Schulsport

  • So, nun möchte ich mal einige Anmerkungen meinerseits zum Sportunterricht abgeben.


    Die Beobachtungen, die ich an meiner vorherigen Schule auf dem Land gemacht habe, sind dieselben wie die an meiner neuen Großstadtschule: Der Sportunterricht wird von ein paar Fußballern (evtl. gar Vereinsspielern) zum Kräftemessen benutzt, der Rest steht in legerer Kleidung daneben und hält einen kleinen Plausch, wenn der Lehrer in Sichtweite ist, tut man so, als wäre man gerade beim Weitsprung etc. Manche melden sich gar zu Beginn der Stunde "krank" und dürfen dann auf der Bank sitzen. Auch in der Kollegstufe, (in Bayern ist Sport-GK Pflicht) wo die meisten bereits volljährig sind und sich somit selbst entschuldigen dürfen, ist laut Aussagen der Sportlehrer nie die ganze Gruppe anwesend, selbst nicht in der Einführungsstunde. (Wenn an meiner Ex-Schule mal 00 Punkte-Warnungen wegen zu geringer Anwesenheit ausgesprochen wurden, dann fast nur in Sport). Somit erachte ich den Sportunterricht in seiner jetzigen Form als wenig sinnvoll. Insbesondere die Elternverbände, die ja in Bayern unisono über immer höhere Stundenzahlen klagen, sollten vielleicht mal darüber nachdenken, die Streichung dieser 2 Stunden anzuregen (Ein beliebtes Argument der Verbände: "Bei so hohen Stundenzahlen schaffen es die Kinder gar nicht mehr, sportlichen Tätigkeiten in Vereinen nachzugehen"). Das ist eine der wenigen Punkte, wo ich den Elternverbänden folgen kann. Aber dann, wie gesagt, bitte die zwei Sportstunden streichen, das einzige, was da in Bewegung ist, sind doch eh die Mundwerke, zum Tratschen ist jedoch die Pause da!


    Grüße
    Meilleur ami des élèves (dessen sportbegeisterte Schüler mich jetzt hängen würden ;-))

  • Zitat

    Original von Meike.
    Am liebsten hätte er 3 Stunden dafür, unbenotet, aber verpflichtend. Ohne Leistungsdruck, in Interessengruppen zu relativ weiit gefassten Themen, mit Fokus auf Körperbewusstheit, Ernärungsumstellung, Gesundheit, Ausdauer, Fitness und Spaß am Lernen diverser Sportarten ohne Wettbewerbsdruck.


    Hört sich für mich vernünftig an.


    Ach, das wäre schön - und so eine tolle Gelegenheit für eine Umsetzung von Ganztagsunterricht nach angloamerikanischen Vorbild. Einfach so Sport machen - aber wo kämen wir an einer deutschen Schule hin, wenn man nicht jedes Fach zur Gliederung und Selektion von Leistungshierarchien nutzen würde. Spaß an der Freud - was hat das denn auch mit Bildung zu tun!


    Zitat

    Ich fand Sport immer toll, habe Schulsport aber wegen der Noten und der Vergleicherei gehasst. Wie die Pest.


    Tja, ich war als Jugendlicher eher dicklich und unbeweglich. Angestrengt habe ich mich zwar, aber es hat nichts genutzt, denn die Sportfachkonferenz damals an der Schule hatte ein Tabellensystem zur "objektiven Bewertung" entwickelt, bei dem alle Schüler ohne Ansehen von Trainingsstand oder individueller körperlicher Entwicklung über den gleichen Leistungskamm geschoren wurde. Tja, wenn dann Klein-Nele mit Ach und Krach aber Willensstärke die drei Kilometer durchgeschnauft war, dann war das eben eine Fünf. Beim jungen Heros vom Leichtathletikverein, der die gleiche Strecke doppelt so schnell wie Nele aber gleichgültig-faul halb so schnell, wie er eigentlich gekonnt hätte, zurückgelegte, war das dann eben eine Eins. Stand ja in der Tabelle. Hätte ich damals die Klappe gehabt, die jetzt habe, hätte ich gefragt, ob wir denn vielleicht auch die Haarfarbe in die Bewertung aufnehmen können.


