Promotion und / oder Lehrer berufliche Schulen

  • Hallo allerseits,


    ich arbeite als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer bayerischen Universität im Fach Betriebswirtschaftslehre mit Vertiefung in Rechnungswesen. Vorher habe ich Wirtschaftswissenschaften mit den Schwerpunkten internes und externes Rechnungswesen sowie Steuern studiert.


    Während meines Wirtschaftsstudiums habe ich Übungsgruppen für Studierende geleitet und dabei festgestellt, dass mir eine lehrende Tätigkeit Spaß macht. Außerdem schreibe ich gerne wissenschaftliche Texte und mag das Arbeitsklima an Universitäten. Ich könnte mir durchaus vorstellen, länger an einer Universität zu bleiben, wenn nicht die Aussichten wegen der 12-Jahres-Befristung des Hochschulrahmengesetzes so schlecht wären. Trotzdem habe ich mich aufgrund meiner obigen Neigungen als Doktorand beworben und schnell eine Stelle bekommen. Mittlerweile habe ich mich jedoch genauer über die Möglichkeiten für Wirtschaftsstudenten, ins Lehramt für berufsbildende Schulen einzusteigen, informiert. Ich sehe darin eine Möglichkeit, die für mich interessanten Tätigkeiten auch dauerhaft ausüben zu können.


    Die Stelle als Doktorand gefällt mir jedoch sehr gut, da Stadt, Universität und die Themen sehr ansprechend sind und ich ein sehr nettes Team erwischt habe. Auch könnte eine Promotion für gewisse für mich auch interessante Stellen Vorteile bringen, z.B. als wissenschaftlicher Bibliothekar, Repetitor für BWL, Dozent, Mitarbeiter in fachlichen Grundlagenabteilungen von Unternehmen, Informationsdiensten... oder FH-Professor.


    Von daher beschäftige ich mich derzeit mit den folgenden Fragen:


    1) Wäre der Lehrerberuf an beruflichen Schulen eine Zukunftsperspektive für mich? Kurz meine Charaktereigenschaften: Hilfsbereit, gut in fachlicher Informationsvermittlung, kann geduldig sein, psychisch eher sensibel und selbstkritisch, kann andere Leute nicht so souverän überzeugen, motivieren und bewerten. Bin eher "zu nett". Ich habe festgestellt, dass ich am besten mit Leuten arbeiten kann, die "lernen wollen". Ich arbeite gerne mit jungen Erwachsenen, bin jedoch eher weniger der Typ Sozialarbeiter. Ich weiss, dass ein Lehrer all dies können muss, frage mich aber auch, ob man diese Fähigkeiten nicht erlernen kann. Sehr gute Erfahrungen hatte ich an einem Wirtschaftsgymnasium gemacht; ich weiss aber, dass es da durchaus auch "unangenehmere" Varianten (BVJ etc.) gibt.


    2) Sollte ich die Promotion durchziehen? Was in mir noch Bedenken hervorruft ist, dass die Beschäftigung mit einem Thema über Jahre ermüdend wird und man die Dissertation quasi "neben der Alltagsarbeit" - also praktisch abends und am Wochenende - schreiben soll. Auch bei der Festlegung auf ein Thema tue ich mich noch schwer.


    3) Wäre ein Studium der Wirtschaftspädagogik eine lohnenswerte Alternative für mich? Wenn ja, in welcher Studienrichtung (I oder II)? Ich habe gehört, dass mit einem zusätzlichen allgemeinen Fach die schulischen Einstellungsschancen besser sein sollen, man dann aber die Gefahr läuft, für die Wirtschaft nicht mehr interessant und damit von der Staatswillkür abhängig zu sein. Es gibt ja auch Unis, wo man auf den Unterricht für 2 Wirtschaftsfächer (z.B. Wirtschaftslehre und Rechnungswesen HU Berlin; Köln, Duisburg-Essen, Steuern in Siegen und Wuppertal) vorbereitet wird. Wie aussichtsreich ist das und wo sollte man das studieren? Ich denke dabei auch an den zeitlichen Mehraufwand für ein Wipaed-Studium, da mir bei 2 Wirtschaftsfächern mehr Leistungen aus meinem Wirtschaftsstudium angerechnet werden könnten. Allerdings scheint man mit 2 Wirtschafts-Unterrichtsfächern (z.B. BWL und VWL, Wirtschaft und Rechnungswesen, Wirtschaft und Steuern) auf bestimmte Bundesländer (Berlin, NRW) festgelegt zu sein - oder?


