Vom Umgange mit dem Schüler - von "Prolos bis Abiturienten"

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Ihr Lieben!


    Meine ganz persönliche Erfahrung von neulich möchte ich nochmal als Ausgangspunkt nehmen für eine neue Diskussion.


    Tagtäglich begegnen uns Tausende von Schülern unterschiedlichster Herkunft, unterschiedlichster Sozialisation, mit unterschiedlichsten Biographien etc. etc.


    Frage an Euch:


    Was waren Eure bisherigen Extremsituationen und wie seid ihr mit den entsprechenden Schülern umgegangen? Ging es Euch danach gut? Hattet Ihr das Gefühl das Richtige getan zu haben?


    Gruß
    Bolzbold

  • Eigentlich wollte ich in's Bett gehen, aber Bolzbolds Fragen ließen sofort eine Erinnerung bei mir aufsteigen.


    Eines Tages, wir hatten wieder einen neuen Lehrgang "kaputter" Schüler begonnen, traf ich einen Kurden (damals 23 Jahre alt) auf dem Gang. Der junge Mann war eigentlich nicht der übelste, hatte aber eine vorlaute Art.
    Dieses Vorlaute ließ ihn allzu oft im Unterricht dazwischenreden, was besonders störte, wenn sich gerade ein anderer Schüler bemühte, ein Ergebnis zu finden.


    Also, und das ist meine Art, ging ich auf den Mann zu, tippte ihn auf die Brust und sagte ungefähr: "So, Alter, nun mal unter uns! Wenn Du noch einmal..."
    Weiter kam ich gar nicht, denn mein Gegenüber fing sofort an zu schreien: "Seht ihr? Der hat mich angefasst, der hat mich angefasst!"
    Ich hob beide Hände halb hoch und sagte gar nichts und das war wohl ein Fehler, denn nun packte er mich am Kragen und schrie: "Jetzt darf ich Sie auch anfassen!"


    Was ich nun tat, war genauso instinktiv. Ich sagte einfach: "Bitte, bitte! Macht's Dir Spaß?"


    Im nächsten Moment kamen aber zwei andere kurdische Schüler und rissen ihren Kameraden zurück. Dann tuschelten sie miteinander und die Sache war für diesen Tag erledigt. Der 23jährige mied mich in der nächsten Zeit und ich ließ ihn im Unterricht in Ruhe. Er war auch nicht mehr so vorlaut.
    Es musste aber erst zwei Wochen lang dauern, dass er kam und um Entschuldigung bat: "Es tut mir leid. Aber kurdische Männer lassen sich nicht gern so antippen. Das ist erniedrigend. Da bin ich eben durchgedreht."


    Ab diesem Tag waren wir "beste Freunde" und er riss sich fast ein Bein heraus für mich.


    Wie es mir an diesem bewussten Tage ging? Im Moment des Angriffs war ich zwar ruhig, hatte ich doch instinktiv beide Hände in Bereitschaft gehoben. Aber ich war noch eine Weile danach ziemlich aufgeregt wegen des Adrenalin-Schubs, hätte es doch sein können, dass ich mich auch körperlich hätte verteidigen müssen.
    Auch glaube ich, richtig gehandelt zu haben, denn das Heben beider Hände sollte nach außen hin zeigen, dass ich "die Hände hebe."


    Allerdings habe ich einen Fehler begangen und den hatte mir mein späterer kurdischer Freund erklärt. Die gleiche Erklärung erhielt ich auch von anderen Kurden, die ich unabhängig und später fragte.


    Man lernt eben nie aus.

  • Lieber Bolzbold,


    verstehen kann man das Leben nur rückwärts, aber leben muss man es vorwärts.


    Darum kann man nicht immer das Richtige tun, und schon gar nicht immer das Wirkungsvolle.


    Und es gibt auch nicht nur die eine richtige Reaktion, schon gar nicht bei zwei verschiedenen Menschen.


    Selbst ein und derselbe Satz wirkt, von verschiedenen Menschen gesprochen, ganz unterschiedlich.


    Trotzdem sind natürlich Fallbeispiele von mehr oder minder gut bewältigten (Extrem-) Situationen immer wieder interessant. Ich sehe sie allerdings lieber in einem Fachbuch zu Problemlösungen als in einem öffentlichen Forum, wo sie von einer sehr unterschiedlichen Leserschaft sehr unterschiedklich aufgenommen werden können und teilweise wohl auch dazu dienen, Sensationslust und Vorurteile zu bedienen.


