Ich habe als Schüler in Sport damals auch lauter 5er kassiert. Trotz spastischer Lähmung waren meine Eltern der Meinung, daß ich dort mitmachen und entsprechend die schlechten Noten ertragen müsse, so als Schule für das spätere Leben, in dem einem auch nichts geschenkt wird. Und ja, außerhalb des schulischen und behördlichen Umfelds hatten sie Recht. Entsprechend habe ich auch meine Schüler auf das spätere Leben mit all seinen Härten vorzubereiten.
Es war klar, dass du mal wieder diese Story als Rechtfertigung für deine eigene Empathielosigkeit anbringen würdest. Nur lässt Empathielosigkeit sich nicht dadurch schönreden, dass man da schließlich selbst hätte durch müssen und es einen nur härter gemacht hätte.
Jeder behinderte Mensch muss auch ohne derartige Unmenschlichkeiten in der Schule durch unzählige grausame, empathielose, behindertenfeindliche Momente im Leben durch, weil es Kinder gibt, wie deinen Neffen, die sie um Nachteilsausgleiche beneiden, andere (oder dieselben?) Kinder, die sie wegen ihrer Behinderung aufziehen, beleidigen, mobben, weil es Erwachsene gibt, die sie qua Behinderung bewerten, ohne sich den Menschen weiter anzusehen,... Es gibt also genügend Arschlöcher mit Vorurteilen in der Welt, keine Bange, so dass nicht ausgerechnet der Lehrer mit der eigenen Behinderungserfahrung dass noch versuchen muss zu toppen durch Intoleranz, Empathielosigkeit und behindertenfeindliche Haltungen/ Ausdrucksweisen.
Ich verstehe vor dem Hintergrund deiner eigenen Geschichte zwar besser, warum du das Bedürfnis verspürst Neiddebatten rund um Nachteilsausgleiche zu führen in der Familie und unhinterfragt hier darzustellen, es würde dich aber zu einem besseren Lehrer machen, wenn du an dieser Stelle bewusst reflektieren würdest, wie massiv deine eigenen Erfahrungen dich verhärten im Umgang mit SuS, die ebenfalls behindert sind.
Schulen sollten möglichst sichere Lernorte sein für SuS, Orte an denen wir einen Beitrag dazu leisten als Lehrkräfte, dass die Gesellschaft ein ebenso sicherer Ort sein kann, weil bestimmte Spielregeln im zwischenmenschlichen Umgang eben nicht fakultativ sind je nach eigener Machtbefugnisse, keine Orte, an denen wir jede menschliche Grausamkeit als angebliche Vorbereitung auf das wahre Leben zu toppen suchen. Oder züchtigst du deine SuS auch physisch, weil das für (zu) viele Teil ihrer Lebensrealität als Kinder und Erwachsene ist? Demütigst du dicke Kinder, um sie abzuhärten? Müssen SuS aus der Unterschicht/aus bestimmten Milieus sich prinzipiell bei allem (Pausenverkauf, Mensa, Termin bei der Schuldozialarbeit,...) ganz hinten anstellen, damit sie gleich lernen, dass es an vielen Stellen in der Gesellschaft eben nicht einfach um Leistung geht, sondern sie qua Herkunftsmilieu beurteilt und abgeurteilt werden (Stichwort Habitus)?
Ich bereite meine SuS nicht darauf vor diese Welt einfach so hinzunehmen wie sie ist, mit all ihren Mängeln im z. B. zwischenmenschlichen Umgang. Ich bringe meinen SuS bei, dass es bestimmte unveränderliche Grundwerte gibt in unserer Gesellschaft, die Menschenrechte und versuche sie dann darin zu bestärken ihren Beitrag dazu zu leisten, diese Werte nicht nur selbst mit Leben zu füllen, sondern sich auch gewaltfrei zur Wehr zu setzen, wenn diese Rechte beschnitten werden. Anders als du habe ich nämlich nicht resigniert und die Aggressionen und den Machtmissbrauch, die ich schon erlitten habe so weit internalisiert, dass ich diese unhinterfragt selbst praktiziere. Mich motiviert das, was ich erlitten habe tagtäglich dazu, eine bessere Lehrerin zu werden und meine SuS darin zu bestärken eigene Gestaltungmöglichkeiten konstruktiv wahrzunehmen, statt erlittenes Unrecht unreflektiert zu wiederholen. Ich möchte meine SuS innerlich stärken und mit entsprechendem Wissen und Rüstzeug ausstatten, um sich gegenüber Menschen wie dir gewaltfrei zur Wehr setzen und für ihr Recht auf z. B. einen diskriminierungsfreien Unterricht einzusetzen. Ich will sie nicht brechen. Genau das nimmst du aber in Kauf, denn nein, Kinder und Jugendliche werden nicht einfach "härter" wenn man ihnen empathielos begegnet. Manche verrohen emotional, so wie du offenbar, andere zerbrechen an dir, weil es die eine Unmenschlichkeit zu viel ist, die sie nicht mehr ertragen können.
Wenn du deine SuS stärken willst gegenüber den Grausamkeiten der Welt, dann sei nicht selbst grausam. Das kennen alle deine SuS schon zur Genüge. Sei mitfühlend, menschlich und bring ihnen konstruktive Wege ein, mit Unrecht umzugehen und sich dagegen zur Wehr zu setzen, statt dieses überall einfach hinnehmen zu müssen, wo jemand Macht über sie hat so wie du.