Frontenbildung

  • Hallo,


    ich unterrichte jetzt im 2. Jahr als Klassenlehrerin in einer 10. Klasse und bin gerade dabei, das Handtuch zu werfen. Vorweg: im Unterricht läuft alles glatt, es gibt keinerlei ernsthafte Disziplinprobleme, ich kann sogar sagen, dass das Klima während der Stunden eigentlich recht angenehm ist. Dafür gibt es ein anderes Problem, das die Gruppe seit der 9 permanent bewegt. Die Klasse zerfällt nämlich in zwei Parteiungen, die überhaupt nicht "miteinander können". Zwar wird permanent das Bedauern artikuliert, weil "die anderen Klassen einen viel besseren Zusammenhalt haben", es bewegt sich aber in dieser Spaltung im Prinzip rein gar nichts. Wir waren auf einer Klassenfahrt - was sehr nett und wurde einhellig von den Schülern positiv bewertet, allerdings ohne nennenswerten längeren Erfolg, weil "man mit den anderen halt eben doch nichts anzufangen weiß". Thematisierung des Problems auf unterschiedlichste Weise und gemeinsamen Aktivitäten - in der Schule und in der Freizeit - waren ebenfalls ohne nennenswerten Effekt, abgesehen davon, dass ich jetzt nicht mehr weiter weiß. Das Problem ist auch, dass ich selbst mich dauernd als zwischen den Fronten empfinde. Ich bin massiv frustriert und sehe im Grunde nur noch die Möglichkeit, die Sache "abzuhaken". Letzte Woche wollten wir zusammen ins Kino gehen - Film gemeinsam ausgesucht, Zeitpunkt festgelegt, demonstrative Vorfreude gezeigt. Da waren dann von 30 Leuten nur 20 - der Rest fehlte ohne Begründung. Ist das jetzt der Punkt, an dem ich sagen sollte "Ich habe mein Möglichstes getan - versucht doch einfach, den Rest der Zeit einigermaßen hinter euch zu bringen?" Irgendwie auch arm, oder?


    Traurige Grüße Eugenia

  • Ehrlich gesagt verstehe ich dein Problem nicht. Der Unterricht funktioniert nach deiner Aussage ja, die Schüler können also miteinander arbeiten. Auch außerhalb scheint es ja keine Konflikte zu geben, sondern lediglich Desinteresse. Wenn sich das Problem im Wesentlichen darauf beschränkt, dass man mit den Mitschülern der anderen Gruppe "halt nichts anfangen kann" ist das halt so. Ich kann auch mit einigen meiner Kollegen nichts anfangen.
    Spätestens in der 10. Klasse hätte ich es mir auch verbeten, wenn der Klassenlehrer ständig versucht hätte da große Freundschaften zu stiften, wo die Basis dafür einfach nicht da ist. (Möglicherweise ist das der Grund für das Nichterscheinen.) Dein Harmoniebedürfnis in allen Ehren, aber dass man eine Klasse hat, in der alle gut mit einander können und es einen intensiven Klassenzusammenhalt über alle Cliquen hinweg gibt, ist in den höheren Stufen doch eher die Ausnahme.


    Grüße,
    Moebius

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Eugenia,
    vor 3 oder 4 Jahren hatte ich eine elfte Klasse, da war die Grüppchenbildung noch viel extremer. Ich hab mir einen Wolf vermittelt, war todunglücklich und zweifelte an meinem pädagogischen Vermögen. Aber ich gebe Moebius vollkommen recht: In der zehnten Klasse sollte man sich ein wenig zurückhalten- und das Ganze auf keinen Fall persönlich nehmen oder sich in irgendwas verwickeln lassen. Du vermittelst, wenn es gewünscht wird, wenn nicht, dann eben nicht. Punkt.
    Übrigens, noch was Tröstliches: Nachdem mir damals auch von den Schülern gesagt wurde, dass ich mich umsonst anstrenge und sie nie einen gemeinsamen Nenner finden würden, wurde meine Klasse in der zwölften mit zwei anderen zusammen gewürfelt und über die zwei Jahre bis zum Abi hinweg wurde ein richtig toller Jahrgang draus, die immer noch Kontakt miteinander haben.
    Vergeude nicht unnütz deine Kraft!
    Liebe Grüße
    Hermine

  • Zitat

    Spätestens in der 10. Klasse hätte ich es mir auch verbeten, wenn der Klassenlehrer ständig versucht hätte da große Freundschaften zu stiften, wo die Basis dafür einfach nicht da ist. (Möglicherweise ist das der Grund für das Nichterscheinen.) Dein Harmoniebedürfnis in allen Ehren, aber dass man eine Klasse hat, in der alle gut mit einander können und es einen intensiven Klassenzusammenhalt über alle Cliquen hinweg gibt, ist in den höheren Stufen doch eher die Ausnahme.


