Lehrer als Beruf oder Berufung?

  • Hallo Powerflower,


    erst einmal ein dickes für dich!


    Ich muss dir sagen, dass es mir letzes Jahr zwar nicht ganz so ging wie dir, aber dennoch waren die Kinder in meiner Klasse ziemlich laut und haben oft gestört. Und es war eine normalerweise echt total liebe und brave Klasse! Ich war einfach viel zu gutmütig (am Anfang), später war es dann sehr schwierig, was zu ändern. Ich war ständig am Rumschreien, aber ich denke, ich war trotzdem nicht wirklich konsequent. Ich konnte schwer einschätzen, welche Störung wieviel "zählte", ob das eine genauso schwerwiegend wie das andere war und deshalb der Eine die gleiche Strafe/Konsequenz bekommen musste wie der Andere etc.
    Das haben die Kinder wohl gemerkt und haben deshalb bei mir des Öfteren durchgedreht.


    Ich muss dir aber auch sagen, dass es dieses Jahr (2. Jahr Ref., eigene 3. Klasse) viel besser läuft. Ich bin immer noch manchmal zu gutmütig, und ich tue mir (leider) immer noch schwer abzuschätzen, wie schwerwiegend eine Störung ist. Aber ich habe - so wie ich und meine Mitreferendare es sehen - die liebste und bravste Klasse im ganzen Seminar. Das liegt lange nicht allein an mir, sondern zum größten Teil auch an der Klasse. Aber wie gesagt, letztes Jahr war es auch so eine liebe Klasse, und trotzdem haben sie sich bei mir aufgeführt.


    Dass das jetzt nicht mehr so ist, und ich quasi die Grundvoraussetzungen viel besser nutzen kann, das liegt wohl schon an dem, was ich letztes Jahr lernen musste.


    Übrigens sind bei uns allen (in meinem Seminar) die Seminartage Erholung vom Unterrichtsalltag! Da bist du nicht allein! Allein, dass man weniger bis gar keine Vorbereitung fürs Seminar braucht, ist schon eine Erleichterung. Und wer mir sagt, dass das Unterrichten im Referendariat für ihn immer nur toll und super ist, der lügt entweder oder er ist eine große Ausnahme! So glaube ich. Und das vor allem, wenn man eine wirklich schwierige Klasse erwischt hat. Und wenn man von Anfang an 8 Stunden unterrichtet (bei uns waren's noch 6, und das war zu Beginn schon ganz schön happig).


    Liebe Grüße,
    biene maja :)

  • Hallo biene maja,


    danke für dein Posting. Dann kann ich ja noch hoffen, dass es besser wird.


    Heute war es wieder etwas unruhig, aber es hielt sich im Rahmen, sogar in der wilden 6. Klasse (heute war mal eine für diese Klasse richtig gute Atmosphäre, wenn man davon absieht, dass ich vier Schüler, die an einem Schüler herumzerrten, auseinanderreißen musste; allerdings war auch einer der Ruhestörer nicht da).


    Ich musste in der 5. Klasse einer an sich guten Schülerin ihre erste 6 des Lebens geben. :( Sie hat geweint, aber ich habe sie anscheinend erfolgreich trösten können, sie hörte bald auf zu weinen und kurz darauf bekam ich von ihr das Freundschaftsalbum und das Poesiealbum in die Hand gedrückt. Das hat mich sehr gefreut.


    Für's Seminar bekommen wir schon nett Hausaufgaben auf. :rolleyes:


    Powerflower

  • Hallo! Ich mache mir auch oft sehr viele Gedanken über die Berufung. Früher im Studium dachte ich immer etwas naiv, dass die Berufung sich vielleicht im Ref noch einstellt. Jetzt im Ref merke ich fast immer, dass ich mich nicht zum Lehramt berufen fühle. Der Hauptgrund ist bei mir auch der Konflikt mit Störern dem ich nur sehr schwer Herr werden kann. Ich schaffe es einfach meistens nicht, mich durchzusetzen, und gehe gern Konflikten aus dem Weg.
    Gibt es unter euch Leute, bei denen die Berufung später noch gekommen ist? Ich empfinde das Unterichten leider als ziemliche Belastung und habe oft Angst vor der Schule und vor den vielen Konflikten und möchte nach dem Ref am liebsten was ganz anderes machen.
    Glaubt ihr, da kann sich noch Berufung einstellen? lohnt es sich, darauf noch zu warten, bzw. immer gegen die inneren Gefühle der Ablehnung des Unterrichtens anzukämpfen?