    4) Wäre ein Quereinstieg ins Referendariat für mich aussichtsreich? Derzeit gibt es soweit ich weiss für Diplom-Kaufleute etc. nur in Baden-Württemberg die Möglichkeit des Quereinstiegs. Wäre man nach dem 2. Staatsexamen vollwertiger Laufbahnbewerber und könnte auch in anderen Bundesländern arbeiten?


    5) Wie werden die Einstellungschancen für BBS-Lehrer in Zukunft sein? Wie sind eure Erfahrungen bzgl. Bundesländer, Fächerkombinationen etc.?


    Ihr merkt schon, ich mache mir derzeit viele Gedanken über meine Zukunft. Ich möchte einfach einen Beruf finden, in dem ich in einem angenehmen Arbeitsklima interessierten Menschen Informationen vermitteln und Ihnen damit helfen kann. Von daher wäre ich über Erfahrungsberichte, Tipps etc. zu allen den hier aufgeworfenen Fragen dankbar - insb. von Referendaren an berufsbildenden Schulen.


    Vielen Dank und beste Grüße

  • Hallo BWL-Doktorand,


    versuche, an einer beruflichen Schule ein Praktikum zu machen. Vielleicht kannst Du die ein oder andere Stunde ja selbst halten.


    Zu Studienzeiten habe ich Mathe-Vorbereitungskurse an meiner Uni gegeben, sowie während des Semesters Tutorien für meinen Prof. gegeben.


    Uni und Berufsschule sind 2 grundsätzlich verschiedene Dinge.


    Die Studenten an der Uni wollen etwas lernen. Sie investieren Zeit, Geld,... Wenn sie nicht kommen, riskieren sie, die Prüfung nicht zu bestehen. Wenn sie keine Lust haben, kommen sie eben nicht.


    In der Berufsschule gibt es leider viele Schüler, die trotz ihres Alters noch nicht so richtig erkannt haben, dass sie für sich lernen. Mindestens 30 % der Arbeit, je nach Klasse, sind erzieherische Aufgaben.
    Bei den Studenten gab es dies nicht. Wer quatschte, konnte gehen.
    Kam aber eigentlich nicht vor oder schmissen diese Studenten von sich aus gleich das Studium.


    Du kannst Schüler in der Berufsschule zwar vor die Tür stellen, Strafarbeiten geben etc., aber Du kannst sie letztendlich nie richtig ausschließen. Du hast eine Aufsichtspflicht.


    In der Berufsfachschule ist es zudem so, dass manche Schüler diese Schule nur besuchen, damit ihre Eltern noch Kindergeld bekommen bzw. da sie einfach nicht wissen, was sie sonst machen sollen. Teilweise sind sie berufsschulpflichtig, d.h. sie müssen kommen. Egal ob sie Interesse haben oder nicht. Auch nicht alle Schüler haben eine Lehrstelle. Bei den meisten ist mir auch klar, woran dies liegt.
    Teilweise ist man, wie Du schon befürchtest, Sozialarbeiter. Die Schüler kommen auch mit ihren privaten Nöten zu uns Lehrern. Es vergeht keine Pause, in der uns nicht ein Schüler sein Herz ausschüttet/Leid klagt.
    Es ist manchmal unglaublich, wie anhänglich manche Schüler sind. Die Themen, die sie einem erzählen, lassen vermuten, dass sie keine richtige Bezugsperson haben.


    Ich weiß, dass in BW Berufsschullehrer gesucht werden. Allerdings wird der Direkteinstieg (also festes Einkommen von Beginn an) nach und nach zurückgefahren. Wir haben demnächst auch 2 Referendare, die das 2jährige Referendariat durchlaufen müssen.
    Nachteil am Referendariat: Es wird hier keine Übernahme garantiert.


    In Bayern gibt es, meines Wissens (ich habe in Bayern studiert) keinen Direkteinstieg. Mein Ex-Kommilitone aus München hat ein Aufbaustudium gemacht und anschließend das klassische Referendariat.


    Wichtiger als sämtliche Aufbaustudiengänge finde ich für das Lehramt an beruflichen Schulen: Berufserfahrung in der Industrie/freien Wirtschaft. Auch eine Lehre schadet nicht. Man kann mit den Schülern mitreden.
    Wenn ich den Schülern erzähle, wie z.B. ein Bewerbungsgespräch aussieht, ein Arbeitszeugnis etc. und selbst noch keins geführt, geschrieben, erhalten habe, ist meine Argumentation einfach nicht so überzeugend.


    Wie's am technischen Gymnasium z.B. aussieht, kann ich nicht beurteilen. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass die Vermittlung des Fachwissens im Vordergrund steht, da die Schüler schon älter sind und das Abitur anstreben.


    Fazit: Praktikum machen. Anschauen.


    Viel Erfolg und viele Grüße
    Super-Lion

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