Beiträge von ambrador

    "Komplexität bestimmt sich aus der Anzahl und Unterschiedlichkeit der Elemente eines Systems und aus den Relationen zwischen diesen Elementen. Kognitive Komplexität beschreibt dementsprechend einerseits das für die Bearbeitung von Augaben erforderliche Ensemble aus Prozessen und Wissensstrukturen und andererseits die kognitive Struktuiertheit von Personen."


    R.Kliegl & G.Fanselow, in: Strube, G. et al. (1996): Wörterbuch der Kognitionswissenschaft, Stuttgart:Klett-Cotta, S.323f.


    hab ich hier geklaut:
    http://www.ku-eichstaett.de/Fa…k.bak/theorie/handbuch.de


    Vielleicht wären ein paar Informationen zum Kontext, in dem du die Erklärung brauchst hilfreich?


    ambrador :o)

    Hallo sinfini!


    Fangen wir einmal hinten an.


    Dass im "Göttinger Katalog Didaktischer Modelle" die "Erkundung" als "Modell" und nicht als Methode aufgeführt ist, hat einfach den Grund, dass dort sehr allgemein nach unterschiedlichen Lern-"Vorbildern", i.S.v modellhaften Anleitungen, gesucht wird. Wenn du ein wenig in den Katalog schaust, wirst du sehen, dass es dort nicht so sehr auf die Planung und Durchführung einer Erkundung ankommt, sondern auf einen Vergleich und eine einheitliche Beschreibung verschiedenster didaktischer "Modelle". Eine "Landkarte" didaktischer Lehr/Lern-Modelle. Im Übrigen verwenden Flechsig/Haller "Modell" und "Methode" synonym. Wenn du im GKDM liest, musst du immer mitdenken, dass dort (entgegen der allgemeinen Gepflogenheiten in der Pädagogik) nicht zw. Modell und Methode unterschieden wird.


    Ich würde mich nicht so sehr daran stören, dass nicht so streng zwischen Lerntheorien und -modellen in der Literatur unterschieden wird. Ich vermute, dass nicht jeder Autor damit einverstanden ist, dass es sich schon bei der Darstellung des "Reiz-Reaktion-Schemas" um eine "Theorie" handelt. Pawlow ging es nicht um die Ausarbeitung einer "Theorie".


    Ich würde evtl. so trennen: Ein "Modell" versucht (meinetwegen: empirische) Daten in einen schematisch-sachlichen Begründungszusammenhang zu bringen. Eine "Theorie" hat einen tieferen Anspruch: Widerspruchsfreie (ausführliche, auf Grundlage weniger Prämissen/Axiome) Ausarbeitung eines spezifischen Sachzusammenhangs ("Was ist Lernen?").


    (edit: Hälfte vergessen :o) )
    Deshalb würde ich dem "Behaviorismus" am Ehesten den Charakter eines "Modells" zuschreiben. Soweit ich weiß, gehen die Behavioristen weitgehend experimentell vor. Gibt es eigentlich eine echte "Theorie" des Behaviorismus?


    Den "Kognitivismus" als didaktisches Modell zu bezeichnen, finde ich interessant. Tatsächlich ist es meiner Meinung nach so, dass sich Kognitivismus im Wesentlichen darin äußert, Begründungen dafür zu geben, dass im Unterricht Fragen gestellt werden, die der Lehrer schon beantworten kann ("Der Schüler muss das Problem selber durchdenken!") und Übungen immer und immer wieder gleichförmig durchgeführt werden, bis das kognitive Verarbeitung dem Problem angepasst wurde. Insofert wäre der Kognitivismus tatsächlich kein "Lernmodell" (welches Lernen wird denn modelliert?) noch eine "Theorie" (Nachahmung allein ist wohl noch keine Theorie).


    Insfoern würde ich dem "Konstruktivismus" als vorrangig philosophisch/denkerisch präsentiertem Ansatz den Status "Theorie" zuerkennen. Allerdings würde ich dann hinzufügen "schlechte" Theorie. Was meistens gemeint ist, wenn Didaktiker von "Konstruktivismus" reden, ist, wenn überhaupt, ein didaktisches Modell: "Lernerzentrierter Unterricht". (Ok, darüber lässt sich sicherlich streiten)


    (edit: Ende)


    Ich hoffe, ich konnte ein wenig helfen,
    ambrador

    "Verweigere den alten Kategorien des Negativen (Gesetz, Grenze, Kastration, Mangel, Lücke), die das westliche Denken so lange als eine Form der Macht und einen Zugang zur Realität geheiligt hat, jede Gefolgschaft! Gib dem den Vorzug, was positiv ist und multipel, der Differenz vor der Uniformität, den mobilen Dispositiven vor den Systemen! Glaube daran, daß das Produktive nicht seßhaft ist, sondern nomadisch!"

    Ich mach mir das immer ganz einfach, weil bei mir mi Info-Blatt steht:


    "Für weitere Erläuterungen steht Ihnen Ihre Beihilfestelle - auch telefonisch - gern zur Verfügung."


    Nun bin ich in Niedersachsen und meine Beihilfestelle ist in Braunschweig bzw. Aurich. Mir wurden bisher alle Fragen geduldig und freundlich und mehrfach beantwortet. Nun werden Dir meine niedersächsischen Telefonnummern nicht viel helfen.


    http://www.beihilfe.nrw.de bringt dir nichts?


    Gruß,
    ambrador

    Um meinen Hauptschülern (also keine Primarstufe) den Lernzuwachs vor Augen zu führen, nehme ich ein Arbeitsblatt, auf dem z.B. ein Bild zu beschriften ist und lasse sie ausfüllen, was sie schon wissen.


    Das gleich Arbeitsblatt verwende ich dann später noch einmal, damit die SchülerInnen sehen, dass sie nach einer Unterrichtseinheit mehr wissen als sie vorher gewusst haben (sie können jetzt nämlich die offen gebliebenen Felder ausfüllen oder selbständig Fehler korrigieren). Sowas würde ich als "Sehen" von Lernzuwächsen ansehen.


    Gruß,
    ambrador

    Zitat

    Original von Conni


    Richtig. Allerdings verwende ich andere Methoden, als von HM zu Papier gebracht.


