Lehrerbeurteilungsverfahren

  • In Hamburg wird z.Zt. ein ausgefeiltes Lehrerbeurteilungsverfahren in der Grundschule installiert. Dabei wird der Unterricht bewertet und das allgmeine Arbeitsverhalten. So weit nichts Neues.


    Neu sind / ist
    die Vielzahl der vorgegeben zu beurteilenden Kriterien ( per Ankreuzverfahren - 6 Einstufungsmöglichkeiten ) und Kommentarmöglichkeit


    dass bei Erfüllung eines Kriteriums nur im mittleren Bereich = "anforderungsgemäß" - angekreuzt werden soll


    dass der Bereich "oberhalb der Anforderungen" zukünftigem Führungspotential vorbehalten werden soll


    Zudem musste das Beurteilungsgremium an den jeweiligen Schulen innerhalb der Kriterien Schwerpunkte setzen, die für ihre Schule besonders wichtig erscheinen. Bei uns wurde daraus u.a..


    Umgang mit Verantwortung
    d.h. u.a. hält sich an Lehrpläne...; vertritt Regeln und Normen der Schule in der Zusammenarbeit mit Eltern...


    Belastbarkeit
    d.h. u.a.handelt auch in unerwarteten Situationen ... besonnen und behält die Übersicht....
    zeigt Flexibilität bei unkalkulierbaren Störungen im Betriebsablauf


    Meine Fragen:


    Wie sehen die Beurteilungsverfahren in anderen Bundesländern aus?
    Sind ähnliche Tendenzen spürbar?


    LG
    Ulli

  • Hallo Ulli,
    also ich kenne bisher kein Lehrerbeurteilungsverfahren. Es aus meiner Sicht auch nicht klar, wie das Schülerverhalten "herausgerechnet" werden soll bzw. Abhängigkeiten Leistung - Schülerverhalten - Lehrerverhalten adäquat zu ermitteln und dann zu bewerten sind.
    Interessant finde ich, das sehr gutes Arbeitsverhalten("oberhalb der Anforderungen") mit Aufstiegschancen belohnt werden soll (so verstehe ich deine Ausführungen zumindest). Aus meiner Sicht gehören doch gute Lehrer in die Klassen und gute Verwaltungsfachleute in die Verwaltung.


    Grüße
    Steffen

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :_o_P


    8_o_) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

  • Bayern:


    Hauptgrundlage für die Beurteilung sind die 3 unangekündigten Unterrichtsbesuche des Schulleiters. Hinzu kommen die sonstigen "Eindrücke" innerhalb des Dienstbetriebes (d.h. z.B. auch die Respizienz der Korrekturen, Übernahme zusätzlicher Aufgaben etc).


    Beurteilt werden die Kriterien:


    - Fachliche Leistung (Unterrichtsplanung und Unterrichtsgestaltung, Unterrichtserfolg, Erzieherisches Wirken, Zusammenarbeit, Sonstige dienstliche Tätigkeiten)
    - Eignung und Befähigung (Entscheidungsvermögen, Belastbarkeit, Einsatzbereitschaft, Pädagogische Befähigung, Berufskenntnisse und ihre Erweiterung)


    Insgesamt also 10 Kriterien, zu jedem muss etwas in der Beurteilung stehen. Natürlich muss das, was dort steht, vom Wortlaut her mit der Note in Einklang zu bringen sein.


    Die Notenstufen sehen dann wie folgt aus:


    Note 1: Leistung, die in allen Belangen von herausragender Qualität ist
    Note 2: Leistung, die die Anforderungen besonders gut erfüllt
    Note 3: Leistung, die die Anforderungen übersteigt
    Note 4: Leistung, die den Anforderungen insgesamt entspricht
    Note 5: Leistung, die die Anforderungen im Wesentlichen erfüllt
    Note 6: Leistung, die Mängel aufweist
    Note 7: Leistung, die insgesamt unzureichend ist


    Die Problematik dabei ist, dass es vom Kultusministerium Vorgaben bezüglich des Durchschnitts innerhalb eines Kollegiums gibt. Das heißt, jeder Schulleiter darf nur ein "durchschnittliches" Kollegium haben, ansonsten gibt es Sanktionen.


    Dies führt dann zu folgender Vorgehensweise:


    Der Schulleiter vergibt die Bestnoten (= Note 2, Note 1 wird de facto nie vergeben) an die Funktionsträger wie z.B. Fachbetreuer, Seminarlehrer, Direktoratsmitarbeiter, weil die bei einer schlechten Note am falschen Platz wären und damit eine Menge Ärger ins Haus stünde.


