturen und lassen es halt seit vielen Jahren mehr oder weniger einfach laufen.

    Wenn Elternteile sich nicht kümmern wollen und ihr Umgangsrecht (das halt irgendwo auch eine Pflicht ist) nicht wahrnehmen, kann gerichtlich dagegen vorgegangen werden und es können zumindest mal Ordnungsgelder verhangen werden.

    Da irrst du dich. Seit der Familienrechtsreform von 2008 widerspricht es regelhaft dem Kindeswohl, den (meist) Vater zum Umgang zu veranlassen, wenn er das nicht möchte. Das Recht dazu hat er aber, auch wenn er in der Vergangenheit gewalttätig war.

    Es läuft soweit ganz gut mit den SuS und es ist auch definitiv das, was ich später gerne machen möchte.

    Das wird mir später im Referendariat auf die Füße fallen

    Jetzt bist du im Grunde noch eine Jugendliche, im Ref. wirst du eine erwachsene Frau sein. In deinen Vertretungsstellen wirst du zudem viel lernen. Und grade läuft es doch gut. Mach dir keine Sorgen, alles ist fein.

    Zusätzlich zu vielen Punkten, die ich auch kenne (und die jemand, der der Minderheit angehört, die Karriere machen konnte, vielleicht nicht (alle) kennt), gibt es zwei für mich bedeutende Aspekte, die noch nicht zur Sprache gekommen sind.

    Zum einen ist das das unsägliche Hin und Her unausgegorener Ad-hoc-Reformen, die enorm Kraft und Lebenszeit gekostet und bei vielen Lehrkräften ein Gefühl von Sinnlosigkeit, Vergeblichkeit und Fremdbestimmung erzeugt haben. Das war manchmal unglaublich absurd. Ich sollte zum Beispiel mehrmals schuleigene Arbeitspläne zu Lehrplänen schreiben, die es noch gar nicht gab, sondern nur ein grobes Konzept auf einem Din A4-Blatt, sie währenddessen mit allen Gremien absprechen und gleichzeitig bereits umsetzen.

    Zum anderen hat die je nach Willigkeit des Schulleiters deutlich oder heftig in den Schulbetrieb durchschlagende Einflussnahme der Wirtschaft in den vergangenen 20 Jahren mich zurückhaltender gemacht. Ich habe an verschiedenen Schulen immer und immer wieder erlebt, wie gewachsene Schulprojekte zugunsten von Projekten außerschulischer "Partner" abgeräumt wurden und ständig neue von außen lancierte Projekte ohne frühzeitige Information und ohne ausreichende Diskussion installiert wurden, immer wieder auch mit manipulativer Kommunikation und unter Missachtung von Mitsprache- und Gestaltungsrechten. Oft wurde die Gesamtkonferenz einfach umgangen und nur knapp informiert. Typisch sind auch vorgeschobene hehre Ziele wie Bildungsgerechtigkeit, Begabtenförderung, Umweltschutz, Demokratieerziehung etc., wer hinschaut, nimmt aber wahr, dass es im Kern eher um HR geht oder um Marketing oder um Datensammelgelüste.

    Wer nicht zu allem Ja und Amen sagt, ist kein verlorenes Schaf, sondern vielleicht einfach kein Schaf. Es gibt viele gute und engagierte Lehrkräfte, die eben die Dinge tun, die sie richtig und wichtig finden, die ihre Arbeit mit viel Freude machen, die anderen das Rattenrennen überlassen, die den Jüngeren ihre naive Begeisterung gönnen und soweit verantwortbar einfach die Klappe halten, die manches ausgleichen ohne was zu sagen, was andere verbockt haben usw. Diese Kollegen sind das Salz der Erde und halten den Laden zusammen. Lob oder besondere Wertschätzung sind nicht das Motiv. Trotzdem ist die Leitung gut beraten zu wissen, was sie an diesen Kollegen hat.

    Interessant. Da die meisten Lehrer ihren Jahresurlaub realistisch betrachtet nur in den Sommerferien nehmen können, kann die Pflicht, Rehamaßnahmen in den Sommerferien durchzuführen, für angestellte Lehrer schonmmal nicht rechtens sein, unbezahlter Sonderurlaub für eine medizinisch notwendige Rehamaßnahme schon gar nicht (§ 9 Entgeltfortzahlungsgesetz). Für verbeamtete Lehrer vermutlich auch nicht.