    Da würde mich dann ja doch interessieren, worin sich deine Methoden unterscheiden.


    - du verwendest keine Unterrichtseinstiege, Erarbeitungen und Ergibnissicherungen? (Beispiele siehe Meyer "Unterrichtsmethoden" Praxisband, S. 172 ff.)
    - verzichtest auf Frontalunterricht?
    - reagierst nicht auf Unterrichtsstörungen (S. 226)
    - vermeidest Gruppenunterricht? (Bsp. S. 270)
    - der von Gudjons und Meyer stark gemacht "Handlungsorientierte Unterricht" sagt dir nichts? (Konkretisierung: S. 425)
    -> also verwendet du vermutlich die Projektmethode, zu der ich gerade nichts in Meyers "Unterrichtsmethoden" finden kann. Zumindest nicht als eigenes Kapitel. Im Register wird auch "Projekt" erwähnt.


    Auch ich verwende Sammlungen von kurzen Beispielen, in denen konkrete und kleingearbeitete Unterrichtsstunden vorgestellt werden (ja sogar mit kopierfertigen Arbeitsblättern) , *aber*: die theoretische Vorarbeit, solche Beispielsammlungen sinnvoll nutzen oder überhaupt erstellen zu können, liefern die *Didaktiker* (z.B. Hilbert Meyer): "guter" Frontalunterricht, Handlungsorientierter Unterricht, Wochenplan, Gruppenarbeit, Projektorientierter Unterricht sind konzeptionelle Erfindungen der Didaktiker. Ohne eine anspruchsvolle Didaktik würde unser heutiger Unterricht immer noch als einzige Methode den Rohrstock anerkennen (der in seiner Effektivität nicht zu unterschätzen ist, in seiner didaktiksch/pädagogischen Disqualifikation allerdings auch nicht).


    Zitat

    Hirnforscher, Psychologen etc. Der Clou ist nämlich, dass keine der wissenschaftlichen Untersuchungen wirklich unumstößlich ist. Es gibt viele neue Erkenntnisse, die sich z.T. widersprechen.
    Wenn ein Didaktiker die alle berücksichtigen würde, würde er niemals fertig werden mit dem klären z.B. der Voraussetzungen aus der Hirnforschung, er müsste seine Erkenntnisse sehr vage formulieren und er müsste alle 2 Jahre sein Buch komplett überarbeiten. Und zwar so, dass da nicht nur steht "8. Auflage mit neuem Vorwort", sondern dass es ein in weiten Teilen neues Buch wird.


    Aber das ist doch ein Argument für *mehr* Didaktik und *mehr* Didaktiker. Das Problem, das wir diskutieren, ist doch gerade, ob bloße "Praxis" ausreichen könnte. Und ich sage: "Nein!". Der Job, den die Bildungsforschung, macht ist sehr sinnvoll und auch der Job, den die Didaktiker machen, hat eine Daseinsberechtigung.


    Ich sehe nach wie vor nicht, wo du nicht meiner oder ich nicht deiner Meinung wäre. Abgesehen vielleicht davon, dass du sagen würdest: Hilbert Meyer taugt nichts. Ok, dann frage ich: wo siehst du eine Alternative? Und wenn es keine gibt: Dann müssen wir eben mit den schlechten Möglichkeiten zurechtkommen, die wir haben. Gerade darin sollten LehrerInnen doch Weltmeister sein: Unter quasi nicht tolerierbaren Umständen Spitzenleistungen erbringen.


    Der Hinweis von alias ist natürlich spitze. Meyer schreibt auf seiner Webseite:

    Zitat

    Ein wesentlicher Teil meiner wissenschaftlichen Arbeit hat darin bestanden, Lehrbücher für Studierende, ReferendarInnen und berufserfahrende LehrerInnen zu verfassen, in denen ich mich als Dolmetscher wichtiger und aktueller Entwicklungsfragen betätigt habe.


    Gruß,
    ambrador


    Was du sagst, mag im Großen und Ganzen sogar stimmen (auch wenn ich das nicht glaube), aber in einem Thread, in dem es um die Rolle Hilbert Meyers in der gegenwärtigen didaktischen Landschaft geht, auch noch die Affirmativitäts-Keule zu schwingen, führt meiner Meinung nach dann doch etwas weit: Irgendetwas kann ja nun nicht stimmen: Ist Hilbert Meyer nun der, der das Ende der 68er verschlafen hat? Oder der Obrigkeitshörige Handlanger der jeweils herrschenden Partei?


    Da Hilbert Meyers Webseite nun doch schon zitiert wurde, sei hier auch darauf hingewiesen, dass (zumindest soweit ich weiß), nicht viel Obrigkeitskonformität aus der Oldenburger Lehrerschmiede bekannt ist:


    Zitat

    der "Leitfaden" veranlasste den damaligen Kultusminister Werner Remmers, den Rektor der Universität Oldenburg in einem durchaus ungewöhnlichen Erlass aufzufordern, dafür Sorge zu tragen, dass dieser Text nicht als verbindliche Grundlage für das Lehramtsstudium an der Universität Oldenburg dienen möge; dies wies der Rektor mit dem Hinweis auf die Freiheit von Forschung und Lehre zurück.


    http://www.member.uni-oldenburg.de/hilbert.meyer/5410.html


    Auch ist Hilbert Meyer Mitglied im Beirat der Laborschule Bielfeld: Welche Schule könnte eine größere Praxis-Nähe, Reform- und Experimentierbereitschaft und eine tiefere Theorieskepsis für sich in Anspruch nehmen als von Hentigs Bielefelder Schulversuch?


    Ist es nicht auch ein politisches Signal, dass Hilbert Meyer seine "Schulpädagogik" zusammen mit Dorothea Vogt schrieb, die im Rahmen des Radikalenerlass bis in die 90er Jahre hinein mit einem Berufsverbot belegt war (wegen Verbindungen zur DKP)?


    Ich finde nach wie vor: Wer etwas gegen die Didaktik hat, sollte nicht auf einen ihrer anständigsten Vertreter rumhauen.


