religiöse Toleranz - wo zieht man die Grenze ?

  • Ihr Lieben,


    ich poste unter einem Zweitnick, weil ich nicht möchte, dass man das Kind, um das u.a. geht identifizieren kann.


    Dieses Kind kam heute - wie beinahe täglich - 15 Minuten zu spät in den Unterricht. Störte dann permanent und weigerte sich schließlich einen kurzen Text vorzulesen.
    Seine Begründung: Es sei ein Schwein neben dem Text abgebildet.


    Zum - vielleicht - besseren Verständnis, es ging um kurze Zungenbrecher, die Kinder (Eingangsstufe) hatten Kärtchen gezogen und lasen nun "ihre" Texte vor.
    Das besagte Kind zog - zufällig - ein Kärtchen aus der Kiste mit einem Ferkel-Zungenbrecher, daneben ein kleines Schweinchen als Bild.


    Die Weigerung vollzog sich lautstark, sprich, das Kind schmiss sich mitsamt Stuhl auf den Boden und heulte sprichwörtlich "Rotz und Wasser", weil es mit Schweinen nichts zu tun haben wolle.


    Meine Frage: Wie geht man damit um?


    Ich habe reagiert. Natürlich und ich würde wahrscheinlich auch genauso wieder reagieren.
    Ich habe das Kind gebeten aufzustehen, ihm erklärt, dass ich seine ernährungsbedingten, religiösen Einstellungen und Einschränkungen verstehe und akzeptiere, aber es nicht einsähe, warum dieser Text aufgrund eines Bildes nicht von ihm gelesen werde könne......


    Andererseits, es hätte mir natürlich nicht weh getan, dem Kind eine andere Karte zu geben, bzw. es neu ziehen zu lassen.


    Nun frage ich mich, habe ich so reagiert, weil ich eh schon vom Vorverhalten her genervt war?
    Hätte ich bei einem anderen Kind anders reagiert?


    Eigentlich meine ich "nein", aber weil eben dort das kleine Wörtchen "eigentlich" steht, wüsste ich zu gerne, was ihr in diesem Falle gemacht hättet und wo Eure persönliche Toleranzgrenze endet.


    Es grüßt Euch herzlich
    heffalump

  • Zitat

    Was die betrifft, die unter dem Vorwand der Religion nur versuchen, die Ruhe der Gesellschaft zu stören, Aufruhr zu schüren und das Joch der Gesetze abzuschütteln, so unterdrückt sie mit Strenge, wir sind nicht ihre Apologeten [...]
    (Jean Edmy Romilly: Toleranz).


    Mir ist nicht der Zusammenhang klar, warum ein Ernährungsverbot das Auftauchen eines Tieres im Unterricht verhindern sollte. Selbst wenn: Das ist nicht tolerierbar. Sollen wir solche Schüler vielleicht noch bei der Behandlung des Themas "Schwein" in Bio vom Unterricht beurlauben?!

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

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  • Warum hast du nicht einfach gesagt: Du sollst die Karte lesen und nciht essen!
    Damit wäre bei mir die Diskussion beendet gewesen.

  • Ich schließe aus dem Thema messerscharf, dass das Kind Moslem ist? Aus welchem Land?


    Ich bin kein Experte, aber soweit ich weiß, ist das Schweinetabu in einigen muslimischen Regionen tatsächlich sehr aufgeladen... zum Vergleich wäre wahrscheinlich bei uns ein Kärtchen mit "Fotze" plus Abbildung angebracht. Zwei Möglichkeiten


    - das Kind kommt aus einer Familie, wo Schweine tatsächlich so gesehen werden
    - das Kind wollt's mal ausprobieren, wie sehr es die Kulturkarte spielen kann


