Wirtschaft/Politik Mittelstufe?

  • Hallo,
    ich habe gerade in einem anderen Topic dies hier gelesen:


    Zitat

    Original von Elysium
    In Schleswig-Holstein wird beispielsweise gerade (leider!!!) WiPo in der Mittelstufe eingeführt


    Da ich das andere nicht kaputt machen wollte, habe ich nun also ein neues Thema eröffnet. Ich würd nämlich sehr gerne wissen, warum leider? Frage ist natürlich nicht nur an Elysium gerichtet ;)


    Ich hab da bisher noch nicht viel negatives dran gesehen. Ich komme aus Niedersachsen und hatte da ab der 9. Klasse Politik und nun studiere ich in Schleswig-Holstein WiPo und frage mich desöfteren, warum nicht auch Gymnasiasten schon in der Mittelstufe WiPo haben können....


    Bin gespannt auf Antworten

  • Hallo,


    Leider vielleicht deshalb, weil manche befürchten, sie müssten es dann fachfremd unterrichten.

  • WiPo in Schleswig-Holstein ist eingeführt worden, um Geschichte und Erdkunde letztendlich überflüssig zu machen. Das merkt man auch sehr am Lehrplan, der letztendlich weichgespült wurde, um Vieles abdecken zu können. Mit der Einführung von WiPo werden im Rahmen der Kontingentstundentafel Ressourcen der beiden anderen, fundierteren geisteswissenschaftlichen Fächer abgezogen, letztendlich aufgrund des Zeitgeists. Wenn ich mir jetzt Geschichte anschaue: Ein vernünftiger historischer Unterricht wird die für die Mittelstufe geplanten "Po"-Inhalte sowieso abdecken, nämlich das aktuelle politische System. Er wird auch "Wi"-Inhalte enthalten, etwa die Kreisläufe in den Krisenjahren der Weimarer Republik, die am Ende auch an den Finanzen gescheiterte DDR und so weiter. Andere WiPo-Inhalte wie Entwicklungsländer etc. kommen auch in G und vor allem Erdkunde vor. Wenn es anders ist, müssten die G- und EK-Lehrpläne eben anders gestrickt werden - die Einführung von WiPo, gerade auf Kosten der anderen Fächer, ist aber schlicht populistisch, vereinfachend und zu kurz gedacht.


    Mir ist schon klar, dass das jetzt zuspitzend formuliert ist. Ich kenne aber, um mir jetzt Unterstützung in den Rücken zu stellen, genügend Lehrer mit einer Befähigung für alle drei Fächer, die das genauso sehen.


    Mit "fachfremd unterrichten" hat das übrigens wenig zu tun - wie man an der Argumentation sieht, gibt es in WiPo wenig, was wirklich fachfremd ist.

  • Hallo Elysium,


    auch wenn ich nicht aus Schleswig-H, sondern aus BW komme, teile einerseits deine Bedenken. Auch hier gab es ähnliche Diskussionen um das Fach Wirtschaft.


    Gibt es bei euch ein zusätzlich zu WiPo ein Fach wie Gemeinschaftskunde/Politik? Das wäre dann ja auch sehr stark betroffen.


    Einem Großteil deiner Ausführungen möchte ich aber auch widersprechen.


    Geschichte ist meiner Meinung nach nur begrenzt in der Lage, die Kompetenzen zu vermitteln, die im Politikunterricht gefordert werden. Hier geht es um den Erwerb von politischer Handlungsfähigkeit. Zentral ist auch die Problem(lösungs)orientierung, wobei es eben um aktuelle und nicht historische Probleme geht, die im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Ich glaube, da stößt das Fach Geschichte einfach an seine Grenzen. Gerade in der von dir angesprochenen Mittelstufe ist das so. Die Schüler interessiert es doch nicht die Bohne, ob wir 1975 schonmal eine Wirtschaftskrise hatten. Aber für die aktuelle Lage interessieren die sich brennend!


    Zur Erdkunde: Sicher sind hier wirtschaftspolitische Themen integriert. Aber auch hier sind die Schwerpunkte andere. Beispiel Oberstufe, Entwicklungsländer: In Gemeinschaftskunde/Politik/Wirtschaft wären beispielhaft einige zentrale Aspekte aus meiner Sicht folgende (ich nenne jetzt nur das, was in Geo so nicht oder nur randlich zum Zug kommt): Wie funktioniert bilaterale Entwicklungshilfe? Wie gestaltet sich unsere Weltwirtschaftsordnung? Sind Entwicklungsländer (wirtschafts)politisch benachteiligt? In diesem Zusammenhang: detaillierte Institutionenkunde (IWF, Weltbank etc.), Theorien der (Unter)Entwicklung (Dependenztheorie, Modernisierungstheorie etc)...


    Mehr fällt mir gerade spontan nicht ein. Ich hoffe, es wird aber deutlich, dass sich die Fächer durchaus nicht gegenseitig die Butter vom Brot nehmen müssen, sondern sinvolle Ergänzungen zueinander darstellen können.

  • Oje, jetzt habe ich aber wirklich eine Grundsatzdiskussion angefangen... :)


    Also, es gibt in S-H kein GMK. Es gibt EK ab Kl. 5 und G ab Kl. 6, neu dann eben WiPo ab Kl. 8. Innerhalb der Stundentafeln gab es bisher 10h Geschichte in der Mittelstufe, 11h EK, 5 Religion/Ethik. Statt der 26 wird es mit den neuen Kontingenten wohl erneut 26h geben, aber eben mit gewollten mindestens 4h WiPo dazwischen, ergo 4h in den anderen Fächern weniger. Das ist eine Beschreibung - ausdrücklich keine Wertung.


