Takt bei Metrum (Gedichte)

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Aktenklammer schrieb am 27.11.2005 12:22:
    Kennt ihr eine gut nachvollziehbare Regel, wie man beim Metrum die Taktstriche einfügt? Warum ist ein Auftakt ein Auftakt und nicht Teil z.B. des Jambus?


    Also ich würde spontan sagen, dass das mit den Wortsilben zu tun hat. Wenn ein einsilbiges Wort am Anfang steht und danach ein zweisilbiges folgt, welches auf der ersten Silbe betont wird (z.B. "Am Abend"), dann würde es komisch klingen, wenn "am" als Teil des Jambus mit "Ab-" zusammengezählt würde. Somit wäre dann "am" eine unbetonte Silbe am Anfang und dann würde "Abend" als Trochäus folgen.


    "Am Brunnen vor dem Tore" wäre auch so eine Zeile, wo die Musik beispielsweise "Am" als Auftakt nimmt und "Brun-" dann auf den ersten Schlag des ersten (vollständigen) Taktes kommt.


    Gruß
    Bolzbold

  • Ich habe nun aber Zweifel bei folgendem Gedicht:


    Du gute Linde, schüttle dich!
    Ein wenig Luft, ein schwacher West!
    Wo nicht, dann schließe dein Gezweig
    So recht, daß Blatt an Blatt sich preßt.

    Kein Vogel zirpt, es bellt kein Hund;
    Allein die bunte Fliegenbrut
    Summt auf und nieder übern Rain
    Und läßt sich rösten in der Glut.

    Sogar der Bäume dunkles Laub
    Erscheint verdickt und atmet Staub.
    Ich liege hier wie ausgedorrt
    Und scheuche kaum die Mücken fort.

    O Säntis, Säntis! läg' ich doch
    Dort - grad' an deinem Felsenjoch,
    Wo sich die kalten, weißen Decken
    So frisch und saftig drüben strecken,
    Viel tausend blanker Tropfen Spiel:
    Glücksel'ger Säntis, dir ist kühl!


    Das Hebungs- und Senkungsschema ist ja folgendes:


    xXxXxXxX
    xXxXxXxX
    ....


    in der vierten Strophe 3. und 4. Vers
    xXxXxXxXx
    xXxXxXxXx


    Aber ist das nun ein Trochäus mit Auftakt oder ein Jambus??
    Ich habe bei beiden Lösungen das Problem, dass über Wortgrenzen hinweggegangen wird ...


    Sage ich Trochäus mit Auftakt, habe ich in der 3. Strophe
    So|GAR der|BÄUme|DUNKles|LAUB
    Er|SCHEINT ver|DICKT und|ATHmet|STAUB
    Außerdem frage ich mich "als Schüler" - wenn ich nur das Hebungs- und Senkungsschema sehe - warum ich nicht einfach den Jambus nehme, weil ich ja immer mit einer betonten Silbe aufhöre?


    Sage ich Jambus, habe ich aber z.B. in der letzten Strophe
    Viel TAUS|end BLAN|ker TROP|fen SPIEL


    Was meint ihr? Das muss doch für die Schüler (8. Klasse) sehr verwirrend sein ....
    ?(?(?( ... und für mich auch

  • Eine einfache Regel habe ich bisher nicht gefunden, und der Punkt ist immer wieder ein Streitpunkt in Fachsitzungen - jedenfalls wenn wir Zeit haben, uns an solchen Fragen zu ergötzen.


    Einige von uns leugnen den Auftakt ganz: Fängt es betont an, ist es trochäisch, wenn unbetont, dann jambisch. Und basta.
    In der Musik habe der Auftakt seinen Platz, in der neuhochdeutschen Metrik nicht - genauso wenig wie Längen und Kürzen oder der Ersatz einer Länge durch zwei Kürzen, wie es die Musik oder die mittelhochdeutsche Metrik kennt.


    Das halte ich für etwas radikal.


    Ansonsten: Wenn der Rest des Gedichts eindeutig trochäisch ist und ein Vers unbetont anfängt, dann wird man da meist von Auftak sprechen. Tatsächlich sind solche Strophenformen aber selten, meist ist die Betonung der ersten Silbe einheitlich.


    Das Beispiel würde ich jambisch nennen, mit weiblicher Kadenz am Ende.


    Ansonsten: Wortgrenzen sind eine Hilfe, klappt aber nicht immer. Steigender/Fallender Rhythmus sind auch oft ein Anzeichen, aber es gibt genügend Jamben mit schläfrigem Inhalt und Trochäen mit forschen, drängendem Ton.


    Ich bring meinen Schülern bei, "alternierend" zu sagen. ;)


    Soviel zu meinen 2 Cent, auch wenn ich keine Antwort habe. Klar verwirrt das Achtklässler, deswegen würde ich dem nicht so viel Bedeutung zumessen.

    Seit 2004 unter dem gleichen Namen im Forum, weitgehend ohne ad hominem.

    • Offizieller Beitrag

    Da ich es erst mit Mittelhochdeutsch überhasupt hinbekommen habe, Metrik zielsicher zu erkennen, würde ich sagen, dass da immer ein Auftakt ist. Der Rhythmus kann odhc über Wortgrenzen gehen. Warum nicht? Hauptsache, er ist in der Regel regelmäßig, denke ich. Und warum sollte der Trochäus nicht mit einer betonten Silbe aufhören? Dann hat man eben seine männliche Kadenz am Ende und sagt das dazu, würd ich sagen. Aber natürlich kann man dann wieder sagen, dass es blöde ist, mitten im Metrum das Versende zu haben. Ich gebe zu, es ist nicht einfach...