    In beiden Fällen halte ich eine pragmatische Lösung für angebracht: Kind beruhigen, Karte austauschen, Kind (und evt. Eltern) nachher zum Gespräch bitten. Dann klären: Geht es hier tatsächlich um ein emotional-religiöses Tabu, dann sollte man zunächst mit den Eltern besprechen, dass sich dieses Tabu an der Schule so nicht aufrecht erhalten lässt (Gedankenspiel: Weil die Eltern dafür sorgen wollen, dass das Kind auch unbeobachtet kein Schweinefleisch ist, wurden vielleicht besondere Tabugrenzen aufgebaut), denn gegen die Eltern kannst du nicht arbeiten. Ging's um Provokation, werden die Eltern umso lieber mit dir an einem Strang ziehen. In keinem Fall würde ich eine Grundsatzfrage draus machen, im Sinne von "Was müssen wir eigentlich tolerieren etc." und den Kulturkampf erst recht nicht auf dem Rücken des Kindes austragen. Schweine gehören zum Lehrplan, wenn's Alternativen gibt, kann das Kind sie wahrnehmen, wenn nicht, dann nicht, Schluss. Aber ohne die Rückendeckung der Eltern kann das Kind das nicht begreifen.


    Wenn ich mir deine sonstige Beschreibung durchlese - ständiges Zuspätkommen, "Austicken" etc - scheint mir da aber auch sonst einiges im Argen zu liegen; umso eher würde ich das Gespräch mit den Eltern suchen. Es ist sinnvoll, recht früh klarzustellen, dass man über alles reden kann, solang das Problem freundlich und vernünftig vorgetragen wird, dass aber solche dramatischen Reaktionen nicht toleriert werden. Wenn die Eltern einen ähnlich dramatischen Gesprächsstil gewöhnt sind, weißt du wenigstens, wo's herkommt.


    Ist das jetzt zu multikultitoleranti? Klar hat das Kind überzogen reagiert, es muss aber auch mit Dingen herumoperieren, die eigentlich eine Nummer zu groß für es sind. Vielleicht ist die knappe "Bei uns ist das so und fertig" Lösung einfacher - trotzdem, das Problem hängt in der Art der Reaktion, nicht nur in der Frage Schwein oder nicht Schwein. Drum.


    w.

    Frölich zärtlich lieplich und klärlich lustlich stille leysejn senffter süsser keuscher sainer weysewach du minnikliches schönes weib

  • unabhängig von dem problem, dass das kind ja selber nicht wirklich überschauen kann, in was es da geraten ist (stichwort: kulturkampf), sollten wir aber angesichts der jüngsten entwicklungen endlich einmal wieder den mut finden, auch gegenzuhalten:


    Zitat


    Ich bin kein Experte, aber soweit ich weiß, ist das Schweinetabu in einigen muslimischen Regionen tatsächlich sehr aufgeladen... zum Vergleich wäre wahrscheinlich bei uns ein Kärtchen mit "Fotze" plus Abbildung angebracht. Zwei Möglichkeiten


    für mich gibt es einen unterschied zwischen einer "fotze" und einem "schwein" und den gibt es auch unabhängig von meinem glauben. muslimische mädchen wird der sexualunterricht verweigert, sie dürfen mit ihren sexlüsternden viertklasskameraden nicht ins schwimmbad oder auf klassenfahrten... wenn wir - lehrer - soetwas zulassen, können wir auch gleich wieder die frau an den herd verbannen, unsere lehrbücher und -inhalte durchzensieren und unsere mühselig errungenen werte und haltungen im schein eines multikulti-kuschel-ansatzes über bord werfen. und das sage ich, weil es mir um die integration und bildungschancen ausländischer mitbürger sehr wichtig ist! eine türkische autorin bringt es in ihrer buchkritik auf dem punkt: durch allzuviel toleranz in den vergangenen jahren haben wir das gegenteil von dem erreicht, was wir wollten - die folgen sind parallelgesellschaften und enorme bildungsdefizite.


    das darf natürlich nicht auf dem rücken der kleinen ausgetragen werden, muss aber mit den eltern ausgetragen werden!

  • Hallo Schlauby,


    ich habe einen Vergleich gezogen, der den emotionalen Gehalt deutlich machen sollte; darum, dass es für dich etwas anderes ist (für manche Moslems aber eben nicht), ging es ja gerade. Was bitte ist der "objektive" Unterschied? Im einen Fall handelt es sich um ein menschliches Körperteil, das durch die christlich-patriarchalische Entwicklung des Abendlandes mächtig tabuisiert wurde und bei dem eine bestimmte Bezeichung (vermutl. aus dem Mittelalter und auch damals nicht positiv gemeint) als anstößig empfunden wird. Im anderen Fall handelt es sich um ein Tier, das in der muslimischen Religion tabuisiert wurde und deshalb in Bild und Name als anstößig empfunden wird. So schlecht finde ich den Vergleich nicht.


