Beiträge von chilipaprika

    Hallo!


    Ich versuche, so sachlich wie ich es kann, meine Position zu erläutern.



    Die Schule ist eine Sozialisationsinstanz.
    Ihre Lehrpläne sind nicht rational (zumindest nicht nur), sondern auch politisch motiviert.
    Das beste Beispiel zur Erläuterung wäre vielleicht das Fach Geschichte. Unterschiedliche Länder (=Staaten) haben sich für unterschiedliche Inhalte entschieden und bieten hiermit eine gute Basis für die Volkasallgemeinbildung. Man kann hier durchaus von ethnischer Sozialisation. So wurde ich in der Schule im Geschichtsunterricht sehr stark mit der Größe meiner Vorfahren konfrontiert und deren wichtigen zivilisierenden Erfolge. Frankreich legt da in den Lehrplänen Wert darauf, dass zum Beispiel die Kolonialisierung auch unter anderen Aspekten dargestellt wird, Napoleon wird als Held der Nation hauptsächlich vermittelt und dass die Franzosen die zwei Weltkriege gewonnen haben, ist eine Selbstverständlichkeit.
    Hiermit sage ich nicht, dass es in Frankreich keine rationalen Historiker gibt, aber die didaktische Reduktion wird für die Schullehrpläne eben nicht am Beispiel der Terrorkriege von Napoleon im Osten gemacht.
    Geschichte ist nicht das einzige Fach, wo man von ethnischer Sozialsation sprechen kann. Im Literaturunterricht wird selten Weltliteratur gemacht, sondern man liest auch in großen Anteilen in der Sprache des Landes, Geografie beschäftigt sich zuerst mit der eigenen Region (Sachkunde in der Grundschule) und dann auch mit Ländern, die nunmal ausgewählt worden sind. Auch die wirtschaftlichen, politischen oder ökologischen Zusammenhänge folgen bestimmten politischen Zielen. [mit "politisch" meine ich eine breite Auslegung des Begriffs, und keinesfalls nur die partei- oder parlamentspolitische Seite].


    Das Fach Religion ist für mich insbesondere ein gutes Beispiel, weil es eben zu den Fächern gehört, die in unterschiedlichen Staaten (und in Deutschland mittlerweile Ländern) so unterschiedlichen gehandhabt werden.
    Mir ist klar, dass das Fach Religion keine Unterweisung darstellt. Aber warum wird dann an der Unterscheidung evangelisch / katholisch / muslimisch (auch da sunnitisch, aleviten, ...) / jüdisch.. gehalten?


    Mit "Gehirnwäsche" meinte ich diese ethnische Sozialisation. Ich bin in einem System aufgewachsen, wo die Religion Privatsache ist und in der Schule nichts zu suchen hat. Damit bin ich wohl auch unter dem Einfluss dieser bedeutenden "Zivilreligion" sozialisiert und mein Denken ist davon nachhaltig geprägt.
    Während ich der Meinung bin, dass meine Kinder Reliunterricht _außerhalb_ der Schule besuchen sollten (so wie ich übrigens), denkt ihr, dass Religion ihren Platz in der Schule hat. Ich bin sofort dabei, wenn das Fach Religionswissenschaft (oder ähnliches) und konfessions- und religionsübergreifend angeboten wird.


    Chili

    nee... sehe ich anders.
    Es ist für mich kein Schulfach (bzw. sollte keins sein), weil es einfach nicht Aufgabe des Staates (der sich getrennt von der Kirche reklamiert) ist, Religion anzubieten.
    Ich respektiere alle und mag die meisten meiner Reli-KollegInnen. Ich kritisiere einzig das System, nicht die Personen oder Inhalte.


    und jetzt zurück zur Sexualkunde

    Weil die Bayern so heimatverliebt sind ;)
    sonst würden sie SOFORT in NRW eine Stelle bekommen..


    Ja, Spanisch ist hier fast absolutes Mangelfach. Mit einem vernünftigen zweiten Fach (denn man muss bedenken, dass Spanisch nur als 3. Fremdsprache existiert (oder?) und deswegen weniger Stunden anzubieten hat) ist man sofort drin.


