Individuelle Förderung ganz praktisch

  • Hallo zusammen,


    in meiner Schule wird das Thema "Individuelle Förderung" ganz groß geschrieben, was ich grundsätzlich auch gut und richtig finde. Die praktische Umsetzung fällt mir (und vielen, vielen anderen Kollegen auch) noch sehr schwer. Wir haben in der Regel 30 Kinder in einer Klasse sitzen (Gesamtschule), wovon 95% mit einer Hauptschulempfehlung zu uns kommen. Die sprachlichen Probleme sind bei fast allen Kindern (auch bei denen, die deutsch als Muttersprache haben) groß bis sehr groß. Besonders in den Jahrgangsstufen 5 bis 8 können sich viele Kinder nicht lange konzentrieren.


    Nun soll ich alle diese Kinder besonders im Deutschunterricht aber auch in Nebenfächern wie Gesellschaftslehre individuell fördern. Praktisch sieht das bisher bei mir so aus, dass ich Übungsmaterialien zu einem Thema in zwei verschiedenen Schwierigkeitsgraden anbiete, wenn es möglich ist.
    Dann bin ich mit meinem Latein aber auch schon ziemlich am Ende. Wochenplanarbeit, die ich letztes Jahr einführen wollte, wurde von den Eltern stark kritisiert (á la "Mein Kind lernt doch nichts, wenn vorne kein Lehrer steht und ihm etwas beibringt..."), sodass ich das auch schnell wieder an den Nagel gehängt habe.


    Was kann ich noch machen? Kennt jemand tolle Literatur oder Fortbildungen zum Thema individuelle Förderung (in der Sek. 1) oder kann von eigenen Konzepten erzählen? Wir sind ja nicht die einige Schule, an der der individuellen Förderung so eine hohe Bedeutung zugemessen wird... Ich wäre dankbar für Tipps und Erfahrungsberichte!

  • Das Land NRW hat einen Vertrag mit Cornelsen geschlossen. Dabei geht es um eine Onlinediagnostik in den Fächern Deutsch, Englisch (5./6) und Mathematik (5). In den nächsten beiden Jahren gibt es die Möglichkeit die Diagnostik und die individuell zusammengestellten Arbeitsblätter für jedes einzelne Kind zu nutzen. Danach sehe man weiter... Dazu benötigt man eine Schullizenznummer, die den Schulen im Oktober zugegangen ist und eine eigene Cornelsen-Kundennummer.


    Ich weiß nicht, ob dies Angebot wirklich so gut ist, aber wir sind bei einer Fortbildungsveranstaltung von Vertretern der BZR dazu aufgefordert worden, dies Angebot zu nutzen (es wäre sonst wohl auch peinlich für das Land...)


    In meinen Fächern gebe ich häufiger Alternativ-Hausaufgaben auf.
    Ich kann dein Problem gut verstehen, ich bin an einer ähnlichen Schule, die nennt sich bei uns allerdings Hauptschule. Die wenigsten unserer Schüler haben einen Migrationshintergrund, "sprachlos" sind trotzdem viele!


    In den Klassen 5/6 haben wir eine Sprachförderung, für die wir auch eine "halbe Lehrerstelle" bekommen haben (14 Stunden), in diesen Stunden werden die eigentlichen Klassen aufgeteilt (1:2), die Schwächeren werden dann in einer Kleingruppe gefördert, vor allem im Bereich Rechtschreiben und Leseverständnis. Ähnliches wird in der größeren Gruppe gemacht - orientiert an den tatsächlichen Fähigkeiten und Schwierigkeiten.


    Für die Schüler, die bei uns in der HSP (Hamburger Schreibprobe) "auffällig" waren, erstellen wir einen Förderplan, den wir uns bemühen mit vielen, vielen Extraübungen "abzuarbeiten". Das ist sehr arbeitsintensiv - und vor allem oft frustrierend.


    Ich habe auch schon - wenn Stunden übrig waren - Mathe-Förderunterricht geben dürfen, da war der Erfolg langfristiger. Deutsch ist leider bei vielen ein Fass ohne Boden.

  • Zitat

    Original von Finchen
    Was kann ich noch machen? Kennt jemand tolle Literatur oder
    Fortbildungen zum Thema individuelle Förderung (in der Sek. 1) oder kann
    von eigenen Konzepten erzählen? Wir sind ja nicht die einige Schule, an
    der der individuellen Förderung so eine hohe Bedeutung zugemessen
    wird... Ich wäre dankbar für Tipps und Erfahrungsberichte!



