Liebe Kollegin,
dein Beitrag hat mich sehr berührt. Du schilderst deine Situation so ehrlich und reflektiert – das allein zeigt schon, was für eine engagierte und empathische Lehrkraft du bist. Dass du trotz aller Widrigkeiten immer noch versuchst, Lösungen zu finden, spricht für deine innere Stärke und deinen echten Wunsch, diesen Beruf mit Herzblut auszuüben. Und das ist nicht selbstverständlich.
Zunächst einmal: Du machst nichts falsch – du bist einfach am Anfang. Das erste Berufsjahr ist für viele eine harte Landung in der Realität, ganz besonders, wenn das Referendariat positiv verlaufen ist. Im Ref haben wir oft kleinere Gruppen, gezieltes Feedback, überschaubare Stundenkontingente – und vor allem: ein „geschütztes“ Setting. Der Einstieg als Vollzeit-Lehrkraft fühlt sich für viele an wie der Sprung ins kalte Wasser – und du bist da in sehr, sehr guter Gesellschaft.
Viele Berufseinsteiger:innen neigen dazu, sich zu sehr über Sympathie zu definieren – das ist verständlich, wenn man oft hört, wie wichtig die Lehrer-Schüler-Beziehung ist. Aber: eine gute Beziehung braucht auch klare Grenzen. Schüler „mögen“ uns am meisten, wenn sie sich sicher fühlen – und Sicherheit entsteht durch Klarheit, nicht durch Nettigkeit. Ein häufiger Anfängerfehler ist es, zu viel Nähe zuzulassen oder sich über das Feedback der Schüler zu stark zu definieren. Du darfst freundlich, humorvoll und zugewandt sein – aber nicht auf Kosten deiner Autorität.
Du bist nicht da, um gemocht zu werden – du bist da, um deinen Job gut zu machen. Und dabei wirst du von ganz allein respektiert – das ist auf Dauer viel tragfähiger als bloße Beliebtheit. Und: Das Gefühl, als junge Lehrerin „getestet“ zu werden, ist leider real. Viele Kolleginnen berichten davon. Das Gute: Wenn du dich jetzt klar positionierst, ist der Respekt dauerhaft. Es ist kein Makel, wenn Schüler anfangs gegenhalten – es ist ein Zeichen dafür, dass du ihnen nicht egal bist. Und ja, es wird besser – aber nur, wenn du nicht versuchst, dich "beliebter" zu machen, sondern klarer.
Wenn Kolleg:innen deine Wahrnehmung nicht teilen, heißt das nicht, dass du falsch liegst. Es kann verschiedene Gründe geben: Sie erleben andere Situationen (Fach, Tageszeit, eigene Routinen) oder wollen dich nicht verunsichern. Aber vielleicht kannst du gezielt Einzelne ansprechen: „Du, ich habe das Gefühl, in Klasse 8B läuft es bei mir gar nicht – hättest du mal Lust, mit mir gemeinsam zu hospitieren oder über Methoden zu sprechen?“ Oder: Lade jemanden zum Teamteaching oder zum Unterrichtsbesuch ein – nicht zur Kontrolle, sondern als echten Austausch.
Viele junge Lehrer:innen versuchen auch hier alles zu „liefern“. Aber: Nicht jede Forderung von Eltern ist berechtigt. Du darfst – und solltest – auch mal sagen: „Ich kann verstehen, dass Ihnen das wichtig ist. Lassen Sie uns das im Rahmen der Schulstruktur regeln.“ Oder auch einfach: „Das ist nicht mein Zuständigkeitsbereich, ich gebe das an die Schulleitung weiter.“ Du musst nicht alles tragen.
Das Gefühl, nie fertig zu werden, ist quälend. Hier helfen klare Strategien – nicht als Allheilmittel, aber um dir selbst das Gefühl zu geben: Ich habe Kontrolle.
- Pareto-Prinzip (80/20-Regel): 20 % deines Aufwands bringen 80 % Wirkung. Perfektionismus kostet Energie, die du nicht hast. Stell dir die Frage: Was reicht aus, damit der Unterricht funktioniert – nicht glänzt?
- Pomodoro-Technik: 25 Minuten konzentriert arbeiten, 5 Minuten Pause. Das klingt banal, aber es hilft gegen das Gefühl der totalen Überforderung. Und manchmal reichen 2–3 „Pomodori“ am Nachmittag für Vorbereitung.
- Eisenhower-Matrix: Teil deine Aufgaben in wichtig/nicht wichtig und dringend/nicht dringend. Druck entsteht oft durch Dinge, die dringend wirken, aber gar nicht wichtig sind. Visualisierung hilft.