Beiträge von unter uns

    Aber nicht im Sinne einer Empfehlung oder einer Praktiken-Liste. Mann, das muss doch zu kapieren sein... Gähn.


    Vergiss es. Es nützt nichts. Drei Erklärungsmuster bieten sich an.


    1. Es gibt tatsächlich ein massives kognitives Defizit, das verhindert, dass dieser Punkt verstanden wird. Das ist im hier vorhandenen Kontext sehr unwahrscheinlich, wenn auch nicht auszuschließen.


    2. Was kognitiv verstanden wird, wird aus POLITISCHEN Gründen verleugnet. Man hält es eben für vorteilhaft, am eigenen vorgeblichen Nichtwissen festzuhalten. Das entspricht den Strategien eines neuen rechtskonservativen Milieus, das inzwischen in Kommentarspalten regelmäßig überrepräsentiert ist. Es zeichnet sich dadurch aus, Meinungsmache durch Wiederholung von irreführenden oder falschen Behauptungen sowie durch scheinbar "subtile" rhetorische Tricks zu betreiben.


    3. Man versteht zwar, kann sich das Verstandene aber aus verschiedenen Gründen nicht VORSTELLEN und fällt deshalb immer hinter das eigene Verstehen zurück. Das könnte u. a. daran liegen, dass man selbst ein äußerst problematisches Verhältnis zur Sexualität hat - vielleicht, weil einen der Gedanke an sexuelle Praktiken obsessiv umtreibt (ohne vielleicht wirklich etwas damit verbinden zu können), vielleicht, weil man vor sich selbst verleugnet, dass Sexualität eben viel mehr und anderes betrifft, als das, was man unter sexuellen Praktiken versteht.

    Nun, die letzten Posts geben "New Teach" dann in gewissem Sinne doch recht. Vor allem dieses beharrliche Aufteilen in "wir" und "die" hat nichts mit Freiheitsliebe oder Toleranz zu tun.


    Zitat

    Wir in Deutschland sind so tolerant gegenüber Kulturen, die unser westliches Wesen verachten, dass das bereits an Dusseligkeit grenzt!


    Leute, deswegen gehen hier Zehntausende auf die Straße!


    Eine simple Weltsicht für Leute mit viel Angst.

    Warum kann man den Schülern nicht einfach vermitteln, dass Sex in die Ehe gehört,


    Ist das jetzt der endgütlige Meltdown im Niveau? Die Gründe sind wohl offensichtlich.


    Zitat

    wie es für unzählige Generationen selbstverständlich war?


    Das war nie selbstverständlich, zumindest dann nicht, wenn gemeint ist, dass Sex NUR in die Ehe gehört.


    Zitat

    Dann erübrigt sich auch das Üben des Überziehens eines Kondoms ...


    Sicherlich nicht.

    Zitat

    Was sagt ihr dazu?


    Dass ich das niemals unterschreiben würde. Man sieht doch schon an den Formulierungen, wessen Geistes Kind das ist.


    Die Lage muss aber wirklich verzweifelt sein, wenn man nun für die eigenen Interessen ein Handbuch vorschiebt, das nur unter anderem (!) Lehrer anspricht und das auch nicht als Lehrbuch gemeint ist, sondern Anregungen geben soll, die Lehrer, Sozialpädagogen und -arbeiter, Gruppenleiter etc. flexibel nutzen können, wenn sie Bedürfnis und Notwendigkeit sehen (dazu etwa S. 22f.).


    Die Notwendigkeit scheint allerdings da zu sein, denn dass so ein Buch eine 2. Auflage erlebt, dürfte eher ungewöhnlich sein.


    Übrigens würde ich das Buch, wenn ich noch kirchlich aktiv wäre, sofort einem der katholischen Pfarrer empfehlen, die an meinem Wohnort Jugendarbeit machen. Der hatte nämlich einmal die Idee, die ganze Jugend in einem Kreis zu versammeln und jeden mal "offen" sagen zu lassen "was er/sie von Sexualität und so" denkt. Irgendwie ist das nie passiert. Aber ein bisschen Methodenkenntnis könnte dem guten Mann sicher helfen.


    strubbelsuse: Ich kann Deine Tochter übrigens gut verstehen, damit wäre ich selbst in Klasse 9 definitiv überfordert gewesen. Freundliches Feedback an die Veranstalter und Kollegen hilft sicher weiter.