    Nein, das ist nicht der Grund für das Nichterscheinen und ich bin auch keineswegs bemüht "da große Freundschaften zu stiften". Ich habe auch kein überzogenes Harmoniebedürfnis, das Thema "wir müssten eig. besser miteinander auskommen" wird von den Schülern - über die Fronten hinweg permanent auf den Tisch gebracht - in jeder SV-Stunde, bei jedem Gespräch. Die Planungen für diese Veranstaltungen übernehmen Schüler und der Impuls ging immer von Schülern aus! Am Ende stehen dann immer Diskussionen, dass ja ohnehin klar war, dass es nichts wird. Mir geht es auch nicht um einen intensiven Klassenzusammenhalt, ich finde die ganze Sache nur massiv frustrierend und frage mich, wie ich da noch reagieren soll. "Tut mir leid, Leute, lasst es sein - es bringt nichts - und haltet mich da bitte raus?"

    • Offizieller Beitrag

    Weiterhin unterstützen, wenn Unterstützung gefordert wird, gemeinsam überlegen, warum es so gar nicht geht. Kennst du denn die Gründe?
    "Ja, ich glaub inzwischen auch, dass es nicht geht- warum nicht und wie kann ich als Lehrerin euch helfen?" Das wäre mein letzter Versuch, wenn ich an deiner Stelle wäre. Sowas kostet soviel Energie und das würde ich auch den Schülern klarmachen, dass es nicht nur sie, sondern auch dich belastet.
    Liebe Grüße
    Hermine

  • Ich habe den Eindruck, der Hauptgrund liegt darin, dass in der Gruppe sehr viele Schüler zwar etwas gemeinsam unternehmen, aber dabei keinen Millimeter von ihren eigenen Vorstellungen abweichen wollen. Das Freizeitverhalten der Schüler ist dem Frontverlauf entsprechend sehr unterschiedlich. Zwar bemühte man sich immer, für die gemeinsamen Unternehmungen einen Kompromiss zu finden, allerdings ist es in der Praxis dann wieder scheinbar unerträglich, diesen Kompromiss auch zu realisieren, ohne sofort wieder Kritik zu üben oder vorzeitig das Handtuch zu werfen, wenn eine Seite auch nur die Möglichkeit der Langeweile sieht. Es ist eine dauernde latente Grundunzufriedenheit zu spüren, wenn eine der beiden Gruppen ihre Vorstellungen von einem "gelungenen Abend" nicht zu 100% umsetzen konnte. Salopp gesagt ist das Kernproblem Egoismus und die Forderung "Sollen sich die anderen doch an uns anpassen - warum wir?" Hermine, danke für den Satz

    Zitat

    wie kann ich als Lehrerin euch helfen

    . Vielleicht ist das eine Möglichkeit, den Schülern deutlich zu machen, dass ich sie durchaus unterstützen möchte, dass aber eventuell wirklich meine Einflussmöglichkeiten erschöpft sind und man irgendwann auch das friedliche Nebeneinander akzeptieren muss, wenn das Miteinander nicht geht. Das wäre schon ein Lernerfolg.

  • Hallo Eugenia,


    auch ich würde dich da entlasten wollen. Mach es, wie Hermine dir empfiehlt, das ist doch ganz gut.


    Eine Sache noch, die ich mir gut vorstellen könnte, auch wenn sie nicht explizit ausgesprochen wurde: Die Schüler sind ja nächstes Jahr ohnehin in der Oberstufe mit Kursen (falls ihr G8 habt), da ist dann die Bereitschaft, sich TÄTLICH zu bemühen statt nur verbal zu bedauern und zu fordern ohnehin nicht mehr so sehr ausgeprägt; auch wenn die Schüler das selbst anders sagen würden.


    Übrigens: Wer sind "die Schüler"? Nach meiner Erfahrung sind das die paar Wortführer (4 oder 5); überleg mal, ob die stillen Schüler das auch so sagen würden, oder ob sie nicht einfach sogar durchaus zufrieden mit der Situation und auch mit dir sind.


    Hamilkar

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