Heterogenität in Auffangklassen/Vorbereitungsklassen

  • Hallo zusammen,


    ich unterrichte an unserem Gymnasium in NRW eine Auffangklasse bzw. internationale Vorbereitungsklasse. Aufgrund von Personalmangel bin ich mittlerweile alleine in der Klasse. Im letzten Jahr haben wir zu dritt die Klasse unterrichtet, sodass wir die Klasse nach Niveaustufen trennen konnten und so die Schüler entsprechend ihres Niveaus unterrichtet haben. Das hat super geklappt. Nun habe ich in diesem Schuljahr alle zusammen dort sitzen (beginnendes B1- und A2- Niveau). Nächste Woche bekomme ich dann neue Schüler, die noch nicht alphabetisiert sind. Dann habe ich letztendlich 3 sehr unterschiedliche Niveaustufen dort sitzen. Klassischer Unterricht ist so nun gar nicht mehr möglich.


    Aufgrund der Regelung der Auffangklassen gehe ich davon aus, dass ich nicht alleine bin in solchen Klassen mit diesem Problem. Wie geht ihr damit um? Habt ihr Tipps zur Unterrichtsgestaltung? Ich möchte gerne allen Kindern gerecht werden, habe aber das Gefühl, dass so irgendjemand auf der Strecke bleibt. Freie Unterrichtsformen scheitern häufig an der mangelnden Selbstständigkeit der Schüler. Manche von ihnen haben ja auch noch nie eine Schule von innen gesehen. Ich bin gespannt auf eure Erfahrungsberichte.


    Viele Grüße und schon einmal danke für eure Antworten!

  • Analphabeten im Gymnasium, ich fürchte, dass dabei nicht nur irgendjemand auf der Strecke bleibt, sondern alle, besonders du selber. Einzig richtige Konsequenz -> Versetzung beantragen.

  • Analphabeten im Gymnasium, ich fürchte, dass dabei nicht nur irgendjemand auf der Strecke bleibt, sondern alle, besonders du selber. Einzig richtige Konsequenz -> Versetzung beantragen.

    Hä? Wohin denn bitte? Vor dem Problem steht doch inzwischen beinahe jede Schule.

  • Hä? Wohin denn bitte? Vor dem Problem steht doch inzwischen beinahe jede Schule.

    Genau das ist das Problem. Mittlerweile werden alle Schulen damit konfrontiert. Auch das Gymnasium muss mittlerweile Auffangklassen einrichten. Da bringt es nichts über das System der Auffangklassen in NRW zu meckern. Dass es so nicht wirklich funktionieren kann, ist mir völlig klar. Ich werde das System aber nicht ändern können und daher versuchen müssen, aus dem Gegebenen das Beste herauszuholen.


    Von daher meine Frage an alle DaZ-Lehrer in den Auffangklassen: Wie geht ihr mit der Heterogenität und den ständigen Veränderungen der Schülerschaft in den Klassen um?

  • Sehr schwierig; diese Situation hatte ich hier auch letztes Jahr. Wir hatten Schüler, die noch nie eine Schule von innen gesehen hatten, bis hin zu Kindern, die vorher eine internationale Schule besucht hatten und schon drei europäische Sprachen sehr gut beherrschten. Außerdem kamen ständig neue SuS dazu bzw. wurden in andere Klassen gesteckt. Chaos.


    Es geht nicht anders als über extreme inhaltliche Differenzierung; allerdings führt das, wenn konsequent angewendet, m.E. auf Dauer zur Zerstörung der Klassengemeinschaft, was man in so einer Klasse wirklich auch nicht will. Der Kompromiss sah für mich so aus:


    Ich habe so weit wie möglich immer versucht, für eine Doppelstunde ein Oberthema zu finden (z.B. "Tiere", "Einkaufen") und mit allen Schülern gemeinsam den Einstieg zu machen (z.B. über Vokabelarbeit, mit Bildern, mit "Ich packe meinen Koffer"-artigen Übungen etc.), dann anschließend zu differenzieren mithilfe von Arbeitsblättern und verschiedenen Aufgabentypen. Ich habe die Klasse grob in drei Level eingeteilt; die Anfänger machten einfache Übungen mit Bildern, die Mittleren machten eine Hörverständnis-Übung, die Fortgeschrittenen sollten ein Referat zu ihrem Lieblingstier vorbereiten etc.