    Zitat

    Was wäre denn der Sinn einer Islamkritik in deinem Sinne?


    Es geht mir weniger um den rational-intellektuell rekonstruierbaren Sinn von etwas, als um seine Ausdrucksformen und seine Verankerung im politischen Zusammenhang. Um es einmal sehr akademisch zu sagen.

    Wenn man im Islam eine Bedrohung sieht und etwas dagegen tun möchte, muss man offensichtlich mit seiner Botschaft nicht "urdeutsche Männer" Ü 50 erreichen, sondern Menschen, die biographisch und genealogisch mit dem Islam verbunden sind. Und zwar vor allem die Menschen, die ohnehin bereits eine gewisse Distanz zum Islam bzw. zu seiner fundamentalistischen Auslegung haben, weil diese Menschen in Milieus hineinwirken können. Diese Menschen gibt es, und zwar in zunehmendem Maße. Bildung und Teilhabe hilft eben doch, nicht in jedem Einzelfall, aber statistisch.


    Zweifelhaft scheint mir, dass man Menschen allein oder primär mit einem Konstrukt namens "Islamkritik" ansprechen kann. Sei es, weil sie nicht einsehen, dass man sie mit etwas behelligt, was sie nach eigener Einschätzung nicht betrifft. Sei es, weil sie sich ethnisiert fühlen und sich wundern, dass Leute, die sich mit ihnen und ihrer Identität sonst nicht befassen, sich plötzlich mit ihrem Glauben (oder dem ihrer Eltern) befassen. Sei es, dass sie sich von den "Islamkritikern" bedroht fühlen, weil sie den Eindruck haben, dass diese Kritiker nicht den Islam angreifen, sondern sie als Menschen. Die aktuell modische "Islamkritik" ist in weiten Teilen doch ein reines Selbstgespräch "traditionell deutscher" Personen, geprägt von Unkenntnis, Floskeln und Wunschdenken. (Warum sind DIE nicht wie ICH?)


    Und was den Fundamentalismus und den religiösen Fanatismus angeht: Ja, hier muss natürlich gegengehalten werden. Aber das wird nicht mit Floskeln und Maximalforderungen gelingen, sondern nur, indem man sich auf neue Realitäten einlässt, also eigene Kenntnisse hat, sei es zum Islam, sei es zur Migration. Z. B. ist die Fixierung des deutschen Geschichtsunterrichts auf den Nationalsozialismus offenbar nicht hilfreich, wenn es um muslimischen Antisemitismus geht.


    http://www.sueddeutsche.de/pol…ntrolle-geraten-1.2059322


    Das könnte man auch an deutschen Schulen zur Kenntnis nehmen. Aber dann müsste man sich mit neuen Themen befassen und sich in Konfliktlagen begeben, die einem vielleicht Angst machen (ich würde mich gar nicht davon freisprechen).


    Das Ganze ist ein großes Experiment. Ob es ein gutes Ende nimmt, weiß ich auch nicht. Aber weder werden die Milieus, an die man beim Thema "Islamkritik" reflexartig denkt, aus Deutschland wieder verschwinden, noch werden sie sich von "Islamkritikern" ex cathedra von der Notwendigkeit einer christlich-deutschen Leitkultur überzeugen lassen.


    EDIT
    Im Übrigen kenne ich auch die Geschichten, bei denen es einem kalt den Rücken runter läuft, bzw. habe sie mit erlebt. Von der muslimischen Doktorandin in Mathematik, deren Doktormutter sie an einen Mann weiterempfehlen will - was sie ablehnt. Es kommt heraus, dass ihr Mann, ein Arzt (!), niemals die Betreuung seiner Frau durch einen Mann akzeptieren würde. Oder von dem Paar - ihre Eltern aus Polen, seine aus der Türkei -, dessen Mann sich vor der Hochzeit plötzlich vom Acker macht, weil seine Familie ihn dazu drängt. Argument: "Die Religion ist doch das Wichtigste." Und das sind Fälle, in denen es um vordergründig sehr erfolgreiche und integrierte Personen geht. Es ist eben schwierig.