    Wie wäre es mit ein paar kritischen Tönen gegen Dieter Lenzen, der in Berlin Entscheidungen im Zweifelsfall nach der "Lex Lenzen" zu treffen scheint? (Wenn wir schon auf Pädagogen rumhauen wollen?)


    Gruß,
    ambrador

    Zitat

    Ich vermittle mit Hilfe unterschiedlicher Methoden


    Eben deshalb schreibt Hilbert Meyer ein dickes zweibändiges Werk zur UnterrichtsMETHODIK!


    Zitat

    Einige verstehen und lernen schneller, andere brauchen etwas mehr Zeit, wieder andere brauchen noch mehr Zeit und wieder andere erwerben lückenhafte Kenntnisse.


    Das kann man dann am Ende als Lehrer feststellen. Aber die Frage, die sich mir stellt, ist: habe ich dann nicht gut genug unterrichtet, oder ziehe ich mich, weil ich mich sowieso nicht für Theorie interessiere, auf den Standpunkt zurück, dass wer nicht lernt "einfach" zu faul oder zu dumm (=unbegabt) ist. So sieht meiner Meinung nach die Lösung, die sich als "praktikabelste" Lösung im Lehrzimmer-Gespräch anbietet: "Ich habe ja *alles* Versucht, was ihr mir geraten habt ... Aber: Es hat einfach nix gebracht!"


    Zitat

    Davon ist eines mMn eine mehr oder weniger angeborene Begabung (diese Meinung wird doch hoffentlich inzwischen wieder im politisch korrekten Bereich liegen, oder ist dein Problem hinter deiner Frage dieses?), mehrere Parameter liegen in der Gehirnentwicklung und den dabei vorherrschenden Umweltbedingungen. Die Einstellung der Familie zum Lernen oder zu Schule ist wichtig, die Beziehung die das Kind zu mir aufbaut und umgekehrt, und eben auch ob ich für das Kind passende und unter den gegebenen Rahmenbedingungen umsetzbare (!!!) Methoden für die zu lernenden Inhalte finde.


    Also benötigen wir wissenschaftliche Untersuchungen darüber, wie sich Begabung auf die Lernleistung auswirkt, Wissen über die Gehirnentwicklung und gaaaanz viel Forschung zu den Umweltbedingungen (soziale Herkunft, Einstellungen i.d. Familie), dazu dann noch viel Psychologie (sei es Bindungstheorie, sei es Anerkennungs- oder Selbstwirksamkeitsforschung, Selbstbildmodell oder was weiß ich).


    Und jetzt der Clou: Wer, wenn nicht die Didaktiker, die dicke METHODEN-Bücher schreiben (und etwas anderes sind die bekannten Bücher "Leitfaden" oder "Unterrichtmethoden" von Hilbi nicht), soll uns "Praktikern" all die Informationen dann (zunächst sicherlich: theoretisch), d.h. in "wissbarer" Form, vermitteln?


    Ich lese dein Statement deshalb als Plädoyer *für* Didaktik und damit als Bestätigung dessen, was auch ich sagen würde.


    Gruß,
    ambrador

    Zitat

    Ach, und übrigens: den schlechten Kollegen könntest du auf den Stuihl fesseln und ihn Hilbi und Klippert auswendig lernen lassen. Ds würde auch nix nützen. Denn es ist zumeist nicht das didaktische Wissen, sondern das nicht-WOLLEN, was den schlechten Kollegen ausmacht. Oder fehlende Empathie, oder galoppierende Faulheit oder schlicht mangelndes Talent, das Talent, das eben nicht nur Handwerkszeug ist - und das lässt sich eh nicht erlernen. Ein weiterer Grund, warum man Lehresein nicht aus Büchern holen kann - 40-50% (meine Schätzung) ist Begabung. Wie beim Musiker...


    Nungut, wenn das deine "Theorie" ist:


    Wie ist es dann mit dem schlechten Schüler?


    *Will* der vorrangig nicht, weil er "galoppierend" faul ist? Oder mangelt es ihm doch eher an Talent? Wenn man Lehrersein nicht aus Büchern lernen kann, sondern sowieso 40-50% Begabung (meinst du: angeborene Begabung?) ist, wie lehrt man dann Mathe, Englisch, Deutsch und Latein? Was ist mit den ärmsten KollegInnen, die evtl. sogar *Musik* unterrichten müssen?


    Wenn du sagen solltest: nein, nein, beim Schüler ist alles ganz anders: Was unterscheidet dann das Lernen in der Schule vom Musik lernen oder Lehren lernen?


    Gruß,
    ambrador

    Da augenscheinlich niemand eine Alternative zu Hilbert & Co nennen kann, habe ich mir die Mühe gemacht, einen Blick auf den bisher einzig artikulierten Gegenentwurf zu wagen: Vera Freys "Mut zur Macht". Dazu einige Anmerkungen zu ihrem "Double-Out-Programm" S.48 ff.


    Tatsächlich entwickelt Frey ihre "Didaktik" aus einer Lehrer-Tipp-Perspektive:



    Ansatzpunkt (wenig überraschend): die praktischen Unterrichtstipps, die irgendwann nicht mehr ausreichen und deshalb methodisiert werden müssen: "Vielfach genügt schon ein kritischer Blick, ein Heben der Stimme oder [...], um störende Schüler in die Schranken zu weisen. Doch reicht dies erfahrungsgemäß nicht immer aus, um sporadische oder chronische Störer in den Griff zu bekommen. Hierzu braucht der Lehrer ein zusätzliches Instrumentarium zur Reduktion der 'Komplexität der Klassenstruktur', wie es das 'Double-Out-Programm' zur Verfügung stellt" (S.48 ) :


    Wer es noch nicht ahnt: Reduziert wird die Klassenstruktur ... indem man den Störer (na?) verfahrensbewusst aber am Ende doch: rausschmeisst. Das klingt natürlich ganz anders bei Frau Frey:


    "Das 'Double-Out-Programm' meint die Gesamtheit der in der gestörten Normalität unter der Führung des Lehrers einzusetzenden operativen Methoden der Machtausübung zur Wiederherstellung der Normalität in der Klasse." (S. 48 )


    Ob ich das ganze dann "Time-Out-Prozess" (Frey) oder den "stillen Stuhl" (Supernanny) nenne, ist meiner Meinung nach reichlich irrelevant: Der Störer wird erst mündlich, dann schriftlich ermahnt, dass er sich nicht an die vom Lehrer festgelegten Regeln hält und schließlich eben doch: aus dem Unterricht entfernt. (Frau Frey nennt das allerdings einen 'zeitlich befristeten Unterrichtsverweis', der durch eine 'mündliche Missbilligung' unterstützt wird). Abgelehnt wird natürlich ein: vor die Tür stellen (wegen rechtlicher und operationaler Bedenken), also: benötigen wir in jeder Schule einen bewachten Ruheraum, wo wir die Störer hinschicken können.