    Auch wenn es wieder schick ist, "gegenzuhalten", kann man immer nur beim Machbaren ansetzen; ich halte eine Integration, bei der erst mal miteinander geredet wird, für machbarer als die oberlehrerhafte Verordnung einer anderen Moral. Keine Sorge, wenn's um die freiheitlich-demokratischen Grundrechte geht, bin ich nicht bereit, auf die Rechte des Kindes zu verzichten. Aber auhc in dem Fall halte ich es für sinnvoll, erst mal mit den Eltern zu reden.


    w.

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  • [URL=http://www.spiegel.de/unispiegel/schule/0,1518,238853,00.html]http://www.spiegel.de/unispieg…ule/0,1518,238853,00.html[/URL] (15.2.06)
    Mehr gibt es m.E. zu der Schweinegeschichte nicht mehr zu sagen, es sei denn, wir kochen nun noch für jeden Häretiker ein eigenes Süppchen...

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  • Menschen zu essen ist auch verboten. Sollten wir daher Bücher von und über Menschen meiden?

    Die Wälder wären sehr still, wenn nur die begabtesten Vögel sängen - HEnRy vAn dyKe

  • Chinesen essen ja auch Hunde und Katzen. Selbst in China-Restaurants kann/könne man sich nicht sicher sein, was man letztendlich vorgesetzt bekommt.


    Welche Tiere sind denn nun noch "koscher" in Schulbüchern?


    Zu diesem Thema fällt mir nur die Meinung meines Pädagogik-Seminarleiters ein:
    "Wenn ein türkischer Schüler nicht die Tafel putzen möchte, müsse man dies verstehen. Türkische Männer müssten ja auch nichts im Haushalt helfen....."


    Ah ja.....



    Gruß
    Super-Lion

  • Religiöse Toleranz hört für mich dort auf, wo sie anfängt andere einzuengen bzw. zu stören.


    An vielen deutschen Schulen wird schon sehr viel Rücksicht gerade auf moslimische Kinder genommen. In der Mensa wird z.B. jeden Tag mindestens ein Gericht ohne Schweinefleisch angeboten und die Mädchen dürfen auch beim Sportunterricht ihr Kopftuch auflassen. Das ist ja auch OK so. Wir sollten nur nicht vergessen, dass wir an einer deutschen Schule sind, in der halt nach dem deutschen Lehrplan gelehrt wird und wer hier einen Abschluss machen will muss sich halt weitgehend danach richten.
    Wenn wir anfangen Ausnahmen zu machen würde das ewig weite Kreise ziehen. Die moslemischen Jungen müssten plötzlich nicht mehr am Hauswirtschaftsunterricht teilnehmen, nicht mehr Tafel putzen u.s.w. Das kann´s meiner Meinung nach nicht sein.


    Zurück zu der Frage von heffalump: Ich denke, Du hast alles richtig gemacht. Allerdings würde auch ich das Gespräch mit den Eltern suchen und ihnen von dem Vorfall berichten.

  • Ich hätte es spontan vielleicht ebenso gemacht wie du. bei rugiger Überlegung würde ich allerdings lieber zunächst die Karte austauschen und später in einem Vier-augen-gespräch klären, ob und warum das Kind die Karte ruhig hätte lesen können. Ggf. noch ein Elterngespräch anschließen.


    Übrigens, eine Gespräch mit den Eltern bringt manchmal unerwartete Blickwinkel.


    So machte einer unserer Schüler jahrelang ein Riesentheater beim Kochunterricht und bestand auf Putenprodukten usw. Bei einem Elterngespräch kam heraus, dass die Elternnicht religiös und sehr offen sind und zu Hause Schwein durchaus auf den Tisch kommt ... Kind hat sich nur interessant machen wollen.


