Umgang mit Übertragungsgefühlen von Schülern?

  • Hallo Zusammen,


    2x im Jahr bespreche ich mit etwa 200 Schülern die mündlichen Noten in Einzelgesprächen. Diese Woche ist es wieder soweit.


    Heute gab es - wie in den Jahren zuvor - bei einer Schülerin der Oberstufe Tränen. Sie pokert hoch, will eine 1, ich muss sie enttäuschen. Resultat: ;( und X(. Das Gespräch dauerte letztendlich fast 15 Minuten.


    Meine Reaktion: *panic* und *jetztbloßruhigbleiben*


    Es gibt bestimmt Kollegen, die mit solchen Konfliktgesprächen innerlich souverän umgehen können. Zu denen gehöre ich (noch?) nicht.


    In diesem Jahr habe ich allerdings eine weitere Nuance in dem Beziehungsmuster zwischen mir und der Schülerin gespürt, die ich kurz mit dem Begriff "Übertragung" bezeichnen würde. (Ich habe mich in den letzten Monaten ziemlich intensiv mit diesem zwischenmenschlichen Phänomen beschäftigt).


    Übertragung - wikipedia


    Zitat

    Der Begriff der Übertragung stammt aus der Tiefenpsychologie, insbesondere der Psychoanalyse. Er bezeichnet dort den Vorgang, dass ein Mensch alte – oftmals verdrängte – Gefühle, Affekte, Erwartungen (insbesondere Rollenerwartungen), Wünsche und Befürchtungen aus der Kindheit unbewusst auf neue soziale Beziehungen überträgt und reaktiviert. Ursprünglich können diese Gefühle auf die Eltern oder Geschwister bezogen gewesen sein, bleiben aber auch nach der Ablösung aus dem Elternhaus in der Psyche präsent und wirken dort weiter. Dieser Vorgang ist zunächst weitestgehend normal und weit verbreitet, kann aber, wenn die übertragenen Gefühle sich gegenüber tatsächlichen gegenwärtigen Beziehungen als nicht angemessen erweisen, zu erheblichen Problemen und Spannungen führen.


    Bei der o.g. Schülerin hatte ich zum ersten Mal so überdeutlich den Eindruck, dass es im Grunde gar nicht um die Note selbst geht, sondern um eine "Übertragungsreaktion". Ich hatte den Eindruck, sie konstruiert diese Konfliktsituationen, um an mir und mit mir ihren inneren Konflikt "abzuarbeiten". Sie fordert eine super Note - m.E. weiß sie unbewusst eigentlich, dass sie die nicht verdient, und MUSS somit enttäuscht werden. Dies bietet ihr die Gelegenheit, ihren Ärger, Frust und Traurigkeit (whatever) mit mir zu reinszenieren.


    Diese Einsicht hat mir erst einmal geholfen, tatsächlich ruhig zu bleiben und nichts persönlich zu nehmen, was ich mir da anhören musste. Dennoch war ich auch hilflos, weil ich nicht wusste, wie ich jetzt mit dieser Situation umgehen soll.


    Ganz deutlich sind solche Reaktionen ja bei Pubertierenden, die jemanden brauchen, an dem sie sich ab und an ihre Hörner abstoßen können. Damit habe ich auch keine Probleme.


    Schwierigkeiten macht es mir bei erwachsenen Schülern, bei denen es ja um die Abinote geht. Dem emotionalen Drama, das von diesen Schülern kreiert wird, kann ich mich nur schwer entziehen, es wirkt fast bedrohlich auf mich, da es eben NICHT von Jugendlichen sondern Erwachsenen kommt.


    Kurz und gut: Wie geht ihr mit solchen "Übertragungsreaktionen" um, d.h. wenn ihr ganz klar spürt, es geht den Schülern/Eltern nicht um die Sache selbst, sondern darum, ein "persönliches Drama" mit euch durchzuspielen, in der Hoffnung, dass ihr mit sogenannten "Gegenübertragungsgefühlen" (seien es Scham, Angst, etc) reagiert und sie somit einen Triumph davontragen können?


    Hoffe, mich einigermaßen verständlich gemacht zu haben, und dass dieses Thema nicht allzu esoterisch anmutet.