    In diesem "Besinnungsraum" bekommt der Störer dann eine zielführende schriftliche "Besinnungsaufgabe".


    Das alles wird natürlich schriftlich festgelegt und von dem einmal festgelegten Verfahren wird selbstverständlich *unter keinen Umständen* abgewichen: situative Umstände, Nachsicht oder eine freie Entscheidung in einer pädagogischen Situation gibt es nicht: "Improvisationen sind tunlichst zu vermeiden" (S. 50).


    Fazit:
    ohne Hilbi ...
    - schmeißen wir die Schüler raus und nennen das "Time-Out-Prozess"
    - vergeben wir Strafarbeiten und nennen das "Besinnungsaufgabe"


    Ich meine: die bisher einzig benannte Alternative ist (wie wir hätten auch vorher wissen können) *kein* sinnvoller Gegenentwurf zu Hilbi & Co.


    Was also dann?


    Gruß,
    ambrador

    Ich sehe ja voll und ganz ein, dass vieles im LehrerInnen-Alltag sich durch Tradierung und Zusammenarbeit entwickelt. Und in meinen (wie es scheint: "praktisch" unbedeutenden) vier Jahren im Schuldienst habe ich selbstverständlich von meinen KollegInnen profitiert: wir haben Probleme gemeinsam "praktisch" gelöst, haben, wenn wir etwas von der Schulleitung wollten auch mal zunächst eine kleine Gruppe gebildet, damit wir da nicht alleine hinmussten, usw. usw.


    Die Wichtigkeit solcher Arbeitsformen im LehrerInnenalltag bestreitet ernsthaft doch keiner.


    Zitat

    Die meisten von uns sind ausgezogen um genau das - das Lehren - so gut wie möglich zu tun und haben dabei sehr wohl die Schüler im Blick. Dabei half uns allen die universitär vermittelte Didaktik eher wenig. Die Tipps aus der Praxis um so mehr. Die Fragen der Lehrer sind meist: "Wie kann ich am besten...?" Die Antwort der anderen Lehrer - zum Beispiel hier im Forum - lauten dann, durchaus hilfreich: "Ich würde am ehesten..." oder "Probier doch mal..." oder "überleg doch mal, ob du nicht...". Aus der Summe dieser Hinweise kann man sich oft den besten / einen guten Weg erschließen. Die Antwort der Didaktik lautet immer: "In einer anderen Welt, unter besseren Umständen müsstest du idealerweise (fülle hier irgendetwas ein, was mehr Zeit und Energie kostet als man hat).


    Das scheint dann ja der Kern der Diskussion zu sein.


    Kann man wirklich wollen, dass die Qualität des Lehrerhandels davon abhängt, ob Lösungen bereits bei Kollegen vorhanden sind, die sie dann in Form von Tipps an die Unwissenden weitergeben? Das würde doch bedeuten: Probleme lassen sich nur in der konkreten Situation lösen: Entweder so, dass das Problem bereits vorgängig von einem Kollegen gelöst wurde, oder so, dass ich es selbst lösen muss. Bei Erfolg gebe ich dann meine Lösung an meine Kollegen weiter (was mache ich eigentlich bei einem Misserfolg oder wenn kein Kollege mir einen Tipp geben kann?). Dass kann doch kein Modell für eine Ausbildung zum Lehrer oder zur Lehrerin sein? Würdest du wirklich sagen: Kein Lehramtsstudium, dafür eine praxisnahe Ausbildung (z.B.) als Lehrling bei einem Lehr-Meister?


    Zitat

    Die Antwort der Didaktik lautet immer: "In einer anderen Welt, unter besseren Umständen müsstest du idealerweise (fülle hier irgendetwas ein, was mehr Zeit und Energie kostet als man hat).


    Genau dieser Vorwurf trifft, meiner Meinung nach auf Didaktiker wie Hilbert Meyer oder Klakfi nicht zu. Soweit ich sehe, reagieren ihre Entwürfe (auch) auf die Erfahrungen, von denen angehende Lehrerinnen und Lehrer berichten (allerding auch: auf den pädagogisch/didaktischen Diskurs, auf empirische Erkenntnisse: Hilbert Meyer hat den ersten Schritt zu Empirie gerade erst vollzogen (mit ca. 65)). Natürlich müssen sie idealisieren oder abstrahieren, *weil* Lehrer gerade nicht auf bestimmte, sondern auf *jede* Situation vorbereitet werden müssen.


    Und ich bleibe dabei: die Überforderung ist geradezu kennzeichen aller Professionen (die deswegen gut bezahlt werden oder den Vorteil des Beamtenstatus sich erkämpft haben -- dein Plädoyer für eine "schaffbare" Praxis ist geradezu *das* Paradeargument für Lehrer im Angestellenverhältnis). Ein Arzt muss damit leben, dass er nicht jeden Patienten heilen kann (aber er muss sowohl auf dem Stand der Praxis seiner Kollegen sein, als auch über die neusten Theorien und wissenschaftlichen Erkennisse informiert sein). Ein Jurist kann nicht jeden Klienten vor dem Gefängis (oder Strafe) bewahren (aber er muss sich auf dem allerneusten juristischen Stand halten). Und genauso (würde ich von mir und von LehrerInnen) einfordern, dass sie sowohl was ihre kollegiale Praxis, als auch, was die didaktischen Theorien angehen, "auf dem Laufenden bleiben" -- denn auch einem Mediziner nützt es praktisch zunächst nichts, wenn er in klinischer Forschung ausgebildet ist.