    Aber die Sporttrulla, die ich da hatte, war sowieso völlig unfähig - schon von der Ausbildung her. Eine in Notzeiten angestellte Gymnastik- und Hauswirtschaftshilfskraft. Verdächtig viel Volleyball haben wir gespielt. Die hat das wunderbare methodische Prinzip gefahren: einmal vormachen, zwei- bis dreimal ausprobieren und dann die "Abnahme". Bei komplexen Bewegungsabläufen wie dem Kugelstoß ein extrem sinnhaftes Vorgehen, das unter Garantie zu Trainingserfolgen führt!


    Tja, was für wunderbare Lernziele habe ich da operationalisiert? Der Schüler erkennt, dass Schulsport der willkürlichen Erniedrigung und der Ausgrenzung von körperlich Schwachen dient, und operationalisiert diese Erkenntis durch systematische Sportverweigerung über die nächsten Jahre hinweg.


    Naja, zum Sport habe ich dann trotz Schulsport zurückgefunden, allerdings habe ich noch Jahre Hassgefühle geschoben. Als ich für sechs Jahren auf Wettkampfniveau im Kyokushin-Karate war (Eingeweihte wissen bescheid...) hätte ich gerne einmal mit den Fettsäcken mit Trillerpfeife vorm Bauch Fitnesstraining gemacht. Mal sehen, wie blass man die wohl kriegt, bevor sie umfallen...


    Aber die 80er sind zum Glück lange her. Was meine Sportkollegen dagen alles tolles machen: Akrobatik und Kanufahren, systematisches Manschaftstraining, Körpergefühl-und-Zutrauensübungen. Klasse, da hätte ich gerne Sportunterricht. :)


    Nele

    • Offizieller Beitrag

    Naja, die Sportkollegen des alten Schlages (schubs klein-Meike vom 3-Meterbrett - um erfolgreich sicher zu stellen, dass diese nie wieder ein solches betreten wird) hatten wohl alle mal - zum Glück scheint diese Rasse ehrlich am Aussterben.


    Das Schulsportsystem an sich

    Zitat

    Beim jungen Heros vom Leichtathletikverein, der die gleiche Strecke doppelt so schnell wie Nele aber gleichgültig-faul halb so schnell, wie er eigentlich gekonnt hätte, zurückgelegte, war das dann eben eine Eins. Stand ja in der Tabelle. Hätte ich damals die Klappe gehabt, die jetzt habe, hätte ich gefragt, ob wir denn vielleicht auch die Haarfarbe in die Bewertung aufnehmen können.
    (...)
    Tja, was für wunderbare Lernziele habe ich da operationalisiert? Der Schüler erkennt, dass Schulsport der willkürlichen Erniedrigung und der Ausgrenzung von körperlich Schwachen dient, und operationalisiert diese Erkenntis durch systematische Sportverweigerung über die nächsten Jahre hinweg.

    ist leider erhalten geblieben - und die meisten (eigentlich alle) Sportkollegen, die ich kenne, finden es zum kotzen. Weil es so OFFENSICHTLICH falsch ist, körperlich völlig unterscheidliche Menschen über einen physischen Kamm zu scheren.


    Mein Mann bewertet im Unterricht konsequent den Leistungsfortschritt mit. Das regt die Vereinsspieler manchmal auf, weil die es den armen Bewegungsgrobmotorikern oder Lungenvolumenamputierten oder Moppelchen nicht gönnen, dass die mit Anstrengung und Konsequenz auch zweistellig erreichen können - aber da ist er stur. Wobei er den umkekehrt ungerechten Schluss (auch ein nahezu perfekt alles könnender Vereinsspieler muss sich in gleichem Maße verbessern) nicht geht und die immer mit Bestleistungen abschließen können - zumindest in ihrer Sportart.


    Das ändert aber nix daran, dass das Ganze ums Verrecken nicht zu dem beiträgt, was er sich für die Schüler wünschen würde (siehe oben) und das Gegeneinander statt das Miteinander den Schulsport dominiert. Williger und engagierter Lehrer hin oder her. Grässlich.


    Wann wird dieser Dauergraus mal abgeschafft?

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

  • Zitat

    Original von neleabels
    Tja, was für wunderbare Lernziele habe ich da operationalisiert? Der Schüler erkennt, dass Schulsport der willkürlichen Erniedrigung und der Ausgrenzung von körperlich Schwachen dient, und operationalisiert diese Erkenntis durch systematische Sportverweigerung über die nächsten Jahre hinweg.


    Genauso habe ich es auch empfunden. Und mache bis heute keinen Sport.

    Was man zu verstehen gelernt hat, fürchtet man nicht mehr. Marie Curie

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