    Bablin

    Wer hohe Türme bauen will,
    muss lange beim Fundament verweilen.
    Anton Bruckner

    • Offizieller Beitrag

    Lieber Bolzbold,
    ich kann da Bablin nur zustimmen. Ein paar ziemlich üble Situationen könnte ich auch erzählen, aber würde das zum Schutz der Schüler und auch zum Schutz meiner eigenen Person sehr ungern in einem öffentlichen Forum berichten.
    Außerdem ist es m.E. schwierig, aus einer ganz weit entfernten Perspektive zu beurteilen und Tipps für die richtige Reaktion zu geben. So etwas ist doch sehr abhängig von deiner Person, den Schülern, der Situation usw. Insofern ziehe ich auch eher Fachbücher zu Rate, die ganz allgemein gehaltene Tipps geben.
    Lg, Hermine

  • Warum, Balin und Hermine?


    Was für ein Schutz? Oder konntet Ihr aus meinem Erlebnis herauslesen, WER ich bin und WER der Schüler war? OK, bei mir ginge es schon, weil ich über Profil und Webseite identifizierbar bin.


    Aber bei Euch ist es doch nahezu unmöglich.


    In Lehrbüchern stehen viele Tipps - gut. Sind diese aber immer und allgemein gültig? Die persönlichen Erfahrungen und die der anderen Praktiker lassen uns alle doch viel besser lernen, oder nicht?


    Bolzbold hat sich doch auch getraut, sein Erlebnis zu berichten. Nur Mut! Niemand (er)kennt Euch.

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    row-k schrieb am 25.03.2006 11:47:
    Bolzbold hat sich doch auch getraut, sein Erlebnis zu berichten. Nur Mut! Niemand (er)kennt Euch.


    Nun, row-k.


    wenn Du Dir mal fünf Minuten Zeit nimmst und mal ein wenig googlest, wirst Du a) wissen wer ich bin, b) wissen, an welcher Schule ich unterrichte und c) sogar ein Photo von mir finden.


    Da ich aber tagtäglich sozusagen in der Öffentlichkeit agiere - und sei es nur vor den 150 Schülern, die ich jeden Tag unterrichte, mache ich mir darüber keinen Kopf mehr.


    Gruß
    Bolzbold

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Bablin schrieb am 24.03.2006 23:57:
    Trotzdem sind natürlich Fallbeispiele von mehr oder minder gut bewältigten (Extrem-) Situationen immer wieder interessant. Ich sehe sie allerdings lieber in einem Fachbuch zu Problemlösungen als in einem öffentlichen Forum, wo sie von einer sehr unterschiedlichen Leserschaft sehr unterschiedklich aufgenommen werden können und teilweise wohl auch dazu dienen, Sensationslust und Vorurteile zu bedienen.


    Bablin


    Lieber Bablin,


    das mag einerseits richtig sein, andererseits lassen wir uns von der öffentlichen Meinung mittlerweile in diesem Forum viel zu sehr beeinflussen. Wer seine Sensationslust bedienen will etc., wird hier in diesem Forum so oder so etwas finden. Krass prophezeiht, wird dieses Forum also Deiner Argumentation folgend langfristig nur noch Banalitäten austauschen oder wie?


    Gruß
    Bolzbold

  • Hm, also ich denke ebenfalls, dass man sich durch streitlustige Mitmenschen nicht den Mund verbieten lassen sollte bzw. in Furcht vor dessen spitzer Feder leben muss.


    Allerdings wäre und bin ich auch sehr vorsichtig, was Aussagen betrifft, die mein jetziges Umfeld tangieren.
    Weit Vergangenes, anderes Bundesland, anderer Name --- nö, da mache ich mir jetzt keine Sorgen.


    Andererseits halte ich Austausch für wichtig und finde dieses Forum hier weitaus realitätsnäher als irgendwelche Fachbücher.


    Liebe Grüße
    strubbelsuse

  • Hallo, Bolzbold,


    ich würde es bedauern, wenn du der Meinung wärest, künftig könnten hier nur Banalitäten stehen, oder auch "nur", ich äußere in diesem Forum nur Banalitäten - . Ich finde, auch ohne Fallbeispiele habe ich gelegentlich etwas zu sagen.


    Allerdings brachte und bringe ich keine Vorkommnisse zur Darstellung, die das Vorurteil über Kinder und Eltern an Förderschulen bedienen könnten. Noch dazu weiß ich, dass hier auch Menschen mitlesen, die mich und meine Schule durchaus identifizieren können. Und Fallbespiele halte ich ohnehin eher für sinnvoll, wenn sie in einen theoretischen Kontext gebettet sind, in dem die Reaktionen aufbereitet sind. Ich sprach ja schon von dem Buch "Die Logik des Gelingens". In ihm und in den Büchern, auf denen es fußt, sind Beispiele etwa zur paradoxen Intervention und der Begründung ihrer Wirkungsweise zu finden.