    Hier ein paar Tipps aus dem von mir genutzten Konzept GEMEINSAM
    OFFEN LERNEN:


    individuelle Förderung ganz praktisch:


    1. Pult an den Rand schieben.
    2. alle Schülertische zu einem Karree zusammenstellen, sodass alle
    Schüler in die leere Mitte schauen können.
    3. Du setzt Dich mit in die Runde.
    4. Thematisiere: individuelle Förderung
    5. Sammle mit dem Schülern Ideen (einschließlich Deiner eigenen), wie
    jeder meint, lernen zu können.
    6. Jeder notiert oder teilt mit, was er noch lernen muss, wenn er
    weiterkommen möchte.
    7. Du unterstützt jeden dabei.
    8. Du gibst den Tipp, dass sie sich gegenseitig helfen können (Sie
    können z.B. eigene Lernpläne machen.)
    9. Lernzeiten etablieren, in denen diese Lernpläne umgesetzt werden.


    Monika :)

    Die Disziplin des Lernens unterscheidet sich von der Disziplin der Schule.

  • Zitat

    Original von Finchen
    Wochenplanarbeit, die ich letztes Jahr einführen wollte, wurde von den Eltern stark kritisiert (á la "Mein Kind lernt doch nichts, wenn vorne kein Lehrer steht und ihm etwas beibringt..."), sodass ich das auch schnell wieder an den Nagel gehängt habe.


    Eine Anmerkung habe ich dazu: Letzten Endes bist DU der Profi(geschlechtsneutral :)) und aufgrund dessen solltest DU Dir Anregungen, Empfehlungen, Rückmeldungen der Eltern anhören, doch lediglich nur einfließen lassen in Deine eigentliche Planung. Wenn Du Wochenplanarbeit einführen willst, dann bedarf es auch einer gewissen Zeit, um es in den Köpfen der Kinder zu manifestieren und diese es auch akzeptieren. Dementsprechend meine Ermutigung an Dich: Lass Dich nicht zu leicht von DEINEM Weg wegen ein paar kritisierender Eltern abbringen. Viel Erfolg!!!

  • Zur Wochenplanarbeit: Ich sehe es genauso wie Chris! Lass dich diesbezüglich nicht von den Eltern beirren, sondern stehe zu deinen Überzeugungen oder probiere sie zumindest aus. Wenn du dann für dich zu dem Schluss kommst, dass es nichts bringt, lässt man es wieder sein.
    Vor allem ist so eine Neuerung wie Wochenplanarbeit für die Kinder eine riesige Umstellung, weil sie es vorher nicht anders gelernt haben. Somit braucht es Zeit, um sich etablieren zu können. Schwierig wird es, wenn man an der Schule dann als Einzelkämpfer auftritt!


    Zur individuellen Förderung in Deutsch: Lernserver.de

  • Wer in der Schule etwas anders macht, wird gefragt, befragt und in
    Frage gestellt.


    Zitat

    "Mein Kind lernt doch nichts, wenn vorne kein Lehrer steht
    und ihm etwas beibringt..."


    Unter dieser Fragestellung könnte man ein ganzes Buch schreiben.
    Diese Frage betrifft die selbstverständliche Gewohnheit "Kinder zu
    behandeln" anstatt sie "anzuregen", wie es nötig ist, wenn
    Individualisierung in den Schulen umgesetzt werden soll. Ich denke,
    dass in der Mehrzahl der Familien Kindern befohlen wird, anstatt sie
    anzuleiten. Erziehung und Lernen wird als trivialer Vorgang betrachtet.
    Eltern sagen, Kinder machen. Genauso soll's die Schule auch machen
    und genauso macht es die Schule auch immer noch. Wenn Kinder
    nicht funktionieren, gibt es Strafen, die mittlerweile als Konsequenzen
    ausgegeben werden, weil das Wort "Strafe" so peinlich nahe in der
    Nähe von pädagogischen Konzepten steht, die man glaubt schon
    abgeschafft zu haben.


    Kurz und gut, wenn Du etwas ändern möchtest, wäre es ein Wunder,
    wenn alle begeistert zustimmten. Die meisten Eltern haben wegen der
    Wirksamkeit ihrer selbstverständlichen Auffassung über Lernen etwas
    dagegen, dass sich etwas ändert. Manche halten z.B. daher jede Art
    von Individualisierung für leistungswidrig. Es dauert lange und gelingt
    doch nicht immer, Eltern mit gegensätzlichen Ansichten über Lernen
    für andere Sichten auf Lernen zu gewinnen.