    Ernsthaft widersprechen möchte ich aber Deiner Aussage, dass G die Kompetenzen eines Politik-Unterrichts nicht vermittelt. Natürlich gehe ich hier von optimalem G- bzw. WiPo-Unterricht aus, mir ist auch klar, dass es auch schlechteren Unterricht gibt, auf den das nicht zutrifft. Aber: Ein kompetenzorientierter Geschichtsunterricht vermittelt für die Gegenwart (!) bedeutsame Einsichten anhand eines historischen Materials. Das heißt: Er schafft im Idealfall nicht nur das, was Du forderst, nämlich Gegenwartsbezug, sondern zudem auch noch einen Mehrwert, nämlich die historische Einsicht und die Übertragungsmöglichkeiten. Du bestärkst damit, denke ich, genau meine Ansicht und unterstützt damit meine Argumentation: Politik schafft Problemlösungskompetenz für die Gegenwart. Geschichte schafft diese für die Vergangenheit UND die Gegenwart, erklärt also zu dem derzeitigen Zustand auch noch dessen Genese. Zugegeben kommt eine Institutionenkunde da im Detail unter Umständen zu kurz. Aber: Selbst in meinem Geschichts- (und nicht Erdkunde-) Unterricht habe ich Entwicklungshilfe, IWF, Mikrokredite, Patenschaften, Hungerkarte etc. behandelt, und ich weiß, dass EK das noch deutlich verstärkter tut.


    Ich bin weit davon entfernt, WiPo verteufeln zu wollen. Ich weiß selbst, dass das Fach auch (!) eingeführt wurde, weil der Geschichtsunterricht das alles nicht geleistet hat. Aber: Moderner Geschichtsunterricht ist fundierter, gerade in der Mittelstufe, als es WiPo je sein kann, und liefert die gleichen Erkenntnisse, dazu aber noch viel mehr Methoden- und Sachkompetenzen.


    Ich spreche jetzt nicht für EK, da kenne ich mich nicht genügend aus. Wie gesagt: Jedes Fach steht und fällt mit den unterrichtenden Lehrern. Bei einem Vergleich auf oberem Level meine ich aber weiterhin, dass die Einführung von WiPo oktroyiert, überflüssig und für die Bildung eher ungünstig ist.

  • Ok, zu später Stunde noch der Versuch einer Replik.


    Also zunächst mal möchte ich sagen, dass ich deine Argumentation bezüglich des Kompetenzerwerbs im Fach Geschichte für sehr schlüssig halte. Hier habe wohl auch ich etwas zu überspitzt und einseitig formuliert.


    Ich unterrichte übrigens Gemeinschaftskunde und Geographie, sitze also aus deiner Sicht zwischen den Stühlen. Aus meiner Praxiserfahrung kann ich deine Befürchtungen zumindest für das Fach Geo einfach nicht bestätigen. Ich sehe die Koexistenz von Geo und Gk als etwas Positives, denn durch die stärker arbeitsteilige Vorgehensweise kann ich mich in beiden Fächern inhaltlich und methodisch stärker auf die fachwissenschaftlich jeweils angestammten Kernfelder konzentrieren.


    In Bezug auf Geschichte habe ich mich etwas weit aus dem Fenster gelehnt, denn ich unterrichte das Fach nichts selbst. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass meine Geschichtskollegen Gk als Konkurrenz empfinden. Mehrheitlich würden sie wohl meine Ausführungen in Bezug auf Geo auch auf ihr Fach übertragen.


    Entscheidend ist wohl die inhaltliche Abstimmung der Lehrpläne. Falls es dich interessiert, wie das hier in BW läuft, kannst du dir ja einfach mal die Bildungsstandards für die genannten Fächern von den Seiten des Kultusministeriums runterladen.


    Abschließend noch ein paar Randbemerkungen zur Situation in BW.


    Geo ist hier vor einigen Jahren gleich von zwei Seiten in die Mangel genommen worden. So hat man einerseits das praxisorientierte Fach Naturwissenschaft und Technik eingeführt und dachte gleichzeitig noch über ein Fach Wirtschaft nach.


    Gemeinschaftskunde ist - abgesehen von Religion - in BW das einzige in der Landesverfassung fest verankerte Schulfach! Den Dreiklang aus Geschi, Gk und Geo gibt es hier also schon seit Jahrzehnten und sowohl aus der Perspektive eines ehemaligen Schülers als auch jetzt als Lehrer finde ich, dass man damit ganz gut fährt.

  • Schon Recht, das alles. Ich hätte auch absolut nichts gegen die Einführung von WiPo, wenn es denn nicht auf Kosten der anderen Fächer ginge. Jetzt sind es vier Stunden -, aber wenn wir dann G8 statt G9 machen, fällt ein ganzes Schuljahr weg. Da WiPo nicht gekürzt wird, insgesamt aber um die 30 Wochenstunden weniger in der Mittelstufe für alle Fächer zur Verfügung stehen werden, wird wohl abermals bei G/EK gekürzt werden, und dann wird es langsam einfach ziemlich bitter und einseitig.


    Wie auch immer, ändern kann ich es ja sowieso nicht, das Thema ist, denke ich, gut klar geworden (danke für die gute und sachliche Diskussion, Schubbidu!) und die Threadstarterin meldet sich nicht mehr, scheint also auch zufrieden mit den Antworten zu sein. Schönes Restwochenende also in die Runde.

  • Ja, habe mich nicht mehr gemeldet, weil ich nicht wirklich das Gefühl hatte, viel dazuzusagen zu haben. ich habe jetzt verstanden,warum du, Elysium, das so siehst. Obwohl ich ja auch Geschichte studiere ist mir dieser "Interessenkonflikt" noch nie wirklich bewusst geworden. Bedanke mich aber bei euch beiden, dass ich wieder was dazu gelernt habe :)

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