    Chili

    Off-Topic und es tut mir leid, aber:


    Ich kann nur hoffen, dass in unseren Schulen eine derartige technokratische und atheistische Denkweise, die man sich in einer Neo-DDR vorstellen könnte, niemals in Deutschlands Schulstuben einziehen wird.8)

    Beleg mir bitte meine atheistische Denkweise?
    Ich stehe für Laizismus. JedeR darf denken, was er / sie will, aber in der Schule hat es _meiner Meinung nach_ nichts zu suchen.


    "Gehirnwäsche" mag ein drastisches Wort sein, aber wie sonst kann man sich das erklären, dass 80% der Bevölkerung, auch die Menschen, die NIE in die Kirche gehen, außer sie heiraten gerade oder ein Kind wird getauft, der Meinung sind, dass Reliunterricht in der Schule gehört?


    Ich will wirklich keinen Fass aufmachen (oder nur einen neuen Thread), aber ich will nur aufzeigen, dass das Ganze auch nur so kulturell geprägt ist. Wir "glauben", dass Sexualkundeunterricht in der Schule gehört, aber was bringt uns zu dieser Position? und wenn in Deutschland die Eltern normalerweise soviele Rechte haben, warum in diesem Fall nicht mehr?


    und nicht falsch verstehen, ich bin generell für mehr Rechte der Schule gegenüber Eltern.


    Chili

    unabhängig davon, dass ich auch der Meinung bin, dass Sexualkundeunterricht nicht wirklich "fakultativ" sein sollte, sondern eben auch Pflicht, möchte ich anmerken, dass in Deutschland das Elternrecht doch immer so hochgelobt wird.
    Wenn dieselben, die eigentlich gegen Nachmittagsunterricht wegen Risiken der Endoktrination (oh mein Gott, die DDR kommt zurück..) sind, plötzlich gegen eine Abmeldung des Sexualkundesunterrichts sind, finde ich es sehr zum Schmunzeln..


    Ich bin übrigens der Meinung, dass Religion sowas von nix in der Schule zu suchen hat, und trotzdem muss ich es respektieren, dass das Grundgesetz dieses aberwitzige Fach schützt und mich zwingt, es im Stundenplan zu akzeptieren.. (und die Eltern mehrheitlich auf dieses Fach bestehen, was allein schon ein Beweis für die erfolgreiche Gehirnwäsche in ihrer eigenen Schulzeit ist)

    unabhängig davon, dass ich auch der Meinung bin, dass Sexualkundeunterricht nicht wirklich "fakultativ" sein sollte, sondern eben auch Pflicht, möchte ich anmerken, dass in Deutschland das Elternrecht doch immer so hochgelobt wird.
    Wenn dieselben, die eigentlich gegen Nachmittagsunterricht wegen Risiken der Endoktrination (oh mein Gott, die DDR kommt zurück..) sind, plötzlich gegen eine Abmeldung des Sexualkundesunterrichts sind, finde ich es sehr zum Schmunzeln..


    Ich bin übrigens der Meinung, dass Religion sowas von nix in der Schule zu suchen hat, und trotzdem muss ich es respektieren, dass das Grundgesetz dieses aberwitzige Fach schützt und mich zwingt, es im Stundenplan zu akzeptieren.. (und die Eltern mehrheitlich auf dieses Fach bestehen, was allein schon ein Beweis für die erfolgreiche Gehirnwäsche in ihrer eigenen Schulzeit ist)

    es gibt nunmal Menschen, die ihre Fächer ernst nehmen und sich Zeit lassen.
    Das habe ich zum Beispiel gemacht (Abschluss in der fast doppelten Regelstudienzeit, kann das für dich ein Kriterium sein?).
    und ja, mein drittes Fach ist eben ein Zusatzstudium zusätzlich zum normalen Examensabschluss, wurde er mir deswegen nachgeschmissen und soll es etwas an dem Wert meiner ersten zwei Fächer schmälern??


    Ach ja, ich publiziere nicht und forsche nicht, bezweifle allerdings, dass 90% der Philosophie-AbsolventInnen dies tun. Nach 2 Jahren philosophiert keiner mehr in dem Sinne, sondern arbeitet mit den geistes- und sozialwissenschaftlichen Werkzeugen.


    Chili, eine ziemlich schlecht qualifizierte Lehrerin, da sie noch zusätzlich zu den drei Fächern Zusatzqualifikationen, einen Zertifikatsstudiengang, einen Fernstudium-Abschluss und jetzt ein viertes Fach ablegt. Wow, ich sollte aufpassen, mein Erstes Staatsexamen ist bald nichts mehr wert. Wenn ich gewusst hätte, hätte ich ja nur 2 Fächer abgeschlossen.