    Eine feinere Differenzierung ist in der Praxis nicht machbar, sonst wird die Vorbereitungszeit zu lang.


    Manchmal habe ich versucht, auch Schüler-unterrichten-Schüler einzubinden, dh. diejenigen, die schon mehr konnten, haben den Anfängern bei den Aufgaben geholfen.


    Oft haben wir dann im Anschluss noch eine "Exkursion" gemacht; dies reichte von einem kurzen Ausflug in die Cafeteria, wo sie die Preise für die Brötchen erfragen sollten und an den Cafeteriadamen geübt haben, wie man höflich bestellt, bis hin zu einem Ausflug an den Bahnhof (Fahrkartenautomat, Gleise suchen, Fahrplan lesen) oder in einen Tierbedarfsladen, der auch Tiere hatte, die man dann anschauen und mit deren Hilfe man die Vokabeln oder Phrasen und Strukturen ( wie "Ich hätte gerne eine Katze, weil..." ) üben konnte. Das war für die SuS echt motivierend, weil sie so die Sprache oft gleich in einer "realen" Situation anwenden mussten.


    Wichtig ist es, dass Du Dir von der Schule Ressouren besorgst, z.B. einen Computer im Klassenzimmer, einen CD-Player, Kästen für ARbeitsmaterialien etc. Außerdem sollte die Schulleitung so flexibel sein, dass Du eben mit den SuS auch mal mehr oder weniger spontan unterwegs sein kannst, wenn Du das für notwendig hälst. Ich hatte mit meinen Schulleiter die Verabredung, dass ich mich einfach kurz abmelde, wenn ich mit den SuS losgehe, und übers Handy erreichbar bin.


    Viel Erfolg!!

  • Ich unterrichte internationale Klassen (oder Auffangklassen etc.) in Deutsch und Mathe. In Mathe gibt es Schüler, die ein Niveau ähnlich unserer Oberstufe haben, im gleichen Kurs sitzen aber auch Leute, die niemals eine Schule gesehen haben, kein 2+3 rechnen können, sich unter Einheiten (z.B. Längen oder Größen) nichts vorstellen können oder Zahlen und die Idee, etwas zu zählen und zu berechnen, tatsächlich nicht kennen.


    Ein Unterricht, in dem ich spreche oder etwas erkläre oder mich überhaupt irgendwie an die Klasse wende, ist immer für einen großen Teil der Klasse langweilig oder für einen anderen großen Teil der Klasse viel zu schwierig.
    Ich versuche mir (fertige, sinnvolle Schulbücher für solche Zwecke sind natürlich nicht vorhanden) mit differenziertem Material und Partnersystemen zu helfen. Sehr gute Schüler versuchen, die schwächeren zu unterstützen. Das klappt bedingt. Natürlich sprechen auch nicht alle die gleiche Sprache. Nach den Herbstferien probiere ich eine Reihe, die sich auf Lerntheken stützt. Ich erhoffe mir davon, dass jeder einigermaßen auf seinem Niveau arbeiten kann, auch wenn andere wichtige Kompetenzen, die wir unbedingt nebenbei vermitteln müssen (Kommunikation, Gespräche, Diskussionen, Hörverstehen, etc. etc.) dabei erstmal auf der Strecke bleiben.


