Was ist zumutbar?

  • Mein Referendariat habe ich seit fast 6 Jahren hinter mir. Seit dem werde ich immer wieder mit "LiVs" (So werden sie seit kurzem in S-H genannt) konfrontiet, weil sie entweder in meiner Klasse eingesetzt sind und/ oder ich sie in einem Fach ausbilde.
    Ich frage mich nun, was ich den jungen Kolleginnen zumuten darf und was nicht. Immer wieder höre ich "Das habe ich nie gemacht, das weiß ich nicht, das ist zu schwer". Ich habe einige Erwartungen, andersrum investiere ich aber auch Zeit in die Kolleginnen und bin immer wieder aufs Neue gefrustet, wenn ich sehe, was dabei herauskommt, nämlich nichts.


    Ich erwarte z.B. eine umfassende Recherche zum Unterrichtsinhalt, weil ich der Meinung bin, dass man als Lehrer mehr wissen muss als die Kinder. Ebenso erwarte ich, dass den Kindern Inhalte richtig vermittelt werden, dass man kindgerecht spricht und formuliert, dass man sich der gesamten Gruppe zuwendet und sich nicht hinter dem OHP veschanzt...Von Kleinigkeiten wie der Verfassung von schriftlichen Unterrichtsentwürfen nach Regeln der deutschen Sprache will ich gar nicht reden. Dass man einen Klassenraum nach der Stunde ordentlich und aufgeräumt an die nächste Kollegin übergibt, erwarte ich nicht nur von den Auszubildenden sondern ebenso von gestandenen Kolleginnen. Wenn ich diese Erwartung meiner LiV gegenüber erwähne, höre ich immer wieder "Ich weiß, habe ich vorhin nicht geshafft, wollte ich gerade machen". Dieses "Gerade" ist immer genau dann, wenn ich n. Sage ich nichts, liegt der Kram 14 Tage und länger in meiner Klasse rum.


    Was darf ich den Kolleginnen zumuten? Welche Erwartungen sind realistisch? Welche Erfahrungen macht ihr als Kollegin, LiV und/ oder Ausbildungslehrkraft?


    Ich bin gespannt, was ihr zu berichten habt,
    ohlin

  • Ich kann Dir natürlich keine festen Grenzen des ZUMUTBAREN geben, ich denke, dass kann niemand, weil es sehr subjektiv ist, aber ich bin auch regelmäßig als Ausbildungslehrerin tätig und kann nur sagen, dass an unserer Schule in den letzten 8 Jahren das Mittelmaß fehlt und das bestätigen viele Kollegen anderer Schulen. Also entweder es handelt sich um "Einser-Kandidaten", die sich äußerst gewissenhaft vorbereiten, auch über das Ende der Stunde hinaus informiert sind, sich sehr viele Gedanken machen und absolut zuverlässig sind und es gibt, welche, die meiner Meinung nach fast unzumutbar sind. Ich rege mich wirklich nicht auf, wenn in aller Hektik und Nervösität mal was liegen bleibt oder die Tafel nicht geputzt wird, aber eine gewisse Organisation und Zuverlässigkeit gehört schon dazu und zwar für alle Beteiligten. Ich bin auch der Meinung, dass sich Referendare schon umfassend informieren sollten etc. Das Problem ist, bei den Referendaren, die wir in letzter Zeit hatten und die nicht zu den sehr guten gehörten, fehlte es wirklich an allem. Sie kamen regelmäßig zu spät oder gar nicht (ohne das vorher mitzuteilen, liehen sich Dinge von Kollegen, Schülern und vergaßen die dann wochenlang, trugen völlig unangemessene Kleidung...) und dann fällt es selbst mir schwer, Ansatzpunkte zur Ausbildung zu finden...

    Das Leben ist kein Ponyhof! Meins schon ;)

  • In einem aktuellen Fall ist es so, dass ich seit einem Jahr einen Schritt nach dem anderen zurückrenne, weil ich bei jedem Zusammentreffen feststellen muss, dass wieder etwas fehlt, was ich bei jemandem, der ein Hochschulstudium absolviert hat und bereits über 30 Jahre alt ist, als selbstverständlich vorausgesetzt habe. Aber ich muss der Dame sagen "Wenn man Eltern im Klassenraum begegnet, sagt man "`Guten Morgen`", "Wenn man von einer (älteren) Kollegin um einen Gefallen gebeten wird, schreit man sie nicht an"...
    Wie du schon sagt, man weiß gar nicht, wie man den Ausbildungsstandrads genügen soll, wenn man nicht mal die Grundlagen des menschlichen Miteinanders voraussetzen kann.