    Übrigens fällt es Kollegen genauso schwer, ihre bisher gewohnte Sicht
    auf Lernen, wie sie durch Unterrichten praktiziert wird, zu verändern.


    Monika :)

    Die Disziplin des Lernens unterscheidet sich von der Disziplin der Schule.

  • Auch an unserer Schule (Hauptschule, Köln) wird das Thema groß geschrieben. Aber wie immer wird das, was in unzähligen Konferenzen, Teamsitzungen und Kleinstgruppengesprächen verwurstet wird, tatsächlich sehr stiefmütterlich behandelt. Unsere SuS können von Klasse 5 bis 10 grundsätzlich und nahezu ausnahmslos nicht richtig lesen und schreiben. Weder in Deutsch noch in Türkisch, geschweige denn in Englisch. Die Lernstandserhebungen sind folgerichtig ebenso wie die Ergebnisse der Zentralen Prüfungen desaströs. Von 65 Absolventen des letzten Abschlussjahrgangs haben ergo ganze 2 einen Ausbildungsplatz, und selbst bei diesen beiden war mehr Vitamin B als eine schulische Qualifikation ausschlaggebend. Einer der beiden hat allerdings die Probezeit nicht überstanden, weil er in der Berufsschule hoffnungslos überfordert war. Ich denke, wir kämpfen da auf verlorenem Posten. Die SuS kommen an unserer Hauptschule über die Limits für die LB-Schulen kaum hinaus, Deutsch ist als Fremdsprache nur in den wenigstens Haushalten (als Muttersprache noch weit weniger) vorhanden. Hinzu kommt die nonchalante Art einer Schulleitung, die gerne 30 dieser benachteiligten Kinder über Jahre hinweg in einem Raum pfercht, sie zu Weihnachten pressewirksam musizieren lässt und im Plan mehr Kochunterricht als Deutschförderung realisiert. Regulärer Unterricht - fachübergreifend - ist unmöglich. Die indiskutablen Lehrwerke (nomen est omen: "Doppelklick"), die alles, aber keine Lesekompetenz im Blick haben, kommen hinzu. Ich bin gelernter DaF/DaZ-Dozent, im Auftrag des BAMF lange Zeit in Alphabetisierungskursen unterwegs, bilde mir wenig darauf ein, nehme mir aber heraus zu sagen: Das ist alles Käse und Hoffnung nicht in Sicht, so lange Schule so verstanden wird, wie hier. Immerhin: Die Laune an Bord ist bestens, den SuS fehlt mangels zerebraler Masse die Einsicht in die Malaise, den meisten Kolleginnen ist es ohnehin egal, solange es nur eine Entschuldigung für das eigene Versäumen bietet. Kein Ruhmeszeugnis. Mein Rat: innere Emigration und, wenn einen der Ehrgeiz packt, an anderer Stelle ohne die absurden Beschränkungen des Apparates im kleineren Rahmen gute Werke vollbringen. Tipp: Die Caritas leistet Großartiges und sucht wie andere Vereine nebenberuflich gute Leute!


    At least - zu einigen hier genannten Ratschlägen:


    - Online-Test von Cornelsen: Hat einer unserer SuS an einem PC gearbeitet, ist dieser grundsätzlich defekt und/oder unvollständig. Deutschförderung am PC setzt den Umgang mit einem Medium voraus, welches unseren SuS allein als Shooter-Box bekannt ist (alle Versuche, den PC als Arbeitsgerät zu etablieren, schlugen fehl).


    - SuS helfen SuS: Unsere SuS sind nur bedingt in der Lage, ihr Wissen zu vermitteln, so schmal dieses auch sein mag. Wie soll man schließlich Vorschläge notieren, wenn niemand Ideen produziert und/oder die notierten Vorschläge auch für die eigenen Augen nicht lesbar sind???

    "Wir operieren in dem Gebiet, das zwischen den besten Absichten und dummem Zufall liegt. Unser Leben ist ein einziges Glück im Unglück. Und dieser Umstand verleiht all unseren Handlungen etwas unfreiwillig Komisches." (aus: "Die Enzyklopädie der Dummheit")

    3 Mal editiert, zuletzt von stranger ()

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