    Bablin

    Wer hohe Türme bauen will,
    muss lange beim Fundament verweilen.
    Anton Bruckner

  • Danke, Bablin,


    du machst noch einmal klar, was ich meine (ich krieg hier grad den Koller). Es ist WURSCHT um welche Art von Tabu oder Phobie es geht, ob religiös, ethisch, moralisch, klinisch oder was auch immer, das ist hier nicht das Problem. Das Problem ist, dass man erst einmal wissen muss, wo's herkommt, bevor man es sinnvoll angehen kann, und dazu muss man mit den Eltern reden - vielleicht kommt dabei genau so etwas wie in deinem Fall heraus.


    Auf die Gefahr hin, den Thread zu kapern... ne, ne, schon gut, ich mache einen eigenen Thread auf.


    w.
    (tief Lufthol)

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  • Zitat

    Auch wenn es wieder schick ist, "gegenzuhalten", kann man immer nur beim Machbaren ansetzen; ich halte eine Integration, bei der erst mal miteinander geredet wird, für machbarer als die oberlehrerhafte Verordnung einer anderen Moral.


    es ist nicht "schick" - es wurde nur jahrzehntelang aufgrund eines falschen integrationsverständnis unterlassen. und es wird so weitergehen - wir haben die dogmatik der katholischen kirche mühsam überwundern und lassen uns nun langsam von einer ähnlich rückschrittigen dogmatik mehr und mehr beeinflussen.


    ich habe selber gesagt, dass ein gespräch mit den eltern stattfinden muss ... wenn es aber kein einsehen gibt, kann ein lehrer doch nicht immer wieder auf religiöse stimmungen und haltungen religiöser art rücksicht nehmen - wenn ich einmal erleben würde, dass so sensibel mit meinem glauben umgegangen werden würde, das wäre was! wenn du ein solches einstehen als "oberlehrerhaft" betrachtest, dannn kann ich das zwar nicht nachvollziehen, werde es aber schlucken.


    Zitat

    Keine Sorge, wenn's um die freiheitlich-demokratischen Grundrechte geht, bin ich nicht bereit, auf die Rechte des Kindes zu verzichten. Aber auhc in dem Fall halte ich es für sinnvoll, erst mal mit den Eltern zu reden.


    ich vermute einen tippfehler ... oder für welche rechte des kindes würdest du genau auf freiheitlich-demokratische grundrechte verzichten ?


    ich fordere nicht mehr, als ein wenig mehr rückrat! das muss ein interkultureller dialog aushalten ohne gleich als fremdenhass interpretiert zu werden.

  • Bitte: Es waren zwei Fragen:
    1. Wie hättet ihr reagiert/war die Reaktion heffalumps okay/nachvollziehbar.
    und
    2. Wo ist eure persönliche Toleranzgrenze.


    Hier haben einige in ihren Beiträgen mehr auf die zweite Frage geantwortet - wie ich.
    Und hier nehme ich nochmal klare Stellung:
    Es gibt unverhandelbare Grenzen. Hier zu suggerieren, es gebe dialogisch etwas zu verhandeln, ist m.E. ein eindeutig falsches Signal. Wenn die Eltern gerne eine Erklärung wollen, warum der Lehrer so und nicht anders gehandelt hat, dann sollen sie auf den Lehrer zukommen. Wenn ich bei unserem hohen Ausländeranteil jedem Elternteil und Betrieb darlegen wollte, warum ich gewisse kulturelle Eigenheiten aus schul- und verfassungsrechtlichen Gründen nicht akzeptieren kann, hätte ich den ganzen Tag zu tun.
    Den Gutmenschen am Computer zu geben ist einfacher, als in der Realität zu handeln.


    Wie man mit dem Kind konkret umgeht, ist eine weitere Frage. Bevor ich das Alter nicht weiß, traue ich mir keine Einschätzung zu. Denn Eingangsstufen gibt es im Primar- und Sekundarbereich I&II (wobei für II die Reaktion altersgemäß sehr atypsich wäre) je nach Schulart und Bundesland. Auch sollte man etwas mehr über die Vorgeschichte wissen, wobei das evtl. hier nicht preisgegeben werden kann.


    Letztlich: Kuriose Fälle zu konstruieren, ist ja immer nett. Wenn ich aber alle Eventualitäten bedenke, werde ich nie zum Handeln kommen. Vielleicht hat das Kind gar noch eine Schweinefleischallergie?!