    Für viele Entscheidungen im Lehreralltag mag die interne (kollegial) tradierte Routine hilfreich und ausreichend sein, für professionelle Entscheidungen unter Unwissenheit, würde ich behaupten, bedarf es einer fundierten Kenntnis der zurzeit besten verfügbaren Theorien. Und da bleibt meine These: Es gibt derzeit keine Alternativen zur Hilbert Meyer und Wolfgang Klafki (und deshalb werden genau diese an den Studienseminaren gelehrt (und nicht: Scheunpflugs "evolutionäre" oder irgendwelche "konstruktivistischen" oder "psychoanalytischen" oder "praktischen" Didaktiken)).


    Gruß,
    ambrador

    Ui,


    wenigstens ist inzwischen klar, dass sich das Problem der Didaktik nicht durch unqualifizierte Vorwürfe gegen einzelne ihrer Vertreter angehen lässt.


    Den Bezug auf Hegel hattest du mir ja nun abgerungen. Den wollte ich nun wirklich nicht überstrapazieren. Den Bezug auf Popper allerdings auch eher nicht. Wenn wir über Wissenschaftstheorie sprechen, dann doch bitte über eine, die sich zwei bis drei Generationen weiterentwickelt hat.


    Meine Trennung von Unterrichtsvorbereitung und "Beruf Lehrer" ist keine antithetische im hegelschen Sinne (was ich auch gar nicht verstehen würde). Und erst recht kein naivster Ansatz ala Popper (Warum naivst? Der Schluss aus: Alle Schwäne sind weiß und der Beobachtung: ein schwarzer Schwan, lässt nicht den Schluss auf die Falsifikation von "Alle Schwäne sind weiß" zu, sondern lediglich (und hier begeben wir uns auf Quines Spuren): Irgendetwas stimmt nicht (in unserem Fall: entweder sind nicht alle Schwäne weiß oder ich habe nicht korrekt beobachtet (zB einen Raben mit einem Schwan verwechselt, weil der bestimmte Rabe eine Langhals-Mutation hatte))). Mein Ansatz wäre dann ein holistischer: Das Auftreten eines Problems sagt uns nicht, an welcher Stelle wir unsere Theorie oder Beobachtungspraxis ändern müssen: Wir sind (wie Quine es sehen will) absolut frei in der Wahl derjenigen Sätze, die wir für wahr halten wollen, wenn wir bereit sind an anderer Stelle ausreichend umfassende Änderungen vorzunehmen.


    Die Trennung von Unterrichts- und Berufspraxis möchte ich nicht als antithetisch, sondern als reflexions-analytisch verstanden wissen. Wenn wir darüber nachdenken, wie sich das Lehren lehren lässt, sind wir gezwungen auf theoretische Annahmen zurückzugreifen. Nach Luhmann könnte man hier vom Zwang zur Komplexitätsreduktion durch Differenzierung sprechen, die als Differenzierung interne Komplexitätssteigerungen ermöglicht (wodurch das Denken innerhalb einzelner Semantiken oder wissenschaftlicher Disziplinen überhaupt erst auf einem anspruchsvollen Niveau ermöglicht wird).


    Zitat

    Aufgabe der Anwendungsforschung ist es, die Praxis immer besser zu bewältigen.


    Du glaubst wirklich, 6000 Jahre Pädagogik (und wenn du Pädagogik erst in Athen beginnen lassen willst, meinetwegen: 2500 Jahre) sind immer noch nicht genug, um einzusehen, dass es für die pädagogische Praxis kein "immer besser" gibt, sondern nur ein Arbeiten unter "paradoxalen Anforderungen"?


    Zitat

    Gerade dadurch, wie du diese Wissenschaft definierst, läßt sie sich im tatsächlichen Schulleben nämlich ganz wunderbar ignorieren.


    Damit sind wir uns endlich mal einig: Pädagogische Einsicht lässt sich nur ignorieren, aber nicht weg-argumentieren. D.h. ein gut ausgebildeter Lehrer handelt, wenn er gegen pädagogische Einsichten (z.B.: ökonomisch orientiert) handelt: ignorant.


    Zitat

    Das ist eine ökonomische Frage und bei ökonomischen Überlegungen die Grenzen der Wirklichkeit und der eigenen Resourcen außer Acht zu lassen ist eine strategische Dummheit sondergleichen. (Man versuche einmal, einen Betrieb nach diesen Prinzipien zu führen.)


    Damit gebe ich dir vollkommen recht: Wenn man die Alternativen zu Hilbert Meyer außerhalb des pädagogischen Diskurses sucht findet man sie tatsächlich. Das aber heißt: den pädagogischen Beruf, Bildung überhaupt, auf ein ökonomisches Level (und ich sage:) abzuqualifizieren.


    Wie eine "ökonomisch" geprägte Schule aussehen könnte, kann man (wenn man sich denn von der Historie inspirieren lassen mag) z.B. hier nachlesen: http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Lancaster


    Damit aber zurück zur Ausgangdebatte über Hilbert Meyer und meinem holistischen Ansatz (mit einer Prise Thomas Kuhns wissenschaftlich inzwischen arg gebeutelten Paradigmenbegriff gewürzt): Hilbert Meyer stellt sich in eine pädagogische Tradition, die sich sicherlich einem "vom Lerner oder vom Kinder aus"-Paradigma verpflichtet fühlt. Aber: eine andere Pädagogik (außer vielleicht einer 'schwarzen') haben wir nicht. Es mag sein, dass diese Pädagogik (im Sinne Kuhns) inzwischen in eine Krise geraten ist (oder mit all ihren theoretischen Anomalien nie aus der Krise herausgefunden hat), dann aber brauchen wir keine naive Forderung Schule mit ein bißchen Ökonomie aufzupimpen, sondern bedürfen einer wissenschaftlichen Revolution, mit der es gelingen könnte ein neues didaktisches Paradigma einzuführen. Ich sehe nicht ganz, wo ein alternatives Modell auch nur im Ansatz vorhanden wäre.


