Schüler liegt auf dem Tisch

  • Hallo!!


    Ich wusste nicht, wie ich das Thema nennen sollte... ;)
    Ich habe einen Schüler (6 Jahre), der nicht eine Minute ruhig sitzen kann und dazu leise ist. Entweder liegt er auf seinem Tisch oder wenn er mal sitzt, starrt er auf seine sich schnell, einzel bewegenden Finger und zählt leise vor sich hin oder spricht etwas "Mantraartiges" zu sich. In solchen Situationen kriegt er nichts mehr um sich herum mit. Es ist als sei er ganz ganz ganz weit weg.
    (Anderes Beispiel; Bei der Disco vor den Herbstferien hat er sich vor so ein weißes Blinklicht (was eben immer an und aus gegangen ist und sehr stark geblendet hat) gestellt und stand da ewig, bewegungslos, fast weggetreten.)
    Vielleicht eine Art Reizüberflutung und er muss ich irgendwie selbst spüren, selbst zur Ruhe bringen oder so?
    Wenn wir etwas arbeiten, schicke ich ihn an die Fensterbank, so dass er da besser im Stehen arbeiten kann. Das geht dann meistens etwas besser.


    Generell frage ich mich einfach, wie schaffe ich es, dass er etwas mitkriegt, ruhiger wird (dieses vor-sich-herreden ist einfach total störend und die anderen kinder beschweren sich nur).
    Habe schonmal an einen Sitzball gedacht, weil er da ja ständig etwas in Bewegung wäre und an so einen Knautschball für eine Hand. Vielleicht würde ihn sowas beruhigen.


    Hat jmd ähnliche Erfahrung?? Oder einen Tipp?


    Viele Grüße!

  • Hab auch solche Kinder, bei mir sinds welche mit ADS und/oder autischer Spektrumsstörung.


    Die Unaufmerksamkeit ist ja immer das eine Problem. Wenn die Kinder dann aber auch noch die anderen stören, wirds schwieriger.
    Wobei ich find, das zwingt einen, was zu ändern. So ein träumendes Kind kommt einem nämlich ganz schnell aus...


    Also grundsätzlich denk ich, diese Kinder sind z.T. noch so, sie müssen erst lernen, still zu sitzen und leise zuzuhören/etwas anzuschauen/... . So lange ist es unsere Aufgabe, die Lernumgebung für diese Kinder so zu gestalten, dass sie lernen können.


    Für mich ist es immer ein Indikator, wenn dieses eine Kind zu unruhig wird, dass eine Phase zu lange dauert und das Kind Abwechslung braucht. Wenn er etwas zu tun hat, kann er super arbeiten, meistens übrigens sehr leise und konzentriert.


    Klar gibts aber auch Situationen, in denen das Kind einfach mal eine Weile ruhig sitzen muss.
    Da hab ich bei dem Kind die Erfahrung gemacht, wenns im Sitzkreis ist, dass es meist besser wird, wenn ich ihn mir auf den Schoß hole, so dass um sich rum Begrenzungen wahrnimmt und sich selber besser spüren kann.


    Ich hab die Klasse jetzt schon seit über nem Jahr, deshalb kenn ich ihn mittlerweile nicht anders, aber am Anfang stand ich auch wie vor nem unlösbaren Phänomen...

    Bei der Erziehung muß man etwas aus dem Menschen herausbringen und nicht in ihn hinein. (Friedrich Fröbel)

  • Zitat

    Original von sarahkatha
    Vielleicht eine Art Reizüberflutung und er muss ich irgendwie selbst spüren,
    selbst zur Ruhe bringen oder so?


    Dein Eindruck gibt m.E. etwas wieder, das über Kinder des autistischen
    Spektrums gesagt wird. Es gelingt letzteren nicht so - wie den meisten
    anderen Kindern - Zusammenhänge in dem zu finden, da sie
    möglicherweise anders wahrnehmen. D.h. sie können sich die Welt nicht
    mit Worten anderer erklären und daher auch weniger verstehen. Dazu
    gehören kausale Zusammenhänge genauso, wie zeitliche und räumliche.
    Deshalb können sie mit dem üblichen Unterricht nichts oder kaum etwas
    anfangen. Sie sind daher verwirrt und wenn sie nicht angeleitet werden,
    eine eigene Ordnung zu finden, wird diese Verwirrung zu einem klinischen
    Syndrom, das sich zunehmend verfestigt.


