Sonderpädagogik zwangsläufig auf Primar- oder Sekundarstufe festlegen?

  • Bei Physik wäre allerdings noch die Besonderheit, dass das ein reines Sek I-Fach ist...

    In der Primarstufe ist es Teil des Sachunterrichts.


    (Ich weiß, dass man teilweise auch Sachunterricht separat oder im Rahmen von "Grundschuldidaktik" studieren kann.)


    Was mich hier in der Debatte generell stört, ist, dass wieder einmal Studieninhalte auf eine "Brauchbarkeit" im späteren Beruf reduziert werden. Ein Studium, auch ein Lehramtsstudium, ist immer noch keine Berufsausbildung. Humboldtsches Bildungsideal und so. Wäre es möglich gewesen, hätte ich gerne Latein als Unterrichtsfach studiert, aber das wird für Sopäd leider m. W. nirgends angeboten.

  • ...Hier wird alles fachfremd unterrichtet und niemand wird wegen seines studierten Faches abgeordnet...

    Hier wird Chemie zum Beispiel abgeordnet.


    In Sachsen-Anhalt ist übrigens Inklusion ein riesen Thema, da haben manche nur noch 3 Stunden in der Stammschule und gurken ansonsten durchs Land. Es ist wirklich sinnvoll, nach Schulart und Bundesland zu gucken, die Unterschiede sind schon nicht ganz unerheblich. Auch was die Klientel anbelangt...

  • Es ist logisch, dass an einer Schule, die in Hessen so schön "Schule für Praktisch Bildbare" heißt, überhaupt kein Physik gelehrt wird.

    Meinst du damit, dass es kein eigenständiges Fach Physik gibt? Das stimmt. Die physikalischen Inhalte sind dann Bestandteile eines Faches Sachunterricht bzw. NaWi.

  • Es ist logisch, dass an einer Schule, die in Hessen so schön "Schule für Praktisch Bildbare" heißt, überhaupt kein Physik gelehrt wird.

    Ich weiß, dass dieser sehr gewöhnungsbedürftige Terminus in Hessen sehr lange verwendet wurde, aber immer noch? Auf der Seite des hessischen KM zumindest ist aktuell von "Schulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung" die Rede: Schulen für Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen | kultus. hessen.de


    Inhaltlich siehe die Antwort von @Lindbergh

    Natürlich werden auch an G-Schulen physikalische Inhalte gelernt. Auch an Grundschulen. Auch in Kindergärten. Obwohl es da nirgends die Organisationsform "Physikunterricht" gibt. Wenn ein Baby einen Ball in die Hand nimmt und beim Loslassen merkt, dass er nach unten fällt, betreibt es nicht da schon Physik?

  • Plattenspieler, ich weiß nicht, worauf du hinaus willst. Wenn man mit Geistigbehinderten arbeitet, unterrichtet man kein Physik, auch wenn etwas runterfällt, wenn man es loslässt. Es gibt außerdem Menschen, die fühlen sich intellektuell unterfordert im Lehrbetrieb, an der Förderschule kommt es vielleicht öfter vor, ich weiß es nicht. Man sollte in jedem Falle gut überlegen, ob man ein naturwissenschaftliches Fach studieren mag, das man anschließend nie wieder anwenden wird, wenn man das Ziel hat, Jugendliche auf ein Leben in einer geschützten Einrichtung vorzubereiten.

  • Es gibt außerdem Menschen, die fühlen sich intellektuell unterfordert im Lehrbetrieb

    Wenn man dieses Gefühl hat, dann sollte man sich einen anderen Beruf suchen als Lehrer*in. Das ist aber, würde ich behaupten, weitgehend unabhängig von gewählter Schulform und Unterrichtsfächern.

    In jedem Lehramtsstudium lernt man fachlich (hoffentlich) erheblich mehr, als man es in der Schule bracht. Auch in Deutsch lernt man sprach- und literaturwissenschaftliche Inhalte, in Mathematik Analysis und Zahlentheorie usw., was man an der Schule, speziell an der G-Schule, natürlich nicht eins zu eins umsetzen kann. Aber worum geht es? Es geht um ein Horizonterweiterung, es geht um wissenschaftliches Arbeiten lernen und es geht um ein vertieftes Fachwissen, das eine didaktische Reduktion und Elementarisierung erlaubt.

