Pubertätsbedingter massiver Leistungsabfall einer halben Klasse - Was tun?

  • Hallo liebes Forum,


    momentan bin ich etwas überfragt. Situation ist die folgende:


    Neunte Klasse Gymnasium. Das Schuljahr ist nun 3 Monate alt und fast die Hälfte der Klasse steht in mehreren (meist so 4 bis 5) Fächern zwischen 5 und 6. Einfachste Leistungserhebungen scheitern daran, dass überhaupt keine Hausaufgaben gemacht werden, Lektüren nicht gelesen werden etc.
    Die Klasse ist wirklich sehr nett (aber auch sehr "aufgeweckt"), die Schülerinnen und Schüler haben alle das Potential wesentlich besser zu sein, aber die Umsetzung des Potentials in gute Noten scheitert auf mittlerweile Besorgnis erregende Weise.


    Meine Analyse ist, dass (nebst anderen individuellen Gründen) eine besondere Situation in der Klasse zu diesen schlechten Noten beiträgt: Ein sehr netter, gutaussehender Wiederholer interessiert die Mädels meiner Klasse wesentlich mehr als der Unterricht.
    Dies führt dazu, dass die noch im letzten Schuljahr "angehimmelten" Mitschüler nun mit der Methode "Ich-Bin-Der-Coolste-Mir-Machen-Noch-Nicht-Mal-Schlechte-Noten-Was-Aus" versuchen, die Aufmerksamkeit der Mitschülerinnen zurück zu gewinnen. Dies führt zu einem ganz komischen Lernklima, in dem es "chick" ist, möglichst dämliche Antworten zu geben, demonstrativ möglichst faul zu sein usw.


    Natürlich kann ich jetzt mit Notendruck und Schimpftiraden den Oberlehrer 'raushängen, aber es ist vollkommen klar, dass das absolut nichts bringt. Ich bin drei Stunden die Woche in der Klasse und die Kollegen beklagen sich mittlerweile massivst bei mir als Klassenleiterin, weil die halbe Klasse die Stufe nicht schaffen wird, wenn sie so weitermachen. Das besonders dramatische daran ist, dass das Wiederholen in dieser Jahrgangsstufe extrem problematisch ist, weil die Schüler dann vom G9 ins G8 wechseln würden. Dort müssten sie erstmal die Lücken schließen, die sie gegenüber dem G8 haben, von Wiederholen im tatsächlichen Sinne wäre da keine Rede.


    Meine Frage an euch:
    Wie geht ihr mit einer solchen Situation um?
    Hat jemand von euch eine Methode, die tatsächlich zu so etwas wie "Einsicht in die Problematik" geführt hat?
    Am liebsten würde ich die Schüler selbst eine Lösung erarbeiten lassen, nur fehlen mir dafür im Moment schlichtweg die Ideen für die Impulse.
    "Reden" will ich auf jeden Fall mit ihnen, ich opfere auch meine Stunden dafür, aber es sollte halt eben auch was dabei 'rumkommen.


    Wenn irgendjemand Tipps hat.... mein Dank wäre ewig mit euch!

  • Hallo mimmi,


    in den neunten Klassen an meiner Schule ist es momentan ähnlich: keiner tut was, es wird nur provoziert etc.
    Anscheinend liegt das auch an der G8/G9-Situation. Die Schüler wissen, dass von der Schule alles menschenmögliche getan wird, damit keiner durchfällt. Inoffiziell heißt es gar, da würden dann auch Noten nach oben korrigiert werden. Es kann durchaus sein, dass in deiner Klasse die Schüler auch davon überzeugt sind, gar nicht durchfallen zu können und dann brauchen sie ja auch nix tun, oder?
    Frag mal ob vielleicht dieses Gerücht der Undurchfallbarkeit auch in deiner Klasse die Runde macht, dann müsste man damit erst mal aufräumen.


    LG
    Lelaina

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    And a cushion for my head.

  • Dieses Problem kenne ich leider nur zu gut, allerdings sind es bei mir schon die sechsten Klassen, für die jetzt die Empfehlung zur Oberschule ansteht. Bei uns sind die 6.Klässler die Ältesten der Schule und somit eben die coolen, die doch nicht mehr lernen... sogar trotz anstehenden Wechsels auf die weiterführende Schule.
    Auch hier funktionieren nichtmal die reproduktiven Kontrollen, Transfer ist gar nicht drin! Die lassen sich von keiner schlechten Note mehr schocken, jedes Gespräch darüber finden sie total witzig. Ich bin nur mit einer Stunde pro Woche daran beteiligt, aber auch die anderen Lehrer finden keinen "Zugang".