    Also: meinetwegen baut euch eure "LehrerInnendidaktik", aber vergesst dann nicht die mühevolle normalwissenschaftliche Kleinarbeit (mit der sich zB Hilbert Meyer im Rahmen des 68er-Paradigmas ernsthaft herumschlägt. (Wobei 68er-Paradigma sicher nicht den Kern der Sache trifft: als "Reformpädagogik" kann man auf eine Tradition bis Platon und Aristoteles (die selbst "Schulen" gründeten) zurückblicken, ich würde sogar sagen: das "Reformative" oder "Reflexive" ist das Charakteristische an der Pädagogik). Angenommen wir bauen uns eine Effizienz-Didaktik der es darum geht, "die Unterrichtsweise aufzuspüren und zu erkunden, bei welcher die Lehrer weniger zu lehren brauchen, die Schüler dennoch mehr lernen; in den Schulen weniger Lärm, Überdruss und unnütze Mühe herrsche, dafür mehr Freiheit, Vergnügen und wahrhafter Fortschritt;" - was müsste dann noch alles geändert oder aufgegeben werden? Meiner Meinung nach ist Comenius Traum lange ausgeträumt: wir haben (derzeit) nichts bessers, als Meyer und Klafki uns anzubieten haben - wohl aber haben wir jedemenge naiver Ratschlags-Literatur und eine chronisch (an allem, was nicht direkt für die Praxis anwendbar erscheint) nörgelnde Lehrerinnenschaft.


    Gruß,
    ambrador

    Wikipedia:


    Zitat

    Die katholische deutsche Bischofskonferenz legte 1972 den ersten Sonntag im Oktober als Festtermin fest, ohne diese Festlegung für alle Gemeinden verbindlich auszusprechen.


    In den evangelischen Gemeinden wird das Erntedankfest am Sonntag nach dem Michaelistag (29. September) gefeiert. Diese Regelung geht u. a. auf einen Erlass des Preußischen Königs aus dem Jahre 1773 zurück.


    Und "Messe" legt ja nun die Zugehörigkeit zum zuerst genannten Verein nahe ...


    Gruß,
    ambrador

    Zitat

    Wo denkt Meyer darüber nach, wie eine möglichst schlanke Didaktik gestaltet werden kann, die in ihren Ansprüchen nicht überlastend wirkt und nicht nur zu Frustration führen wird?


    Auch wenn du mir vermutlich wieder zu wenig Ernsthaftigkeit unterstellen wirst, ich meine das Folgende eigentlich ziemlich ernst.


    Warum sollte eine Didaktik so gestrickt sein, dass sie entlastend und nicht frustrierend wirkt? Philosophisch (und du unterstellst mir ja einen Hang zur Antithetik) könnte man sagen: Die sokratische Einsicht in das eigene Nicht-Wissen und Nicht-Können ist der erste Schritt in die Selbständigkeit, oder hegelianisch: Jede Einsicht führt über 'die Anstrengung des Begriffs'. Von einer in deinem Sinne "praktischen" Didaktik ließe sich frei nach Montessori und Gruschka sagen: "Sie hilft dir, es nicht selbst zu tun".


    So, nun aber zu meiner noch ernster gemeinten These:


    Pädagogik und Didaktik ist nicht für den Lehrer, sondern für die Schüler gemacht! Sie hilft nicht dem Lehrenden, sondern bewahrt den Schüler und die Schülerin vor Machtmissbrauch und Willkür. Was für den Lehrer gemacht ist, ist das Schulrecht und der Adminstrative Über- oder Unterbau (je nach Perspektive). Insofern erfüllt die Didaktik da, wo sie belastend und frustrierend wirkt, möglicherweise ihren eigentlichen Zweck: Lehrer sein heißt: gerade unter ständiger Überlastung und Frustration handlungsfähig zu bleiben und (möglicherweise) dabei auch noch zufrieden und glücklich zu werden.


    Gruß,
    ambrador

    Ich glaube, wir reden (noch) aneinander vorbei:


    Zitat

    Also, wenn wir jetzt an dem Punkt angelangt sind, dass die Autoren, die Bücher darüber schreiben, wie ein Beruf funktioniert und was die beste "good practice" in einem Beruf darstellt, eigentlich gar nichts von dem Beruf verstehen müssen, über den sie schreiben, dann ist natürlich eine Diskussion im Ansatz beendet.


    Hilbert Meyer schreibt nicht über den Lehrerberuf als solchen. Und Didaktik (von gr. didaskein, lehren) hat es gerade nicht mit dem "Beruf" Lehrer zu tun, sondern mit dem Wie und Was des Unterrichtens - was widerum einen nicht unerheblich Teil des Berufs ausmacht. Deshalb wird in Meyers "Unterrichtsmethoden: Praxisband" nicht über die "Praxis des Lehrerberufs" mit all seinen Facetten geschrieben, sondern über die Praxis der Unterrichtsvorbereitens und des Unterrichtshaltens. Die von dir eingeforderte Praxis der Berufswirklichkeit zwischen Eltern, Schulleitung, Rahmenrichtlinien und Bildungspolitik ist nicht das Problem eines Didaktikers, sondern - wie ich sagen würde - Lebensaufgabe eines professionellen Lehrers. Diese "Praxis" zu lernen kann einem Lehrer oder einer Lehrerin niemand abnehmen.


    Ich warte ja händeringend auf das "Mut zur Macht"-Buch, mal sehen, ob es dort gelingt die von dir geforderte Praxis zu vermitteln. Ich vermute, es wird sich dort auf von LehrerInnenseite bestimmte Verfahren zurückgezogen, die dann penibelst die Interaktionen mit SchülerInnen, Eltern und vielleicht ja sogar mit Adminstration und Politik regeln. Und ich vermute weiter, dass das was dabei dann herauskommt zwar nett klingt aber allemal weniger praxistauglich als eine ernst gemeinte Didaktik ist - die sich zumindest für ihren Bereich (bei entsprechend ernsthafter Auseinandersetzung mit der Thematik) als äußerst hilfreich für professionelle LehrerInnen erweisen kann. Warum? Weil eine Alternative, die dir vorschweben könnte, zu dramatische Folgen hätte: Wenn man das Lehrer-Sein wie ein Handwerk lehren könnte, d.h. in Form einer Handlungsanweisung verschriftlichen könnte, dann würden Lehrer auch wie Handwerker ausgebildet und bezahlt werden, ein Studium z.B. wäre dann völlig unnötig, es könnte ja das "Handbuch" angeschafft und gelesen werden.