    In der Sonderpädagogik kommt hinzu, dass "fachfremdes" Unterrichten alltäglich ist und die Fächer auch für die Einstellung höchstens eine marginale Rolle spielen (abgesehen davon, dass sowieso überall Sopäds gesucht sind). Zumindest kann ich mir nicht vorstellen, dass das in einem Bundesland anders sein sollte. Deshalb sollte man imho die Fächer wählen, die einen selbst interessieren und bei denen man gute Erfolgsaussichten im Studium hat. Und wenn das Physik ist, dann ist das kein Nachteil gegenüber anderen Fächern.

  • Das Aufhängen an Physik trifft es nicht. Frage war: legt man sich auf Primar- oder Sekundarstufe fest? Antwort: Je nach Bundesland, Schulart und gewählten Fächern. Die Frage ist also, welches Ziel man zu Studienbeginn verfolgt. In Sachsen kann man zwischen einem Fach und dem Grundschulbereich wählen, wer an der G-Schule arbeiten will, wählt deswegen in aller Regel Grundschule. Für Hamburg weiß ich es nicht.

  • Und deinen Beiträgen entnehme ich, dass du so viele G-Schulen von innen gesehen hast, wie Lindbergh. Diskussion dazu beendet. Falls der TE noch Fragen hat, gerne, soweit wir halt helfen können.

  • Ich kenne die hier im Landkreis und das ausschließlich durch Hörensagen bzw. eben die Übergangsgespräche, wobei geistige Entwicklung vergleichsweise selten bei uns vorkommt. Ich bin daher kein Experte, habe das aber auch nie behauptet.

  • Wenn man mit Geistigbehinderten arbeitet, unterrichtet man kein Physik, auch wenn etwas runterfällt, wenn man es loslässt

    Doch, was soll das sonst sein? Es ist halt Physik auf einem sehr grundlegendem Niveau. So wie Kuchen backen Chemie auf einem sehr grundlegendem Niveau ist. Heisst es hier nicht immer Primarlehrpersonen seien die tollsten von allen? Oder sind sie das doch nicht?

  • Doch, was soll das sonst sein? Es ist halt Physik auf einem sehr grundlegendem Niveau. So wie Kuchen backen Chemie auf einem sehr grundlegendem Niveau ist.

    Jop. Gerade in der Geistigbehindertenpädagogik, wo man ja auch von einem "erweiterten Lesebegriff" ausgeht, unter den z. B. das Erkennen und Verstehen von Situation oder Bildern gefasst wird ... Natürlich wird hier jedes Fach - je nach Schüler - erst einmal auf die ganz grundlegenden Prinzipien reduziert.

    Heisst es hier nicht immer Primarlehrpersonen seien die tollsten von allen? Oder sind sie das doch nicht?

    Was hat dieser Thread mit "Primarlehrpersonen" zu tun? Und wer am "tollsten" sei?!

  • Ach... Je "niedriger" das Niveau, desto höher die Anforderungen. Das ist doch das Credo des Forums. Es sei denn, es passt gerade nicht.


    Einmal editiert, zuletzt von Antimon ()

  • Ich habe die Förderschwerpunkte Geistige Entwicklung und Körperliche und Motorische Entwicklung und das Fach Deutsch für die Sekundarstufe I studiert. Das ist zwar jetzt 20 Jahre her und geht so in dieser Kombi in NRW nicht mehr, aber damals war es eben so. In Deutsch habe ich exakt gar nichts gelernt, was ich auch nur im Ansatz im Referendariat an der Schule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung hätte gebrauchen können. Macht aber in meinen Augen nichts, denn ich habe grundsätzlich wissenschaftlich zu arbeiten gelernt und kann Inhalte so runter brechen, dass sie für meine Schüler inhaltlich er fassbar sind. In meiner UPP an der Förderschule habe ich mit Schülern der Oberstufe ihre Namen schreiben geübt.

    Aktuell arbeite ich in der Inklusion an einer Grundschule und unterrichte da gar keine Kinder aus meinen mal studierten Förderschwerpunkten.


