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Wie kann man normale Spielunfälle von häuslicher Gewalt unterscheiden? Seid ihr da irgendwie geschult wurden?
Wie unterscheidet man das in so einem Fall? Man ist ja auch kein Mitarbeiter vom Jugendamt?
Schwierig, wenn das Kind sowohl wild unterwegs ist, aber man gleichzeitig weiß, dass die Mutter wechselseitige Partner mit nach Hause schleppt und es immer mal Konflikte gibt.
Wechselnde Partner sind kein Hinweis auf Kindeswohlgefährdung, wir leben schließlich nicht mehr in den 50ern. Konflikte gibt es in jeder Familie, auch diese sind also per se kein Hinweis auf Kindeswohlgefährdung, sondern wenn, dann die Konfliktkultur in der Familie bzw. auch die Erziehungsmethoden und die innerfamiliäre Kommunikation (auch diese sind nur erste, zarte Hinweise, mehr nicht).
Ich arbeite in GK beispielsweise mit den Hasen in Klasse 7 zum Thema Erziehungstile. Da höre ich natürlich sehr genau zu, was die SuS an der Stelle von der heimischen Erziehung berichten bzw. wie sie bestimmte Modelle beurteilen, vor allem, wenn sie Schläge als Normalität empfinden und sich wundern, wenn ich ihnen sage, dass Kinder ein Recht hätten auf gewaltfreie Erziehung (das führt regelmäßig zu zahlreichen Debatten um Nuancen von Gewalt bzw. Gewaltlosigkeit in der Erziehung). Im Regelfall sind das dann trotz allem (noch) keine Fälle von Kindeswohlgefährdung, ich habe aber auch schon einmal im Anschluss an so eine Debatte erst ein vorsichtiges Gespräch mit einem Schüler geführt über seine Aussagen, um sodann das Gespräch mit KL und Schulsozialarbeit zu suchen, die den Fall letztlich weiter verfolgt haben in Zusammenarbeit mit dem JA.
Es gibt an jeder Schule klare Ansprechpartner:innen an die man sich wenden kann, wenn man Fälle von Kindeswohlgefährdung vermutet, wie die Schulsozialarbeit, Vertrauenslehrkräfte, Beratungslehrkräfte, sowie außerhalb der eigenen Schule Beratungslehrkräfte, schulpsychologische Beratungsstellen und die Möglichkeit der anonymisierten Fallberatung mit dem JA, um erst einmal zu klären, ob es sich um Kindeswohlgefährdung handeln könnte. In jedem Fall muss man sich immer zunächst mit den anderen Lehrkräften der Klasse besprechen und beraten, was diese beobachtet haben, auch um sich nicht vorschnell zu einer einseitigen Betrachtungsweise verführen zu lassen, weil man beispielsweise die private Lebensführung von alleinerziehenden Frauen infolge persönlicher Überzeugungen verurteilt und an sich bereits für problematisch erachtet.
Ich möchte dir ans Herz legen, an der Stelle genauer hinzuschauen bei dir selbst, welche für den Umgang mit Eltern möglicherweise problematischen Haltungen und Vorurteile du noch in dir trägst. Die Fähigkeit Menschen offen zu begegnen, ohne sie direkt qua Lebenssituation in eine Schublade zu werfen ist immens wichtig bei der Beurteilung möglicher Fälle von Kindeswohlgefährdung, aber auch ganz generell hilfreich im Schuldienst.