    Allerdings glaube ich, dass es ein solches Handbuch zum Glück gar nicht geben kann, da 6000 Jahre Pädagogik und Kritik an ihr uns lehren, dass jeder und jede bisher daran gescheitert sind ein solches Handbuch zu schreiben.


    Gruß,
    ambrador

    Ok,
    wenn Didaktik nicht nur "Unterricht vorbereiten, erteilen und nachbereiten" (oder auch: "Lernen und Lehren ermöglichen") heißen soll, sondern als "Lehre vom (guten) Lehrersein" verstanden wird, wird es natürlich komplizierter.


    Ob dann aber Meyer oder Klafki die richtigen Adressaten sind, würde ich bezweifeln. Ich sage doch auch nicht: "Doofer Maler, der hat schon wieder nicht meine Heizung repariert. Ich glaube, der versteht praktisch gar nichts von Heizungen!". Auch schaue ich nicht in die Bedienungsanleitung für meine Mikrowelle, wenn ich wissen möchte, wie ich eine Timer-Aufnahme für meinen Videorekorder programmieren muss.


    Ähnlich würde ich es bei Meyer sehen, der zum Thema "Belastungsmanagement" ausdrücklich auf andere Autoren verweist. Sein Thema ist der (meinetwegen: gute) Unterricht und nichts anderes. Im neuen Leitfaden (S. 80) schreibt Meyer ausdrücklich: Man muss "sich auch schon als Berufsanfänger [...] wappnen und zu kalkulieren versuchen, was Sie schaffen können und was nicht. Das bezeichnet man heute auch als 'Belastungsmanagement'. Man muss lernen behutsam mit seiner Zeit, seiner Motivation und seinen Kräften umzugehen [...] Wegen dieser chronischen Überlastungsgefahr rate ich Ihnen, sich als Berufsanfänger erst einmal auf die Kernaufgabe zu konzentrieren: das Unterrichten und Erziehen [...]"


    Dazu verweist Meyer dann allerdings auf andere Autoren, nämlich Ulrike Handkes 'Mutmacher' und Wolfgang Mattes 'Routiniert planen - effizient unterrichten'.


    Einem solchen Standpunkt kann man natürlich widersprechen und natürlich kann man sagen: Dann hinfort mit aller Unterrichtstheorie, her mit dem "Handbuch für den Lehrerberuf!".


    Ich würde allerdings eher sagen: Lieber eine gute (nämlich die von Klafki, Meyer & Co) allgemeine Unterrichts-Didaktik UND dazu eine gute Ausbildung im Referendariat in Zeitmanagement, effizientes Korrigieren, Schulrecht, Schulverwaltung, Coaching (für Eltern), kollegiales Coaching (für mich und meine Kollegen), usw. usw. Aber das ist nicht Sache der Didaktiker, sondern ein Problem, das im Studienseminar geregelt werden müsste.


    Wenn aber im Referendariat der Schwerpunkt auf das Unterrichten gelegt wird, dann hat das erstmal auch seinen Sinn (schließlich werden Lehrer nicht in Zeitmanagement oder Eltern-Beratung geprüft -- ein Umstand, den man wieder kritisieren kann: Aber auch diese Kritik trifft nicht die Didaktiker, da sich ihr Angebot auf das Unterichten beschränkt).


    Dass dann die "Lehrzeit" mit Erreichen des 2. Staatsexamens nicht abgeschlossen ist, sondern dass ein großer Lernaufwand auch noch in den Anfangsjahren (und vielleicht sogar über die gesamte Arbeitszeit) im Schuldienst auf sich genommen werden muss, mag man als Ausbildungsdefizit beklagen -- oder als Teil eines professionellen Berufsverständnisses auf sich nehmen. Es wäre vermutlich lächerlich zu behaupten, ein Jurist hätte nach seinem 2. Examen nichts mehr zu lernen, oder ein Arzt nach seinem (ich glaube) 3.


    Gruß,
    ambrador

    Da mir das angepriesene "Mut zur Macht" noch nicht vorliegt (leider in meiner Bib nicht vorhanden -- und kaufen möchte ich es mir eigentlich eher nicht), zunächst ein paar Anmerkungen zu Hilbert Meyer (und Klafki).


    Irgendwie ist es gemein, gerade die Didaktiker als praxis-untauglich zu brandmarken, die den Lerner- oder den Gegenwartsbezug ins Zentrum ihres Denkens stellen. Gerade Hilbert Meyer hat in seinem Leitfaden zur Unterrichtsvorbereitung den Ausdruck "Feiertagsdidaktiken" geprägt, um ebenjene Didaktiken zu kennzeichnen, die von unrealistischen Lern-Lehr-Bedingungen ausgehen.


    So schreibt Meyer in seiner "Türklinkendidaktik" im Zusammenhang mit dem in Oldenburg zur damaligen Zeit einmaligen Umstand, dass angehende LehrerInnen vom 1. Semester bis zum 2. Staatsexamen an der Uni betreut wurden (z.B. von Hilbert Meyer -- evtl. hat er also doch etwas mehr "Praxisluft" geschnuppert als hier vermutet wurde) S. 84:


    "Es ist deshalb kein Zufall, dass wir es uns gerade in der Lehrerbildung an der Universersität Oldenburg angewöhnt haben, die gängigen didaktischen Theorien [...] spöttisch als *Feiertagsdidaktiken* zu glossieren".


    und zwar WEIL:
    - der Berufanfänger mit den gängigen Didaktiken schlecht bedient sei, da die psycho-soziale Komplexität des Unterrichens ausgeklammert werde
    - der routinierte Lehrer feststelle, dass die Vorschläge mit seiner Alltagssituation so gut wie nichts zu tun haben
    - der Prüfungskandidat zwar sein Wissen über die Didaktiken als hohen Tauschwert für seine Examina bereithalten könnte, es aber für den Unterricht geringen Gebrauchswert hätten


    Eine berechtigte Frage wäre dann: gelingt es etwa auch Hilbert Meyer nicht, eine "praktische" Didaktik vorzulegen? Oder verwandelt sich beim Transfair von Oldenburg in die jeweiligen Studienseminare eine praktische in eine Feiertagsdidaktik, auf die genau das zutrifft, wogegen Meyer sich ausspricht?