    Viele Grüße
    klöni

    • Offizieller Beitrag

    Um einmal bei der Psychologie zu bleiben:


    Ist es denkbar, dass Du aufgrund Deiner individuellen Auseinandersetzung mit der Thematik diese jetzt auf die Schülerin projizierst - weil es eben mögliche "Symptome" gibt - und hier eine Problematik konstruierst, von der ich behaupten würde, dass die meisten Lehrer gar nicht über derartige Formen unterschwelliger psychologischer Kriegsführung tiefenpsychologisch reflektieren?


    Sie will eine 1, haben und kriegt sie nicht. Statt einer Übertragung könnte auch schlicht eine Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung die Ursache sein - so wie in den meisten Fällen, in denen Schüler mit einer Note nicht einverstanden sind.


    Deine Begründung für Deinen "Verdacht" einer Übertragung ist induktiv und eindimensional. Wenn die Schülerin X tut, dann muss sie bestimmt damit Y kompensieren, also liegt dem Z zugrunde.


    Ich bin kein Psychologe und bin als Lehrer auch nicht dafür ausgebildet. Ich besitze jedoch Einfühlungsvermögen und kann dem Schüler spiegeln, dass ich seinen Frust über eine ihm nicht genehme Note verstehen kann, die Note aber eben gegeben wird (es sei denn, der Schüler führt wirklich gute Argumente an).


    In dem Moment, Klöni, wo Du psychologische Ursachen hinter bestimmten heftigen, emotionalen Reaktionen von Schülern vermutest, begibst Du Dich auf gefährliches Terrain, weil Du eben keine Expertin in dem Gebiet bist und Du auch bei für Dich plausibel klingenden laienpsychologischen Annahmen dann ggf. entsprechend falsch reagieren könntest.


    Warum kannst Du den emotionalen Ausbruch der Schülerin nicht schlicht als das nehmen, was er war?


    Gruß
    Bolzbold

  • Klöni:

    Zitat

    Diese Einsicht hat mir erst einmal geholfen, tatsächlich ruhig zu bleiben und nichts persönlich zu nehmen, was ich mir da anhören musste.


    Psychologie - was für ein furchteinflößendes Wort viele dahinter auch vermuten - ist die Lehre über das "Seelenleben". Auch wenn man kein Psychologe ist, können "laienpsychologische" Erklärungsversuche doch schon 'mal helfen, "ruhig zu bleiben" und lockerer zu reagieren.


    Ich finde das immer noch besser, als den Kopf in den Sand zu stecken.


    Wie ich mit solchen Schülern und ihren Ausbrüchen umgehe? Auch, wenn ich nicht sofort eine Erklärung für den wahren Grund parat habe, bleibe ich ruhig.
    Ich MUSS sogar ruhig bleiben und darf nichts persönlich nehmen, weil ich ja den wahren Grund für das Verhalten meines Gegenübers gar nicht weiß.

    • Offizieller Beitrag

    Ganz praktisch: ich habe einen Ordner, in dem ich nach jeder Stunde die mündlichen Noten eintrage. Die Schüler können den jederzeit einsehen. Außerdem schreibe ich die Mündliche Note mit Begründung unter jeder Klausur - die paar Minuten hat man dann auch noch.
    Effekt: es gibt bei den Noten keine Überraschungen. Die Schüler haben es zwei Mal im Jahr schriftlich und es ist ganzjährig transparent, ich bin jederzeit ansprechbar.
    Keine Notendiskussionen oder überraschtes Entsetzen mehr, seitdem ich das so mache - gilt für Schüler wie Eltern: die wissen Bescheid (da sie es schriftlich haben, können sie es dann ggf. den Eltern auch nicht "geschönt" rüberbringen, auch das wurde von Eltern schon lobend erwähnt ... :) ... die schätzen nämlich auch keine Überraschungen) . Ich führe höchstens mal Beratungsgespräche, wie man was optimieren könnte. Viel Zeit und Nerven auf meiner Seite gespart und auch auf der Seite der Schüler.


    Ruhig bleiben ist ohnenhin selbstverständlich in unserem Job, das bedarf, finde ich, keiner extra Erwähnung. Emotionale Ausbrüche auf seiten des Profis sind... unprofessionell.


    Bei Projektionshandlungen, i.e. unerwarteten oder unangemessenen emotionalen Ausbrüchen empfehle ich zunächst mal das naheliegensdste Mittel, das Eltern bei einem tobenden Kind ja auch anwenden: Ich frage interessiert und empathisch nach. "Ich sehe, dass Sie sehr aufgeregt-traurig-angespannt-XXY--- sind. Warum ist das so? Was geht Ihnen durch den Kopf? Geht es denn nur um YXZ oder geht es Ihnen noch um etwas zusätzliches/anderes?"