    Zitat

    Ich frage mich natürlich, warum in unserer (noch) freiheitlichen Gesellschaft, die das Recht auf freie Meinungsäußerung eigentlich sehr hoch hält, viel zu wenig Islamkritik stattfindet.


    Weil die Floskeln der deutschen "Islamkritik" (deren Name selbst schon mit bestimmten Kreisen verbunden ist) vermutlich mehr Menschen in den Islam treiben, als sie vom Islam bzw. vom Islam in seiner konservativen Prägung abzubringen.

    Hatte ich das nicht schon begründet? "Staatlich finanziert" bedeutet, dass es mit den Steuergeldern der Steuerzahler finanziert wird. In einem Land wie NRW sind 40% der Steuerzahler Katholiken und 30% der Steuerzahler Protestanten. Also 70% der Steuerzahler in NRW sind Kirchenmitglieder. Das bedeutet, die zu 100% staatlich finanzierten Schulen mit katholischem oder evangelischem Profil werden auch zu 100% von den Steuergeldern der Kirchenmitglieder bezahlt.


    Ein deutlicher Aufruf dazu, aus der Kirche auszutreten.

    Zitat

    Nur wenn wie oben ganz kalr gesagt wird: "mein Kind kommt auf die und die Schule, weil dort der Ausländeranteil geringer ist", dann ist das fremdenfeindlich.


    Ist das jetzt so etwas wie Diskursverweigerung? Okay, ich äußere mich dazu nicht weiter. (Zum Niqab habe ich mich gar nicht geäußert, das überlasse ich anderen, mir ging es darum, wie Du Motive diagnostizierst.)


    Ich würde aber den Beitrag von Coco77, auf den Du Dich offenbar beziehst, noch mal lesen. Das war viel Text, den man wohl nicht auf den Satz reduzieren kann, an dem Du Deine Motivunterstellungen aufhängst.


    @Coco77:

    Zitat

    In der Theorie ist das sehr schön und wichtig, aber ich möchte nicht, dass mein Kind dadurch in eine Klasse kommt die mit dem Unterrichtsstoff nicht vorwärts kommt, da sie durch äußere Umstände (z.B. massive Sprachdefizite) daran gehindert wird.


    Ich denke, NewTeach schwebt vor, dass Du zunächst eine soziologische Feldstudie durchführst, um an der Schule in Deiner Nähe zu erheben, ob die von Dir befürchteten Dinge wirklich eintreten. Das ist - ganz ernsthaft - sicher ein theoretisch sehr verständlicher Wunsch, aber eben doch nicht ganz realitätsnah.

    Aber wie soll man entscheiden, wer den Niqab unfreiwillig trägt und wer ihn deshalb trägt, weil er sich zum Islam oder zur Tradition zugehörig fühlt?



    Wenn "das Beste für mein Kind" eine Schule mit geringem Ausländeranteil ist, dann ist das klar Fremdenfeindlich, was denn sonst?


    Ich finde es lustig, wie unglaublich sensibel Du bei der Motivforschung in manchem Bereich bist, über Motive an anderer Stelle aber so gut Bescheid weißt. Bei aller Sympathie sehe ich hier doch eine gewisse Schieflage.


    Eltern suchen keine Schule mit möglichst geringem Ausländeranteil, sondern eine Schule, die ihren Kindern bestimmte Lebens- und Lernerfahrungen ermöglicht. Bei der Wahl dieser Schule gehen sie allerdings offensichtlich von bestimmten Beobachtungen aus und nehmen sie Korrelationen an, und zwar in manchen Fällen unbegründet, in vielen Fällen aber auch begründet. Dass das oft nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun hat, sieht man schon daran, dass Ausländer oder Menschen mit Migrationshintergrund ganz ähnliche Verhaltensmuster zeigen, sobald sie sozial einen bestimmten Status erworben haben.


    Selbstverständlich kann man das kritisieren und für einen problematischen Effekt des Schulsystems halten. Um gegenzusteuern gibt es Ideen wie Gesamtschule für alle, bussing (in den USA), eine bevorzugte Ausstattung bestimmter Schulen mit Materialien und Personal etc. Oder eben das Angebot eines frühen Beginns der Bildungskarriere außerhalb des Elternhauses.


