Ich kann das mit dem Genervtsein gut nachempfinden, auch wenn ich selbst diesen Zustand noch nicht erreicht habe (noch lange nicht so lange im Dienst wie du). Je älter man wird (und DAS merke ich auch an mir), desto schwieriger fällt einem in vielen Fällen die Akzeptanz von Extremen (Lautstärke, Hibbeligkeit etc), meiner Wahrnehmung nach.
Die Unruhe entsteht meiner Meinung nach, neben all dem, das hier schon angesprochen wurde, auch durch die "Schnelllebigkeit" in den Medien. Ich habe Tiktok mal für fünf Minuten angemacht und entsetzt wieder deinstalliert, weil ich schon nach dieser kurzen Zeit völlig überfordert war von den schnellen Wechseln in Schnitten, Bildern und Videos. Der Content bewegt sich im Bereich zwischen 1-2 Minuten, danach folgt der nächste. Viele Kinder sind auf diesem Medium sehr, sehr viel, was ich so mitbekomme und werden von dieser Schnelligkeit geprägt.
Letztens habe ich in Englisch einen kleinen Film (6min Dauer) wiederholt, da die Kinder danach mit den Texten des Films diesen als Rollenspiel nachspielen sollten. Kommentar eines Jungen: "Wiesoooo??? Haben wir doch schon gesehen! Wiederholungen sind kacke!!" Auf meinen Blick hin hat er sich für seine Wortwahl und sein Reinrufen entschuldigt, ich habe dies angenommen, aber im Prinzip hat er eine Wahrheit für viele Mediennutzer und Mediennutzerinnen dieses Alters ausgesprochen. Gucken - und weiter. Content - und weiter. Einmal gesehen - und weiter. Schnellschnellschnell.
Dies führt unweigerlich dazu, so empfinde ich das, dass Kinder, die dieses Konsumverhalten haben, nicht mehr in der Lage sind, Langsamkeit, Entspannung und längere Strecken eines Themas zu "ertragen". Wenn man sich Filme von früher anschaut und sie mit heutigen Filmen vergleicht, sind die Filmschnitte auch um ein SO vieles schneller, ja, rasanter geworden. Die Augen werden überschüttet mit Input, der Kopf kommt kaum hinterher. Die Menschen haben im Schlaf dann so viel mehr zu verarbeiten, was sicher dazu führt, dass der Schlaf unsteter ist und der Organismus immer mehr in eine Störung hinein kommt. Dies sind die Ergebnisse meines Nachdenkens darüber, nichts ist wissenschaftlich belegt, aber nach meiner Wahrnehmung und meiner Erfahrung mit den Kindern nimmt genau dieses Verhalten immer mehr zu. So ändert sich dann auch der Konsumwunsch - und wenn der Unterricht diesem Wunsch nicht nachkommt, entsteht Unruhe, weil Kinder dieses langsamere Vorgehen nicht mehr ertragen.
Daher auch die Schere im Unterricht. Kinder, die noch ein Leben mit weniger Medienkonsum haben, noch viel spielen, draußen sind, Sport treiben etc., mit Freunden unterwegs sind, haben ganz andere Prägungen. Unterrichts-Einheiten, wie sie zu meiner Schulzeit noch möglich waren, sind heute, so meine Wahrnehmung, nicht mehr möglich, die Leistungen und auch die Ausdauer können bei einigen Kindern nicht mehr vorausgesetzt werden.
Wenn ein Hirn andauernd fehlbeschossen wird, passt es sich an. Ich gehe davon aus, dass, genauso wie man seinen Körper in einen Fehlstoffwechsel bringen kann (durch falsches Essen, fehlende Bewegung etc), man sein Hirn auch in so einen Zustand kriegt. Nicht grundlos werden die ADHS-Fälle immer mehr. Sicher gibt es auch "natürliche Fälle" mit angeborener Stoffwechselstörung, aber ich glaube, man müsste ADHS in zwei Diagnostiken stecken, welche Ursache es hat, sonst übertüncht man diese mit der Diagnose und der vielleicht anstehenden Medikation nur.
Ich weiß, es hat nur bedingt mit Quittengelees Thema zu tun, es sind aber meine Gedanken zum Thema "wird es echt unruhiger? Oder bin ich einfach nur gestresster?" Ich meine, es wird wirklich unruhiger, aus den oben aufgeführten Gründen.
Ich persönlich gehe mit sehr straffen Regeln vor, die ich freundlich und humorvoll einführe und dann straight umsetze. Zudem darf die Klasse, wenn alles gut läuft, bei mehreren Stunden am Stück, zusätzlich zu den regulären Pausen, auch mal "aufstehen und zappeln", in Form eines kurzen Spiels. Danach folgt eine Ruheübung (1min absolute Ruhe, was hörst du?/Klangschale anspielen, wann ist der Klang weg?/Augen zu, ein Papier, sonstiges fallenlassen, wer hört es und wer kann sagen, was usw). Danach geht es mit der Arbeit weiter.
Zusätzlich dazu bestärke ich die Kinder positiv, die ruhig arbeiten und schimpfe die Unruhigen nicht, sondern gehe hin und frage, was denn in ihnen ist, dass Arbeiten gerade schwierig für sie zu sein scheint. Meist kommt dabei was raus. Auch lasse ich Kinder, die Schwierigkeiten mit dem Sitzen haben, auch mal im Kreis beim Arbeiten liegen oder aufstehen, wenn sie es brauchen (zB beim Sitzen im Sitzkreis ist das bei mir erlaubt, sich auch auf den Boden zu setzen oder sich zu stellen, ohne dass es heißt "heee, der/die steht aber!!"). Das etwas freiere Bewegen hilft vielen, die in einer Position irgendwann die Krise kriegen.
Nicht arbeiten ist keine Alternative, aber ich versuche, es ihnen für sie persönlich so angenehm wie möglich zu gestalten.
Keine Ahnung, ob das hilft...ich habe einfach mal meine Gedanken losgelassen.
Und jetzt hoppel ich zur Schule. 