Frühes Lernen? Sinnvoll oder zu viel Druck für die Kinder?

  • Hallo,
    wollte hier mal ein Thema aufbringen, das mich schon längere Zeit beschäftigt.
    Studiere jetzt seit einem Semester Lehramt Grundschule und habe, was Förderung und Lernen bei Vorschulkindern betrifft, schon einiges mitbekommen, und bin auch im Verwandten/ Bekanntenkreis sehr aufmerksam geworden, wenn das Thema auf das "Lernen vor der Grundschule" kam.
    Was mir irgendwie aufgefallen ist, dass es scheinbar viele Eltern gibt, die ihren Kinder schon einige Zeit vor der Schule beispielsweise die Zahlen beibringen, allerdings nicht, weil das Kind von selber darauf kommt und am Lernen interessiert ist, sondern weil die Eltern der Ansicht sind, die Kinder müssten viele Dinge schon vor der Schule können, sonst würden sie nicht mitkommen. Eine Bekannte meiner Eltern erzählte mir einige Monate vor der Einschulung ihres Sohnes, dass sie jetzt schon darauf bestehen würde, dass der Kleine jeden Mittag eine Art Hausaufgabe macht.
    Ansonsten habe ich einige Eltern kennengelernt, die ihr Kind mit 3 zum Logopäden schicken, weil es noch keine Ich-Bewusstheit zeigt, und von sich selber in der dritten Person spricht (in einem Schriftspracherwerbsseminar haben wir letzten gelernt, dass das bei Dreijährigen noch völlig normal wäre).
    Irgendwie hab ich den Eindruck, dass man den Kindern in der heutigen Zeit ziemlich viel aufdrückt.
    Versteht mich jetzt nicht falsch, ich finde Förderung (vor allem rechtzeitige Förderung) von Kindern wichtig und notwendig, nur kommt es mir manchmal so vor, als würde das alles in vielen Fällen auch irgendwie übertrieben.
    Nach einem Semester Studium habe ich natürlich noch keine wirklichen Erfahrungen sammeln können, vor allem nicht im praktischen Bereich, aber so vom Gefühl her denke ich irgendwie, dass man doch Kindern nicht so früh so viel Lernstoff aufzwingen könnte. Es ist doch irgendwie schon schlimm genug, wie viele Kinder in der Schule unter Druck stehen.
    Wenn ein Kind schon im Kindergarten von sich aus gerne ein bisschen Schreiben möchte, beim Kartenspiel die Zahlen lernen will etc, dann denke ich, sollte man das auf jeden Fall fördern und dem Kind die Möglichkeit geben, zu lernen,
    nur sollte man die Kinder doch so früh nicht unter Lerndruck setzen, wenn sie von sich aus vielleicht noch nicht so weit sind, schließlich hat ja jedes Kind irgendwo seine eigene "Entwicklungsgeschwindigkeit" und im gleichen Alter können sich bei Kindern enorme Unterschiede zeigen.


    So, mein Beitrag ist etwas lang geworden, hoffe, dass es nicht zu verwirrend geworden ist. Bin nur im Moment selbst etwas hin- und hergerissen und weiß noch nicht so ganz, wie ich das ganze, was ich bisher gelernt und erfahren habe, für mich einordnen soll (so ein erstes semester studium kann einen ganz schön durcheinander bringen).


    Würde mich freuen, einmal eure Meinung über das vorschulische Lernen und die vorschulische Förderung von Kindern zu erfahren.


    Vielen Dank (auch fürs Lesen meines langen Beitrags ;) )
    Sternschnuppe

  • Ja, für mich hast du mit deinen Bedenken völlig Recht. Auch ich erlebe Eltern, die beispielsweise ihre Kinder im Kindergartenalter schon zu einem Englisch-Kurs anmelden und Kinder, deren Terminkalender vor der Einschulung schon voller ist, als meiner es auf der weiterführenden Schule war. Oft entspringen solche Verhaltensweisen der Hilflosigkeit der Eltern. Sie wollen um jeden Preis den Schulerfolg ihrer Kinder sichern, damit diese eine gute Zukunft bekommen, blicken nur noch in die Zukunft und verlieren die gegenwärtigen Bedürfnisse der Kinder dabei gänzlich aus den Augen. Schade für die Kinder, die sich dagegen nicht wehren können.