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  • Zu Schlauby:


    Die Überwindung der katholischen Kirche war ein "kulturintrinsischer" Prozess der Aufklärung, der bis heute keineswegs abgeschlossen ist - wobei ich mich frage, ob du damit alle christlich-religiösen Vorstellungen meinst oder nur bestimmte Dogmen, aber das gehört nicht hierher. Die Reformation des Islam ist etwas, was innerhalb des Islam stattfindet, bei dem wir aber Zaungäste sind. Wir können helfen, sie zu vereinfachen, indem wir den fortschrittlichen Islam unterstützen und versuchen, Fluchtbewegungen und Trotzidentitäten des Islamismus entgegenzuwirken. Mehr nicht.


    Das jammrige Argument "Auf mich nimmt auch keiner Rücksicht" hätt ich dir nicht zugetraut. Bist du in der gleichen Situation wie ein Kind mit Migrationshintergrund? Oder ist Demokratie, wenn alle gleich behandelt werden, egal, welche Voraussetzungen sie mitbringen? Wir sind Lehrer, wir sind der Meinung, uns in anderer Leute Leben einmischen zu dürfen und ihnen sagen zu können, was richtig oder falsch ist - dass von uns dabei mehr Verständnis und Sensibilität erwartet wird als von Leuten, die hauptsächlich ihr eigenes Leben leben wollen, halte ich für selbstverständlich. Immerhin, in dem Punkt, dass man zuerst mit den Eltern reden muss, sind wir uns ja einig.


    Darüber, ob man meinen Satz falsch lesen muss, müssen wir uns nicht streiten, du weißt ja, was gemeint war.


    Zu Timm:
    Mit deinem ersten Absatz bin ich ja völlig einverstanden - wir können nur so viel machen, wie in der unvollkommenen Schulwelt möglich. Trotzdem meine ich, dass die "unverhandelbaren Grenzen" von einer Erklärung begleitet sein müssen, so weit es eben möglich ist. Dabei ist deine Situation als Berufsschullehrer, der mit weitgehend erwachsenen Menschen zu tun hat, eine andere als die von jemandem, der Probleme mit einem Kind in der "Eingangsstufe" hat - hier sind die Eltern sehr wohl noch ein Faktor.


    Dass mein Lieblingsklingone dann mal wieder mit der Gutmenschenkeule um sich haut und mir sowohl Unwissen als auch Untätigkeit unterstellt, ist zwar der Diskussion nicht förderlich, sei ihm aber zur Triebabfuhr gegönnt. Dass du aber alle existierenden Interpretationsmöglichkeiten außer der, die in deinem Quadratschädel als erste nach oben springt, als "konstruiert" abkanzelst, hätte ich von einem Berufsschullehrer, der das schöne bunte Leben kennt, nicht erwartet. Bestimmt schreibt er jetzt bald wieder böse Emails über die mangelnde Diskussionskultur...


    Jetzt aber wirklich rüber in den anderen Thread, sonst flieg ich aus diesem Forum noch raus.


    w.

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    Einmal editiert, zuletzt von wolkenstein ()

  • wolkenstein: Da hast du mich falsch verstanden. Ich habe deine Forderungen in der Tat als Gutmenschentum eingeschätzt, d.h. aber nicht, dass ich dir nicht im schulischen Kontext absolut zugestehe (dich sogar so einschätze), deine Forderungen umzusetzen.
    Nur im konkreten Fall gibst du Tipps von Außen, ohne die Belastung des Kollegen zu kennen, noch die konkrete Situation. Außerdem befürchte ich, dass solch vollkommen (fast über-)korrektes Verhalten schnell ins Burnout führen kann.


    Zum Schluss habe ich mich etwas schwammig ausgedrückt. Ich schreibe es nochmal:


    Alle möglichen, eher abseitig liegenden, aber bestimmt existierenden Fälle zu bedenken, hieße, das Heft des Handelns aus Hand zu geben.


    Ich wollte keineswegs sagen, diese Fälle seien alle erfunden.


    Im Übrigen kannst du meine Reaktionen schlecht antizipieren. Etwas weniger Schablonendenken hätte ich erwartet; bei den Schülern funktioniert es wohl besser als bei mir.