    Bei euch, Laura und Powerflower, lese ich mehr Berufung heraus, als ich habe. Aber Powerflower, deine Probleme kann ich nur unterstreichen, das könnte original von mir sein!


    Grüße, Sarah

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Powerflower,
    dass du dir so viele Gedanken darum machst, zeigt doch schon, dass du auf dem richtigen Weg bist!
    Ich habe hier an der Schule eine gute Bekannte, die Referendarin ist. Sie hat eine etwas lebhafte, aber dennoch nette Klasse (ich habe einen Teil davon in Französisch) bekommen. Die Klasse ist bei mir verschwätzt, aber lieb und ich kann dort guten Gewissens auch mal einen Scherz machen.
    Bei ihr: verschwätzt, laut, fürchterlich, unangenehm, ironisch, teilweise sogar unverschämt- nach ihren Aussagen.
    Beide Seiten steigern sich immer mehr da rein- die Schüler werden immer genervter, der Unterricht der Refin immer schlechter (nur noch Abschreiben)- inzwischen scheinen beide Seiten total verbockt zu sein.
    Und das meiner Ansicht, weil die Refin die Angriffe der Kinder viel zu persönlich nimmt.
    Die Kinder haben nichts gegen deinen Unterricht, sie probieren halt aus, wie laut sie bei dir sein können ("die hört doch eh nicht soviel") - und hier ist es an dir Konsequenzen zu ziehen. Und daran, dass das Durchsetzen von Konsequenzen dir unangenehm ist, daran solltest du vielleicht ein bisschen arbeiten. Eltern müssen doch auch Konsequenzen ziehen, wenn ihr Kind sich nicht benimmt- und sie werden in den meisten Fällen danach auch keine Gewissensbisse haben.
    Aber das kommt mit der Zeit!
    Freu dich, dass das Seminar an sich dir Spaß macht, das ist auch schon ganz viel Wert!
    Liebe Grüße,
    Hermine

  • Hallo Sarah,


    es ist schön zu lesen, dass es anderen ähnlich geht wie mir, auch wenn es bei mir besser zu sein scheint als bei dir (auch wenn es nicht schön ist!). Bist du im ersten oder im zweiten Jahr? Was für Klassen hast du, falls du das schreiben magst?


    Wenn ich mich in meinem Seminar umhöre, die Refs scheinen fast alle begeistert vom Unterrichten zu sein. Nicht dass ich es schlecht finde, aber eben auch nicht umwerfend.


    Hallo Hermine, ich arbeite an meinem Durchsetzungsvermögen, aber hallo! :D
    Ich habe in der 6. eine sehr dominante Schülerin, die sich am Anfang als Co-Lehrerin aufgespielt hat. Inzwischen habe ich es geschafft, ihr zu vermitteln, dass ich höherrangig bin. Sie fuhr am Anfang stark auf der Kumpelschiene, ich ließ mich dummerweise drauf ein, fing aber an, mich davon zu distanzieren, indem ich ihr bei jeder Einmischung (und die gibt es mehrmals pro Stunde) deutlich sagte, dass sie sich nicht einmischen soll, sondern dass ich hier die Lehrerin bin und entscheide. Jetzt fühle ich mich auch wirklich als ihre Lehrerin und nicht mehr als ihre "Freundin".


    Das mit dem gegenseitig Hochschaukeln befürchte ich bei meiner 6. Klasse auch, aber ich bin zuversichtlich, das noch auf die Reihe zu bekommen. Ich arbeite mit einem Belohnungsystem, ich vergebe während des Unterrichts stumm auf einem Plakat Punkte. Jetzt mag ich 2 der 4 schlimmsten Ruhestörer immer mehr.


    Es war übrigens heute SEHR ermutigend zu erleben, eine autoritäre Kollegin mit dieser Klasse schimpfen zu sehen und dabei festzustellen, dass die frechsten Schüler trotzdem immer noch widersprechen.


    Vielleicht kommt das Gefühl der Berufung noch...