    Auch dieses Problem wird man aber - sofern keine grundlegenden repressiven Änderungen erfolgen - vor allem durch Angebote (!) lösen können, nicht durch moralische Appelle. (Übrigens ist das eine urdeutsche Tradition: Man kann nicht akzeptieren, dass Menschen nach Interessen handeln und man versucht nicht, bei diesen Interessen anzusetzen, sondern man schwebt in einer Welt der Appelle, des moralisch Richtigen und Sittlichen.)

    Es gibt keine "Multikulti-Utopisten". Es gibt Menschen, die eine pluralistische Gesellschaft akzeptieren und es gibt Menschen, die das eben nicht tun. Wenn man seine Kinder extra auf "ausländerarme Kindergärten schickt", dann hat man ganz klar fremdenfeindliche Vorurteile.


    Das ist natürlich Unsinn. Eltern wollen das Beste für ihr Kind. Siehe auch den Beitrag von coco77. Das hat nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun, zumindest nicht notwendigerweise. Was natürlich problematisch ist, sind z. B. Laufbahnentscheidungen nur auf der Basis von klischeehaften Eindrücken (so viele Kinder mit dunklerem Teint? Die lernen nichts und behindern mein Kind beim Lernen. Die Schule ist nichts für uns...)


    Was wichtig wäre: Frühe Begegnung, frühe Einflussnahme des Staates = umfassende gemeinsame KiTa-Zeit möglichst vieler Kinder. Ich bin gut mit Erzieherinnen aus einer Brennpunkt-KiTa befreundet. Dort sitzt die Zukunft und die ist alles andere als rosarot. Andererseits kann man hier - in den frühen Lebensjahren - auch noch viel machen (übrigens auch mit Blick auf die Eltern, denn hier geht es nicht nur um Kinder-, sondern auch um Elternerziehung. Und zwar nicht im Sinne von Bevormundung, sondern auch im Sinne ganz einfacher Tipps und Hilfestellungen. Wie soll eine Mutter, die nie eine wirkliche Kindheit hatte, weil sie ihre Kindheit auf der Flucht verbracht hat, auch von selbst wissen, was Kindheit ist? Um mal ein extremeres Problem anzusprechen, das häufiger vorkommt.)

    Was kann man machen? Ich denke, Bildung ist wichtig, reicht aber nicht. Angebote für die Eltern in jedem Stadtteil, vor allem die Mütter. Besondere Förderung und Stärkung muslimischer Mädchen. Verpflichtende Sprachkurse, die auch Werte zum Inhalt haben, für die Neuankömmlinge. Kindergartenpflicht, zumindest ein Jahr. Ausstattung der Schulen wie in Finnland, so dass, wenn möglich, kein Kind ohne Abschluss nach Hause geht. Klare Signale gegen Rechts, klares Willkommen an die Muslime, aber auch klare Signale gegen Abschottung, Salafisten, Radikale und alle, die versuchen, Frauen hier im Land an irgendwas zu hindern. Und diese Signale müssen vor allem von der muslimischen Gemeinde kommen, sowie die Signale gegen Rechts vor allem von uns kommen müssen.


    Vielleicht hilft das was. Vielleicht.


    Würde ich alles unterschreiben. Auch das "vielleicht".


    Helfen könnte auf deutscher Seite noch die Erkenntnis, dass die 1950er/60er/70er/80er-Jahre vergangen sind. Die entsprechende Welt gibt es nicht mehr. Das gerontokratische Festklammern an den Bildern der eigenen Kindheit ist zwar verständlich, in einer Gesellschaft, die sich gerade rasch verändert, aber fatal. Resultat ist eine kraftmeiernde Hilflosigkeit, wie sie inzwischen auch in der Mitte der Gesellschaft zu finden ist.


    (Vollmundig und doch unendlich hilflos z. B. auch wieder der aktuelle CSU-Beitrag zur Debatte...)

    Ich schließe mich Moebius an.


    Teilzeit: Ja, aber nur, wenn es einen wichtigen objektiven Grund gibt!


    Teilzeit: Nein, wenn Du z. B. nur Angst hast, es "nicht zu schaffen" oder "schlechte Arbeit" zu machen. Wenn Du nämlich aus diesen Gründen reduzierst, arbeitest Du am Ende Vollzeit bei Teilzeit-Gehalt. Den Zeitgewinn durch weniger Stunden wird Dein Perfektionismus auffressen. Davon würde ich dringend abraten.