    Ich denke, im Gegensatz zu manchen meiner Vorredner bin ich eher vorsichtig an den konkreten Fall gegangen (=Schüler im Unterricht), denn ich habe mir im Gegensatz zu anderen, keine detaillierte Bewertung von heffalumps Reaktion zugetraut, ohne weiteres Basiswissen zu haben.


    Wenn ich aber teils missverständlich war, dann nochmal sorry!

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  • Zitat


    Nur im konkreten Fall gibst du Tipps von Außen, ohne die Belastung des Kollegen zu kennen, noch die konkrete Situation. Außerdem befürchte ich, dass solch vollkommen (fast über-)korrektes Verhalten schnell ins Burnout führen kann.


    Wenn ich dich richtig verstehe, meinst du also schon, dass die von mir beschriebene Reaktion die sinnvolle gewesen wäre - ob sie in einer konkreten Situation machbar ist oder nicht, ist eine andere Frage. Ich hatte aber Heffalumps Frage durchaus so verstanden, dass er/sie eine Wertung wollte - dass man unter dem Druck des Alltags nie perfekt reagiert, ist schon klar. Inwieweit das zu Burnout führt, weil's anstrengend ist, oder Burnout vermeidet, weil es ein sehr gutes Eltern-Schüler-Lehrer-Verhältnis herstellt, ist eine andere Debatte.


    Zitat


    Alle möglichen, eher abseitig liegenden, aber bestimmt existierenden Fälle zu bedenken, hieße, das Heft des Handelns aus Hand zu geben.
    Ich wollte keineswegs sagen, diese Fälle seien alle erfunden.


    Dann streiten wir uns hier um eine Frage des Grades der Erfahrung - Dinge, die mir vor zwei Jahren als völlig abseitig vorgekommen wären, gehören für mich mittlerweile zum Alltag. Es kann aber doch nicht falsch sein, seine Erfahrungen zu erweitern und diese mit einzubeziehen? Natürlich geht man im konkreten Einzelfall immer noch von dem aus, was in der Situation machbar ist; ich meine jedoch nicht, dass man das "Heft des Handelns" aus der Hand gibt, wenn man mehr als eine Alternative für möglich hält.


    Zitat


    Im Übrigen kannst du meine Reaktionen schlecht antizipieren. Etwas weniger Schablonendenken hätte ich erwartet; bei den Schülern funktioniert es wohl besser als bei mir.


    Ich bitte um Entschuldigung - ich hatte die Richtung deiner Provokation nicht richtig gedeutet, deshalb war die Gegenprovokation daneben.


    Zitat


    Ich denke, im Gegensatz zu manchen meiner Vorredner bin ich eher vorsichtig an den konkreten Fall gegangen (=Schüler im Unterricht), denn ich habe mir im Gegensatz zu anderen, keine detaillierte Bewertung von heffalumps Reaktion zugetraut, ohne weiteres Basiswissen zu haben.


    Mein Argument ist, dass die abstrakte Diskussion (sollen wir wegen unseren muslimischen Schülern Schweine aus dem Unterricht verbannen - natürlich nicht) und Heffalumps konkrete Frage (muss ich darauf Rücksicht nehmen, wenn ein - scheinbar noch junger - Schüler mit Berufung auf ein religiöses Tabu ausflippt - ich meine schon) nicht zusammen passen, weshalb ich versucht habe, einen zweiten Thread aufzumachen. Das eine ist eine gesellschaftliche Frage, das andere eine pädagogische, das Problem ist, dass die Antworten notwendigerweise konträr sind. Alles weitere im anderen Thread?


    w.

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  • Zitat

    wolkenstein schrieb am 16.02.2006 21:01:


    Wenn ich dich richtig verstehe, meinst du also schon, dass die von mir beschriebene Reaktion die sinnvolle gewesen wäre - ob sie in einer konkreten Situation machbar ist oder nicht, ist eine andere Frage. Ich hatte aber Heffalumps Frage durchaus so verstanden, dass er/sie eine Wertung wollte - dass man unter dem Druck des Alltags nie perfekt reagiert, ist schon klar. Inwieweit das zu Burnout führt, weil's anstrengend ist, oder Burnout vermeidet, weil es ein sehr gutes Eltern-Schüler-Lehrer-Verhältnis herstellt, ist eine andere Debatte.