    Aber schon mal "tröstend", dass es diese jungen Auszubildenden auch woanders gibt und ich es nicht (allein) meiner Unzulänglichkeit als AL anlasten muss, dass da nichts zu holen ist.

  • ohlin:


    Ich finde, deine Erwartungen sind angemessen. Das, was du beschreibst, wurde vor einigen Jahren von mir als LAA (= Lehramtsanwärter, so heißt es bei uns) erwartet und an unserer Schule wird das auch aktuell erwartet. "Nebenher" haben unsere LAAs im zweiten Jahr auch meistens eine eigene Klasse und der Rest muss dann aber auch noch klappen. Wie sehen denn bei euch die Rahmenbedingungen aus? Ich meine damit die Anzahl der Stunden, Klassenleitung, Seminar, etc. Ich muss aber auch zugeben, dass wir so unsere Problemfälle haben, bei denen Hopfen und Malz verloren ist. 8o
    Außerdem habe ich das Gefühl, dass die Studenten, die nachkommen, immer weniger belastbar sind, vorsichtig ausgedrückt.



    Bibo



    Edit: Rechtschreibfehler

  • Ich würde bei dem Zumutbaren unterscheiden:


    a) Es gibt Dinge, die schon zu Beginn des Referendariats erwartet werden dürfen:
    Vorbereitung (inhaltliche Fakten auch über das Stundenende hinaus müssen auch von Referendaren erarbeitet werden),
    Höflichkeit im Umgang mit Menschen


    b) Es gibt Dinge, die man als Referenar meist noch lernt: Wo stehe ich wann im Unterricht - Wie präsentiere ich mich. Das gehört meiner Meinung nach zu den Inhalten dieser Ausbildungsphase. Dazu gehört auch die Verwendung der Sprache. Nicht jeder ist es (durch Praktika oder Jugendarbeit oder "Naturbegabung") gewohnt, mit Kindern und Jugendlichen so zu sprechen, dass diese alles verstehen (immer diese Gratwanderung zwischen Über- und Unterforderung: Wie einfach muss ich etwas formulieren, damit mich jeder versteht? Wie sehr darf ich auf Fachbegriffe verzichten, was darf ich meinen Schülern zumuten?). Fehlerfreies Sprechen dagegen sollte schon vorhanden sein.


    c) Es gibt Dinge, die passieren zwar manchmal (vielleicht jedem?), dürfen aber nicht häufiger vorkommen: nicht aufgeräumter Klassenraum


    Bei den Punkten zu a) wäre ich auch stinkig. Bei b) bin ich als Ausbildungslehrer gefordert. Tipps sollten dann zunehmend vom Ref umgesetzt werden. Bei c) müsste eine nette, aber deutliche Erinnerung (einmalig) genügen.


    Ich habe zur Zeit eine Ref, die von Anfang an sehr gut war, sie geht dankbar, aber auch kritisch mit Tipps um, ist sehr an Verbesserungsvorschlägen interessiert und setzt diese angemessen um (überlegt aber sehr genau, wer welche Vorschläge macht, und ob diese Vorschläge auch für sie umsetzbar sind - vom Lehrertyp und von der Unterrichtssituation abhängig).


    Ja, sie macht auch Fehler sprachlicher Art, sie weiß das und arbeitet daran, ist hier auch lernbereit und -willig. So macht das Mentorenleben auch Spaß (neben der zeitlichen Belastung).

  • Selbstverständlich müssen Referendare (genauso wie "gestandene Lehrer") fachlich fit sein und auch auf Fragen antworten können, die über das, was im Unterricht behandelt wird, hinausgehen. Von jedem Lehrer sollte man erwarten, dass er fachlich fit ist.
    Trotzdem würde es mir nie in den Sinn kommen von meinen Referendaren eine schriftliche Recherche zum Unterrichtsinhalt zu verlangen. Das fachliche Wissen setze ich (aufgrund des Studiums) einfach voraus. Als Ref hat man auch echt andere Dinge zu tun, als solche Dinge dann extra nochmal zu verschriftlichen. Das wurde von mir nicht verlangt und es käme mir wie gesagt nie in den Sinn, das von meinen Refis zu verlangen.

  • Finchen


    Ich meinte, dass ich von einem Referendaren erwarten kann, dass er sich auch in Inhalte einarbeitet, die nicht im Studium "dran" waren. Denn nur so kann ich mir Ohlins Ref-Zitate vorstellen ("Das weiß ich nicht...").


    Mir begegnen auch nach einigen Jahren immer noch wieder Themen oder Stundeninhalte, die ich im Studium nicht gelernt habe, aber durch das Studium habe ich sicher gelernt, mir diese anzueignen.