    Laut § 10 Bundesurlaubsgesetz dürfen Maßnahmen der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation nicht auf den Urlaub angerechnet werden. Der Urlaubsanspruch bleibt bestehen, und der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Arbeitnehmer für die Zeit der Reha freizustellen. Eine Anrechnung auf den Erholungsurlaub wäre unzulässig. Nach der Reha steht es Arbeitnehmern sogar zu, direkt anschließend regulären Erholungsurlaub zu nehmen, um die Genesung zu unterstützen. Der Arbeitgeber darf dies nur ablehnen, falls dringende betriebliche Gründe dagegensprechen.

    Du hast deinen Tinnitus ja schon lange und hast bestimmt schon alles versucht. Trotzdem, weil man das selten liest: Ich hatte auch mal mehrere Jahre immer wieder einen leisen, angenehmen Pfeifton in einem Ohr, der mich aber trotzdem beim Einschlafen gestört hat. Ich hatte ihn immer in stressigen Phasen und zwar, weil ich dann dazu neige, den Kopf auf das Kopfkissen zu drücken und die Zähne etwas zu fest zusammenzupressen, wodurch sich Verspannungen im Nacken und Kiefer ergeben und verstärken. Als ich das verstanden hatte, konnte ich ihn wegpäppeln.

    Wir lösen die Verstimmungen auch gar nicht unbedingt aus. Ich habe mal in einem Sozialprojekt mit arbeitslosen jungen Menschen gearbeitet. Einmal kam mir einer im engen Gang unserer Barracke mit der randvollen Kanne aus der Kaffeemaschine entgegen. Ich sagte sowas wie "Super, du hast schon Kaffee gemacht", er riss die Arme hoch, wir kämpften und mit Glück konnte ich erreichen, dass der brühheiße Kaffee an den Wänden landete und nicht auf meinem Kopf. Ein Messer will ich mir in der Situation lieber nicht vorstellen. Es stellte sich heraus, dass er am Abend zuvor seine Stütze abheben wollte, auf die er seit Tagen schmerzlich gewartet hatte, sie aber mal wieder zu spät angewiesen worden war. Er ist in der Post ausgerastet, wurde von der Polizei abgeführt und hatte die Nacht in der Psychiatrie verbracht. Ich war einfach die erste von uns, die ihn an diesem Morgen angesprochen hat. Die Jugendlichen waren gerne in dem Projekt, im Alltag waren sie umgänglich, solidarisch und empatisch. Aber natürlich hatten sie alle möglichen Probleme, dieselben, die sie auch schon hatten, als sie noch zur Schule gingen.

    Und die allermeisten sprechen deutsch.

    Du bist an einer Schule mit vielen Migranten. Aber die Grundschullehrer sehen, was kommt. Beispiel Ludwigshafen: Die Gräfenauschule kennt ihr ja. Selbst nach den sehr eingeschränkten Kriterien der KMK gibt es aber mindestens eine weitere Grundschule mit einem Migrantenanteil von über 90% in dieser Stadt, die nur eine unter vielen ist, nur zufällig bekannt geworden ist. Wenn man nach der gängigen Definition (Einwanderer und deren hier geborene Kinder) geht, kann man den Anteil unter den Sechsjährigen, die dieses Jahr eingeschult werden, in Ludwigshafen auf ca. 80% hochrechnen (ohne 2., 3. oder 4. Generation). Deutsch sprechen mit diesen Kindern nur ihre Lehrer:innen, sonst niemand. Im Kindergarten waren sie selten. Ernsthafte Maßnahmen wurden vom Bildungsministerium seit 30 Jahren abgelehnt, erst jetzt gibt es bisschen was aus dem Startchancenprogramm. To little to late! Dass sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren in den westdeutschen Großstädten die Zukunft an der Bildungsfrage entscheidet, erkennen nur die Kollegen, die vor Ort versuchen zu retten, was zu retten ist.

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

Werbung