    Hallo!


    Selbst, wenn an deiner Uni LehrämtlerInnen weniger Punkte zum Bestehen brauchen, heisst das doch noch lange nicht, dass alle LehramtskandidatInnen ihre Klausuren mit 40% bestehen oder?


    Reine Philosophen:
    es gibt meines Wissens keine / kaum Studiengänge, wo man nur Philosophie auf Diplom hätte.
    Ich bin Germanistin, Romanistin und Politiwissenschaftlerin.


    Ob ich in Germanistik ein Seminar weniger in Mittelhochdeutsch hatte, in Französisch ein Seminar weniger zur Provence und in Politikwissenschaft ein ausländisches politisches System weniger betrachtet habe?
    Ja.
    Bin ich deswegen weniger qualifiziert?
    Auf keinen Fall
    1) die Lehramtsprüfungen (zumindest an meiner Uni und Bundesland - nicht BY) waren in den Geistes- und Sozialwissenschaften zentral mit vorher unbekannten Themen, so dass ich nur 6 Wochen hatte, um mich auf vorher eventuell unbekannten Rahmenthemen vorzubereiten
    2) Lehramtsstudierende hatten mehr Prüfungen abzulegen.
    Beispiel: in Germanistik konnte ein Magisterabsolvent aussuchen, in welchen 2 Bereichen (1 für Nebenfächler) von Neuere Literatur / Ältere Literatur (auf Mittelhochdeutsch und Frühneuhochdeutsch) / neuere Sprachwissenschaft / Diachrone Sprachwissenschaft (ich verzichte auf eine Erläuterung der Bereiche, du weißt ja schon alles) er geprüft werden möchte. Als Lehrämtlerin musste ich in 3 Bereichen geprüft werden und konnte mir vieles nicht aussuchen.
    3) Ich hatte offiziell weniger SWS insgesamt, aber mehr Pflicht-SWS, die ich nachweisen musste. Da du als Naturwissenschaftler eh alle deine SWS nachweisen musst, weißt du nicht, was freies Studieren bedeutet, aber ja, es gibt einige Menschen, die nicht zur VL gegangen sind und einfach aus Büchern gelernt haben.
    4) die Qualifikation von LehrämtlerInnen ist eindeutig breiter, aber nicht weniger tief. Klar, jemand, der vom ersten Semester an sich in Althochdeutsch und Mitelhochdeutsch verliebt hatte, hat jetzt eine eindeutige tiefere Quali in dem Bereich, weil er als Magisterstudent vielleicht alle seine Wahlkurse danach ausgesucht hat, aber Studierende, die im Sinne eines allgemeinbildenden Studiums studiert haben, haben eine ähnliche Tiefe und sollten auch eine vergleichbare Breite erreichen.


    5) in den Geistes- und Sozialwissenschaften sind die Themen (achtung, das Wort solltest du als zukünftiger Lehrer kennen(lernen)): EXEMPLARISCH.
    Es ist egal, ob ich das Wohlfahrtssystem im internationalen Vergleich, die Parteifinanzierung in europäischen Ländern oder die Demokratieentwicklung in Transitionsländern beobachte: ich erlerne ein Handwerkzeug, um sozialwissenschaftlicheTexte lesen und verstehen zu können, sozialwissenschaftliche Studien verstehen, kritisieren und selbst durchführen zu können, ich erlerne, wissenschaftlich zu arbeiten und selbst methodisch einwandfrei zu arbeiten. Die thematischen Seminare sind zwar wichtig, dienen aber auch andere Zwecke. Wie sonst könnte man an unterschiedliche Universitäten unterschiedliche Seminare besuchen. Ach, ich vergass, über Theoretische Physik I, II und III (weitere Physikbereiche und Nummerierung) kommt ihr in den Naturwissenschaften nicht hinaus. Alle zusammen ohne richtige Wahlfreiheit.


    genervte Chili

    Hast du denn keine weiteren Vorgaben? (Drama, Roman, ..) oder auch inhaltlich? (Zum Beispiel Umgang mit Heterogenität ist glaube ich bei uns in der 8 auch dran, weswegen ich statt Anne Frank oder Malka May im Jahr der WM einen Roman über Südafrika gemacht hatte (Themba), ist aber glaube ich keine deutsche Originalfassung, ich weiß nicht mehr ob der Autor auf Deutsch oder Niederländisch schreibt (er hat beide Nationalitäten)


    Chili

    Gebärdensprache war lange Zeit das Mittel der Wahl, im Moment wird diese oft kritisch gesehen, warum kann ich nicht genau sagen.