    Eine schriftliche Ausarbeitung erwarte ich mit Sicherheit nicht. Aber vielleicht hat Ohlin auch die Ausarbeitung im Zusammenhang mit Stundenentwürfen für die Unterrichtsbesuche/Lehrproben gemeint, in denen er fachliche Kompetenz und sprachliche Richtigkeit erwartet.(?)

  • Auf die Idee, eine schriftliche Skizze ihrer Unterrichtsninhalte, also die ergebnisse ihrer recherche, zu fordern, würde ich im Leben nicht kommen. Ich erwarte aber von ihr, dass sie mind. das Material zur Verfügung hat, das die Kinder haben. Beispiel: In eienr Einheit zum Addieren und Subtrahieren hat sie von den Kindern im AH Zahlenhäuser mit Multiplikation und Division bearbeiten lassen, weil sie das Ah nicht hat, was die Kinder haben und "ohne das Heft doch nciht genau wissen kann, was auf den Seiten drauf steht". Mit einer umfassenden Rechercher meine ich, dass sie sich darüber zu informieren hat, was die kinder haben, welche Materialien die Schule hat (Kopiervorlagen, Lehrermaterial, LÜK-Kästen, CVK-Kästen usw.) und vielleicht sogar mal einen Blick in den Online-Katalog des Medienzentrums wagt oder tatsächlich mal die Seminarbibliothek nutut, die den Referendaren zur Verfügung steht.


    Ich habe seit Beginn des Schuljahres darauf gedrungen, dass sie erste Ideen für eine Stoffverteilung aufschreibt und wir das dann gemeinsam ergänzen, verbessern usw. Ich habe eine nichts-sagebde Übersicht nach einem Dreiviertelschuljahr bekommen, also zwischen Zeugnissen und Osterferien. Da war nicht mehr viel zu retten. Durch unseren Stundenplan habe ich nciht die Möglichkeit, mir Stunden einer Einheit bei ihr anzusehen, sondern nur losgelöste Stunden im Ausbildungsfach in einer speziellen Lerngruppe, in der sie nur eine Stunde/ woche unterrichtet. Was sie 4-5 Stunden in meiner Klasse macht, kann ich nur erahnen. Das, was sie mir erzählt, deckt sich nicht mit dem, was Kinder und Eltern berichten und ein Blick in die Mappen verrät auch nur, dass die Kinder mit Papier abgefüllt werden.
    Jemand der die Hochschule mit einem Examen verlassen hat, sollte der Sprache ind Wort und Schrift mächtig sein. Sollte es daran hapern, böte sich die Anschaffung eines aktullen Dudens an.


    Ich weiß nicht, wie oft ich die Dame wiederholt auf alles hinweisen soll, ihr alles immer wieder erklären und zeigen muss, bevor irgendetwas von ihr verinnerlicht wird. In 6-8 Monaten wird sie, sofern planmäßig überhaupt möglich, ihre Prüfung machen. Eine weitere Schwierigkeit liegt wohl darin, dass sie fest davon überzeugt ist, dass sie ihre Sache sehr gut macht, die Kinder "ja immer voll dabei sind" (Meine Klasse hat sich angeeignet bei ungeliebten Dinge leiese und schnell zum Ende zu kommen, weil sie hoffen, dass danach was Schönes wartet. Das habe ich schon in verschiedenen Situationen beobachten können. Beigebracht habe ich ihnen das aber nicht!) und sie die Grundlagen so gut drauf hat, dass sie nur "verfeinern" muss.


    @ Boeing
    Natürlich setze ich nicht voraus, dass sie alles schon mitbringt. Aber einen Lernwillen setze ich ganz klar voraus. Ebenso wenigstens das Bemühen um ein kollegiales Verhalten.


    @ Bibo
    Bei uns müssen die LiV 10 Stunden eigenverantwortlichen Unterricht erteilen und in jedem Ausbildungsfach -also weitere 2 Stunden- im Unterricht der Ausbilgungslehrkraft (AL) hospitieren und nach Absprache dort Teile des Unterrichts übernehmen. Eine eigenverantwortliche Stunde guckt sich jede AL an.
    An einem Tag in der Woche haben sie ihren Seminartag.
    Ansonsten wird erwartet, dass sie am Schulleben teilnehmen (Konferenzen, Schulfeste, Elternabende usw.). Aber immer mit Unterstüzung durch das Kollegium. Sie müssen nichts allein machen.


    Danke, dass ihr mich wissen lasst, dass es solche Probleme auch woanders gibt,
    ohlin

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