    Sprache auf dem Niveau von "Prollos" pflege ich nur einzusetzen, wenn ich in einer entsprechend aufheizten Situation mit so einem Jugendlichen "aktiv zuhöre" und seine "Begründungen" für sein Ausrasten zusammengefasst auf den Punkt bringen möchte. Ich finde es ebenso angemessen, wenn andere diese Sprache gar nicht oder häufiger benutzen.


    Bablin

    Wer hohe Türme bauen will,
    muss lange beim Fundament verweilen.
    Anton Bruckner

    Einmal editiert, zuletzt von Bablin ()

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Bablin schrieb am 25.03.2006 13:39:
    Hallo, Bolzbold,


    ich würde es bedauern, wenn du der Meinung wärest, künftig könnten hier nur Banalitäten stehen, oder auch "nur", ich äußere in diesem Forum nur Banalitäten - . Ich finde, auch ohne Fallbeispiele habe ich gelegentlich etwas zu sagen.
    Bablin


    Ich habe keinesfalls gesagt, dass ich dieser Meinung bin bzw. eines Tages sein werde. Ich habe nur einmal ein Szenario ausgemalt, was passieren KÖNNTE. Es ist nicht zu übersehen, wie eine gewisse unterschwellige Angst davor sich breit macht und es ist nicht zu übersehen, dass es hier auch Abwanderungen gibt.
    Wenn wir ein reines Gewissen haben und in den Spiegel schauen können, brauchen wir vor nichts Angst zu haben.


    Gruß
    Bolzbold

  • Zitat

    Krass prophezeiht, wird dieses Forum also Deiner Argumentation folgend langfristig nur noch Banalitäten austauschen oder wie?


    Das hast du gesagt. Du hast gesagt, wenn das Forum meiner Argumentation folgt, gäbe es langfristig nur noch Banalitäten auszutauschen. Dem habe ich widersprochen.


    Ich habe ein reines Gewissen, ich habe keine Angst. Ich erinnere mich an einen Spruch aus meinem poesiealbum, den ich eher zu selten als zu oft beherzige:


    Sage nicht immer alles, was du weißt. Aber wisse immer, was du alles sagst.


    Bablin

    Wer hohe Türme bauen will,
    muss lange beim Fundament verweilen.
    Anton Bruckner

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Bablin schrieb am 25.03.2006 14:18:
    Das hast du gesagt. Du hast gesagt, wenn das Forum meiner Argumentation folgt, gäbe es langfristig nur noch Banalitäten auszutauschen. Dem habe ich widersprochen.


    Richtig, das habe ich gesagt. Ich formuliere es mal um, damit das nicht so missverständlich klingt.


    Deiner Argumentation folgend (rein logisch) prophezeihe ich, dass dann eines Tages in diesem Forum nur noch Banalitäten ausgetauscht werden könnten.


    Zitat


    Ich habe ein reines Gewissen, ich habe keine Angst. Ich erinnere mich an einen Spruch aus meinem poesiealbum, den ich eher zu selten als zu oft beherzige:


    Sage nicht immer alles, was du weißt. Aber wisse immer, was du alles sagst.


    Das ist richtig - und letzteres versuche ich auch zu beherzigen.


    Gruß
    Bolzbold

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Meike. schrieb am 25.03.2006 15:38:
    Ich denke, dass die Diskussion in diesem tread schon symptomatisch ist und zeigt, dass eben nicht mehr möglich ist, was einmal möglich war. Die meisten Beiträge, so auch der meine, drehen sich um das Thema, ob man sowas in diesem Forum noch öffentlich diskutieren kann.
    Es scheint, als sei dem nicht so. Ich für meinen Teil halte es derzeit da auch eher mit Bablin: Ich könnte wohl, aber ich werde nicht. Aus den verschiedensten Gründen, vor allem aber um meine Schüler zu schützen - vor, wie Bablin schreibt


    Besonders traurig ist das, weil wir wissen, WER für diesen Stimmungswandel verantwortlich ist und wodurch das passiert ist. Eigentlich sollte man ja meinen, es würde reichen, wenn man Bild-Zeitung, das Lehrerhasserbuch oder was auch immer liest oder "Explosiv" guckt, um seine Sensationslust zu stillen. Einigen armseligen Erscheinungen ist das aber nicht genug.


    Nur schade, dass wir damit indirekt konzidieren, dass die "Gegenseite" gewonnen hat.


    Gruß
    Bolzbold

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