Ich bin nicht lange genug im Schulsystem, um mir anmaßen zu können, einen Trend zu erkennen. Ich glaube aber zum Beispiel, dass 1) viele "Studiengänge" (sorry für die Anführungszeichen) heute als Studium gelten, die vorher eine Ausbildung waren: die dualen Studiengänge sind sehr wertvoll, keine Frage (ich bin neidisch, der perfekte Mix von Ausbildung und Heranführung an die Hochschule), 2) ich gehe davon aus, dass viele das Studium abbrechen (bitte bitte).
1) Von meiner Beobachtung sind es genau die Schüler*innen, denen ich es auch empfehlen würde. Die entweder gute Lerner*innen, fleissige Bienchen mit Ehrgeiz, aber noch fehlt es an Selbstständigkeit und eigener Motivation für ein Studium.
Oder auch mittelgute Schüler*innen, die eben von einer guter Betreuung profitieren werden. Und ehrlicherweise: nach 3 Jahren mit einem reinen Uni-Bachelor hätten diese SuS nichts in der Tasche.
2) Ich frage jedes Jahr nach den mündlichen Prüfungen oder bei der Abientlassung, was die SuS nun machen. Pauschalisierte anekdotische Evidenz von diesem Jahr (ich hatte sehr viele SuS im Jahrgang)
- Viele guten bis sehr guten Mädels dieses Jahr machen AuPair oder FSJ. Das stand zum Teil schon fest seit Januar (inklusive Bewerbungen und Stelle).
- Allgemein gute bis sehr gute Schüler*innen planen ein Studium, die allermeisten wissen aber wirklich gar nicht, was sie wollen (gleichzeitige Bewerbung für Zahnmedizin, Jura und Psychologie...)
- Durchschnittliche bis (sehr) gute Schüler*innen haben ihren Ausbildungsplatz sicher.
- tja, und der Rest ... hat noch gar nichts... "ich will was mit Tieren machen, aber Tiermedizin will ich nicht studieren, (sehr gute Entscheidung, schaffst du nie) aber der Probetag für das FSJ auf dem Bauernhof war mir zu anstrengend, ich habe abgesagt"), "ich weiß nicht, ich muss noch Bewerbungen abschicken, ich will Versicherungskauffrau werden" (grandiose Idee, Ende Juni für Anfang August, zumal mit durchgehenden Defiziten in Mathe...), und die allerhäufigste Antwort "ich weiß noch nicht, ich glaube, ich werde Sport / Deutsch / Päda / Englisch auf Lehramt studieren". Natürlich alle auf Gym, natürlich die allerallermeisten noch ohne irgendeine Idee für das zweite Fach...
-> Bei der letzten Gruppe hoffe ich inständig, dass sie schnell merken, was sie nachholen müssen oder eben ihre (ggf. andere) Berufung finden. Also ja, ich habe 2 Jahre lang in meinen Kursen eine Lanze für FSJ, Ausland und so gesprochen, aber: gefruchtet hat es nicht, weil: das organisiert man nunmal nicht Ende Juni...
PS: ich hatte dieses Jahr unter meinen Abiturient*innen einen Schüler einer asiatischen Familie (Eltern zugewandert). Er kam von der Realschule, will einen Beruf ergreifen, für den man eine Ausbildung braucht und wo er soooo gut geeignet wäre (und der nebenbei gesagt, einer der Jobs mit garantierter Anstellung ist, mir fallen spontan mindestens aktuell 4 offene Stellen in meiner kleinen Stadt). Aber die Eltern wollten, dass er Abitur macht (sonst würde sich die Familie schämen). Spoiler: die Ausbildung wird er nicht machen, sondern studieren. Was? weiß er nicht. Ist auch egal, er ist zum jetzigen Zeitpunkt für kein Studium geeignet. (und das weiß er). Aber er will nicht die Schande auf die Familie bringen. Sein Cousin macht eine Ausbildung. Seitdem ist er aus jedem Familiengespräch rausradiert, die Tante schämt sich zu sehr.