    Powerflower

    • Offizieller Beitrag

    Ganz ehrlich, powerflower - ich werde immer ein bisschen misstrauisch, wenn Lehrer - oft sind es die Referendare - berichten, dass ihnen der Unterricht IMMER so einen Riesenspaß macht. Das ist (so komisch es klingt) auch nicht wirklich professionell bzw etwas lebensfremd.


    Wir Lehrer haben einen tollen, befriedigenden und anspruchsvollen Job, der oft Spaß machen kann und vor allem einer ist, der SINN machen kann.


    Nicht immer liegt aber der Sinn im Spaß. Und Menschen, die den Job sehr ernst nehmen, empfinden - logischerweise - auch mal Ärger, Frustration oder Stress: das ist (oder kann auch) ein Zeichen davon (sein), dass die schwierigen Situationen, denen wir eben doch alle mal ausgesetzt sind, nicht auf die leichte Schulter genommen werden, dass man mit ihnen arbeitet.


    Wen jemand NUR Spaß hat, dann, so fürchte ich, übersieht er Dinge: schwelende und unaufgearbeitete Konflikte in der Klasse, Schüler, denen es nicht gut geht im Unterricht, verpatzte Stunden, die wir alle mal halten, eigene Fehler.


    ZU viel Zufriedenheit ist nicht immer ein Zeichen von Kompetenz, fürchte ich.


    Was jetzt bitte nicht so interpretiert werden soll, dass man nur dann ein guter Lehrer ist, wenn man ständig unzufrieden und gefrustet ist, um Gottes willen! !!!


    Es ist, wie gesagt, nur so, dass ich die ständig glücklich lächelnden, die nie Probleme haben und immerfort mit allem zufrieden und mit der Welt im Reinen dahinschweben, auch kennen gelernt habe: und oft waren das Referendare (oder fertige Kollegen), die einfach die existenten Probleme nicht GESEHEN haben.


    Macht das Sinn für dich, so wie ich es erklärt habe? Irgendwie bin ich heute rhetorisch nur so halb da...


    Gruß und eine dicke Ermutigung: du klingst, als könntest du hervorragend reflektieren und damit bist du auf dem Weg zu MEHR Spaß wegen mehr Kompetenz und Überblick!


    Lieber Gruß
    Heike (die auch nicht IMMER Riesenspaß beim Unterrichten hat - aber glaubt, einen wunderbaren Beruf zu haben, alles in allem)

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

  • Hallo Powerflower,


    ich kann Dir nur soviel sagen. In den ersten 6 Monaten hatte ich mega-mäßige Bedenken und hätte am liebsten alles hingeschmissen. Irgendwann kam dann ein verlockendes Jobangebot und ich habe eine Pro-Contra-Liste angefertigt. Und ich habe mich für den Lehrerberuf entschieden. Ab und zu lese ich die Stellenanzeigen bzw. meine alte Firma fragt an und dann überlege ich mir, ob ich den Schritt zurück machen soll. Und plötzlich freue ich mich wieder auf die Schule, manche meiner Schüler nerven zwar, aber ich glaube, zumindest im Moment, möchte ich nicht tauschen.


    Also halte durch. Es wird, so war's zumindest bei mir, besser. Das Bauchweh am Abend und am Morgen hört auf, man steht nicht mehr mit zitternden Beinen vor der Klasse, sitzt zwar immer noch ewig am Schreibtisch, aber nicht mehr sooo lange und kann auch 'mal mit einigermaßem guten Gewissen den Samstag verbringen.


    Ganz liebe Grüße
    Super-Lion

  • Hallo Heike,


    das ist eine interessante und ermutigende Perspektive. Und gerade dein Urteil hat mich sehr interessiert, denn du bist mir hier Vorbild (aus dem, was andere Menschen schreiben, kann man schon viel herauslesen). Was nicht heißen soll, dass ich mich über andere Beiträge weniger freue.


    Super-Lion, danke für's Mutmachen! Wenn ich jetzt so nachdenke, muss ich sagen, dass die Referendare, denen es gut geht, es auch eher laut sagen, als die Referendare, denen es nicht gut geht.


    Wenn ich zurückblicke (eure Beiträge bringen mich dazu), kann ich immerhin sagen, dass es heute doch besser läuft als zu Beginn. Und ich bin sooo froh, dass ich bis heute keine Abneigung gegen die problematischen Schüler aufgebaut habe. Hoffentlich bleibt das so.


    Powerflower

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