    Es ist ganz erstaunlich wie viel man durch reines Interesse statt Abwehr oder Rückzugshandlungen erreichen / bereinigen / klären / kann - übrigens auch für sich selbst. Die durchgrübelte Nacht ("Warum hat sie jetzt so reagiert"?) danach kann man sich dann nämlich auch sparen.
    Eigentlich alle Schüler reagieren positiv auf echtes Interesse und Offenheit. (Okay, meine Klientel. Ich gebe keine Urteile über andere Schulformen ab).

  • Zitat

    Original von klöni
    Hallo Zusammen,


    2x im Jahr bespreche ich mit etwa 200 Schülern die mündlichen Noten in Einzelgesprächen. Diese Woche ist es wieder soweit.


    Verstehe ich das jetzt richtig, du führst im SJ 400 Einzelgespräche über die mündlichen Noten?!


    Also den Nutzen aus diesem enormen Aufwand sehe ich nicht. Ich gebe - so die Schüler nicht Zwischeninfos fordern - auch zweimal im Jahr die mündlichen Noten bekannt. Das läuft folgendermaßen ab: Jeder Schüler gibt einen Zettel mit seiner persönlichen Einschätzung ab. Allen, die ich mündlich schlechter eingeschätzt habe, biete ich ein Gespräch an (übrigens bewerte ich im Schnitt 30% besser, etwas mehr als 50% gleich wie die eigene Einschätzung). Einige Schüler akzeptieren meine Einschätzung; im Endeffekt führe ich pro Klasse rund zwei Gespräche.




    Zumindest in meiner Ausbildung hat pädagogische Psychologie im Curriculum gestanden. D.h. wir sollten tunlichst die Finger davon lassen, Menschen zu analysieren. Andererseits heißt das aber nicht, dass wir Modelle aus der Psychologie nicht erfolgreich anwenden können. Für situative Analysen oder für erfolgreiche Gesprächsführung (Stichwort Transaktionsanalyse)sind Erkenntnisse aus der Psychologie durchaus hilfreich. Allerdings gehören dazu fundierte Fortbildungen oder zumindest tiefer gehendes Literaturstudium.


    Ich denke - und so habe ich auch meine "Vorredner" verstanden - dass wir als Lehrer tunlichst auf der Erwachsenenebene bleiben, d.h. rational begründen, wie die Note zustande gekommen ist und VOR ALLEM, was der Schüler tun muss, um die von ihm angestrebte Note zu erreichen. Natürlich gehört es dazu, auch Empathie zu zeigen und die Frustration in einer fürsorglichen Art und Weise aufzugreifen. Aber als Profi muss ich unbedingt den Schwenk auf die Inhaltsebene bekommen. Gespräche über mündliche Noten sind schließlich keine Therapiesitzungen. Auch müssen wir die Frustration von Schülern in gewissen Fällen aushalten. Ich sehe nämlich viel eher das Problem, dass viele Jugendliche von zuhause keine ausreichende Frustrationstoleranz mitbringen. Das gehört aber eben zum Job, dass Schüler auch mal frustriert von dannen ziehen. Bei normalen Schülern ist das meist schneller vergessen, als wir das mitbekommen...

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

    Einmal editiert, zuletzt von Timm ()

  • Zitat

    Original von Meike.
    1. Ganz praktisch: ich habe einen Ordner, in dem ich nach jeder Stunde die mündlichen Noten eintrage. ...
    Effekt: es gibt bei den Noten keine Überraschungen. ...


    2. Eigentlich alle Schüler reagieren positiv auf echtes Interesse und Offenheit. (Okay, meine Klientel. Ich gebe keine Urteile über andere Schulformen ab).


    1. Und wir ergänzen das noch, indem wir unseren Schülern eine Art Vordruck am Anfang des Jahres übergeben, in welchen sie ALLE ihre Noten eintragen und somit ihren Leistungsstand überprüfen können.


    2. Ist bei allen anderen Schülern so; das kann ich bestätigen.

  • Hi Folks:


    erst einmal vielen Dank für eure Gedanken. Ich dachte, ich gehe die Auseinandersetzung mit diesem Thema zur Abwechslung mehr rational und weniger emotional an. Deshalb die Theorie zur Übertragung.