    Zitat

    Das eben nicht. Umso mehr Zuwanderer aus bildungsfernen Schichten stammen, umso weniger leben sie von Anfang an in ZWEI Gesellschaften. Wie auch, ohne grundlegende Fähigkeiten wie z.B. der Mächtigkeit der deutschen Sprache? Im Gegenteil, sie leben in nur einer Gesellschaft, in der Parallelwelt, die sie sich in ihrem Umfeld selber schaffen, aber mit der deutschen Gesellschaft möglichst wenig Berührpunkte hat.




    Unsinn. Da wird wieder Actio und Reactio verwechselt. Die gut integrierte Referendarin ist Produkt ihrer Erziehung, genauso wie ich auch. Wenn sie kein Kopftuch trägt, hat das Gründe, die in IHRER Sozialisation zu finden sind, deren Wurzeln mutmasslich nicht im erzkonservativsten Anatolien liegen. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Was wird diese Referendarin wohl tun und denken, wenn sie im Urlaub zu ihren Verwandten in den türkischen "bible belt" fährt? Mit welcher Gesellschaft wird sie sich dann wohl identifizieren?


    Tut mir leid, das hat nichts mit der Realität zu tun. Ich will jetzt nicht darüber spekulieren, woher Du Deine Informationen hast, aber alles, was wir aus der wissenschaftlichen Forschung wissen, unterstützt Deine Sehnsucht nach Simplizität nicht. Integrations- und Aufstiegsprozesse sind komplizierte, sich über Generationen bildende Prozesse. Auch in Deutschland gilt keineswegs, dass Menschen immer in dem Milieu bleiben, aus dem sie kommen, dass sie reine Erziehungsprodukte sind oder dass dieses Milieu unverändert bleibt. Und selbstverständlich haben auch die Gastarbeiter der ersten Generation aus dem "erzkonservativsten Anatolien" bereits in zwei Welten gelebt, sobald sie in Deutschland gelebt haben. Umso mehr gilt das für die dritte Generation und kommende Generationen.


    Was die fiktive Referendarin denkt, wenn sie nach Anatolien kommt, weiß ich nicht, aber vermutlich werden ihr ihre Verwandten nicht unsympathischer sein als Menschen, die ohne jede Kenntnis über "Anatolien", den "Orient", "diese Leute" usw. usf. fabulieren. Abgesehen davon hast Du das Grundproblem immer noch nicht verstanden: Diese Referendarin wird sich bei einem Besuch in der Türkei vermutlich mit beiden Gesellschaften mehr oder weniger identifizieren, zumindest beidem affektiv verbunden fühlen. Ganz sicher wird sich an dieser Verbundenheit nichts daran ändern, wenn Du sie aufforderst, sie solle sich vom Heimatland ihrer Eltern distanzieren bzw. ihr das direkt oder indirekt nahelegst. Insofern würde ich - wie schon gesagt - an Deiner Stelle wirklich mal darüber nachdenken, wie Deine Worte wohl auf Leute wirken, die mehr "orient-affin" sind als Du selber.


    @ Eugenia: Ja, der Thread driftet ab. Was wohl daran liegt, dass es nicht mehr nur darum geht, ob im Einzelfall Vollverschleierung unterbunden werden soll, sondern auch darum, wie hier z. T. darüber geschrieben wird. Allein was in diesem Thread an assoziativ abgerufenen Begriffen fällt, ist absolut bemerkenswert.


    Hinter der Verschleierungs-Debatte verbergen sich komplizierte Probleme. Ich weiß auch nicht, wie man damit am besten umgeht und auf jeden Fall gibt es Punkte, an denen man auch restriktiv vorgehen und klare Kante zeigen muss. Aber Schlagworte aus der "Bild"-Zeitung helfen da auch nicht.

    Zitat

    Ich möchte Anteil an der Gesellschaft haben, dann darf ich kein Verhalten zeigen, dass mich aus dieser Gesellschaft ausschließt. Beides zusammen geht nicht. Es hat was von "wasch mir die Hände, aber mach mich nicht nass".