    Liebe Grüße,


    Dalyna

    • Offizieller Beitrag


    Also es ist definitiv ein Trochäus mit Auftakt. Alles andere würde keinen Sinn machen. Ferner mag es sein, dass man HIER mit einer betonten Silbe aufhört, das ist aber nicht immer so.


    Zitat


    Sage ich Jambus, habe ich aber z.B. in der letzten Strophe
    Viel TAUS|end BLAN|ker TROP|fen SPIEL


    Rechnerisch würde das passen, aber wie würde sich das denn anhören, wenn nach jedem Jambus eine kleine Pause gemacht würde? Schließlich gehören die entsprechenden Hebungen und Senkungen doch zusammen.
    => Viel TAUS *Pause* end BLAN *Pause* ker TROP *Pause* fen SPIEL


    Klar ist doch, dass die Worte Tausend, blanker und Tropfenspiel zusammengehören. Die würden durch den Jambus anstelle des auftaktigen Trochäus auseinandergerissen werden.
    Ein weiteres Indiz für einen Auftakt wäre noch, dass der Auftakt "viel" ja auch weggelassen werden könnte, ohne dass sich das Versschema ändert. Finge das Stück mit einem Jambus an, wäre das nicht möglich.


    Für die Schüler wäre es eine Hilfe, wenn sie beim skandieren erst einmal die zwei- und mehrsilbigen Wörter mit Vershebungen und -senkungen versehen. Dann kristallisiert sich schnell heraus, welches Versmaß das jeweils ist.


    Gruß
    Bolzbold

  • Zitat

    Also es ist definitiv ein Trochäus mit Auftakt. Alles andere würde keinen Sinn machen.


    Ein Freund deutlicher Aussagen...:) Bevor ich in einer Strophe jeden Vers mit Auftakt und dafür fast ständig mit unvollständigem letzten Takt analysiere, da denke ich doch auch über fast durchgehend reine Jamben nach.
    Inwiefern die Wortgrenzen nämlich überhaupt eine Bedeutung haben, sehe ich nicht so recht ein.


    Ich schnapp mir mal die Iphigenie, weil die gerade am Tisch liegt, die allgemein als jambisch gilt. Sie beginnt:


    Zitat

    Heraus in eure Schatten, rege Wipfel,
    Des alten, heil'gen, dicht belaubten Haines


    Da passen doch in beiden Versen Wort- und Taktgrenzen überhaupt nicht zueinander, und trotzdem gilt der Vers traditionell als Blankvers, also jambisch (hier mit weiblicher Kadenz).
    Mit Auftakt und Trochäus wäre das sicher nicht passiert...


    Also so definitiv ist das auch in dem Beispiel threadaufwärts nicht, das konservativere Analytiker wohl eher jambisch nennen.


    Ich lass dann aber auch über eine trochäische Iphigenie mit mir reden, und schlage inzwischen weiter vor: alternierendes Metrum.
    Eine große Rolle spielt die Unterscheidung Jambus/Trochäus nämlich oft nicht, finde ich.

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  • Also, ich könnte (fast) schwören, dass es sich hier um einen Jambus handelt.
    Ein Auftakt ist meines Wissens eine unregelmäßige Senkung am Versanfang. Dies ist hier nicht der Fall.


    Gruß


    Animagus

  • Im Sprachbuch ist als Beispiel das Metrum von "Einkehr"


    Bei einem Wirte, wundermild;
    da war ich jüngst zu Gaste;
    ein goldner Apfel war sein Schild
    an einem langen Aste.
    Es war der gute Apfelbaum,
    bei dem ich eingekehret;
    mit süßer Kost und frischem Schaum
    hat er mich wohl genähret.


    Es kamen in sein grünes Haus
    viel leichtbeschwingte Gäste;
    sie sprangen frei und hielten Schmaus
    und sangen auf das beste.


    Ich fand ein Bett zu süßer Ruh
    auf weichen, grünen Matten;
    der Wirt, er deckte selbst mich zu
    mit seinem kühlen Schatten.


    Nun fragt' ich nach der Schuldigkeit,
    da schüttelt' er den Wipfel.
    Gesegnet sei er allezeit
    von der Wurzel bis zum Gipfel!


    so angegeben:


    x|Xx|Xx|Xx|X
    x|Xx|Xx|Xx
    ....


    Also immer mit Auftakt.

  • Trochäisch... also ich hätte es anders gemacht, siehe Iphigenie, habe aber kein Problem damit. Die Romantiker und danach sind ohnehin volksliedhaft-ungebundener


    Ich stimme Animagus prinzipiell bei, wenn er sagt, Auftakte sind unregelmäßig. Fragt sich nur, ab welchem Prozentsatz man von unregelmäßig sprechen kann.


    Bei den vorliegenden Gedichten halte ich die Frag eh für akademisch. Ob man das jambisch oder trochäisch nennt, das macht bei diesen Gedichten keinen Unterschied, finde ich. Bei Goethe, "Auf dem See" ist die erste Strophe, als er noch wach ist, jambisch, die zweite, als er auf dem See am Einschlafen ist, trochäisch. Da macht es Sinn, diese Begriffe zu verwenden.


    Ansonsten: Alternierend.


    Nebenbei, auch wenn das hier noch gar angesprochen wurde: Mein persönliches kleines Hassobjekt (ich will "pet hate" aus dem Englischen übersetzen, habe aber Angst, dass mir der Hass dann hier um die Ohren geschlagen wird) sind Formulierungen wie "fünfhebiger Jambus". Das ist ein jambischer Fünfheber, sonst nichts. Ein Jambus hat eine Hebung, ebenso wie ein Trochäus. Mehrhebige Jamben gibt's nicht. Basta.


    Widerspruch erlaubt. Meinen Kollegenist der Unterschied auch egal. :(

    Seit 2004 unter dem gleichen Namen im Forum, weitgehend ohne ad hominem.

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