    Hallo!


    Nee, die Gebärdensprache war eben lange Zeit NICHT das Mittel der Wahl.
    1880 auf dem Mailander Kongress haben sich die deutschen Gehörlosenpädagogen GEGEN die Gebärdensprache entschieden und zahlreiche Generationen von Gehörlosen wurden dazu gezwungen, komische Laute von sich zu geben und auf den Händen geschlagen, sobald sie gebärdet haben. Erst seit einem guten Jahrzehnt gibt es eine richtige Wende in der Gehörlosenpädagogik (nicht umsonst gibt es zur Zeit in Deutschland eine einzige Uni, die anständig ausbildet: Berlin, weil es dort auch flächendeckend Gebärdensprachkurse gibt).
    und ob gehörlos geborene Kinder mittels CI (Cochlea Implentat) tatsächlich in der Lage sind, _RICHTIG_ zu hören, sei dahin gestellt. Würde ich jetzt das Gehör verlieren, würde ich mich operieren lassen und wäre dann in der Lage, die Laute von einander zu filtrieren. Gehörlos geborene Menschen sind aber nicht in der Lage, das Gezwitscher von Vögeln im Hintergrund von der Stimme des Nachbars zu filtrieren.
    Aber das ist ein ewig andauernder Streit in der Gehörlosenpädagogik, den werden wir nicht in einem Forenthread lösen können. Die einen sehen das so, andere eben anders. ;)


    Gebärdende Grüße,
    Chili

    ihr werdet doch wohl zustimmen, dass es einen Unterschied macht, ob ich einem (gehörlosen) Kind beibringe, sich lautsprachlich bzw. in der lautsprachlichen Welt zu bewegen oder ob ich es lautsprachlich unterrichte!!!
    Ein Fach in der Woche ist eben nicht der Unterrichtsmittel. Kinder sollten in ihrer Muttersprache erzogen werden, damit sie wenigstens eine Sprache gut beherrschen. Sonst brauchte man nicht die mühsam erkämpfte Anerkennung der Gebärdensprache und kann weiter machen, wie es bisher war: Kinder irgendwo parken, denen die Gebärdensprache (notfalls gewaltsam) verbieten und sie dann ohne Allgemeinbildung aus der Schule in Berufe wie technische Zeichner entlassen...
    Kinder brauchen einen Zugang zur Welt, um sich kognitiv und psychisch zu entwickeln und den bekommen sie nicht, wenn sie ihrer Sprache beraubt werden. Da die meisten gehörlose Kinder aber keine gehörlose Eltern haben, brauchen sie die Gebärdensprache als Basis...


    Chili

    AVW?


    Für mich bedeutet Soziale Integration echt nicht, dassman die Kids lautsprachlich unterrichtet. Dass gehörlose SchülerInnen die Schriftsprache erlernen, ist ja klar, sie lesen schliesslich auch Bücher und so weiter, aber warum sollen sie ihren Unterricht in Lautsprache bekommen??
    Im Sinne der sozialen Integration verlangt man nicht von gelähmten Kids, dass sie bitte laufen üben.


    Chili

    Ach ja: noch zum Alltag.


    Ob die Kids aufgedreht oder ruhig sind, das ist doch keine Frage, das hängt von jedem Kind, vom Fach, vom Tag, vom Lehrer ab.
    Ob der Unterricht nur in Gebärdensprache läuft, hängt vom Lehrer ab. Meiner Meinung nach müsste es, ist aber längst nicht so. und nicht vergessen, man wird in der Regel für Gehörlosen- UND Schwerhörigen ausgebildet. Die funktionieren ja anders.
    Was meinst du mit Unterrichtsmitteln?