    Viele Grüße
    Britta

  • Ich kann mir nicht vorstellen, dass man so kleine Kinder zu etwas zwingen kann.
    Wenn sie kein Englisch mögen, dann bringt der Unterricht nichts. Wenn sie keine Lust auf Musikkurs haben, dann machen sie nicht mit.


    Ich erlebe die meisten Kinder im Vorschulalter als sehr lernbegierig.
    Und es ist unumstritten, dass die Vorschulzeitsehr sehr wichtig ist, was die kognitive Entwicklung des Kindes betrifft.
    Meine Tochter besuchte ein Jahr lang eine sehr angesehene Vorschuleinrichtung (Mehlhorn/Kreativschulen) und die dort erzielten Ergebnisse sind super. Nahezu alle Kinder erreichen die Hochschulreife. In der letzten Geo-Wissen war ein mehrseiter Bericht über die Kreativeinrichtungen. Dort wurden natürlich nur die Vorteile erwähnt ... zu den Nachteilen darfst du mich dann gern befragen.
    Es haperte dort an einigen Sachen und ich habe sie in eine andere Einrichtung gegeben, die nicht unter der Leitung der Familie Mehlhorn steht, deren Erzieher aber trotdem eine Ausbildung zum Kreativpädagogen erhalten.


    Dort (Mehlhorn-Kreativkiga) gibt es täglich Programm. Englisch, Musik, Tanz ... täglich 2-3 Lernangebote. Und bis auf wenige Ausnahmen macht es den Kindern Spa. Sie werden gefordert, aber nicht überfordert.


    Ich finde Vorschulbildung also richtig und wichtig.


    LG,
    Sunny

  • Naja, natürlich ist diese Zeit sehr wichtig und Kinder wollen lernen. Trotzdem kann man es auch übertreiben. Englisch lernen ist für mich nur sinnvoll, wenn die Kinder auch mit der deutschen Sprache zurecht kommen. Erfahrungswerte zeigen außerdem, dass kleine Kinder in anderer Form lernen müssen - 1 oder 2mal die Woche eine Englischstunde bringt da leider nix. Wenn es jeden Tag stattfindet mit einer wirklich kompetenten Erzieherin - ok. Aber in der Form, wie ich es erlebe, finde ich es bekloppt.
    Ich sage ja nicht, dass Kinder vor der Einschulung nichts lernen sollen. Im Gegenteil, Frühförderung ist generell schon sehr wichtig - aber in Maßen! Wenn ich aber höre,


    Zitat

    dass sie jetzt schon darauf bestehen würde, dass der Kleine jeden Mittag eine Art Hausaufgabe macht.


    Nein, dass kann es nicht sein!

  • Hallo!



    Dass die Eltern anfangen, zu Hause ihre Kinder nach ihren Vorstellungen zu unterrichten finde ich ziemlich gefährlich. Sie haben ja meistens keine Ahnung davon, wie Kinder lernen und lernen sollten. Bei diesem Hausunterricht handelt es sich dann meistens um eine Vorwegnahme von einer Schule, die sie selbst kennengelernt haben und die es so gar nicht mehr gibt.
    Der Grund ist klar: Die große Sorge, um die Zukunft der Kinder.
    Die Negativfolgen sehen die Schulen dann bei der Einschulung.
    Beispiele: Es gibt immer wieder Kinder, die kennen zwar alle Buchstaben (De, Ef, Ge usw.). Sie können aber keine Laute umsetzen. Oder Kinder die perfekt abschreiben können, jedoch kein Wort selber schreiben können.
    Diese Kinder, die ein falsches Bild von ihren Kompetenzen haben (Ich kann doch schon schreiben oder ich kann doch schon alle Buchstaben) zum Lernen zu bewegen ist schwer.
    Auch die Eltern kommen dadurch teilweise mit falschen Eisnchätzungen ihrer Kleinen in die Schule. Sie kennen die Kinder aus einer 1:1 Betreuungssitaution von zu Hause aus, in der die Kinder häufig ganz gut lernen. In der Schule, in der ja häufig mehr Selbstständigkeit gefordert wird, kommen ihr Kind nicht zurecht. Da wird der Grund natürlich häufig in der Schule gesucht.



