Wenn SuS meinen Chemieunterricht verlassen, dann können alle zumindest basale Dinge der Chemie. Klar gibt es auch welche, die trotz meiner Bemühungen sehr wenig mitnehmen. Das ist aber immer noch gefühlt zehntausend mal mehr, als sie anscheinend aus der frühkindlichen Förderung mitnehmen.
Selbst die allerwichtigsten Dinge wie still sitzen, nicht reden, wenn jemand anderes redet, warten bis man dran ist, nicht schreien / den Lautstärkepegel unten lassen wird nicht ausreichend genug vermittelt. Ich stelle mal die steile These auf, dass diese Dinge gar nicht trainiert werden, und auch von den darauf folgenden Grundschulen nicht.
Wie sehen eure speziellen Übungen dafür aus?
Wenn ich von Mashkin höre, dass an deutschen Grundschulen ein riesiger Lautstärkepegel herrscht bei offenen Arbeiten dann möchte ich innerlich den Kopf gegen die Wand schlagen. Da muss sofort die offene Arbeit abgebrochen werden und durch eine Übung zum Thema "leise arbeiten" stattfinden.
Ich will von der Grundschule und von der Vorschule gar nicht, dass die bereits irgendwelche naturwissenschaftlich angehauchten Experimente machen. Ich kann sehr gut damit leben, wenn SuS da durchaus Dinge einfach nicht gemacht haben an der Grundschule.
Aber was sitzen muss: Konzentrationsfähigkeit, stilles arbeiten, kommunikatives Arbeiten bei strengster Einhaltung des Geräuschpegels. Es gibt so Kinder, ja, die können das und die sind dann beschulbar. Ein Großteil müsste erstmal zurück zu den Basics.
Mir kommt das so vor, als würden diese Basics gar nicht gezielt unterrichtet. Bitte nennt mir konkrete Unterrichtseinheiten zum Arbeitsverhalten, wie unterrichtet ihr diese basics? Macht ihr das überhaupt? Wenn ich Mashkin höre, dann wird so getan als würde man an Grundschulen Fachinhalte unterrichten, bevor die Grundlagen unterrichtet werden.
Das ist so, als würde ich in meinem Chemie-Anfangsunterricht damit beginnen Reaktionsmechanismen zu unterrichten, obwohl da jegliche Grundlage im Atombau etc. fehlt. So wirkt Grundschule auf mich: Es werden offene Unterrichtsformen zu inhaltlichen Dingen gemacht, obwohl das still Sitzen und disziplinierte Arbeiten als Voraussetzung gar nicht ausreichend vermittelt wurde. Mehr will ich eigentlich gar nicht, lasst bitte irgendwelche Experimente in Sachkunde weg, aber bringt denen die Grundlagen dabei. Ihr seid die Grundschule. Ich komm am Gymnasium auch nicht auf die Idee Atombau und Reaktionsgleichungen im Unterricht zu überspringen, weil es als chic gilt gleich die anspruchsvollen Sachen zu machen. Im Gegenteil, ich muss sehr viel Zeit mit diesen Basics verbringen. Sonst kommen die SuS an die Uni und wollen Chemie studieren und die Dozenten regen sich tierisch auf, dass die Grundlagen fehlen und niemand das kann, was er eigentlich sollte.
Die würden mir auch sagen "Herrschaftszeiten, Frau X, lassen Sie verdammt nochmal den Jahn-Teller-Effekt bei Komplexen weg, bringen Sie ihnen verdammt noch einmal überhaupt erstmal bei, was ein Atom ist und wie man stöchiometrische Reaktionsgleichungen aufstellt." Und recht hätte die Person.
Es kommt einem manchmal so vor, als wenn "die Grundschule" (also die aktuelle Strömung der Grundschuldidaktik) da nach den Sternen greift und ach so tolle Dinge (offener Unterricht, tolle naturwissenschaftliche Experimente, neue Medien) machen möchte, aber sich zu schade ist die Schüler dazu zu bringen konzentriert arbeiten, lange still sitzen, auswendig lernen usw. zu können.
Vielleicht macht man sich bei Eltern und Schülern unbeliebt, wenn man diese Grundlagen old school vermittelt? So jemanden wie Mashkin mit russischem Einschlag würde ich mir extrem mehr wünschen.
Und das Gejammer von wegen "die sind gedrillt und dann nicht mehr so kreativ" will ich gar nicht hören. Ich habe 1000x lieber disziplinierte Schüler, denn wenn diese Grundlagen stimmen, kann ich mit meinen tollen Experimenten in Chemie usw. locker Motivation wecken. Auf Kreativität (vor allem im Verhalten) lege ich weniger Wert als auf Disziplin.
Aber den Grundschülern erstmal das Arbeiten beibringen ist nicht chic, oder? Da kann man nicht eine tolle Ausstellung machen und den Eltern zeigen "ohhh wir batiken T-Shirts in bunten Farben", was dann vermutlich so ablief, dass bei lautem Rumgeschreie und wildem Herumgerenne (ich glaube Mashkins Bericht da sehr) herumgepanscht wurde. Auch würden die Kinder zuhause nicht erzählen, wie lustig das in der Schule ist (ja, macht ja auch Spaß in Farben herumzupanschen und ausgelassen zu sein), sondern von der strengen Lehrerin zuhause erzählen, nicht? Ich hatte eine sehr strenge, alte Grundschullehrerin auf einem Dorf und ganz ehrlich, ich bin trotzdem gerne zur Schule geangen. Sie war extrem streng und hat aber für Ordnung gesorgt so,dass die verhaltenskreativen Kinder ganz schnell auf Spur kamen. Es wurde immer sichergestellt, dass die Lernwilligen lernen konnten.
Ich meine ich sehe es auch am Gymnasium, es gibt KuK wie ich, die die Schüler auch mal durch Übungen zum Aufstellen von Verhältnisformeln bei Ionenverbindungen "quälen" (wobei das vielen auch Spaß macht, weil es logisch ist) bis es eben sitzt! Eine Kollegin haben wir, die zeigt immer ganz viele youtube Videos von Brainiac wo alles spektakulär ist. Klar lieben ihre Schüler Chemie. Wenn man die aber übernimmt stellt man fest, sie können fast nichts.
Ich könnte es mir auch einfach machen und spektakuläre Experimente zeigen und auch selber machen lassen, dann würden die zuhause alle erzählen wieeeeee toll Chemie ist. (Ja, Wollsocken, bei Dir erzählen die das ja auch so trotz fachlicher Tiefe, wir wissen es!)
Aber es ist sinnvoller das so zu machen wie ich, diese Highlights mal (!) einzusetzen und zwar dann, wenn man sichergestellt hat, dass die nüchternen (!) Grundlagen sitzen.