Zu der laufenden Diskussion kann ich schildern, wie inklusive, integrative oder was auch immer für eine Beschulung zur Zeit in meiner Klasse abläuft:
Ich habe ein erstes Schuljahr mit allem, was da so zugehört. Also mit Kindern, die im Stoff schon soweit sind, dass sie fließend lesen, schreiben und rechnen können; Kindern, denen es schwer fällt, einzelne Buchstaben überhaupt erst mal zu erfassen und zu behalten, Kindern die den Zahlraum bis 20 noch nicht erfasst haben, Kindern, die erhebliche Auffälligkeiten im Verhalten haben, also das volle Programm. Speziellen Förderbedarf gibt es nicht, da ja laut Schulamt jedes Kind erstmal nach seinen Möglichkeiten beschult werden soll. Demnach gibt es auch keine weiteren zusätzlichen Fördermaßnahmen. Ich will mich darüber auch nicht beklagen, das ist mittlerweile Alltagsgeschäft.
In dieser Klasse sitzt nun auch ein Kind mit einer anerkannten seelischen Behinderung, erheblichem Förderbedarf im sozialen Bereich und sehr großen Verhaltensauffälligkeiten. Das bedeutet im Alltag, dass man auf einem Pulverfass sitzt. Ohne Vorwarnung entladen sich da emotionale Schübe, die in einer Aggressivität anderen gegenüber zeigt, auch mir gegenüber, die ich mir so nicht vorstellen konnte. Der Vorteil, den ich zur Zeit noch habe, ist meine noch vorhandene körperliche Überlegenheit, mit der ich die Aggressionen abhalten oder auf mich ziehen kann, so dass die anderen Schüler wenigstens unbeschadet bleiben. Im Klartext heißt das: Meinen täglichen Ringkampf gib mir heute! Die zugesagte Integrationskraft kam erst viel später, aber auch da gibt es Situationen, in denen man zu zweit handeln muss, und die restlichen Kinder, die ja auch erst sechs oder sieben Jahre alt sind und nicht nur durch engelsgleiche Verhaltensweisen glänzen, allein lassen, weil eben niemand mehr da ist, der dann noch Aufsicht führen kann. Von Unterricht möchte ich da gar nicht sprechen.
Im Fachunterricht potenziert sich dieses Problem noch weiter, die Kollegen sind häufig froh, wenn die Stunden einfach nur ohne größere Zwischenfälle ablaufen. Auch in meinem Unterricht oder Organisation musste vieles angepasst werden, damit bestimmte "explosive" Situationen vermieden werden. Das fängt bei der Frühstückspause an und zieht sich durch was die kooperativen Unterrichtsformen angeht, die mit so einem Kind eben nicht mehr machbar sind.
Nun habe ich Glück mit der I-Kraft, weshalb klage ich also? Sobald man diese Maßnahme durchgeboxt hat, kommen schon die ersten Anrufe und Aufforderungen, dass man bitte schön ganz ausführlich belegen soll, warum so eine Kraft in diesem Umfang überhaupt notwendig ist. Schließlich kostet diese Maßnahme ein Heidengeld usw. Irgendwann war ich so entnervt, dass ich nur noch zurückgepampt habe (am Telefon), man könne jederzeit in meinem Unterricht hospitieren, um sich ein Bild von der notwendigen Maßnahme zu machen, besser wäre noch, mal eine Unterrichtseinheit selber durchzuführen. Da war dann erst mal Ruhe, ich bin aber gespannt, wie lange das anhält.
Nun weiß ich, dass ich mich in der "Luxussituation" befinde, mit I-Kraft zu arbeiten, außerdem verfügt die Klasse über eine gut funktionierende Klassengemeinschaft, die einiges auffängt. Trotzdem fühle ich mich in dieser Hinsicht am Ende der (auch körperlichen) Belastbarkeit. Ich WILL mir gar nicht ausmalen, was passiert, wenn weitere Kinder mit speziellem Förderbedarf in die Klasse kämen und ich diesen ohne Zusatzmaßnahmen auffangen müsste.
Mein persönliches Fazit lautet also, dass ich bei dem Spruch: "Inklusion beginnt im Kopf" nur noch einen Schreikrampf bekomme. Wenn man sich eines nicht leisten kann, dann ist das Blauäugigkeit. Schwierigkeiten in einer möglichen inklusiven Beschulung aller Kinder beseitigt man nicht durch das Verleugnen dieser, sondern durch ein Erkennen von möglichen Problemen und ihrer Beseitigung bevor man mit etwas Neuem anfängt. Worauf ich extrem allergisch reagiere, ist jedoch der gutgemeinte Hinweis, dass es woanders funktioniert und dass nur ich nicht gut genug differenziere, kooperiere usw. Schließlich erlebe ich täglich, wovon ich spreche.