    Dies bezieht sich natürlich nicht auf das natürliche Lernnen im Elternhaus. Kind möcte den Buchstaben wissen und bekommt ihn gesagt oder zählen lernen usw.


    Ich denke eine stärkere Förderung der Kinder im Kindergartenalter sollte so nicht stattfinden, sondern stärker in den KitAs usw. Außerdem sollten die Inhalte, Lernziele besser mit den Grundschulen abgestimmt werden.


    Den Bericht über die Kreativ-Kita fand ich interessant.
    Gibt´s hier noch jemanden mit ähnlichen Erfahrungen?

  • Hallo Sternschnuppe,


    ich habe einen Sohn in der 2. Klasse und bin selbst ja Foerderschullehrerin.


    Ich habe meinen Sohn nicht mit der Vorwegnahme von schulischen Inhalten gefoerdet wie viele andere Eltern. Ich bin immer auf ihn eingegangen, habe sein Interesse gefoerdet und habe ihm vielerlei Erfahrungen ermoeglicht und immer darauf geachtet, dass alle Sinne angesprochen werden.


    So kam er in die Schule und hatte im Vergleich zu den Jungs aus aehnlichen Mittelschichtselternhaeusern das Nachsehen...


    Er war zu langsam. Er konnte nicht so schnell lesen wie die anderen, die vorher schon viel input zu Hause erhalten hatten. Er konnte nicht so schnell schreiben, weil er einfach nicht malen wollte und ich ihn nur gegen seinen Willen haette zwingen muessen.


    Er gehoerte trotzdem zum oberen Leistungsviertel der Klasse, kam aber an seine gut gefoerderten Freunde nicht heran.


    Bedingt durch die gute Schule, die er besucht, erwachten dann ploetzlich neue Interessen. Er fing z.B. an zu zeichnen. Produzierte ganz viele Bilder und verbesserte so relativ schnell seine Feinmotorik, dann wurde er von der Arbeitsgeschwindigkeit her besser. Sein Lesen verbesserte sich langsam aber stetig.


    Gerade gestern hatten wir ein Elterngespraech. Waehrend bei den anderen guten Schuelern der Lernzuwachs teilweise still steht, ist es bei ihm stetig angewachsen. Trotz steigender Anforderungen wird er immer besser.


    Es stellt sich so dar, dass die anderen Jungs deswegen so gut waren, weil sie vieles schon VORHER wussten. Dieser Vorteil schwindet mit zunehmenden Anforderungen immer mehr... es kommen die tatsaechlichen Moeglichkeiten der Kinder zum Vorschein.


    Interessanterweise sollte einer der Jungen vor einem halben Jahr noch die Klasse ueberspringen, was die Klassenlehrerin heute nur noch schwer nachvollziehen kann und froh ist, dass sie es nicht gemacht haben.


    Ich glaube, Foerdung vor der Schule wird oftmals als blosses Vorausnehmen schulischer Inhalte missverstanden. Da wird dann eben stumpfsinnig mit Fuenfjaehrigen ein Lesetraining gemacht.


    Ich verstehe vorschulische Foerderung einerseits schon als MUSS, aber dann bitte richtig. Alle Sinne ansprechen, die Neuronen im Hirn sich verbinden lassen, das als Strasse verstehen, auf der die schulischen Inhalte spaeter dann fahren koennen...