    Anschließend bekommen diejenigen die Noten 3 und 4, die bereits bei der letzten Beurteilung diese Noten hatten, denn ansonsten bräuchte es juristisch sichere Beurteilungen, wenn diejenigen jetzt schlechtere Noten bekämen, weil sonst der Klageweg offensteht, wenn nicht absolut einwandfrei bewiesen werden kann, warum, wann und wie genau die Leistung des Kollegen diesmal schlechter geworden ist.
    Außerdem bekommen noch diejenigen eine 3 oder 4, die seit Jahren dafür geschuftet haben und nun erstmals die bessere Note bekommen.


    Am Schluss erhalten die Junglehrer je nach Fähigkeit die Noten 4-6 (im Normalfall erhält ein neuer Junglehrer bei seiner ersten Beurteilung die Note 5), weil irgendjemand dafür sorgen muss, dass der Durchschnitt des Kollegiums sich wiederum an die Vorgabe des Ministeriums annähert.


    Oftmals sind die Sachzwänge des Direktors derart groß, dass die Beurteilung wirklich wenig mit der tatsächlichen Leistung der Kollegen zu tun hat. Manche Schulleiter äußern dies dann auch im persönlichen Gespräch, verweisen aber darauf, dass ihnen die Hände gebunden seien, weil sie den Schnitt einhalten müssen.


    Wir diskutieren gerade darüber, ob die Beurteilung aufgrund dieser Sachzwänge eher zum "Demotivations-Instrument" degeneriert, denn es ist für viele schon sehr demotivierend, unabhängig von ihrer Leistung nicht nur eine schlechte Note zu bekommen, sondern auch noch die entsprechenden Formulierungen im Gutachten zu lesen, die ihre Leistung auch noch verbal herabwürdigen.


    Edit:
    Ergänzung: Je mehr Funktionsstellen es an einer Schule gibt, desto schlechter sind die Noten der Anfänger, weil man ja mehr Leute hat, die im guten Bereich bewertet werden müssen, und deshalb auch wieder ein Ausgleich benötigt wird.


    Insgesamt glaube ich, dass die von Ulli angesprochene Tendenz in Bayern durchaus auch vorhanden ist.


    Grüße

  • Ich kann dir leider zum Beurteilungsverfahren nicht viel sagen, da solche unerfreulichen Intermezzi bei mir schon Jahrzehnte zurückliegen. Eine Frage aber kann ich dir wohl beantworten. Du hast das Recht, einen Kollegen/eine Kollegin deines Vertrauens mit in den Unterricht zu nehmen, es muss nicht einmal jemand von Lehrerrat sein. Allerdings müsste diese Lehrkraft in der Stunde gerade abkömmlich sein, denn deren Unterricht darf ja nicht ausfallen. Ich habe es bei einer Kollegin erlebt, die einen Kollegen hinzu gebeten hat und man hat diesem Kollegen eine Ad-Hoc-Vertretung aufgebrummt, so dass sie so schnell keinen Ersatz mehr finden konnte. :evil: Ich unterstelle hier eine boshafte Absicht. Deshalb sollte man die Sache nicht an die große Glocke hängen, je weniger im Vorfeld von diesem Vertrauenskollegen wissen, desto sicherer ist, dass er dabei sein kann.


    Viel Erfolg und liebe Grüße
    Lieselümpchen

    Wende dein Gesicht der Sonne zu, dann fallen die Schatten hinter dich! (Afrikanisches Sprichwort)
    :)

  • @ anonym


    Danke, für deinen langen, ausführlichen Beitrag!


    Bayern scheint wieder Vorreiter für die neue Form der Lehrerbeurteilung zu sein.


    Ich finde die Vorgehnsweise der Gesamtbeurteilung absurd, ärgerlich
    und wie du sagst demotivierend!


    Wenn du mal in den Auslandsschuldienst gehen möchtest oder das Bundesland wechselst, weiß kein Mensch unter welchen einschränkenden Vorgaben die Bewertung zustande kam.


    Meiner Ansicht nach müsste die GEW gegen diese neue Praxis vorgehen.


    LG


    Ulli

  • Zitat


    Wenn du mal in den Auslandsschuldienst gehen möchtest oder das Bundesland wechselst, weiß kein Mensch unter welchen einschränkenden Vorgaben die Bewertung zustande kam.


    Vielleicht will man gerade das Wechseln des Bundeslandes verhindern ? Stichwort: Fachkräftemangel (aus demographischen Gründen und wegen Überalterung der Kollegien auch bald bei Lehrern; die Industrie bereitet sich bsplw. schon vor, siehe aktuelle Diskussion um den zukünfiten(!) Mangel an Ingenieuren und Naturwissenschaftlern, war sogar gerade Thema beim Kanzlerinnengipfell) und Förderalismusreform (Bundesländer dürfen Besoldung und Pensionsregelungen für Beamte jetzt selbst festlegen -> Abwerben von Lehrer wird möglich).


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

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