Warum sind die meisten Postulate der Didaktik und Pädagogik wissenschaftlich fragwürdig?

  • ...aus dem einfachen Grund, weil sie zum allergrößten Teil ohne jede empirische Grundlage sind. Hier ein interessanter Artikel, der das anhand der Theorie von den verschiedenen Lerntypen ausführt:


    Zitat

    A search of the literature on learning styles reveals thousands of journal articles, books, conference presentations, magazine articles, websites, and so on. The sheer volume of the literature may suggest that the hypothesis at the heart of the theory, that matching instructional style to students’ learning style leads to improved learning, has been well studied, but that would be incorrect. Scholars who have taken inventory of this literature have noted that the vast majority of it is theoretical and descriptive in nature rather than empirical and tends not to appear in peer-reviewed journals. Worse still, very few of the empirical studies were methodologically strong and featured a randomly assigned control group. The few remaining studies, including this most recent one, do not support the learning styles hypothesis.


    "The Myth of Learning Styles", Ani Aharonian

  • Bei einer empirischen Studie ist die Basis breit genug:
    800 Meta-Analysen mit 50.000 Einzeluntersuchungen und 250 Millionen beteiligten Schülern:


    http://www.zeit.de/2013/02/Pae…n-Hattie-Visible-Learning


    Die Schlüsse aus dieser Studie sind für sture Kritiker der "Kuschelpädagogik" wie für absolutistische Verfechter offenen und individualisierten Unterrichts gleich vernichtend.
    Den wichtigsten Faktor für guten Unterricht seht ihr - der Studie zu Folge - jeden Morgen im Spiegel.

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

  • "...Die Empirie gibt Hattie anscheinend recht. Bis zu einer Klassenstufe
    kann sich der Lernfortschritt von Schülern unterscheiden, je
    nachdem welchen Lehrer sie haben. Besonders augenfällig machte
    diese Qualitätsdifferenz vor einigen Jahren ein Experiment aus Schweden.
    Hier übernahmen ausgewählte Lehrer die Klasse einer
    Brennpunktschule, deren Schüler sich weitgehend aufgegeben hatten.
    Nach einem Jahr hatten sie die Stimmung gedreht und den
    Lernrückstand beträchtlich verkleinert..." (Zeit online)


    Ist doch alles ganz einfach, Hattie hat sich ausführlichst mit Unterricht befasst und empirisch belegt: es gibt gute Lehrer und es gibt schlechte Lehrer.:laola:

  • Zitat alias :

    Zitat

    Den wichtigsten Faktor für guten Unterricht seht ihr - der Studie zu Folge - jeden Morgen im Spiegel.

    Ich seh da immer nur ein Knattergesicht ! 8_o_)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

  • Hattie hat nur viele von anderen gemachte Untersuchungen zusammengefasst.


    Falls diese den Forderungen sorgfältiger Empirie nicht genügen, wie soll das dann ihre Zusammenfassung?


    Ich glaube nicht, dass sich die Fehler "herausmitteln".

  • Spät, aber bei dem Thema kann ich nicht widerstehen:


    Die meisten (fast alle) Postulate der Didaktik und Pädagogik sind wissenschaftlich fragwürdig, weil sie der wissenschaftlichen Grundlage entbehren - das hat Nele schon dargelegt.


    Ich halte aber zwei andere Gründe für mindestens ebenso wichtig:


    1. Keine Wissenschaft (exotische naturwissenschaftliche Spezialdisziplinen vielleicht ausgenommen) ist dermaßen selbstreferentiell und kocht dermaßen im eigenen Saft wie die universitäre Pädagogik und Didaktik. Man nehme drei beliebige, ähnlich alte Monographien aus diesem Bereich - Thema völlig egal! - und vergleiche die Bibliographien: Ich garantiere eine Übereinstimmung von mindestens 70%, wobei die dort aufgelisteten Werke zu ca. 90% von den immer gleichen drei Verlagen stammen (nennen wir doch Ross und Reiter: es handelt sich um Friedrich (Seelze), Beltz (Weinheim) und Schneider (Hohengehren/Baltmannsweiler). Anscheinend müssen pädagogische Fachverlage in Orten mit komischen Namen sitzen).


    2. Keine Fachrichtung ist dermaßen von Leuten durchsetzt, die eigentlich mal Lehrer werden wollten, dann aber entsetzt feststellen mussten, dass die praktische Beschäftigung mit Kindern um einiges stressiger, unvorhersehbarer und nervenaufreibender ist als die theoretische und die nach kurzer praktischer Tätigkeit in die akademische Lehre flüchten. Gegenbeispiele (ich habe einiges bei einem Deutsch-Didaktiker gelernt, der tatsächlich noch 15 Stunden unterrichtet hat) stechen denn auch wie Leuchttürme heraus, wenn man als Student schon mal einem begegnet.


    Bezeichnend fand ich damals an der Uni auch, dass niemand seine Titel so monstranzartig vor sich her trug wie die Pädagogen und Didaktiker. Da war kein Magister zu popelig, als dass er nicht aufs Türschild gepappt werden musste... während der Nobelpreiskandidat aus der Physik darauf bestand, mit "Herr X" angeredet zu werden.




    Viele Grüße
    Fossi

    Die Mutter der Dummen ist immer schwanger.

  • 2. Keine Fachrichtung ist dermaßen von Leuten durchsetzt, die eigentlich mal Lehrer werden wollten, dann aber entsetzt feststellen mussten, dass die praktische Beschäftigung mit Kindern um einiges stressiger, unvorhersehbarer und nervenaufreibender ist als die theoretische und die nach kurzer praktischer Tätigkeit in die akademische Lehre flüchten. Gegenbeispiele (ich habe einiges bei einem Deutsch-Didaktiker gelernt, der tatsächlich noch 15 Stunden unterrichtet hat) stechen denn auch wie Leuchttürme heraus, wenn man als Student schon mal einem begegnet.


    Genau hier liegt der Grund und sonst nirgends... ich habe keine Ausnahme kennen gelernt (Pädagogische Hochschule). Hinzu kommt, dass viele Erkenntnisse der Didaktik und Pädagogik schlicht der political correctness geschuldet sind: "Es ist nicht wahr, was nicht wahr sein darf". Ein krasses Beispiel dafür: Die Theorie "In Finnland gibt es Gesamtschulen - Finnland war bei Pisa gut - Deutschland braucht auch Gesamtschulen".


    Die Wahrheit liegt aber ganz woanders, siehe hier (schon älter, aber dennoch sehr lesenswert): http://www.finland.de/dfgnrw/doku/strukturfinnschulwesen.pdf

  • inzu kommt, dass viele Erkenntnisse der Didaktik und Pädagogik schlicht der political correctness geschuldet sind: "Es ist nicht wahr, was nicht wahr sein darf"

    Danke, genau den Punkt hatte ich vergessen. Sehr, sehr lesenswerter Link übrigens!



    Viele Grüße
    Fossi

    Die Mutter der Dummen ist immer schwanger.

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