    Das Kind dann ABHOLEN, wenn es an einem Lernpunkt angekommen ist, spueren, wann man gut etwas vermitteln kann. Dann vielleicht auch entsprechende Buecher vorlesen, entsprechende Ausfluege unternehmen, entsprechende Freizeitangebote finden...


    Ich glaube, dieses Thema muss wissenschaftlich noch vielmehr hinterfragt werden!


    LG


    Tante Lotta

  • Das Problem ist doch vor allem, dass nicht die Elternhäuser, bei denen es nötig wäre, ihre Kinder früh fördern, sondern es sind die "bildungsnahen" Elternhäuser, in denen ein vernünftiger Medienkonsum herrscht, malen und basteln, vorlesen, etc. zu einer normalen Kindheit gehören und so die Kinder völlig ausreichend gefördert sind.
    Die Kinder, die zu Hause vor der Glotze abgestellt werden, bleiben da mal wieder außen vor. DAbei würde ihnen jegliche Frühförderung gut tun, sei es im personalen als im sozialen Bereich.

  • Hallo ihr alle,


    erstmal vielen Dank für eure Antworten.


    Dass viele Eltern um jedem Preis den Schulerfolg ihrer Kinder sicher wollten, den Eindruck habe ich auch schon ein paar Mal gewonnen (wie gesagt, habe gerade erst ein erstes Semester Studium hinter mir, kann also noch nicht auf einen "Erfahrungsschatz" zurückgreifen, die meistern meiner Erlebenisse beziehen sich auf das, was ich als "Laie" bei Bekannten, Verwandten etc mitbekommen habe).
    Ich denke, irgendwie ist das auch ein bisschen (oder ein bisschen mehr) das Problem der heutigen (Leistungs-)Gesellschaft. Bildung wird ja heute in den meisten Fällen ziemlich groß geschrieben, und wahrscheinlich wünschen sich die meisten Eltern für ihre Kinder den Besuch des Gymnasiums, das Abitur etc.
    Fakt ist natürlich, dass man heutzutage selbst mit einem Realschulabschluss oft nicht mehr so gute Chancen hat, weil selbst viele Ausbildungsplätze heutzutage nur noch mit Abiturieten besetzt werden. Insofern sind die Sorgen vieler Eltern meiner Meinung nach natürlich irgendwo begründet, nur denke ich, dass man das nicht auf dem Rücken der Kinder austragen darf.
    Wenn man ein Kind schon vor der Schule zum Lernen "zwingt", besteht doch eigentlich die Gefahr, dass die Kinder das Lernen schnell Leid werden und auch in der Schule keinen Spaß mehr daran finden können.
    Ich denke, man muss an die Bedürfnisse der Kinder anknüpfen, und die sind eben unterschiedlich, da kann man meiner Meinung nach auch als Eltern nicht sagen: "Mein Kind kommt im Sommer in die Schule, es muss jetzt das und das und das lernen, sonst kommt es nicht mit".
    Auch in den Schulen ist es ja, sowie ich das mitbekomme, so, dass das individuelle Lernen von Kindern immer mehr gefördert wird, dass jedes Kind individuell, mit seinen Kenntnissen und Fähigkeiten betrachtet wird, an die man dann beim Lernen anknüpfen kann.


    Nach allem, was ich bisher erlebt habe, sind Kinder, wie du es beschrieben hast, SunnyGS, natürlich auch vor der Schule schon lern- und wissbegierig. Und ich denke, wenn ein Kind Interesse zeigt, sollte man ihm auch als Eltern oder Erzieher im Kindergarten die Möglichkeit dazu geben, ein bisschen zu Schreiben, zu Zählen, zu Rechnen etc. Kinder könnte vermutlich selber ganz gut einschätzen, wann sie "so weit" sind.
    Es bringt doch nichts, wenn man auf die Kinder vorher Druck ausübt, damit erreicht man höchstens das Gegenteil.


    Liebe Grüße
    Sternschnuppe

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