    Schöne Grüße,
    Chili

    Hallo Littlesweetie,


    Das Praktikum hat mir solala gefallen.
    Ich hatte darum gebeten, in einer gebärdenden Klasse zu sein, was auch ermöglicht wurde. (Es gibt ja Klassen für Schwerhörige, und Klassen für Gehörlosen).
    Ich war damals an der Schule in Frankfurt. Es gab 7 Kids in der Gruppe, 1 davon war CODA (Child of Deaf Adults) und hat dementsprechend super gebärdet. Die Lehrerin konnte nicht gebärden, hatte wohl in den letzten Jahren einen Crash-Kurs gemacht und hat alle paar Wörter, die sie gesprochen hat, eine Gebärde dazu gemacht. Mir gegenüber sagte sie, dass dieses Wildgestikulieren von dem Kleinen CODA sie einfach nerven würde (tja, er war auch der einzige, der _wirklich_ gebärdet hat, die anderen hatten einfach Schwierigkeiten, sich noch auszudrücken.
    Es wurde auch viel Wert auf Sprechen gelegt, aber das war nicht der Schwerpunkt.


    Alltag? Was soll ich sagen? Die meisten Kids sind logischerweise Fahrkinder, kommen von weit her, sind also schnell tagsüber müde. Es ist oft eine Ganztagsbetreuung aber nicht überall und es sind logischerweise sehr kleine Kleingruppen. (1) so viele Kids gibt es nicht, 2) sonst kann man sich ja nicht verstehen)


    Warum hab ich dann mein Gymnasialstudium fertig gemacht? Ich studierte zu dem Zeitpunkt schon 6 Jahre und wollte das abschliessen. Abgesehen davon will ich gerne mit großen Kids arbeiten und ich war / bin mir dessen bewusst, dass ich nie eine solche Lehrerin sein möchte. Nicht falsch verstehen, es war keine schlechte Lehrerin. Aber ich würde nicht nach Spanien auswandern und meinen Unterricht nur auf Deutsch halten. und dabei hätten die Kids dort eine Chance, irgendwann Deutsch zu verstehen. Gehörlose hören aber nicht und werden es auch nie tun, egal wie laut und langsam ich spreche.


    Ich bin nach meinem Studium durch Zufall nach Berlin gezogen und habe dann beschlossen, dort den Bachelor "Deaf Studies" anzufangen (im Nachhinein falsch, ich hätte direkt Audiopädagogik machen sollen, wäre sicher besser gewesen). Es spielten mehrere Sachen eine Rolle, warum ich das Ganze abbrach: ich war eindeutig zu alt, um noch in einem Bachelor-System mit 15 Leuten zu studieren (es sind nur 15 pro Jahr und man studiert wirklich alle zusammen), ich konnte finanziell nicht sicher stellen, dass ich Job und Studium vereinbaren könnte (habe gearbeitet, aber nicht in der Schule), und: die Gebärdensprache bleibt eine Leidenschaft von mir, aber ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, FÜR Gehörlose zu sprechen, sie sollen selbst ihre FürsprecherInnen sein. Wie gesagt, es wäre anders gewesen, wenn ich direkt in der Audiopädagogik gewesen wäre, und nicht beim allgemeinen Dolmetschbachelor.


    Ich halte allgemein viel von Inklusion, glaube aber nicht (hoffentlich nicht!!), dass es Gehörlose in großem Masse treffen wird. Ich weiß, dass es gehörlose Kids, die mit Dolmetscher und Integrationshelfer in die Regelschule gehen, aber die Mehrheit wird es wohl nicht werden. Klar wäre es für viele weniger Fahrzeit und Integration in der Nähe aber wichtig ist die sprachliche Bildung, und die sollte man am Besten in der GL-Schule finden. Allerdings weiß ich jetzt von meinem neuen Wohnort, dass hier an der Gehörlosenschule nur eine Gehörlose unterrichtet und eine andere, die gut gebärdet, der rest nicht.
    Es wird sich hoffentlich mit der Zeit ändern. Es ist auch sehr neu, dass die Gebärdensprache anerkannt wurde und es also langsam in die Gehirne von Universitäten und Schulen kommt, dass die GS keine Affensprache ist.


