Ich habe in gut hundert Universitäten in den Vereinigten Staaten und Europa zu Studenten über das Problem von Freiheit und Diktatur gesprochen. Viele junge Menschen von heute möchten gerne gegen die Gestapo, gegen die SS, gegen Hitler kämpfen, sie möchten die Juden vor der Ermordung bewahren und den Weltkrieg vermeiden. Das sind heroische Ziele. Aber es gibt dort, wo sie leben, keinen Hitler, keine Gestapo und keine SS. Sie müssen begreifen, daß es das alles auch in den Dreißigerjahren nicht gegeben hat, daß es gewachsen ist, erst langsam und unbemerkbar, dann immer schneller. Bis es zu spät war.
Deshalb muß man von Beginn an kämpfen. „Ihr müßt“, habe ich versucht, ihnen zu sagen, „gegen die kleinen Ungerechtigkeiten zu Felde ziehen – das erfordert manchmal genauso viel Zivilcourage und Mut wie der Kampf gegen das große Unrecht. Wenn einer wegschaut, wie sein Arbeitskollege grundlos verleumdet wird, und sich freut, daß er vielleicht dessen Position erklimmen kann, dann handelt er nicht anders als einer, der damals weggeschaut hat, als man die Juden die Gehsteige aufwischen ließ, und der sich gefreut hat, in ihre leergewordene Wohnung einzuziehen. Ich glaube, daß die Menschen, die damals den großen Widerstand geleistet haben, heute den kleinen Widerstand übten.“
Wenn einer heute nur den großen Widerstand gegen Hitler leisten will, dann habe ich den Verdacht, daß er dem kleinen Widerstand gegen das heutige Unrecht ausweichen möchte.