Also, ich sehe das in vielerlei Hinsicht anders als im Ausgangspost dargestellt. Ich habe jetzt vier der fünf Folgen mal angesehen.
1.) Ich bin fest davon überzeugt, dass nicht nur die theatralischen "Tode" gescriptet sind, ich bin davon überzeugt, dass beinahe alles gescriptet ist. Die Charaktere sind einfach zu konstruiert, die Verhaltensweisen zu "narrativ" anregend und vor allem die "Testimonials" können in einer auch nur im Ansatz authentischen Abfolge der Ereignisse zeitlich nicht erfolgen.
Damit gehört Squid Games - The Challenge in die gleiche Kategorie wie andere dystopisch angehauchte Narrative und ist dabei ein eher magerer Repräsentant des Genres. Damit finde ich es aber auch morlisch nicht mehr verwerflich, sich die Serie anzutun als wenn man bspw. "The Hunger Games" ansieht.
Die fiktive Erkundung der Abgründe, zu denen sich Menschen in extremen Situationen hinreißen lassen, wurde von den antiken Tragödien bis hin zu modernen Romanreihen deutlich besser und ansprechender - und intellektuell anregender - dargestellt. Dort ist auch die Beantwortung der Frage, wie man sich selbst in ähnlichen Situationen verhalten würde, wohl besser aufgehoben.
2.) Selbst wenn man annehmen würde, dass die Serie nur zum Teil gescriptet ist und dass viele der Entscheidungen der Teilnehmer authentisch und frei erfolgen, kann ich die moralische Problematik nur zum Teil nachvollziehen. Es handelt sich um ein Spiel mit festgelegten Regeln, auf die sich alle Teilnehmer im vollen Bewusstsein eingelassen haben. Ich meine, niemand stirbt ja wirklich, es geht nur darum, sich gegen die Mitspieler durchzusetzen wie bei jedem anderen Spiel (kooperative Spiele wie "Legenden von Andor" mal ausgenommen). Insgesamt werden hier nur Versatzstücke aus anderen Spielen genommen: Bei "Mensch ärgere dich nicht" wirft man die Mitspieler, so dass sie von vorne anfangen müssen, bei "Monopoly" nimmt man die Mitspieler so lange aus, bis sie bankrott sind, bei "Sieder von Catan" versucht man das Beste für sich rauszuholen und Mitspieler durch eigene Siedlungen oder Straßen zu blockieren. Oft werden hier die Spieler, die am Gewinnen sind, von den Mitspielern beim Handeln ignoriert oder verstärktn mit dem Räuber/Ritter überfallen, um sie davon abzhalten, die letzten Punkte zu machen. Sogar bei Uno gibt es diese "Kartenziehkarten" und jedes Kind freut sich diebisch, wenn nach einem Hin und Her mit diesen Karten jemand plötzlich eine große Anzahl Karten ziehen muss.
Der Unterschied zu Squid Games - The Challenge ist aus meiner Sicht nur, dass diese Versatzstücke auf etwas perfidere Art kombiniert werden und dass die Darstellung durch das sprachliche Framing und durch Gestaltung der Mis-en-Scene eher dazu geeignet ist, Beklemmung zu erzeugen. Im Grunde ist es aber doch eben nur ein Spiel. Ich würde entsprechend die Handlungen der Mitspieler moralisch nicht sehr viel höher hängen als bei den genannten Gesellschaftsspielen.
3.) Die Überlegung, wie man sich selbst in Extremsituationen verhalten würde, ist sicherlich ein wesentlicher Teil der eigenen Persönlichkeitsentwicklung. Und natürlich sehe ich es so, dass Kunst und Literatur (im Sinne der erweitereten Definition) hier dazu beitragen kann. Squid Games - The Challenge sicherlich auch, aber da es sich aus meiner Sicht eher um einen qualitativ mäßigen Vertreter handelt, würde ich mir hier nicht allzu viel davon versprechen.
Neben Kunst und Literatur finde ich hier vor allem auch echte psychologische Expermimente spannend, gerade in der Frage, wie ich mich verhalten hätte. Ich denke hier an solche Studien wie Zimbardos Standford Prison Experiment (auch in den entsprechenden Verfilumgen) oder das Milgram Experiment. Hier sind solche Gedankengänge deutlich zielführender.
Insgesamt sehe ich den Unterschied zwischen Squid Games - The Challenge und dem Dschungelcamp oder DSDS nicht so. Mein Genre ist es nicht, ich finde es aber auch nicht schlimm, wenn andere es ansehen.