    Schaukeln, Geräusche machen, Gegenstände fixieren, können als ihre
    Versuche aufgefasst werden, in dieser Verwirrung für sich Gleichbleibendes
    zu schaffen und festzuhalten.


    Du wirst mit diesem Kind wahrscheinlich nur weiterkommen, wenn Du es
    individuell anleitest, bzw. es dort mit einbeziehst, wo es deutliche Signale
    gibt, dass es "dabei" sein kann.


    monika :)

    Die Disziplin des Lernens unterscheidet sich von der Disziplin der Schule.

    Einmal editiert, zuletzt von Monika ()

  • Hallo Monika,


    also, Autismus wird bei ihm ausgeschlossen. Er ist in psychologischer Behandlung. Ich bin der Meinung, dass er einen Integrationshelfer braucht. Es ist mittlerweile sooo schlimm geworden. Er ist völlig in seine Welt versunken und kriegt regelmäßig komplette Zusammenbrüche, wenn irgendwas nicht so läuft, wie er möchte. Das kann sein, dass ich ihn nicht direkt drannehme bzw ihm sage, dass er abwarten muss, bis ich ihn dran nehme, er nicht auf ein Sportgerät kommt, er seine Federtasche nicht findet (die direkt neben ihm liegt)oder er eine Std früher Schulschluss hat. Er benötigt so unglaublich viel Aufmerksamkeit, völlige Anleitung (zB in Sport: Zieh deine Hose aus. Zieh deine Sporthose an. Zieh jetzt deine Schuhe an. Nein, du muss erst deine Hose ausziehen. Da steh dein Schuh. Leg die Hose auf die Bank. Leg die Hose jetzt auf die Bank. N., leg die Hose auf die Bank. N., heb die Hose vom Boden auf. N., leg die Hose auf die Bank.) Und das ist ÜBERALL so. Mich strengt das so unglaublich an. Und es ist ja nicht so, dass die anderen Kinder so von selbst laufen würden... Ich habe einfach das Gefühl, dass ich da mit Pädagogik nicht weiter komme.


    Gruß.

  • @ Mel 80: Mit auf den Schoß nehmen, habe ich auch schon versucht. Er scheut aber jeglichen Körperkontakt, windet sich dann sofort... Geht also auch nicht. Dass er noch nicht so lange arbeiten kann, ist mir klar. Hab ihm Zb eine 2 Minuten Sanduhr hingestellt und ihm gesagt, er solle so lang arbeiten bis die UHR DURCHGELAUFEN IST: aber auch das hilft nichts.Auch dann muss ich theoretisch neben ihm sitzen und ihn immer wieder daran erinnern, seinen Bleistift oä in die Hand zu nehmen und einen Strich zu machen. Kaum drehe ich mich um, liegt der Bleistift sonst wo und N. ist wieder mit seinen Fingern beschäftigt. Letzte Woche hatte er plötzlich einen 2. Stift in der Hand und die Zwei Stifte haben dann Kung Fu gegeneinander gekämpft. Aaarrgh!

  • Zitat

    Original von sarahkatha
    Hallo Monika,


    also, Autismus wird bei ihm ausgeschlossen. Er ist in psychologischer Behandlung. Ich bin der Meinung, dass er einen Integrationshelfer braucht. Es ist mittlerweile sooo schlimm geworden. Er ist völlig in seine Welt versunken und kriegt regelmäßig komplette Zusammenbrüche, wenn irgendwas nicht so läuft, wie er möchte. Das kann sein, dass ich ihn nicht direkt drannehme bzw ihm sage, dass er abwarten muss, bis ich ihn dran nehme, er nicht auf ein Sportgerät kommt, er seine Federtasche nicht findet (die direkt neben ihm liegt)oder er eine Std früher Schulschluss hat. Er benötigt so unglaublich viel Aufmerksamkeit, völlige Anleitung (zB in Sport: Zieh deine Hose aus. Zieh deine Sporthose an. Zieh jetzt deine Schuhe an. Nein, du muss erst deine Hose ausziehen. Da steh dein Schuh. Leg die Hose auf die Bank. Leg die Hose jetzt auf die Bank. N., leg die Hose auf die Bank. N., heb die Hose vom Boden auf. N., leg die Hose auf die Bank.) Und das ist ÜBERALL so. Mich strengt das so unglaublich an. Und es ist ja nicht so, dass die anderen Kinder so von selbst laufen würden... Ich habe einfach das Gefühl, dass ich da mit Pädagogik nicht weiter komme.