    Antimon, ich denke, die Herausforderungen an Grund- und Förderschule sind komplett andere als in der Sek II. Inhaltlich ist der Unterricht bei euch sicher anspruchsvoller, sollte aber für studierte Menschen keine besondere Schwierigkeit darstellen.

  • Doch, was soll das sonst sein? Es ist halt Physik auf einem sehr grundlegendem Niveau.

    Der Lehrplan enthält kein Physik, ganz einfach deswegen. Mathe schon und Mathedidaktik Grundschule hat Professuren, das ist halt ein eigener Forschungsschwerpunkt.


    Stell dir einfach vor, du würdest mit Kindern Frühstückstisch decken üben, Sondennahrung verabreichen und mit 17-Jährigen Bettzeug bügeln. Das kann durchaus Spaß machen und natürlich muss man auch Hauswirtschaft beherrschen, das ist ein studierbares Unterrichtsfach. Aber wer in der Lage ist, ein Physikstudium zu absolvieren, sollte sich überlegen, ob er damit nicht woanders größeren Dienst an der Menschheit leisten kann. Wer das genau so machen mag, kann das natürlich gerne tun, es ist nur meine Meinung.


    Man muss mit 20 versuchen, sich vorzustellen, was einem auf Dauer am meisten entgegenkommt. Das ist schwierig und daher sage ich "genau hingucken, wie du studieren solltest, um dein Einsatzgebiet besser zu steuern".


    Einige nehmen z.B. Erziehungshilfe als 2. Sonderpädagogische Fachrichtung, weil sie denken "passt schon, Verhaltensauffällige gibt's an jeder Schulart." Das ist richtig, aber wer dann noch Geistigbehindertenpädagogik nimmt und als Unterrichtsfach eines der Sekundarstufe, der wird von der Behörde als erstes in die EH geschickt, was natürlich überhaupt nicht witzig ist, wenn man sich mit lieben Downies beim Kuchenbacken gesehen hat.


    So mein Bundesland, meine Erfahrung.

  • Es geht ja auch um die Vorstellungen, die man zu Studienbeginn hat. Davon ab ist die Arbeit an jedem Forderschultyp anders.

  • Zur Ursprungsfrage: Das kommt echt auf das Bundesland an. In Hessen muss man das Fach auf H/R studieren, auch für den FS GE. Da mag man nach Sinn fragen, aber da eh alles gerade auf die Inklusion zugeschnitten ist, ist das eh egal. Da wird man dorthinein geschmissen, was gerade gefragt ist. Da kann es auch sein, dass man montags und mittwochs an einer Grundschule ist, dienstags und freitags an einer Gesamtschule und donnerstags am humanistischen Gymnasium.


    Zur Frage, ob nun GE oder die höheren Bildungsgänge schwieriger zu unterrichten sind. Ich habe in unserem Haus auch schon auf sehr niedrigem L-Niveau unterrichtet und habe gerade eine R10 mit zwei Kandidaten für die FOS. Es hat alles seine gewissen Schwierigkeiten. Bei den niedrigen Anforderungen fließt viel der Zeit in die didaktische Aufbereitung, weil die Schüler es sonst nicht verstehen. Dann kommt ein höherer Differenzierungsbedarf dazu, der auch Zeit kostet. Das Problem hat man bei den fitteren eher nicht. Bei den hohen Anforderungen muss man sich selbst auch mal etwas anlesen bzw. benötigt das Hintergrundwissen für die Aufbereitung und die speziellen Fragen, die von Schülerseite kommen.

  • Ich denke, der Umstand, dass in Hessen Förderschullehramtsstudenten ihre Fachkurse gemeinsam mit den Haupt- und Realschulkollegen zusammenbelegen, hat ganz vereinfacht mit der Denkweise "alle Primarstufenleute zusammen, alle Sek I-Leute zusammen, alle (Sek I- und) Sek II-Leute zusammen" zu tun. Bei den zielgleichen Förderschwerpunkten macht das durchaus Sinn, bei den zieldifferenten hingegen... Es ist dann einfach "nice to know"-Wissen. Es dürfte hier sicher keinen überraschen (ja, auch mich nicht als Nicht-Förderschulmensch ;) ), dass man im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung z.B. im Fach Mathematik nicht großartig über die Grundschulinhalte hinausgeht.

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