    Ich arbeite jetzt an einem Gymnasium und biete Gebärdensprach-AGs. Über die letzten 3 Jahre komme ich auf 3+4+7 Kinder, die also ein paar Grundkenntnisse der Gebärdensprache lernen. Die 4 von letztem Jahr sind sogar in ihrem zweiten Jahr und langsam kann ich nicht mehr mitfolgen, meine Kenntnisse sind ja auch nicht prickelnd. Wir treffen uns in regelmässigen Abständen auch mit Gehörlosen (in fast jeder Stadt gibt es Gehörlosen- Gebärdenstammtische, einfach im Netz suchen, auch StudiVZ oder so), und das macht immer wieder Spass.


    A propos Spass: am 17. März ist die Münsteraner Theatergruppe (bestehend aus Gehörlosen und Hörenden) in Bielefeld und spielt das Stück "Schrille Stille". Für Hörenden perfekt verständlich, ich empfehle es dir auf jeden Fall (und deinem Freund, damit er was auch davon mitbekommt). Das Stück ist genial!
    http://www.bielefeld.de/de/kf/…2012&UHRVON=19:00&UHRBIS=




    Englisch an der Gehörlosenschule:
    funktioniert genauso wie Deutsch, wird also nur schriftlich und leicht lautsprachlich gemacht. Klappt auch einigermassen, viele kennen das von Foren, dass man eben nicht spricht.
    Wie das Niveau ist, weiß ich nicht, ich kenne nur "ältere" Gehörlose vom Stammtisch und sonst welche die das Abitur in Essen gemacht haben, vom Studium in Berlin. Sie konnten gut Englisch, wir mussten auch Texte auf Englisch lesen.
    ASL oder BSL müsstest du nicht lernen ;)


    Chili

    Hallo!


    Vorerst: ich in gymnasial ausgebilet und zur Zeit vertretungsweise auch am Gym. (noch vorm Ref)
    Ich habe ein Praktikum an einer Gehörlosenschule gemacht, irgendwann mitte im Studium.


    Alltag an einer Gehörlosenschule:
    je nach Gehörlosenschule sehr sehr uinterschiedlich, und auch je nach Altersstruktur und Ausbildung der Lehrkärfte. Was ist dein Bundesland und bist du flexibel? Einige Bundesländer setzen wirklich eindeutig mehr auf die sprachliche Ausbildung ihrer Lehrkräfte. In Berlin zum Beispiel studierst du nur eine Förderrichtung (eben Gehörlosen / Schwerhörigenpädagogik) und ein Schulfach. Dein zweites Schulfach ist nämlich Gebärdensprache und mit je nach Semester bis zu 10 Stunden die Woche eindeutig ein gutes Fundament.
    Du musst schliesslich am Ende IN Gebärdensprache auch unterrichten. (wenn du in einer GL-Schule bist).
    Wenn dein Bundesland / deine Uni diese Meinung nicht teilt und nur sehr wenige Stunden anbietet, bitte bitte sei bereit, mehr als die 4-5 Kurse deiner VHS zu machen und eben nach Berlin oder woandershin zu fahren, um Intensivkurse zu machen. Ich finde es so traurig, dass die Gebärdensprachkompetenz von zum Teil neu eingestellten Lehrkärften sich auf ein Basisgespräch über Wetter, Alter und Vorstellung begrenzt.


    Niveau:
    Naja, auch hier ein großes Problem.
    Offiziell sollen Schwerhörigen- und Gehörlosenschulen (genauso wie Blindenschulen) die unterschiedlichen Schulformen abbilden. Soweit ich weiß haben die meisten aber nur Real- und Hauptschulklassen. Reine Gebärdlerklassen sind auch oft jahrgangsübergreifend, weil sonst nicht genug Kinder da sind. (Ja, es gibt Eltern, die ihre absolut gehörlosen Kids in oralen Klassen mit 1-2 Stunden Gebärden die Woche lassen...)
    Es gibt auch Gymnasialformen bzw. Oberstufenkollegs (oder nur einen?). In Essen zum Beispiel und ich glaube, auch von einem in München gehört zu haben. Definitiv sehr wenig, da Freunde von mir aus RLP, Sachsen oder Baden-Württemberg nach Essen für die Oberstufe gingen.


    Englisch und Geschichte sind auch Schulfächer an Gehörlosenschulen, du würdest aber vermutlich viel mehr Fächer unterrichten. In der Regel gilt ein Klassenlehrerprinzip, ergänzt durch Fachlehrer (zum Beispiel eben für Englisch).


    Ich hoffe, es war ein Anfang, Frag ruhig nach, wenn du mehr Fragen hast.


    Chili

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