    Nicht alle Probleme lassen sich mit pseudo-logischen Erwägungen lösen. Zuwanderer, die in hinreichender Zahl in ein Land kommen, leben von Anfang an in ZWEI Gesellschaften, und das umso mehr, wenn sie aus bildungsfernen Schichten stammen. Sie leben natürlich in der Gesellschaft des sie aufnehmenden Landes, aber sie bleiben auch in ihrem Milieu verankert, indem Strukturen aus den Herkunftsländern weiter vorhanden sind.


    Es wird einfach nicht gelingen, Menschen durch Repressionen und Forderungen dazu zu bringen, zwischen zwei Gesellschaften radikal zu WÄHLEN. Sie können nur überzeugt werden, Vorstellungen der Aufnahmegesellschaft zu übernehmen und damit auch das eigene Milieu zu verändern.


    Zitat

    Das hat den einfachen Grund: Ich bin hier so erzogen worden. Nicht im Orient, wo solche Leute zuhauf rumlaufen.


    Du kannst Dir ja mal überlegen, wie eine solche Formulierung auf Menschen mit z. B. türkischem Hintergrund wirkt. Und zwar nicht auf die Burka-Trägerin, die Dir ohnehin nicht zuhört. Sondern z. B. auf die gut integrierte Referendarin ohne Kopftuch, deren Eltern aus der Türkei gekommen sind. Im schlimmsten Fall treibst Du sie tatsächlich dazu, sich mit EINER Gesellschaft zu identifizieren - und das wird nicht Deine sein. (Weggehen wird sie übrigens auch nicht - auch so eine deutsche Idee. Sie wird bleiben. Und warum nicht? Schon jetzt haben in deutschen Ballungsräumen bei den unter 15-jährigen bis zu 70% der Kinder einen Migrationshintergrund. Irgendwann in absehbarer Zeit können sie Realitäten schaffen, ohne auf Deine Erziehung Rücksicht nehmen zu müssen.)


    Zitat

    Warum sollte ich jemanden mit offenen Armen empfangen, der mich aufgrund meines Geschlechtes diskriminiert?


    Weil Dir das vermutlich die beste Chance gibt, zum Ende der Diskriminierung beizutragen. Vermutlich nicht bei "der" Burka-Trägerin direkt. Aber bei anderen, besser integrierten Leuten (Männern und Frauen), die aus irgendwelchen (vielleicht nicht ganz haltlosen) Gründen den Eindruck haben, dass sie oft mitgemeint sind, wenn vordergründig auf Vollverschleierung geschimpft wird.


    (Ich bin übrigens immer noch der Meinung, dass ein Verbot von Vollverschleierung an Schulen Sinn machen kann und auch begründbar ist. Aber man sieht an diesem Thread sehr gut, wohin entsprechende Debatten laufen. Diese Unterscheidungen zwischen "wir" und "die" funktionieren doch ausgezeichnet - und schließen mit Sicherheit weit mehr Leute aus, als man wollte.)


    EDIT:


    Zitat

    Die Freiheit von der Sie sprechen wird der Frau eher nicht zu teil.


    Ich weiß. Aber wie ich schon schrieb: In diesem Fall geht es mir nicht um DIE (eine) Frau. Sondern vielleicht um eine zweite Frau mit etwas liberalerem Umfeld, zu der man dann nicht mehr sagen kann: Du musst so rumlaufen, X macht das auch. Das ist bei uns so üblich.

    Es ist schon richtig, dass der Frust ein schlechter Ratgeber ist und der Versuch, mit Forderungen oder Repressionen bestimmte Milieus zu erreichen, der heutigen Lage ganz sicher nicht entspricht. Letztlich können sich diese Milieus nur aus sich heraus öffnen und dazu muss man Angebote machen. Die ganzen Forderungskataloge verstören eben auch die, die längst nicht mehr ganz traditionell leben und die dann den Eindruck haben, in Deutschland ist eben doch kein Platz für sie (man betrachte nur den Brain-Drain von türkischstämmigen Akademikern, die in die Heimat ihr Großeltern gehen - in ein Land, das sie nie gesehen haben).