    1983 (und das heißt unter dem lähmenden Eindruck, dass rund 90% der Lehramtsstudierenden nach ihrem Studium arbeitslos wurden) schreibt Meyer in seinem Aufsatz "Aneignungsschwierigkeiten didaktischen Theoriewissens" über die prinzipiellen Schwierigkeiten theoretisches Wissen in nutzbares Handlungswissen zu überführen und fordert "eine stärker biografisch orientierte Vorbereitungstheorie und -praxis" (Türklinkendidaktik, S. 72 ff.). Er fordert zB:
    - Keine didaktische Theorie ohne "das wunderliche Gefühl, plötzlich allein vor der Schulklasse zu stehen und die Regie übernehmen zu müssen" (S. 90).
    - Widerstände müssten "körperlich" und nicht "im Kopf" erfahren werden (vgl. ebd.).
    - "Die Erfahrung, dass über die Unterrichtsmethoden Gewalt über die Schüler ausgeübt wird, erschreckt und verwirrt viele Studierende. 'Rein theoretisch' ist diese Erfahrung nicht zu vermitteln." (ebd.).


    D.h. gerade Meyer plädiert *nicht* für didaktische Theorie (wie sie evtl. an Studienseminaren gelehrt wird), sondern für eine Didaktik, die auch über konkrete Praxis vermittelt wird.


    Folgerichtig präsentiert Hilbert Meyer daran anschließend ein "Plädoyer für die Wiederbelebung des Frontalunterricht", der zB geeigenet scheint "Spielregeln für die Kommunikation" (a.a.O., S. 96) einzuüben (z.B. Begrüßungs- und Verabschiedungsrituale, Melde- und Drannehmetechniken), ohne dabei zu übersehen, dass Frontalunterricht die Selbstdisziplinierung der SchülerInnen behindert (vgl. ebd.).


    Schließlich bricht Meyer in seinem Aufsatz "Türklinkendidaktik" (S. 119ff.) eine Lanze für alle LehrerInnen, die eben nicht immer Zeit haben ihren Unterricht stundenlang vorzubereiten und führt damit das Thema "Kurz- oder Kürzestvorbereitung" überhaupt erst in die didaktische Diskussion ein.


    In seinem neuen "Leitfaden" von 2007 (S. 22) bringt Hilbert Meyer ein schönes Beispiel, warum man mit Praxis-Rezepten allein nicht weit kommt: Unter den TOP 18 der "Lehrerrezepte" finden sich so hilfreiche wie:


    - In jeder Unterrichtsstunde wenigstens einmal kräftig lachen!
    - Nicht zur Tafel, zu den Schülern sprechen!
    - Keine Stunde ohne Methodenwechsel


    auch solche, über deren Anwendung oder Ablehnung man nur entscheiden kann (und ich würde für eine Ablehnung stimmen), wenn man neben den bloßen vermeintlichen Nutzen auch über theorie-gestärke Entscheidungsmöglichkeiten verfügt:


    - Einzelne Schüler herauspicken - nicht die ganze Klasse anbrüllen!
    - Lass dir vor Beginn des Unterrichts vom Klassenlehrer den schlimmsten Störer nennen und "verkleinere" ihn in der ersten Stunde!
    - Schülern nie den Rücken zukehren!


    Die Frage, die sich mir stellt: Wenn nicht Hilbert Meyer (und Wolfgang Klafki): welche Alternativen gäbe es?


    Ob Vera Frey ebenso reflektiert wie Hilbert Meyer über das Lehrer-Dasein zu schreiben vermag, kann ich noch nicht sagen. Sobald mir ihre "praktische" Didaktik vorliegt, werde ich mich auch dazu noch einmal äußern.


    Gruß,
    ambrador

    Hallo!


    In Postman "Wir amüsieren uns zu Tode" beginnt das Kapitel 10, S. 174 ff., "Unterricht und Unterhaltung":


    "Als im Jahre 1969 die erste Folge von Sesam Straße gesendet wurde, schien ausgemacht, daß sie bei Kindern, Eltern und Erziehern begeisterte Aufnahme finden würde. Den Kindern gefiel die Sendung, weil sie mir Werbespots geworden waren und intuitiv wußten, daß sie die am besten gemachte Unterhaltung im Fernsehen sind. ..."


    Meinst du das?


    Scannen würde ich es nicht so gerne, aber ich könnte es als Buch schicken (ich habe es 3x). Du kannst dich ggf. über PN melden oder mir eine Email an ambrador@web.de schicken (mit deiner Adresse).


    Gruß,
    ambrador

    Zumindest kann Frau Frey auf gewisse praktische Erfahrung verweisen:


    "Vera Frey ist diplomierte Schulpädagogin und aktiv im Schuldienst tätig. Das Problem der Unterrichtsstörung ist ihr aus eigener Erfahrung bekannt." (http://www.deutschesfachbuch.d…ey%22+%22Mut+zur+macht%22)


    LehrerInnen sind "examiniert" oder? Und was bitte ist eine "Schulpädagogin"? Ich kenne Schul-Sozialpädagoginnen und tatsächlich passen einige davon in die "Ich hab das (zumeist psychoanale) Patentrezept gefunden!"-Schublade.


    Ich kenne die Bücher von Hilbert Meyer (und ihn persönlich von etwas weiter weg von einem Vortrag) und kann einerseits verstehen, dass man sich als Lehrer mehr rezept-artiges von einem vermeintlichen "Praktiker" wünscht, andererseits ist Hilbert Meyer ein ehrlicher und bemühter und durchaus realistischer Redner und Schreiber, der gerade die Überforderungen des Lehrerberufs ernst nimmt. ICH empfehle (und ich bin nicht Hilbert Meyer) Meyers Aufsatzsammlung "Türklinkendidaktik" -- das ist lustig, und denkerisch anspruchsvoll UND (zumindest ein wenig) praktisch.


    Gruß,
    ambrador

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