    Ich glaube, dass wir uns in einer Situation befinden, die so, wie sich das manche hohe Herren vorstellen, nicht lösbar ist. Irgendwo hat Differenzierung Grenzen. Wenn ich mit 3 oder 4 Gruppen unterschiedlicher Niveaus nicht auskomme, dann befinden wir uns nicht mehr im Unterricht, sondern lediglich noch in einer Betreuungssituation. Und auch für diese 3 oder 4 Gruppen muss ich schon Stunden vorbereiten, was für meine anderen Klassen von Nachteil ist, denn dort fehlt mir die Zeit. Und meine Zeit hat ebenfalls Grenzen, auch meine Freizeit und der Teil, den ich davon abgeben möchte.
    In meinem Unterricht in den internationalen Klassen bleiben Leute auf der Strecke, die man vielleicht mit ganz viel Zeit, Einzelunterricht, geeignetem Material und noch viel mehr Arbeitsaufwand hätte retten können. Aber ich alleine kann es nicht und das ist in keinster Weise meine Schuld. Ich glaube, das muss man sich unbedingt klar machen. Es ist eigentlich eine große Sauerei, Lehrer, die ihrem komischen Berufsverständnis entsprechend, alle retten wollen, in so eine Situation zu bringen.

  • Ich glaube, weder "die hohen Herren" noch irgendein Kollege trägt gerade über Gebühr Verantwortung oder kann für Chaos zur Rechenschaft gezogen werden. Jedes Bundesland guckt halt, wie es klar kommt.


    Und wenn ich mir die DaZ-Lehrpläne so angucke, dann geht es hochoffiziell nicht um höhere Mathematik, sondern darum "hallo und Tschüss" zu lernen, sowie die nächste Bibliothek aufzufinden. Wenn auch das schon anstrengend genug ist, es ist für den Anfang auch völlig ausreichend. Die Kinder mit drei Fremdsprachen, die kommen schon noch rechtzeitig zu ihrem Mathewissen und auch die anderen haben gerade andere Sorgen, als Algebra. Du kannst nicht alle Probleme der Welt lösen :)

  • Ich glaube, weder "die hohen Herren" noch irgendein Kollege trägt gerade über Gebühr Verantwortung oder kann für Chaos zur Rechenschaft gezogen werden. Jedes Bundesland guckt halt, wie es klar kommt.


    Und wenn ich mir die DaZ-Lehrpläne so angucke, dann geht es hochoffiziell nicht um höhere Mathematik, sondern darum "hallo und Tschüss" zu lernen, sowie die nächste Bibliothek aufzufinden. Wenn auch das schon anstrengend genug ist, es ist für den Anfang auch völlig ausreichend. Die Kinder mit drei Fremdsprachen, die kommen schon noch rechtzeitig zu ihrem Mathewissen und auch die anderen haben gerade andere Sorgen, als Algebra. Du kannst nicht alle Probleme der Welt lösen :)


    Natürlich kann für das Chaos jemand zur Rechenschaft gezogen werden und zwar diejenigen, die Gelder dafür verteilen bzw. eben nicht.
    Wenn man alleine vor 20 Flüchtlingen steht, die zusammen sieben verschiedene Sprachen, aber kein Deutsch sprechen, und denen dann etwas beibringen muss ohne Hilfe, ohne Ausgleich, ohne die entsprechende Ausbildung und ohne angemessenes Lehrmaterial, dann nimmt das kein gutes Ende. Das in meinem Fall vorgeschriebene Ende ist übrigens der Hauptschulabschluss nach einem Jahr und kein "Hallo und Tschüß".


    Durchgehende Doppelbesetzung, ganz kleine Klassen, angemessene Medien und Material und zügige Zusatzausbildungen und von den versprochenen "zig tausend neuen Fachkräften" werden einige den Arbeitsmarkt erreichen. Oder es bleibt so, wie es jetzt ist, aber dann muss sich niemand wundern.


    Selbstverständlich sind an der momentanen Situation bestimmte Leute schuld, die man auch leicht namentlich benennen könnte. Aber diese stehen eben nicht vor der Klasse (oder haben in den letzten 30 Jahren eine Schule von innen gesehen).

  • Man muss kleine Brötchen backen.... ganz kleine. ;)
    Hauptschulabschluss in einem Jahr, halte ich für völlig unrealistisch. Das schafft nur, wer den aus der Heimat quasi schon hat und "nur" die Sprache lernen muss und dafür begabt ist.
    Wir bereiten in 1-2 Jahren auf den Wechsel in eine Regelklasse vor. Das klappt auch ganz gut. Ein Wechsel in Klasse 9+ ist dabei aktuell selten. Meistens sind das dann Schüler, die im Heimatland eine zu unserem System analoge Schulkarriere durchlaufen haben.