  • Leider hab ich auch keinen Rat und kann immer wieder nur zustimmend mit dem Kopf nickend sagen "meine auch", "meine auch". Ich hatte letztes Jahr eine 9. in Englisch, in denen es ähnlich lief: sehr nette Leute, die aber zu keinerlei Leistung zu bewegen waren und schelchte Klausuren/Hüs einfach so hinnahmen. "Ach Frau X was regen sie sich so auf, in Latein waren wir noch schlechter!". Ich habe die Klasse in diesem Jahr abgegeben und sie scheinen sich zumindest teilweise wieder zu fangen (in Anbetracht der Oberstufe?!, die eventuell bald naht?). Die beiden Parallelklassen waren leicht, aber auch nicht wirklich besser.


    Dieses Jahr habe ich eine 9. in Französisch. Verschärfend kommt noch das blöde Lehrbuch hinzu (der letze Jahrgang an unserer Schule, der durch das grüne "Découvertes" geschleust wird!) und auch hier: genau die gleichen Ansätze. Jede Hü unter 3,5 und dabei schreiben wir jede Woche angekündigt und auch nur blöde Vokabeln. Zur Kommunikation auf Französisch sind sie überhaupt nicht zu bewegen, übungen machen sie so lala, aber auch sehr widerwillig, thematisch reißt sie nichts vom Hocker. In Metaphasen nennen sie die Probleme sehr genau: "Es machen halt nicht alle mit und viele geben sich auch keine Mühe. Kein Wunder, dass wir irgendwann gar nichts mehr können und den Faden verlieren". Wenn ich mich aufrege, sind sie froh, denn dann müssen SIE ja nicht reden.


    Ts. Ob das an der Klassenstufe liegt? Immer diese Pubertätsentschuldigungen helfen über den Frust aber nicht wirklich hinweg.... :rolleyes::rolleyes:

  • Hi Ho,
    ich hatte inzwischen auch schon diverse Mittelstufenklassen, die so tickten, aber man kriegt es schon hin. Was ich mache:


    - Elternbriefe, Elterntelefonate, Eltern Eltern Eltern... und zwar beklage ich mich nicht, sondern äußere die Sorge, dass ihre Kinder mit diesem Einsatz es nicht schaffen könnten. Hole die Eltern ins Boot, das hat zwei Vorteile: 1. Es spricht sich rum bei den Kids, und Stress zu Hause, nicht mehr weggehen, Taschengeld/PC/TV Entzug ist auch für noch so coole Kids uncool... 2. steigen dir bei miesen Noten sonst (mit Recht!) die Eltern aufs Dach und sagen, du hättest nix getan, sie nicht informiert, etc... Eltern kosten Mühe, lohnt aber (aber nur als Messlatte: ich hatte in meiner säuischen 7 jetzt ca. 30 Telefonate, ebensoviele Briefe, einige persönliche Gespräche mit Eltern etc. bevor es lief... das fanden die Eltern aber gut!)


    - Schlechte Leistungen transparent machen und dann aber auch nicht die 4minus geben, wenn sie nicht berechtigt ist, sondern die 5 - auch und gerade auf dem Halbjahreszeugnis. Ansonsten nehmen die Kids es nicht ernst, wenn man ihnen mangelnden Einsatz und Leistungsstand deutlich macht, da sollte man das dann gleich lassen.


    - Angekündigte HA-Überprüfungen - schriftlich (musste aber korrigieren), mündlich (z.B. Kurzvortrag, dann per Zufall auswählen), Stichproben einsammeln.... ich kündige das alles an, sorge aber auch hier für enge Elternrückkopplung und weise darauf hin, dass ich das sogar gesagt hatte, es also eine "faire" Chance gab.


    - Bei uns an der Schule ist es möglich, Nachsitzen zu lassen und jemanden des Raumes zu verweisen mit Arbeitsauftrag; das kann ich für deine Schule nicht beurteilen (liegt am Chef). Als ich eine harte 7 hatte, habe ich meine Kids zum Teil in meinem Unterricht nachsitzen lassen, wenn ich 7 oder 8 Stunden hatte.


    - Einzelne Schüler kann man auf "Laufzettel" setzen - sie müssen sich nach jeder einzelnen Stunde ihr Verhalten vom Lehrer quittieren lassen; so behältst du den Überblick und hast schriftlich, was da läuft.