    (Off-Topic: Eine Bekannte von mir ist z. B. Rumänin, und zwar top-qualifiziert. Sie ist mir ihrem deutschen Mann nach Belgien regelrecht geflohen. Vor den Deutschen. Aus Ihrer Sicht hat selbst der eigene Ehemann bis heute nicht kapiert, was sie durchgemacht hat. Klar, denn kaum durchschritt er die Behördentür, transformierte sich der Ton der Sachbearbeiter. Und ER hat immer angemessene Jobs gekriegt, sie nie. Ihre Deutung: Sobald Du in D den Mund aufmachst und nicht perfekt Deutsch sprichst, bist Du aus dem Spiel. Sofern Du nicht Toilettenfrau werden willst.)


    Trotzdem ist die Idee, vollverschleierte Leute da abzuholen, "wo sie stehen", nicht so unproblematisch, wie hier wortreich behauptet wird. Denn es geht im Fall der Burka ja nicht um Einzelfälle, sondern eben um Milieus, in denen Leute sich durchaus gegenseitig überwachen und am Auf- und Ausstieg hindern. Und hier können Verbote unter Umständen sehr wohl sinnvoll sein, weil sie Personen Freiheit geben, die diese Personen selbst nicht begründen müssen (!).


    Letztlich geht es aber natürlich um Bildung, Lebenschancen, Aufstiegschancen. Klar. Hier ist Deutschland auf gar keinem so schlechten Weg, was viel mehr betont werden müsste. Was aber nicht heißt, dass alle Probleme gelöst wären oder nur wahrgenommen würden.

    Viele Standardvorschläge dürften deshalb nicht helfen, weil die Hilfsfragen auf die SuS ähnlich unspezifisch wirken wie die Frage "was ist das Thema?" und weil das Grundproblem natürlich auch mit Blick auf einzelne Abschnitte wiederkehrt. Wer nicht weiß, was das Thema eines Textes ist, weiß oft auch nicht, was das Thema eines Absatzes ist.


    Du hast sicher gesehen, was das Netz hergibt, z. B.


    http://germanistischelinguisti…ks.com/f/lin_texthema.pdf


    Wenn es darum geht, Themen zu bestimmen könnte man überlegen, ob eine angeleitete Variante für erste Übungen nicht besser ist als eine nicht-angeleitete. Also z. B.: Man gibt einen Text vor und macht fünf Vorschläge der Themenformulierung. Die Schüler sollen den Text lesen und dann die treffendste Formulierung wählen, dann gibt es Feedback. Man könnte z. B. entsprechende Karten machen mit Kommentaren auf der Rückseite (zu eng, zu weit, neben dem Punkt etc.). Die Karten könnten auch zeigen, dass es immer mehrere Möglichkeiten gibt, ein Thema zu formulieren, aber dass es ja darum geht, besonders treffend zu formulieren (was ja auch nicht einfach ist.)


    Man könnte auch versuchen, das Phänomen des Themas zu verdeutlichen, indem man Texte an die kommunikativen Absichten von Autoren bindet (bes. bei Sachtexten): "Nach seiner Rückkehr von der Nordpol-Expedition X schrieb Z einen Bericht für eine Zeitung, in dem er die europäischen Leser über etwas informieren wollte, das ihn besonders fasziniert hat." Frage könnte hier z. B. sein: "Lies Z.s Text. Gib in Form einer Überschrift an, WAS ihn fasziniert hat!" Antwort: "Das Leben der Eisbären". Vielleicht hilft das.


    Eventuell nützt es auch, wenn man den Schülern einen gewissen Formalismus aufzwingt: Ein Textthema verbindet immer etwas Allgemeines und etwas Besonderes, etwas Bekanntes oder etwas Neues oder so. Was ist das Allgemeine ("die Liebe", "das Krokodil"), was das Besondere/Neue ("Werthers", "und wie es sich fortpflanzt").


    Fairerweise muss man sagen, dass eine kluge Themenformulierung gerade bei literarischen Texten ja auch schwer ist...


    Zitat

    Ich habe es mal versucht mit der Aufgabenstellung, dass sie den Text im Internet schon mal gelesen, aber dann sich nicht die Adresse gemerkt haben - welche Begriffe würden sie bei google eingeben, um diesen Text wiederzufinden...? Aus den Stichworten ließen sich dann Kürzestzusammenfassungen schreiben oder eben auch das "Thema" ableiten.


    Das ist witzig. Bringt vielleicht was.

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