    Die Reaktion wäre die ideale, aber wie so oft vielleicht nicht die praktikable.
    Aus rationaler sachlich-fundierter Kenntnis und Empathie zu reagieren, halte ich für selbst für praktikabel. Ich wollte nur zu bedenken geben, dass wir uns selbst anhand der mangelnden Infos weder richtig eindenken noch richtig informiert fühlen können. Ich glaube eben, dass manche Situationen besser hier nicht bewertet werden. Für sinnvoller hielte ich es, wenn man so etwas mit Kollegen bespricht, die den Schüler kennen. Dann kann man immer noch auf die Eltern zugehen.

    Zitat


    Dann streiten wir uns hier um eine Frage des Grades der Erfahrung - Dinge, die mir vor zwei Jahren als völlig abseitig vorgekommen wären, gehören für mich mittlerweile zum Alltag. Es kann aber doch nicht falsch sein, seine Erfahrungen zu erweitern und diese mit einzubeziehen? Natürlich geht man im konkreten Einzelfall immer noch von dem aus, was in der Situation machbar ist; ich meine jedoch nicht, dass man das "Heft des Handelns" aus der Hand gibt, wenn man mehr als eine Alternative für möglich hält.


    Ja, aber ich hätte als threadstarter den Eindruck bekommen, ich solle mehr nachdenken. Wie gesagt, dem unbekannten "Zweitnick" traue ich es einfach mal zu, dass er - wie oben verlangt - eine rational-empathische Augenblicksentscheidung getroffen hat. Hier die Liste möglicher Verhaltensauffälligkeiten zu erweitern, halte ich für eher akademisch. Ich kenne leider Kollegen, die von Sorgen getrieben lieber nicht mehr handeln. Die Frage war doch, ob die Augenblicksentscheidung korrekt war. Unter den oben genannten Gesichtspunkten halte ich sie durchaus für eine adäquate Reaktion. Damit ist das Ganze aber wieder so relativiert, dass ich es auch lassen könnte ;)


    Zitat


    Alles weitere im anderen Thread?


    w.


    Bin gerade dabei...

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  • Ich danke Euch für Eure Antworten und Gedankengänge.


    Ich habe das Kind also den Text lesen lassen. Meine Vermutung war die, nach Einschätzung des Kindes und seines Umfeld, dass es sich eher um eine "Show" und weniger um real existierende Gründe und Ängste handelt.
    Gleichzeitig habe ich den Eltern einen Vermerk ins Heft geschrieben und den Sachverhalt geschildert und um ein Gespräch gebeten.


    Dieser Vermerk war am folgenden Tag von den Eltern unterschrieben.
    Die Kinder nahmen drei Zungenbrecher-Karten mit nach Hause.
    Von den dreien sollten sie zwei auswählen und auswendig lernen.


    Das Kind lernte u.a. genau jenen "Ferkel-Spruch" auswendig, ohne dass das Kind dies hätte tun müssen.


    Für mich war das auch eine Art von Antwort.


    Dasselbe Kind lehnte heute dann bei einem gemeinsamen Frühstück - selbstverständlich ohne Wurst vom Schwein - ein Käsebrötchen ab.


    "Das könnte ja dänischer Käse sein!"


    Ja, ich gestehe, mir sträubten sich sämtliche Nacken- und sonstigen Haare.
    ABER: Selbstverständlich muss niemand ein Käsebrötchen essen.
    Dem einen stinkt der Käse, dem anderen ist er eventuell zu dänisch.


    Da fiel die Entscheidung leichter, es handelte sich schließlich nicht um "Unterrichtsstoff" - Ihr wisst sicher, wie ich es meine.


    Ich bin sehr gespannt auf das Elterngespräch nächste Woche.
    Und ich bin nach wie vor der Ansicht, dass es keine untragbare Zumutung darstellt (und das meine ich jetzt rein für DIESES Kind) dieses Sätzchen zu lesen.


    Wahrscheinlich gilt hier wie bei allen Lebensdingen: Pauschalisieren ist sinnlos.


    Es grüßt
    heffalump

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