    - Ohne Gespräche geht es natürlich nicht. Das ist ja sogar das wichtigste. Einzelgespräche - nicht in der Pause (nur bei akutem Vorfall), sondern ich bestelle mir die Schüler dann zu einem Termin und nehme mir auch 30-40 min. Zeit. Das wirkt schon, man hat Ruhe, manchmal müssen die größten Chaoten einfach nur ihre Probleme loswerden. Aber auch die Gespräche mit der ganzen Klasse sind nötig, es darf allerdings keine Laberei sein, damit zerstört man dieses Mittel. Ich setze mich dann immer auf einen Stuhl und mache den SuS deutlich, dass wir jetzt auf einer Ebene reden, und schildere ganz subjektiv meine Wahrnehmung und Gefühle. Das reinigt mich und die SuS nehmen das als Vertrauenesbeweis und sind oft beeindruckt, was dann wiederum zu guten, echten Gesprächen führt, nicht bloß zu Predigten.


    Echtes Interesse an ihrem Fortkommen bemerken die Schüler. Aber wenn sie die Verantwortung für sich noch nicht selber übernehmen können, dann muss ihnen klar sein, dass sie dann weniger Freiheiten erhalten, sprich: ein harter Kurs, bei dem du bestimmst, was passiert. Nach ein paar anstrengenden Wochen läuft das dann besser...
    viel Glück und Kraft,
    JJ

  • Hallo ihr Lieben!


    Herzlichen Dank für eure Einschätzungen!


    Ratte: Das mit dem Beschweren der Kollegen beim Klassenleiter ist bei uns so eine Art "Kollegensport". In meinem Kollegium wird sich sehr gerne beklagt, vorzugsweise über angeblich dumme Schüler, aber auch über das Ministerium und Kollegen, die Fehler machen. Andere Gesprächsthemen sind rar gesät, sodass ich es in diesem Fall als "normal" angesehen habe, was ich von den Kollegen zu hören bekomme. Es ist auch nicht so, dass von mir direkte Abhilfe von Kollegenseite verlangt wird. Ich bin in diesem Fall nur der zuständige "Mülleimer", in dem man seinen Frust abkippt.


    Lelaina: Dass es Schulen gibt, in denen dies tatsächlich so gehandhabt wird, weiß ich. An meiner Einsatzschule im Ref war es bspw so. An meiner jetzigen Schule ist es allerdings nicht so und das ist den Schülern auch sehr bewusst.


    Nell: Das mit dem "ach-so-witzig-Finden" raubt mir manchmal auch den letzten Nerv. *handshake*


    ACE: Ich glaube, es liegt tatsächlich an der Klassenstufe. Mich wundert dann immer nur, wie zutraulich sie dann sind, wenn sie einem sagen, dass sie in anderen Fächern noch viel schlechter sind und wie sehr man sich auch Mühe geben kann, selbst mit den tollsten Ideen geht der Großteil der Unterrichtsinhalte spurlos an ihnen vorbei. Und das Schlimme ist: Ich war in dem Alter genauso. ;)


    Justus: Besonderen Dank an Dich für die viele Mühe. Vieles von dem von dir Genannten setze ich bereits um, mit den Eltern z.B. stehe ich in regelmäßigem Kontakt, soweit möglich, denn leider kümmert's die Eltern meiner schlimmsten Fälle anscheinend überhaupt nicht, was der Sprößling so macht.


    Letzten Endes läuft allerdings fast alles, was du genannt hast (und auch alles, was ich bisher unternommen habe), auf Druck, Druck und nochmals Druck hinaus. Das halte ich auch nicht für verkehrt, sondern vielmehr für eine absolut notwendige Maßnahme. Es ist nur so, dass ich ergänzend zu dem Druck meinerseits noch eine weitere Seite abdecken möchte, nämlich auch konkrete Hilfe dafür anbieten möchte, selbst einen Ausweg aus dem eigenen Dilemma zu finden, d.h. den Schülern wieder Freude am Lernen zu vermitteln und die Zuversicht, dass es sich lohnt, sich anzustrengen.
    Aber dafür stehen sie sich selbst momentan zu sehr im Weg.


    Derzeit überlege ich, ob ich in der nächsten Stunde mal die Schüler ihre Probleme anonym auf Karten schreiben lasse, diese dann clustern lasse und anschließend in "Expertengruppen" durch die Schüler selbst Tipps erarbeiten lasse, wie man mit dem Problem zurechtkommt. Keine Ahnung, ob das funktionieren wird. Schön fände ich es auch, wenn sie gegenseitig die Stärken eines anderen Klassenmitglieds benennen und anschließend auf die Schule bezogen demjenigen Tipps geben, wie er sich verbessern könnte.
    Hilft garantiert mehr, als wenn ich das sage.
    Aber, wie ihr seht, mein "Konzept" ist noch reichlich diffus.


    Falls doch noch jemand mal etwas zum Thema "Selbstreflektion fördern" gemacht hat und ein besser durchdachtes Konzept hat, bin ich immernoch sehr dankbar!

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