    Ich hab in Mathe 15 Schüler, die sich zwischen Ende 1. Klasse und 7. Klasse bewegen. Es ging auch schon mal hoch bis 10. Klasse.
    Selbst wenn man an einer Schule ist, die viel differenziert, ist das nochmal eine ganz andere Nummer als in Regelklassen.
    Im Grunde bereite ich auch für jede offizielle Stunde 4 unterschiedliche Stunden für die Schüler vor. Das hört sich jetzt nicht viel anders als 3 Stufen in einer Regelklasse an, aber es ist eben nicht mit ein bischen Aufgaben Abändern getan, sondern es sind völlig unterschiedliche Unterrichtsinhalte. Schon rein zeitlich steht man jedem Einzelnen dann natürlich nur ungenügend zur Verfügung und viel muss über Freiarbeit und eigenständiges Üben laufen.


    Ich bemühe mich regelmäßig gemeinsame Projekte/Oberthemen einzuschieben, die verschiedene Kompetenzstufen abdecken, z.B. Maßeinheiten, Konstruktionen/Geometrie, etc, damit die Schüler zumindest zeitweise das Gefühl haben, an einer gemeinsamen Sache zu arbeiten.


    Zum Thema Material und Geld darf man sich nix vormachen.
    Material gibt es etwas im Fach Deutsch, der Rest ist mehr schlecht als recht umgelabeltes Material, dass vor einigen Jahren unter "individueller Förderung" lief und in keinster Weise auf Sprachlerner angepasst wurde.
    Dass es wenig Geld/Ressourcen gibt, ist nicht verwunderlich, da unsere Gesellschaft das Bildungssystem seit Jahren ausbluten lässt. Das kann man nicht mal den Politikern vorwerfen. Die tun primär das, womit man Wahlen gewinnt. Sparen im Bildungssystem ist seit Jahrzehnten ein Erfolgsrezept an der Wahlurne. Dafür müssen wir uns als Gesellschaft an die eigene Nase packen.

  • Das in meinem Fall vorgeschriebene Ende ist übrigens der Hauptschulabschluss nach einem Jahr und kein "Hallo und Tschüß".

    Okay, das ist krass. Ich dachte, alle Auffangklassen orientieren sich an einem DaZ-Lehrplan.

  • Wichtig ist es, dass Du Dir von der Schule Ressouren besorgst, z.B. einen Computer im Klassenzimmer, einen CD-Player, Kästen für ARbeitsmaterialien etc. Außerdem sollte die Schulleitung so flexibel sein, dass Du eben mit den SuS auch mal mehr oder weniger spontan unterwegs sein kannst, wenn Du das für notwendig hälst. Ich hatte mit meinen Schulleiter die Verabredung, dass ich mich einfach kurz abmelde, wenn ich mit den SuS losgehe, und übers Handy erreichbar bin.


    Das finde ich auch ausgesprochen wichtig. Du wirst wohl quasi die SuS im Fach Deutsch in verschiedene Lerngruppen einteilen müssen. So ähnlich müssen wir auch arbeiten, weil wir die Kids da abholen, wo sie stehen. Klassenunterricht im üblichen Sinne wird hier wohl kaum möglich sein. Hierbei können individuelle Arbeitsmappen, die einmal zusammengestellt, für lange Zeit Unterrichtsvorbereitungen erleichtern. Ganz besonders möchte ich hier für die Onlineübungen werben, die es im Netz gratis gibt und die z. T. sehr gut sind. Eine Seite mit LINKS für die verschiedenen Lerngruppen und schon kann es los gehen. Ich verlinke dir hier ein paar Seiten:
    http://www.hueber.de/shared/uebungen/schritte-plus/
    http://abc-projekt.de/software/
    http://www.mediator-programme.de/
    http://www.ich-will-lernen.de/
    http://www.schubert-verlag.de/aufgaben/index.htm
    http://www.online-lernen.levrai.de/deutsch_unterricht.htm
    http://materials.lehrerweb.at/…e-materialien-uebersicht/
    Viel Erfolg

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