    Bolzbold:

    Zitat

    Ist es denkbar, dass Du aufgrund Deiner individuellen Auseinandersetzung mit der Thematik diese jetzt auf die Schülerin projizierst ?


    Ja, gut möglich. Meine Reflexion über individuelle Projektionen / Gegenübertragungen, hat mir schon viele Einsichten erbracht. Ebenfalls gut möglich, dass ich mich hier als Hobbypsychologin versuche. Habe das menschliche Bedürfnis, zu verstehen.


    Zitat

    Sie will eine 1, haben und kriegt sie nicht. Statt einer Übertragung könnte auch schlicht eine Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung die Ursache sein - so wie in den meisten Fällen, in denen Schüler mit einer Note nicht einverstanden sind.


    M.E. kann die Diskrepanz zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung zwei Ursachen haben. 1) die Bewertungskriterien sind auf beiden Seiten nicht identisch, da evtl. nicht transparent genug gemacht worden (sachliche Diskussion) 2) aufgrund eines unbewussten Wunsches nach "Übertragung" wird die Diskrepanz "künstlich" hergestellt. (Die "Sache" wird zum Schein diskutiert. Es geht mehr um das Drama der Auseinandersetzung selbst).


    Zitat

    In dem Moment, Klöni, wo Du psychologische Ursachen hinter bestimmten heftigen, emotionalen Reaktionen von Schülern vermutest, begibst Du Dich auf gefährliches Terrain, weil Du eben keine Expertin in dem Gebiet bist und Du auch bei für Dich plausibel klingenden laienpsychologischen Annahmen dann ggf. entsprechend falsch reagieren könntest.


    Danke für die Einschätzung. Kann mich aber nur schwerlich in dieser -m.E. etwas eindimensionalen - Deutung wiederfinden. Emotionale Reaktionen haben nun einmal psychologische Ursachen. Gefährlich ist dieses Terrain (um dein aus dem Militärjargon geliehenes Bild zu verwenden) nur dann, wenn man sich eben NICHT mit diesen Phänomenen auseinandersetzt. Da kann man sich mit einer routiniert-pädagogische Standardhandlung schnell mal in einem zwischenmenschlichen Minenfeld verirren.


    Zitat

    Warum kannst Du den emotionalen Ausbruch der Schülerin nicht schlicht als das nehmen, was er war?


    Es ist seit 2 Jahren immer wieder dieselbe Reaktion. Sie ist meine Tutandin und da interessieren mich die Ursachen für emotionale Reaktionen durchaus. Andere Kollegen beobachten ähnliche Reaktionen, bezeichnen sie als "schwierige" Schülerin. Ich fühle mich verantwortlich, herauszufinden, was wirklich hinter diesem Verhalten liegt. Nenne es "menschliche Neugierde".


    Grüße
    klöni

  • row-k:


    Zitat

    Psychologie - was für ein furchteinflößendes Wort viele dahinter auch vermuten - ist die Lehre über das "Seelenleben". Auch wenn man kein Psychologe ist, können "laienpsychologische" Erklärungsversuche doch schon 'mal helfen, "ruhig zu bleiben" und lockerer zu reagieren.


    Sehe ich auch so. Es reicht mir einfach nicht, nur zu sagen: "Die hat 'nen Knall."

  • meike:


    Deine Vorgehensweise praktiziere ich größtenteils ebenso. In diesem Semester teile ich die Kursnoten so früh mit, damit die SuS genügend Zeit haben, bis zur Notenkonferenz noch etwas zu verändern.


    Ich denke trotzdem, es gibt durchaus auch beratungsresistente Schüler. Da kann ich noch soviel argumentieren, informieren, hinweisen, empathisch beraten, sie werden die Note als einen persönlichen Affront werten, sich ungerecht behandelt fühlen. Es ist ein schwindend kleiner Teil der Schülerschaft, aber dieses Phänomen interessiert mich halt.


    Während diesen Diskussionen bleibe ich zwar ruhig, aber sie lassen mich nicht kalt. Hier wünschte ich mir mehr Souveränität, um mich nicht von diesen Dramen emotional vereinnahmen zu lassen.


    Deshalb meine Frage: Wenn ihr bemerkt, ihr bleibt zwar in der Auseinandersetzung ruhig, aber seid bereits emotional betroffen, wie geht ihr damit um?