    Gruß.


    Hmm, das klingt aber schon sehr nach was Autistischem...


    Hab einen Asperger Autisten in der Klasse und einen mit autistischer Spektrumsstörung, mit wenig autistischem Anteil, mehr ADS, was der Asperger überhaupt ned hat.


    Dein Kind klingt wie n Mittelding zwischen meinen beiden...


    Ist die "Nicht-Autismus-Diagnose" mal von ner zweiten Meinung bestätigt worden?


    Unsere Autisten an der Schule haben übrigens alle einen Schulbegleiter, und das ist wirklich ungemein hilfreich!

    Bei der Erziehung muß man etwas aus dem Menschen herausbringen und nicht in ihn hinein. (Friedrich Fröbel)

  • Auch ich muss dir sagen, dass dies wirklich lehrbuchmäßig nach Asperger-Autismus aussieht. Der Mutter wäre zu raten, sich an ein auf Autismus spezialisiertes Institut zu wenden. Parallel dazu sollten Eltern und du beim Jugendamt nach §35a KJHG einen Schulbegleiter beantragen!


    Bablin

    Wer hohe Türme bauen will,
    muss lange beim Fundament verweilen.
    Anton Bruckner

    Einmal editiert, zuletzt von Bablin ()

  • Hallo!


    Der besagte Junge, dessen Verhalten in den letzten Wochen sich nicht mal minimal verändert hat... :( wurde jetzt nochmal genau untersucht an einem sehr renommierten Institut in Hamburg. Autismus wurde wieder ausgeschlossen. Es kam irgendwie anscheinend gar nichts raus. Anscheinend scheint er ganz "normal" zu sein. Ich werde jetzt anregen, dass er zeitweilig in eine psychiatrische Klinik kommt. So kann es einfach nicht weitergehen. Hab jetzt zwei Tage pro Woche eine Heilerzieherpraktikantin, die sich um ihn kümmert. Trotzdem ists ne Katastrophe. Letzendlich kann sie alle 5 Sekunden zu ihm sagen, er solle aufpassen, sich hinsetzen, leise sein... Sie kann es aber auch bleiben lassen.
    Man fühlt sich echt allein gelassen...


    Gruß.


  • Zu diesem Gedanken von Dir im Zusammenhang mit der unbestätigten
    Diagnose Autismus, möchte ich noch etwas anmerken, das Dir
    möglicherweise helfen kann, etwas andere Ideen für Deinen
    Problemschüler zu entwickeln.


    Die bisher von Dir angewendete Pädagogik besteht im wesentlichen in
    Appellen. Kinder, die es wie Dein Schüler nicht schaffen, sich aufmerksam
    dem Unterricht zuzuwenden, schaffen es auch nicht, Appelle umzusetzen.
    Sie sind damit schlichtweg überfordert, weil es bei ihnen etwas
    voraussetzt, was sie noch nicht gelernt haben.
    Dies kann neurophysiologische Ursachen haben und kann auch im Kontext
    einer emotionalen Verwirrung bei Kindern entstehen.


    Das hilft Dir aber nicht. Die Ursache ist unerheblich, wenn Du Dich darauf
    einlassen kannst, von dem Jungen nichts zu erwarten. Das ist schwer für
    Lehrer, denn sie müssen berufsmäßig etwas erwarten, weil sie bei den
    Schülern Ergebnisse produzieren müssen.


    Möglicherweise kannst Du Deine Praktikantin dafür gewinnen, den Jungen
    erst mal nur zu lassen, ihn zu beobachten und seine Unterrichtsstörungen
    nicht als Störungen, sondern als Hilferufe zu sehen. Es wäre
    möglicherweise nützlich für seine Entwicklung, wenn es der Praktikantin
    gelänge, dem Jungen Angebote zu machen, auf die er sich einlassen kann.
    Dafür könnten auch die Eltern des Jungen miteingespannt werden. Frage
    sie, womit er sich zu Hause beschäftigt.


    Vielleicht könnt Ihr gemeinsam herausfinden, bei welchen Angeboten für
    alle er irgendwie mitmachen kann.


    Falls Du in Hamburg unterrichtest, kannst Du mich auch gern kontaktieren.
    Ich arbeite auch in Hamburg und könnte möglicherweise mal bei Dir
    vorbeikommen.


    Mit kollegialen Grüßen
    Monika :)

    Die Disziplin des Lernens unterscheidet sich von der Disziplin der Schule.

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