  • @#Timm:


    Zitat

    Also den Nutzen aus diesem enormen Aufwand sehe ich nicht. Ich gebe - so die Schüler nicht Zwischeninfos fordern - auch zweimal im Jahr die mündlichen Noten bekannt. Das läuft folgendermaßen ab: Jeder Schüler gibt einen Zettel mit seiner persönlichen Einschätzung ab. Allen, die ich mündlich schlechter eingeschätzt habe, biete ich ein Gespräch an (übrigens bewerte ich im Schnitt 30% besser, etwas mehr als 50% gleich wie die eigene Einschätzung). Einige Schüler akzeptieren meine Einschätzung; im Endeffekt führe ich pro Klasse rund zwei Gespräche.


    Guter Tipp, werde ich zukünftig mal in der Mittelstufe ausprobieren. Für die Oberstufe bevorzuge ich tatsächlich die Einzelgespräche, da ich mir dann gleichzeitig auch ein Feedback zum Unterricht einhole, mit den Schülern ein bisschen plaudere über Zukunftspläne, NCs, etc.


    Zitat

    Für situative Analysen oder für erfolgreiche Gesprächsführung (Stichwort Transaktionsanalyse)sind Erkenntnisse aus der Psychologie durchaus hilfreich. Allerdings gehören dazu fundierte Fortbildungen oder zumindest tiefer gehendes Literaturstudium.


    Transaktionsanalyse war das A und O meiner Ref-Ausbildung. Wir haben eigentlich zu 60% entsprechende Rollenspiele im Seminar durchgeführt. Ich bereue keine Stunde. Die Erkenntnisse helfen mir wirklich sehr, in Krisensituationen einen coolen Kopf zu behalten.


    Zitat

    Ich sehe nämlich viel eher das Problem, dass viele Jugendliche von zuhause keine ausreichende Frustrationstoleranz mitbringen.


    Interessante These. Harmoniebedürftige Eltern, die es sich mit ihren Kiddies nicht verscherzen wollen, überlassen die Erziehungsarbeit der Schule.

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Wenn ihr bemerkt, ihr bleibt zwar in der Auseinandersetzung ruhig, aber seid bereits emotional betroffen, wie geht ihr damit um?

    Bei Notendiskussionen kann ich das nicht sagen, da ich sie nicht habe (und als ich sie ganz kurz nach dem Ref noch hatte, bin ich zwar leicht genervt gewesen, aber eher sachlich rangegangen: wie kann ich meine Noten maximal transparent machen?), aber als Beratungslehrerin höre ich viel, was mich emotional ziemlich mitnimmt. Das sind meist Schicksale, die ich nicht (oder nicht so bald) ändern kann. Ganz besonders wenn das mit Zorn meinerseits verbunden ist (zum Beispiel wenn ich höre, wie eine Schülerin oder ein Schüler zuhause übelst gequält wird), ist das schwer.


    Ich tue drei Dinge:
    1. ich spreche mit kompetenten Kollegen darüber. Als Beratungslehrerin bin ich zwar innerschulisch zum Schweigen verpflichtet, aber wir haben gute Supervision, i.e. die anderen Beraungslehrer, die man anrufen und den Fall anonymisiert durchsprechen kann. Die kennen den Schüler eh nicht. Außerdem habe ich zwei Ansprechpartner bei Jugen-Notfalltelefonen, die ggf. auch gewisse Dinge in eine gewisse Relation setzen können.


    2. Ich schreibe in ganz empfindlichen Fällen ein Protokoll. Das Aufschreiben des Gesprächs setzt vieles in Perspektive, objektiviert und gibt mir eine gewisse Distanz. Das ist in 95% der Fälle der Moment, wo ich mich abgeregt habe. Schützt auch vor vorschnellen Entscheidungen / Handlungen.


    3. Sollte das auch nicht helfen, laufe ich 2 Stunden im Wald rum, so schnell, dass mir ganz schwummerig und der Kopf ganz leer ist.. :)

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Original von klöni


    M.E. kann die Diskrepanz zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung zwei Ursachen haben. 1) die Bewertungskriterien sind auf beiden Seiten nicht identisch, da evtl. nicht transparent genug gemacht worden (sachliche Diskussion) 2) aufgrund eines unbewussten Wunsches nach "Übertragung" wird die Diskrepanz "künstlich" hergestellt. (Die "Sache" wird zum Schein diskutiert. Es geht mehr um das Drama der Auseinandersetzung selbst).


    Das bestärkt mich in dem Eindruck, dass Du da "gerne" ein größeres Problem konstruierst.
    Der Grad an Transparenz Deiner Notengebung muss nicht mit der Akzeptanz der Schüler korrespondieren. Die Eigenwahrnehmung ist selten ausschließlich sachlich - und da spielen in der Tat psychische Hintergründe eine Rolle.
    Der von Dir erwähnte "unbewusste Wunsch nach Übertragung" könnte ebenso eine Suggestion Deinerseits sein, weil es Dir logisch erscheint.
    Das Wissen, DASS so etwas vorkommen kann, ist für Dich aus meiner Sicht Indiz genug, so etwas zu vermuten.
    Nur dann könnten wir jedem Menschen nahezu alles unterstellen, wenn wir zuvor die entsprechende einschlägige psychologische Lektüre gelesen haben.


    Zitat

    Danke für die Einschätzung. Kann mich aber nur schwerlich in dieser -m.E. etwas eindimensionalen - Deutung wiederfinden. Emotionale Reaktionen haben nun einmal psychologische Ursachen. Gefährlich ist dieses Terrain (um dein aus dem Militärjargon geliehenes Bild zu verwenden) nur dann, wenn man sich eben NICHT mit diesen Phänomenen auseinandersetzt. Da kann man sich mit einer routiniert-pädagogische Standardhandlung schnell mal in einem zwischenmenschlichen Minenfeld verirren.


    Ich weiß nicht, inwieweit eine Polarisierung zwischen "alles psychologisieren" und "Standardhandlung", deren extreme Folgen Du ausmalst, argumentativ hilfreich ist.


    Zitat

    Es ist seit 2 Jahren immer wieder dieselbe Reaktion. Sie ist meine Tutandin und da interessieren mich die Ursachen für emotionale Reaktionen durchaus. Andere Kollegen beobachten ähnliche Reaktionen, bezeichnen sie als "schwierige" Schülerin. Ich fühle mich verantwortlich, herauszufinden, was wirklich hinter diesem Verhalten liegt. Nenne es "menschliche Neugierde".


    Grüße
    klöni


    Deine Neugierde in allen Ehren, aber wäre es da nicht sinnvoller, fernab von konkreten psychologischen Diagnosen, die Du bitte dem Fachmann überlassen solltest, erst einmal auf der empathisch-zwischenmenschlichen Ebene herauszufinden, was los ist? Das wäre in der Tat Deine Aufgabe.
    Auf der Basis dieser eher pädagogischen Diagnose könntest Du dann Hilfestellung geben - und den psychologischen Anteil denen überlassen, die etwas davon verstehen.


    Gruß
    Bolzbold

  • hallo,


    das problem, das ich hieran sehe, ist folgendes:


    du gehst davon aus, dass es in der kindheit ein konkretes erlebnis gab, das diese reaktion hervorruft. wie willst du dieses ereignise finden (odr meinetwegen die ereignisse)?
    und wenn du es gefunden hast, was passiert dann?


    ich finde durch diese überlegungen entziehst du dich als lehrer aus der situation (nicht in dem sinne, dass du dich nicht kümmern möchtest, sondern, indem du dich aus dem kommunikationsprozess entziehst).
    ich habe jetzt keine ahnung von psychoanalyse, aber so wie ich dich verstanden habe, könnt man ja überspitzt formulieren, dass es ab einem bestimmten zeitpunkt keine konflikte zwischen menschen mehr gibt, sondern nur noch einzelpersonen, die an anderen menschen frühere konflikte abarbeiten. das ist doch reichlich merkwürdig, findest du nicht?
    wir sprechen hier ja von erfahrungen, die jeder macht und nicht von ausnahmesituationen wie traumata, die ja tatsächlich in situationen getriggert werden können.
    das heißt ja nicht, dass mich die erfahrung, die ich früher als kind gemacht habe, nicht noch beeinflussen. vielleicht hat diese schülerin als kind gelernt, dass sie nur genug "terror" schieben muss und schon bekommt sie ihren willen. jeder setzt strategien ein, die ihm vorteile bringen und wenn ich in vielen situatonen erlebt habe, dass mit "herumnörgeln" etwas bringt, dann mache ich das weiter.


    ich würde auch eher die okham´s razor methode bevorzugen. näher liegend ist, dass die schülerin ein problem mit ihrer selbstüberschätzung und eventuell nicht bewusst genug gemachter/von ihr erfahrener notentransparenz hat.


    lg Sunrise

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